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Wenn die Nacht zu Ende geht
Der Abend neigte sich dem Ende zu. Ich kannte es so gut. Gleich würde das Schöne der Nacht den Hut nehmen und seiner hässlichen Zwillingsschwester das Feld überlassen. Wie die Ratten würde sie aus allen Löchern kriechen.
In der kleinen Nische am linken Ende des Tresens, saß den Abend über ein Pärchen. Sie tranken Champagner und sahen nur sich. Beide waren schlicht und dunkel angezogen. Er war schmal, sie war schön. Blasse Haut, dunkelrote Haare, dem Alltag entrückt, eine Frau ganz nach meinem Geschmack. Der Typ hatte eine hohe Stirn und schwarze Kulleraugen, wahrscheinlich ein Iraner.
An der Bar war viel los gewesen, ich hatte kaum Zeit gehabt, mich zu betrinken. Mark und Hiti hetzten um mich herum. Meine neue Aushilfe räumte die Gläser ab.
So gegen fünf lichtete sich die Tanzfläche allmählich. Die übriggebliebenen Männer blickten immer unverhohlener herum. Ich machte mir endlich einen Gin-Tonic und lehnte mich an die Wand. Verstohlen glitt mein Blick immer wieder in Richtung der Nische. Die Frau war absolut faszinierend.
Nach ein paar Minuten winkte mich der Iraner zu sich, während sie mir freundlich zulächelte.
„Was kann ich für euch tun?“ Freundlich lächeln konnte ich auch.
Er lehnte sich zu mir rüber, ich war aus allen Kräften bemüht, sie nicht anzuschauen.
„Sag mal, ist das hier dein Laden?“ Seine Stimme war ziemlich hoch, ihr Ton gönnerhaft. Der Typ hätte ein erfolgreicher Handyverkäufer sein können, bloß hatte sein Hemd zu viel Geschmack.
Ich nickte: „Jawohl! Willst du mir etwa ein Angebot machen?“ Ich kam nicht umhin, flüchtig zu seiner Begleiterin hinüber zu schielen. Über ihre grünen Augen huschte ein interessiertes Lächeln. Ich wünschte mir, mein Blick wäre eindringlicher gewesen.
„Na ja“, der Iraner lachte selbstsicher auf - „so etwas in der Art jedenfalls. Vielleicht kannst du uns helfen.“
„Oh je, Helfen ist ja nicht mein Spezialgebiet, aber ich bin neugierig“, für ihn hätte ich keinen Finger gerührt, für sie sah es schon ganz anders aus. Sie war der Sinn und das Verderben. Ich hatte nicht die leisesten Bedenken, sie ihm auszuspannen.
„Also“, der persische Prinz zeigte sich unbeirrt, „ganz geradeaus, wir haben was zu feiern und hätten gerne etwas Koks. Nur bin ich leider nicht von hier und sie weiß auf dem Gebiet gerade niemanden. Vielleicht hast du einen Tipp für uns?“
Ich hatte einen Tipp für sie, natürlich, für diese grünen Augen hatte ich alle Tipps der Welt. Bloß nicht zu hastig.
„Ich denke schon, dass sich da was machen lässt“, ich grübelte. Matze kam mir in den Sinn.
„Ich ruf mal kurz an.“ Der Iraner nickte zufrieden: „Ja bitte.“
Matze konnte. In 20 Minuten sagte er. Seine Stimme hörte sich überdreht an.
Meine Gäste freuten sich über die gute Neuigkeit. Sie luden mich auf ein Glas Champagner ein. Klar trinke ich eins. Auf euer Wohl! Was gäbe es denn zu feiern?
Nichts Besonderes?
Klar. Nichts Besonderes mit Champagner und Koks. Zum Angeben wollte der Typ erst mal richtig aufgefordert werden. Gerne. Das hatte ich vom gestiefelten Kater gelernt.
„Jetzt werde ich immer neugieriger“, ich trank das Glas aus und holte eine neue Flasche. Geht auf mich. „Du hast wahrscheinlich dein Studium beendet, nicht wahr?“ Ich goss uns allen ein.
Natürlich hatte er nicht seinen erfolgreichen Uniabschluss mit so einer Geheimniskrämerei zu feiern. War diese kleine, stumpfe Nadel ausreichend, um seinen Hochmut zu reizen?
„Na klar man“, er stieß an mit betonter Ironie, „ein Bachelor in Business Administration gefälligst?“
„Na darauf trinken wir einen!“ Ich bemühte mich, mein gespieltes Mitleid schlecht zu verhüllen.
Er stockte. Sie lächelte. Verstand sie wohin es ging oder hielt sie mich für einfältig?
Mein Mitleid reizte ihn offenbar. „Sehe ich etwa aus nach einem Bachelorkandidaten?“
Ich zuckte mit den Achseln: „Ist das etwa so schlimm? Ich hab ja mein Studium vor langer Zeit abgebrochen, so ein Bachelor wäre doch aber ganz nett, nicht?“
Er schüttelte mit dem Kopf und sah seine Begleiterin unschlüssig an. Jetzt sprach sie. Ihre Stimme war angenehm ruhig, vielleicht einen Ticken zu tief.
„Er hat heute eine Dissertation abgegeben. Ein gesellschaftsrechtlicher Geniestreich.“ Ich meinte, in ihrer Aussage eine Note Nachsicht herausgehört zu haben. „Jetzt ist die Katze aus dem Sack“, ihre Augen lächelten wieder.
Ich war nicht so recht überzeugt. „Gratuliere! Die Katze habt ihr aber tief versteckt. Und geht es jetzt in die Lehre oder wirst du Staranwalt?“ Ich bereute sofort meinen Sarkasmus, vergraulen wollte ich sie auf keinen Fall.
„Ach was“, er winkte ab. Meine Bemerkung überhörte er, „damit habe ich nichts gemein. Wie eine Drohne in einem Bienenstock zu versauern, das ist nichts für mich.“
„Wozu dann die Promotion?“ Jetzt war ich ein wenig verwirrt. Der Iraner nahm die Flasche und goss nur sich selbst ein. Er war unvorsichtig. Der Schaum schwappte über und hinterließ eine kleine Pfütze auf dem Tresen.
„Der Quatsch ist nicht für mich. Ich bin Ghostwriter. Wenn ein eitler, karrieregeiler Schwachkopf eine Dissertation braucht, aber keine Ahnung und keine Lust auf jahrelanges Arschaufreißen hat, dann kommt er zu mir. 4-5 Monate und summa cum laude steht. Er erntet die Meriten, ich begnüge mich mit dem Geld und der Verachtung. Sie ist auch einiges wert. Als moralisches Negativkapital. In meiner Bilanz schreibt die Gesellschaft gerade rote Zahlen. Für meine eigenen Aktien ist das gut.“ Er machte eine kurze Pause und trank. „Jetzt ist die Katze aus dem Sack.“
Sie goss wieder allen ein.
„Interessant“, fand ich, „und davon kann man gut leben?“
Er nickte: „Ich kann nicht klagen.“
Der Laden war schon fast leer. In der Ecke knutschte ein Pärchen, am anderen Ende der Bar saßen zwei Typen und tranken das letzte Bier. Hiti machte „easy“ von faith no more rein. Das Ende nahte.
Matze kam rein. Ihm folgte auf unsicheren Beinen eine kleine Blondine mit einem etwas verbrauchten, aber noch adretten Gesicht. Mein Dealer war wie immer bester Laune. „Venus, mein Bruder, lange nicht gesehen!“ Ich reichte ihm die Hand. Er war ein netter Kerl, der Anteil von Milchzucker mit dem er seine Ware streckte hielt sich völlig im Rahmen.
Meine neuen Bekannten reagierten auf Matze und seine Begleitung mit distanzierter Höflichkeit. Alle spürten das.
„Venus?“, hörte ich die Frau verwundert flüstern.
Glücklicherweise verzichtete Matze auf jeden small talk und kam sofort zum Geschäft. Man sah ihm an, dass er die beiden nicht mochte: „Was kann ich für euch tun?“
Der Iraner lehnte sich gegen die Theke. „Hast du zwei Gramm für mich?“
„Na klar“, der Dealer griff in seine Hosentasche und holte drei weiße Papierpäckchen raus. „Das ist jeweils ein Fünfziger. Kommt insgesamt auf zwei Gramm hin.“
„Gib mir auch zwei Päckchen Matze“, bat ich ihn.
Er gab sie mir und steckte das Geld ein. Seine Flamme lallte etwas Unverständliches, ihre Augen waren trüb vom Highsein. Das war die Nacht mit ihren Ratten.
Er griff ihr verärgert unter den Arm und verabschiedete sich. „Ich glaub, sie kann ein wenig frische Luft vertragen.“ Sekunden später hörte man hinter der Tür schwere Schritte, wie sie die Treppe erklommen.
Ich dachte, meine neuen Bekannten würden mich jetzt auch verlassen. Matzes Visite brachte eine seltsame Schwingung rein. Aber sie blieben. War es der Champagner? Hiti spürte die Atmosphäre und legte den Scarface Soundtrack ein. Ich war ihr dankbar.
Plötzlich lachte die Freundin des Iraners: „Und du heißt Venus?“ In ihre Frage mischten sich spöttische Töne.
„So nennt man mich, meinen richtigen Namen mag ich nicht.“
„Venus ist ein schöner Name“, sie schaute mir direkt in die Augen. Ich wurde verlegen. Ihre Tiefe machte mir Angst. Der Iraner lehnte sich entspannt zurück. Er war sich seiner und ihrer absolut sicher.
Der Typ machte eines der Päckchen auf und legte drei lange Linien. Ich nahm einen Strohhalm, schnitt ihn entzwei und reichte ihr die andere Hälfte. Dann zog ich.
Die Welt wurde schärfer, ich wurde ein gutes Stück besser. Auch die beiden zogen ihre Linien. Sie verteilte es behutsam auf zwei Nasenlöcher, er saugte es resolut mit einem auf. Ich fühlte mich ihnen verbunden. „Und wie haben sich eure Eltern namensmäßig an euch vergangen?“
„Ich heiße Helena“, sie reichte mir die Hand. Ihr Druck war so zärtlich, mich übermannte eine wohlige Wärme, als wäre ich an einem kalten Winterabend in ein heißes Bad gestiegen. Ich war bis ins Knochenmark in sie verliebt.
„Mein Name ist Meysam“, ihr Freund riss mich aus der Vergessenheit. Er war offenbar tatsächlich ein Iraner. Seine Hand war weich, einen Händedruck gab es praktisch nicht. Ich hatte das Gefühl einen lauen Fisch anzufassen.
Ich war wütend auf ihn, um irgendetwas zu tun, legte ich drei neue Linien. Es war viel zu viel. Ich zog trotzdem, er tat es auch. Helena nahm die Hälfte.
Hiti kam hinzu mit einer neuen Flasche Champagner und sagte Hallo. Sie fühlte meine Laune. Dafür schätzte ich meine türkische Prinzessin sehr. Mir schwebte wieder eine Gehaltserhöhung vor.
Wir tranken, Hiti nahm auch eine kleine Linie. Ich wollte sie umarmen, tat das aber nicht. Sie streichelte mir leicht über die Schulter. Es war rührend, sie nahm mir die Schwere vom Herzen. Das Koks dröhnte in meinem Schädel.
Mir war ganz plötzlich nach einem Grundsatzgespräch zumute. „Sag mal“, wand ich mich an Meysam, der gerade Helenas Taille hielt und ihr etwas ins Ohr flüsterte. „Findest du das nicht irgendwie verkehrt fremden Leuten zu akademischen Titeln zu verhelfen? Oder kommt es nur mir ziemlich unfair vor?“ Jetzt wurde ich nicht bloß platt, sondern auch abgeschmackt. Aber ich war in Fahrt.
Der Iraner schaute mich mit ruhigen, spöttischen Augen an. Die Drogen verliehen ihm noch mehr Sicherheit. Ich fühlte mich unterlegen. Er hatte Helena, sie schien meine Frage zu langweilen.
Meysam richtete seinen Rücken auf und stellte die Ellenbogen auf die Theke. Helena schaute mit Interesse Hiti an, so wie ein Kind aus dem Gymnasium einen Hauptschüler betrachtet.
„Mein lieber Venus...“, fing er väterlich an. Ich wollte ihm seine Herablassung zurück ins Gesicht schlagen. Ich stellte mir vor, wie das Blut aus seiner Nase auf die Theke tropft und sich dort mit dem Koks vermischt.
„Jetzt sagst du unfair. Wem gegenüber, wenn ich dich das fragen darf?“ Ich musste ihm antworten, aber die Schlacht sah ich schon verloren. „Den anderen man, denen, die diesen Scheiß selber machen müssen, weil ihnen ihre reichen Eltern nicht einfach so mal 20-30 Tausend für den Karriereschub vorstrecken können. So viel nimmst du doch bestimmt, nicht wahr?“
Meysam grinste selbstgefällig. „So in etwa. Weißt du“, fuhr er fort, während er nachlässig das Sprudeln des Champagners in seinem Glas beobachtete: „ich sehe das folgendermaßen: Gerechtigkeit gibt es auf dieser Welt nicht. Alle Menschen sind furchtbare Sünder und was noch schlimmer ist, Spießer. Und die jungen Juristen quatschen nur blasiertes Zeugs und wichsen an ihren Promotionen herum, was auf der Welt passiert, kümmert nicht. Mir sind die Leiden der Welt übrigens recht egal. Ich argumentiere nur aus deren verlogenen Ethik heraus. Man muss dazu sagen, ich schreibe nur für Juristen und bei dem Schlag von Menschen sehe ich niemanden, der mir leid tun könnte. Vor allem nicht bei den Wirtschaftslakaien. Ob jetzt einer der sich eigens den Arsch aufgerissen hat, mit seinem Doktortitel in die Position kommt, Unmoralisches zu tun oder ob es jemand ist, dessen Papa dafür bezahlt hat, ich sehe da keinen Unterschied.
Ganz ehrlich, du magst mir widersprechen, aber in diesem Geschäft gibt es keinen Raum für Fairness. Dass mittlerweile jeder Affe eine Promotion in Rechtswissenschaften macht, kommt noch hinzu. Dieser Titel dient nur noch dazu, vor den Mandanten zu renommieren. Ich bin ein Arschloch, keine Frage und dass ich hier unter anderen Arschlöchern für Fairness sorgen sollte, sehe ich nicht. Du willst fair sein, nur zu!“
Nach seinem Monolog verstummte Meysam und goss allen Champagner ein. Helena blickte mich an. Wollte sie, dass ich etwas dagegen sage? Ich wusste nicht was. Mir war nicht nach heucheln und auch nicht nach mich echauffieren. Sollte es zwischen uns jemals einen Funken gegeben haben, erlosch er gerade. Ich spürte es. Gleichgültigkeit legte sich über die Tiefe ihrer Augen. Wahrscheinlich waren es die Drogen. Hier war nichts mehr zu machen.
Meysam packte sein Koks zusammen: „Danke Venus für den netten Abend, ich glaube wir ziehen weiter.“
Ich nickte: „Ja klar, war nett euch kennengelernt zu haben.“ Trübsinn machte sich in dem Raum breit. Die Tanzfläche war leer und schmutzig. Die Musik stoppte. Mark machte das Licht an und begann die zerbrochenen Gläser zusammenzukehren. Das Grobe erledigte er meistens noch am Abend. Alles war nur noch hässlich. Meysam und Helena standen auf. Wir gaben einander wieder die Hand, sie schauten mich kaum an. Tschüss, tschüss, sie waren aus der Tür.
Ich stand an der Theke und rauchte eine Zigarette. Hiti kam von der Seite ganz nah an mich heran. Sie schlug mir leicht gegen den Oberarm. „Komm Venus, du schläfst heute bei mir.“ Ich sah sie unentschlossen an. „Aber nicht fummeln“, fügte sie entschieden hinzu. Ich lächelte. Dann nahm ich meine Jacke und wir gingen hinaus.