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Wer liebt, stiehlt auch

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31.08.2012
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Wer liebt, stiehlt auch

"Ja, das kann ich mir sehr gut vorstellen", murmelte sie halblaut vor sich hin. "Vor allem kann ich mir vorstellen, wie gerne Du Dich hier bei mir mal umschauen würdest!" Seit fast 3 Monaten pflegte sie ihre Internetbekanntschaft, sie hatte sich bei einer dieser Online-Kontaktbörsen für „anspruchsvolle, gehobene“ Singles angemeldet. Sie war der Meinung, schlechte Erfahrungen in der realen Welt genug gemacht zu haben, sie hatten sie dazu gebracht, sich im Internet umzusehen. Obwohl diese Aussage nicht ganz der Wahrheit entsprach, Tatsache war, dass sie seit Jahren keinerlei Erfahrungen mehr gemacht hatte. Um genau zu sein, seit der Trennung von ihrem Mann damals. 10 Jahre war es her, seit sie ihn vor die Tür gesetzt hatte, weil er ihr Geld durchgebracht hatte, für irgendwelchen Schnickschnack, der keine Bedeutung hatte. Gestohlen hatte er ihr Geld, geklaut, sagte sie oft, wenn sie den Menschen erzählte, warum ihre Ehe gescheitert war. Sie konnte stundenlang darüber reden, sich lange Jahre danach noch in Rage bringen, wenn sie nur an diese Ungerechtigkeit dachte, wie er sich an ihr bereichert hatte. Sie bekam dann einen roten Kopf vor Wut; beim Sprechen blieb ihr ab und zu die Luft weg, so sehr war sie emotional dabei, so sehr spülte sie die Woge der Erinnerung weg. In solchen Momenten hatte sie in den Jahren dazwischen keinerlei innere Distanz aufgebaut. Zu nahe ging ihr das Gefühl, dass sie ausgenutzt worden war. Ihre Freunde, denen sie immer wieder ihr Leid klagte, konnten nicht verstehen, warum sie nach so langer Zeit diese Geschichte nicht endlich verdaut und zu den Akten gelegt hatte. Aber wie sollten sie auch verstehen können?! Schließlich ging es um ihr Vermögen! Sie hatte er ausgenommen wie eine Weihnachtsgans, sie allein. Dabei hatte sie immer versucht, das Geld zusammenzuhalten. Und er, er brauchte Autos, Urlaub, Tickets für Fußballspiele... Überhaupt... Urlaub! Als ob SIE sich solche Spinnereien geleistet hätte über die ganzen Jahre hinweg. Er wollte keinen Luxus, sagte er, nur die ganz normalen Sachen, die sich Leute eben gönnen, vor allem, wenn sie es sich leisten können! Geizig, knauserig und knickerig hatte er sie genannt und noch manche unschönere Worte. Er hatte nicht verstehen können, warum sie mit ihm ihr Vermögen nicht teilte. Später warf er ihr vor, auch gefühlsmäßig geizig zu sein, nichts geben zu können. Ihr Mann hätte gerne Kinder gehabt aber allein die Idee an sich empfand sie als Verschwendung. Kinder kosteten nicht nur Zeit und Nerven, nein, sie verschwendeten auch Unsummen an Geld!

Dieses Mal würde sie alles anders machen, sie würde diesen Menschen nicht in ihr Leben, nicht in ihre Wohnung lassen. Zumindest vorerst nicht. Die Zeit der Prüfung würde lange sein. Sehr lange. Er würde die teuren Vasen, den kostspieligen Schmuck, die aufwändige Einrichtung nicht sehen, genau so lange, bis sie sich sicher sein konnte, dass er es nicht vor allem auf ihren Wohlstand abgesehen hatte und selbst dann würde sie ihm nicht trauen.

Die erste Zeit war mühsam gewesen. Das Werben umeinander, allein der Versuch zu flirten fiel ihr unendlich schwer. Sie kämpfte sich durch, schließlich wollte sie auch ihren Anteil am Vergnügen dieser Welt haben. Außerdem hatte sie Bedürfnisse!
Nach 7 Wochen trafen sie sich. Die erste Verabredung hatte an einem verregneten, verschlafenen Sonntag stattgefunden, in einem Cafe in einer Stadt, die sie willkürlich ausgesucht hatte. Im Google maps war sie virtuell auf der Deutschlandkarte herumgewandert, hatte irgendwo zwischen ihrem Wohnort und seinem diesen Ort gewählt. Sie hatte nicht gewollt, dass sie sich in der Stadt trafen, in der sie lebte, zu viel Angst hatte sie davor gehabt, dass er Rückschlüsse ziehen könnte auf ihre wirkliche Identität, darauf, dass sie eine mehr als wohlhabende, allein stehende Frau war. Außerdem war es möglich, dass ein Bekannter sie erkennen würde in ihrer Heimatstadt. Nein, das war viel zu gefährlich, sie musste ihn auf Abstand halten, sich nicht der Gefahr, dem Risiko aussetzen, dass er sie ausbeuten könnte. Eher zaudernd hatte sie dem sich anbahnenden Flirt nachgegeben, er umwarb sie mit lockenden Worten, mit vorsichtigen Annäherungen. Anfangs respektierte er ihren Wunsch, nichts überstürzen zu wollen. Er hatte selbst wohl einige schlechte Erfahrungen in diesem Leben gemacht, dass es für ihn kein Problem darstellte, schließlich wollte er sich selbst auch nicht die Finger verbrennen. Er erzählte ihr von seinem Leben, von seinen Kindern, von seiner Scheidung. Gleich zu Beginn versuchte sie herauszufinden, wie es wohl um seine Finanzen bestellt war, aber er ließ sich nicht so richtig in die Karten schauen. Manchmal hatte sie sogar das Gefühl, er würde ihr absichtlich ausweichen, wenn sie versuchte, über seinen Beruf, über seine Einkünfte zu sprechen. Natürlich würde sie ihn niemals so plump ausfragen, nein, sie hatte es raffinierter angestellt, ihn zuerst umgarnt, ihm Komplimente gemacht, ihn in scheinbar unverfängliche Gespräche verwickelt. Im Prinzip war es ihr egal, sie würde ihn so schnell nicht in ihr Leben lassen, nur: sie hatte zu viel Angst davor, wie sie meinte, wieder bestohlen zu werden. Es trieb sie um und ließ ihr keine Ruhe. Inzwischen hatte sie ihn zuhause besucht, sie hatte sich seine Wohnung angesehen, praktisch inspiziert hatte sie sie. Genüsslich hatte sie sich vorgestellt, wie sie Gewissheit erlangen würde über seine Armut oder seinen Reichtum. Mühsam verbarg sie ihre Neugier, ihr gesteigertes Interesse an seinen Räumlichkeiten. Er fragte sie, warum sie so nervös wäre, sie erklärte ihm, sie wäre immer so aufgeregt, wenn sie sich mit ihm treffen würde. Seine Wohnung war klassisch elegant eingerichtet, sehr geschmackvoll für einen Mann, der nach einer längeren Ehe wieder alleine lebte. Sie entdeckte sogar mehrere Designer-Elemente, Arne Jacobsen Stühle, gruppiert um einen kostspielig wirkenden Holztisch aus schwerer Eiche; ihrem fiebrig suchenden Auge entging nichts. Die vermeintliche Gewissheit entpuppte sich jedoch als Trugschluss: enttäuscht spürte sie der entgangenen Genugtuung hinterher, denn sie traute ihrem Blick nicht. Wie viele Menschen lebten schließlich auf Pump, darauf würde sie nicht hereinfallen!

Die Zeit, die sie miteinander verbrachten war voller Leidenschaft; sie genoss es, begehrt zu werden. Als sie sich nach dem letzten Treffen verabschiedeten, hatte sie das Gefühl, es läge ihm noch etwas auf dem Herzen. Schließlich ließ er sie jedoch schweigend gehen. Sie machte sich keine weiteren Gedanken darüber, sie war ja ganz zufrieden, wie es lief. Unbekümmert verbrachte sie den weiteren Abend in ihrem geschmackvoll eingerichteten Zuhause.

Am nächsten Tag kam dann diese E-Mail, in der er zur Sache kam: Er wollte doch endlich einmal sehen, wie sie denn so wohne und wo überhaupt, er könne sich nicht richtig auf sie einlassen, wenn er nicht auch in ihr privates Umfeld eintauchen könne. Ihre Gefühle der Abwehr waren heftig. Nein, sie war nicht diesen langen Weg gegangen, um ihm jetzt die Gelegenheit zu geben, sie auszunutzen und sich an ihrem Vermögen zu bereichern! Nein, ganz sicher nicht! Als sie sich wieder trafen, versuchte er wieder, mehr in ihr Leben vorzudringen und mehr über sie zu erfahren. In die Enge getrieben, erfand sie Ausreden, eine nach der anderen, warum er sie nicht besuchen könne. Er nahm ihre Ausflüchte hin, es blieb ihm nichts anderes übrig. Bei der nächsten Verabredung legte er die Karten auf den Tisch. Er fühle sich auf Abstand gehalten, allein und ohne Perspektive. Er war der Meinung, dass es besser wäre, wenn sie in Zukunft getrennte Wege gehen würden. Emotionslos nahm sie es hin, sie verabschiedeten sich wie zwei Fremde. Warum auch nicht, sagte sie sich selber, wir hatten eine gute Zeit, nur Spaß, mehr sollte es auch nicht sein. Die nächsten Tage danach hielt ihre seltsame Stimmung an. Sie fühlte sich wie in Watte gepackt, unbeteiligt, als ob sie die Affäre gar nicht wirklich erlebt hätte. Nach einer Woche kippte ihre Stimmung: ruhelos wanderte sie durch ihr großes Haus, auf der Suche nach..... Ja, das wusste sie eben nicht. Ihre vielen Besitztümer, die ihr sonst soviel bedeuteten, gaben ihr nichts, nicht einmal ein Gefühl der Geborgenheit, des Trostes in einer dunklen Stunde. Freunde, die sie auf ihren Gemütszustand ansprachen und sich Sorgen machten, sagte sie, es wäre nichts Ernstes, nur eine Unpässlichkeit. Das war es ja auch.
Sie verstand nicht, warum sie sich so schlecht fühlte. Abends lag sie im Bett, starrte die Decke an. Irgendwann forderte die Müdigkeit ihren Tribut, sie dämmerte hinweg. Ihr Unterbewusstsein schickte ihr Fetzen der Erinnerung, die Ränder abgekaut wie weich gewordenes Papier. Verschwommen trieben sie an die Oberfläche ihrer Wahrnehmung. Eine schob sich über die anderen, klarer, die Umrisse scharfkantig wie von einer Glasscherbe. Diese traf sie wie ein Katapult, abgeschossen von der Schleuder der Wahrheit. Entsetzt riss sie die Augen auf. Die bittere Erkenntnis trieb ihr endlich die Tränen in die Augen: er hatte ihr Herz gestohlen!

 

Hallo Rengia,

die Idee zu deiner Geschichte gefällt mir schon ganz gut. Am besten finde ich die Beschreibung der Protagonistin, die nicht nur mit Geld, sondern auch ihren Gefühlen geizt. Ein bisschen fehlt mir allerdings die Entwicklung der Beziehung zwischen Ihr und der Internetbekanntschaft. Man lernt sie eigentlich nur als verbohrte, egoistische Dame kennen. Da sie aber das Wagnis eingeht und überhaupt einen Mann im Internet sucht, sie hat ja schließlich Bedürfnisse, wie sie selbst sagt, solltest du diese auch nicht zu kurz kommen lassen.
Bringe ein bisschen mehr von ihrer Sehnsucht ins Spiel und wie sie sich ihrer Bekanntschaft immer weiter annähert, ohne jedoch über den eigenen, geizigen und ängstlichen Schatte springen zu können. Das kannst du auch gut darstellen in dem du Beispielsweise wiedergibst, mit welchen Komplimenten oder Handlungen er, sie, für sich einnimmt und wie sie darauf reagiert. Ebenso, wie er versucht, sie zu mit allen Mitteln, von sich zu Überzeugen und sie immer wieder eine Begründung findet, die seine Bemühungen abwerten. Nur so ein paar Ideen meinerseits.
Mängel im Text die mir aufgefallen sind beziehen sich ausschließlich auf den Satzbau, da ich selbst nicht der beste Kommasetzer bin.

schlechte Erfahrungen in der realen Welt genug gemacht zu

genug schlechte Erfahrungen in der realen Welt gemacht zu haben; liest sich flüssiger

sie hatten sie dazu gebracht

In diesen und den Sätzen davor, verwendest du inflationär das Wörtchen „Sie“

seit der Trennung von ihrem Mann damals.

damals; ist überflüssig

10 Jahre war es her, seit sie ihn vor die Tür gesetzt hatte, weil er ihr Geld durchgebracht hatte, für irgendwelchen Schnickschnack, der keine Bedeutung hatte.

hatte, hatte, hatte; merkste selber ;)

so sehr spülte sie die Woge der Erinnerung weg

Sie spülte die Woge der Erinnerung weg? Vielleicht besser: So sehr wurde sie von der Woge der Erinnerung hinweg gespült… oder gleich ein anderes Bild verwenden.

In solchen Momenten hatte sie in den Jahren dazwischen keinerlei innere Distanz aufgebaut.

In solchen Momenten, fehlte ihr die innere Distanz zu den vergangenen Jahren.

Also du siehst, es gibt noch einiges zu verbessern. Ich habe jetzt nicht den ganzen Text nochmal durchgeackert, um jeden Fehler zu finden, dazu fehlt mir gerade die Zeit und Muße. Ich denke, wenn du den Text nochmal überarbeitest, fallen dir genug Ecken und Kanten auf. Mach weiter so, die Geschichte hat was.

Schöne Grüße
Lem Pala

 

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