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Wenn es läuft, dann läuft es
Wie sehr er diese Tage liebte, an denen einfach alles glatt lief.
Morgens wachte er zwei Minuten vor dem Wecker auf, streckte sich ausgiebig - seit seine Frau weg war, hatte er endlich genug Platz im Bett -, dann duschte und frühstückte er und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Das Licht sah heute irgendwie anders aus als tags zuvor; heller und freundlicher. Er machte sich keine Gedanken darüber, sondern sah einer sehr schönen, in der Sonne metallisch blau schimmernden Hummel hinterher.
Die dreiminütige Verspätung der S-Bahn war okay und die 30minütige Zugfahrt verging wie im Fluge, niemand rempelte ihn böswillig an. Selbst auf der Arbeit lief alles rund. Eigentlich war sein Job in der Finanzbuchhaltung relativ eintönig, jedenfalls hatte er ihn in den letzten 16 Jahren so empfunden. Aber heute hatte er Spaß an den alltäglichsten Handgriffen. Selbst die üblichen Sticheleien seiner Kollegen wegen seiner Wampe, dem knittrigen Pullunder oder dem übervollen Schreibtisch konnten ihm nichts anhaben.
Gestern sah die Welt noch ganz anders aus. Da hatte er sich noch wie so oft gegen Mittag für eine halbe Stunde auf der Toilette versteckt, um den Kollegen aus dem Weg zu gehen. Da kam der Zug wie üblich unerträgliche drei Minuten zu spät und abends verpasste er wie üblich den Anfang seiner vorabendlichen Lieblingssoap.
Er bereitete sich schon - wie üblich - auf das langweilige abendliche Fernsehprogramm vor und schob gerade - wie üblich - die Fertigmahlzeit in die Mikrowelle, als ein Kurier klingelte und ihm ein schuhkartongroßes Päckchen übergab. Er hatte zwar keines erwartet, aber seine Adresse war korrekt und es war kein Entgelt zu entrichten. Also fand er keinen Grund, die Annahme zu verweigern.
Als er misstrauisch das Paket aufriss, schnitt er sich einen Finger am Karton auf und fluchte auf den Verpackungsdesigner, der diese gefährliche Stelle übersehen hatte. Aus Angst vor einer Blutvergiftung spülte er die Wunde sofort aus und der Schmerz war bald nur noch eine kribbelnde Erinnerung.
Das war gestern, heute war alles besser. Der Schnitt in seinem Finger juckte fast gar nicht mehr und die deutliche Rötung machte ihm keine Sorgen. Sogar die Blondine am Empfang hatte ihn heute angelächelt und er nahm sich vor, sie mal zum Essen einzuladen. So etwas hatte er schon viel zu lange nicht mehr gemacht.
Nach Feierabend ging er noch zum Bauamt. Er hatte einen späten Termin mit dem Amtsleiter, um ihn wegen der Ablehnung des Bauantrages eines großen Konzerns zu interviewen. Er war kein Journalist, nicht mal besonders interessiert.
Aber dem Paket gestern lag ein Brief bei, der klang irgendwie lustig und so entschied er, sich auf diesen Spaß einzulassen. Den Presseausweis, der ebenfalls im Paket gelegen hatte, brauchte er gar nicht. Nachdem er sich als Mitarbeiter einer lokalen Zeitung vorgestellt hatte, rief die Sekretärin den Amtsleiter und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
Als der aus seinem Büro kam, um den vermeintlichen Journalisten zu begrüßen, schwebte die Hummel vom Morgen aus der Bürotür und das Licht schien heruntergedreht zu werden, wurde weicher und die Farben kräftiger. Das würde ein Spaß werden.
Er ging einen Schritt auf den Beamten zu, hob breit lächelnd die etwas plump wirkende, kastenförmige Waffe aus dem Päckchen hoch, hielt sie ihm vor das irritierte Gesicht und drückte ab. Mit einem ohrenbetäubenden Krachen sprengte die Ladung in der Waffe das Salz-Schrot nach vorn in sein Opfer, wo es Gesicht, Knochen und Gehirn zermalmte und an die rückwärtige Wand verteilte.
Das ebenfalls aus verdichtetem Salz bestehende Gehäuse wurde durch die Gewalt der Explosion in grobe Splitter zerrissen, die sich tief in Oberkörper und Gesicht des Attentäters gruben und ihm die Hand und einen Teil des Unterarms zerrissen. Wovon er allerdings nur ein unsanftes Stupsen merkte.
Als er sich überzeugt hatte, dass der Amtsleiter wirklich tot war, sah er mit dem verbliebenen, linken Auge etwas verständnislos seinen eigenen Unterarm an, dessen Reste in Streifen herabhingen und von dem sanft aber eindringlich ein pochender Schmerz ausging.
Davon abgesehen lächelte er wegen des wirklich gelungenen Scherzes in sich hinein. Ein echtes Lächeln brachten seine zerrissenen Gesichtsmuskeln und -nerven nicht mehr zustande.
Als er sich umdrehte, um nach Hause zu gehen, wollte er sich noch von der Sekretärin verabschieden, die sich sicherlich vor Lachen biegen würde. Allerdings stürzte die schreiend aus dem Raum, was er etwas unhöflich fand.
Auf der Suche nach dem Ausgang hatte er Schwierigkeiten, sich in den Korridoren des Bauamts zu orientierten. Die ausgiebige Blutspur, die sich hinter ihm bildete war ihm zwar eine willkommene Orientierung. Aber die Beine wurden schwerer und schwerer, sein Blick verlor immer wieder den Fokus und er konnte sich einfach nicht orientieren. Die panisch vor ihm flüchtenden oder um Gnade winselnden Menschen machten es auch nicht leichter. Kurz vor der Ausgangstür schließlich verließen ihn die Kräfte, der Blutverlust und das Gift taten ihre Wirkung. Er brach zusammen und starb zufrieden innerhalb weniger Minuten.
Sein letzter Gedanke war: “Ein guter Tag.”
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Der CTO* blickte kurz ins Leere, nachdem er den Bericht über den Vorfall gelesen hatte. Er kannte natürlich die Antwort, schließlich war das Ganze sein Projekt, dennoch fragte er seinen Assistenten zum wiederholten Mal: “Und es ist sicher nicht zurückverfolgbar?”
“Das Gerät bestand aus reinem Salz und hat sich im ganzen Raum verteilt. Der Sprengstoff stammt aus unseren Laboren und weist keinerlei Marker auf. Und die wenigen elektrischen Komponenten werden zu Millionen produziert. Keine Chance, eine Verbindung aufzubauen.”
“Und das Paket?”
”Der Bote wird nicht gefunden werden und die Zustellerfirma hat nie existiert.”
“Gut. Mir scheint, der Feldversuch für Paket und Waffe war ein Erfolg. Bitte lassen Sie die Werbung dafür an die üblichen Adressen versenden.”
Der Assistent verneigte sich leicht: “Sehr gern.”
*CTO: Chief Technical Officer: Wichtigtuerische Bezeichnung für den Abteilungsleiter der Entwicklungsabteilung.