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Wenn ein gläserner Mensch zerbricht
Ich saß wie jeden Abend an meinem Schreibtisch. Der Mond dieser erstaunlich warmen Sommernacht schien durch das offene Fenster.
Neben dem Mond war mein Laptop das Einzige, was mein Zimmer erhellte, während ich eifrig darauf für meinen Blog tippte.
Ich hatte eigentlich keine Ahnung, weshalb ich damit angefangen hatte. Vielleicht war es der Ersatz für ein Tagebuch, in das ich alles hineinschreiben konnte, was ich wollte, wobei es niemand je lesen würde.
Und jetzt saß ich hier und gab meine Erfahrungen und meine Erlebnisse der ganzen Welt zum Besten.
Was allerdings noch viel erstaunlicher als die Tatsache, dass ich überhaupt schreibe, ist, dass sich Leute diesen Blog wirklich durchlasen, eifrig auf den neusten Eintrag warteten und kommentierten, Fragen stellten.
Fragen, die sich allesamt nur auf das beziehen, was ich schrieb. Also über meine Reisen, oder was ich gerade zum Mittag gegessen hatte.
Das Internet war eine Bibliothek, ein Spielplatz und ein gottverdammtes Grab, wenn man nicht aufpasste.
Während ich an meinem Getränk nippte schoss mir die Tatsache in den Kopf, wie beängstigend es ist, dass die, die meinen Blog lasen, fast alles über mich und ich nichts über sie wusste.
Aber mit diesem Risiko musste ich als „Blogger“ leben, oder?
Das Internet vergisst nicht, so sagt man. Es macht Menschen gläsern und speichert Dinge, an die wir uns auf ewig erinnern oder auf immer vergessen wollten.
Ich drückte auf „Enter“ und der Eintrag war nun in diesem chaotischem Gewirr, was uns Segen und Fluch sogleich ist, dachte ich.
Ich lehnte mich zurück und schaute aus dem Fenster.
Es war Vollmond, Wolken zogen gelegentlich an ihm vorbei, und auch die Sterne erleuchteten den Nachthimmel.
Es ist schon seltsam, so dachte ich, ein „gläserner Mensch“ zu sein. Wahrscheinlich weiß irgendwer auf dieser Welt, wo du wohnst, wo du arbeitest, wo und wann du isst, wen du kennst, und das, obwohl du diesen jemand nicht kennst.
Aber das war der Fluch, der sich hinter dem gewaltigen Wirrwarr aus Informationen verbirgt, Informationen, die uns bereichern, uns lehren, uns mahnen.
Nur wenige wissen sich in diesem buchstäblichen Chaos zurechtzufinden, dachte ich. Und diese Leute sind es dann, die wissen wo du wohnst, wo du arbeitest, wo und wann du isst, wen du kennst.
Ein Geräusch unterbrach mein Starren auf den Mond.
Nur wenige Minuten nach dem Erstellen meines Eintrages war bereits ein Kommentar geschrieben worden, obwohl es so verdammt spät war.
Es war „der Editor“ - ein Nutzer, der meine Einträge immer als Erster kommentierte, allerdings nichts zum Beitrag selbst schrieb, sondern banale Fragen stellte, etwa, wie mein Tag gewesen sei.
„Der Mond ist faszinierend, oder?“
Ich hatte nie etwas über den Mond geschrieben, warum also sollte jemand genau jetzt einen Kommentar darüber schreiben?
Perplex las ich meinen gerade erst verfassten Eintrag abermals, vielleicht hatte ich ihn dort erwähnt.
Bevor ich fertig war, den Eintrag zu überfliegen, ertönte abermals das Geräusch.
„Was, erstaunt? Erspar dir die Arbeit, ich kann dir gleich mit Gewissheit sagen, dass nichts über den Mond in deinem Eintrag steht.“
Panisch stand ich auf, trat zum Fenster und schaute in die Nacht.
Es war der typische Vorort einer Großstadt;
Haus an Haus gereiht, jeder erpicht darauf, dass der Rasen seines Vorgartens millimetergenau getrimmt war.
Doch stach nichts aus der Masse heraus, nichts, was außergewöhnlich war.
Ich beschloss, den Laptop auszumachen.
Sobald der aus ist, bin ich offline, und das alles geht mich nichts mehr an, dachte ich.
Aber wusste ich verdammt nochmal, dass es mich sehr wohl etwas anginge.
Ich öffnete meine Zimmertür, vor mir der dunkle Flur. Mein Herz schlug immer höher.
Ich wollte mir einreden, dass ich nicht wusste wieso, aber insgeheim wusste ich es genau.
Unbewusst stieß ich die Tür zum Badezimmer förmlich auf, doch es war alles so, wie es immer war.
Mit mulmigen Gefühl putzte ich mir die Zähne, immer einen Blick zum Fenster auf die von einer Laterne beleuchteten Straße.
Schnell eilte ich danach wieder in mein Zimmer, verschloss die Tür und legte mich in mein Bett.
Mulmig war mir, doch irgendwann gelang es mir, Schlaf zu finden.
Die Schlüssel auf meinen Schreibtisch geworfen war ich nach einem langen Arbeitstag wieder zu Hause angekommen.
Ich hatte heute früh nicht einmal die Zeit dazu gehabt, nach meinem Blogeintrag zu schauen.
Es hielten mich seltsame Träume davon ab, besonders langen oder erholsamen Schlaf zu finden, sodass ich später aufwachte, als geplant.
Heute war es eine wolkenbedeckte, pechschwarze Nacht.
Nichts außer den Straßenlaternen erhellte die Häuser, und dieser Vorort schlief bereits.
So schaltete ich den Laptop an, rief meine E-Mails ab und öffnete zu guter letzt meinen Blog.
Es waren die üblichen Kommentare von den üblichen Leuten über die üblichen Themen.
Kurz bevor ich anfangen wollte, die Neusten zu beantworten, drang der Signalton aus den Lautsprechern.
Ein neuer Kommentar.
Ich hatte die Ereignisse der letzten Nacht wohl verdrängt und öffnete ihn wissbegierig. Der Absender war „der Editor“.
Plötzlich schien es mir wieder einzufallen, und meiner Wissbegier wich ein Gefühl der Vorsicht und Angst.
„Du bist zu Hause? Gut, vielleicht solltet du dann endlich mal deinen Teller von heute morgen abwaschen, der neben dir steht.“
Ich schluckte.
Panisch sah ich mich in meinem Zimmer um, blickte in alle Ecken und erst dann viel mir ein kleines rotes Licht auf.
Prompt als ich es anschaute, tönte es wieder.
„Ahh, du hast sie gefunden. Siehst du auch die anderen?“
Auf einmal erschienen überall an den Wänden diese roten Punkte. Hastig schlug ich den Laptop zu, griff nach meinen auf dem Tisch liegenden Schlüsseln und eilte die Treppe hinunter.
Als ich dann hastig die Haustür öffnete hörte ich, wie Glas splitterte und klirrend zu Boden fiel.