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Wenn die Klingler kommen

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14.03.2002
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Wenn die Klingler kommen

Besoffen sein ist schön. Schön zu sehen, wie gesittete und moralisch entschiedene Menschen wie von Zauberhand Wünsche äußern und Taten folgen lassen, die ohne Stoff nicht drin gewesen wären- zumindest nicht mit derselben Euphorie.
Nun gut, gesittet sind wir nicht, und das einzige, wofür wir uns moralisch sogar nüchtern entschieden haben, ist die Fluktuation, aber dennoch half Alkohol neulich auf die Sprünge.
Wir hatten ihm schon reichlich zugesprochen, als wir auf einer Klassenparty erfuhren, dass unser Politiklehrer in unmittelbarer Nähe residiert. Er ist bekannt für seine Gelassenheit, wir für eine gesunde Portion Abgebrühtheit und so machten wir uns gegen 3 Uhr im beruhigenden und sicheren Dunkel der Nacht bierbeladen auf den Weg. Zwar nicht unsere kreativste, wohl aber eine der schönsten Aktionen erwuchs aus dieser Konstellation: Wir klingelten und liefen wech, sehr schnell liefen wir einfach wech und beobachteten. Wir sahen nichts und waren enttäuscht. Also zogen wir ab zu umliegenden Häusern. Dort kopierten wir die Vorgehensweise: Alkohol trinken, Klingeln, flüchten, beobachten, enttäuscht sein, uns unglaublich lustig finden und darauf noch einen trinken.
Nach unbekannter Zeit traten wir den Heimweg an. Als wir uns wieder vor dem Wohnsitz unseres Lehrers befanden, ertönte eine hörbar aufgebrachte weibliche Stimme aus dem Nichts: „Geht weg da, ihr, sonst ruf ich die Polizei!!“ Oder so ähnlich, der Abend liegt leider nur noch fragmentarisch in unserem Gedächtnis vor. Jedenfalls nahmen wir die Beine in die Hand, ließen sie aber wieder los, weil man so sehr schlecht laufen kann. Unheimlich witzig war die ganze Sache in diesem Augenblick. Ganz nach dem Motto: „Mittelpunkt, wir brauchen dich!“, wollten wir unsere mutige Heldentat in den nächsten Tagen in der Welt herumerzählen.
Am nächsten Morgen mussten wir in die Schule und hatten natürlich Politik. Und unser Lehrer machte auch Politik. Nicht diplomatische Deeskalation, sondern entschlossene Erpressungsversuche. Unser bierseliger Ausflug an seine Haustür munitionierte ihn mit den oft erprobten und für gut befundenen Druckmittelchen, die im Studienplan unter der Überschrift „Zerrütten Sie die Klassengemeinschaft“ zusammengefasst sind: „Verhältnis zu der GANZEN Klasse angeschlagen“, „Auswirkungen auf ALLE Zensuren“, und zur Abwechslung auch mal eine Anzeige (bei der Polizei) wegen irgendwas und gegen Unbekannt. Vermutlich dennoch aussichtsreich, da in diesem Ort derlei Vergehen Priorität zu haben schienen- das schlossen wir jedenfalls aus seiner Größe und seinem Namen. Die betreffenden Leute wissen, was ich meine.
Ein Mitschüler fing noch an sich mitzuteilen und brachte DEN Spruch für Jugendliche schlechthin: „Klar war das Scheiße, aber...“ Und nachdem unser Lehrer noch mal betont hatte, wie schwierig es nun für ihn sei, zum Alltag überzugehen, gelang ihm dieses Unterfangen verdächtig schnell und er forderte mich auf, meine Hausaufgabe vorzutragen. Ich sollte nämlich über den vermeintlichen Antisemiten Jürgen Möllemann referieren. Nur interessierte mich in diesem Moment weniger die Strategie der FDP als meine eigene für die nahe Zukunft. Demnach sprachlich eiernd wie ein Grundschulkind, das fünf Minuten zu spät zum Unterricht kommt, konnte ich nicht einmal mich überzeugen. Etwas direkter kommentierte mein Lehrer im Anschluss dann auch mein Gesprochenes.
In der fünften Stunde wollten wir beide, also die Übeltäter, die Gesetzlosen, die Anarchisten, die Problemkinder, dann mal über Pläne beraten. Dazu sollte es allerdings nicht kommen. Die Gastgeberin der Klassenparty war nämlich sichtlich erregt und beängstigt, so dass sie uns festen Griffes und schnellen Schrittes durch die gesamte Schule schleifte und uns zwecks geziemender Entschuldigung vor unseren Lehrer stellte. Geistig von ihr händchenhaltend begann ich, über meine Gefühle zu reden. Ich wollte alles darauf hinaus laufen lassen, „Entschuldigung“ zu sagen, doch kurz vor der Pointe fuhr mir mein Lehrer ins Wort. Er sagte, es sei vergessen und gestand ein, dass seine morgendlichen Ankündigungen in die Kategorie Übertreibung fielen. Seine Wut resultierte vielmehr aus privaten Gründen, die nichts mit uns zu tun hätten, und in „99,9 Prozent der Fälle“ sei dieser Witz ja auch lustig. Oder er käme an, oder so, ich weiß nicht mehr genau, wie er es ausdrückte.
Abschließend setzte uns die Gastgeberin noch von ihren Moralvorstellungen und Problemen in Kenntnis. Sie erwartete zum Beispiel ein sofortiges Bekenntnis noch während der Schulstunde. Das ist immer Fall bei den Menschen: Sie erwarten zu viel voneinander.

 

Tja, ich bewege mich zwischen abweisendem Kopfschütteln und zustimmendem Nicken, was soviel bedeutet wie; die Geschichte lässt mich unzufrieden zurück.

Mal vom Inhalt abgesehen, wirkt die Sprache und die daraus resultierende Erzählweise auf mich bemüht "überheblich". Diese Bemühung komm so ausgeprägt zum Vorschein, dass es schon nicht mehr komisch klingt, nicht mal unfreiwillig.

Die Handlung betreffend sei anzumerken, dass auch hier nichts Sonderbares auftritt und keine außergewöhnlich witzigen "Schülerstreiche" feilgeboten werden, weder in der Art noch in der Weise. Ebensowenig ist die gezogene Konsequenz hinreichend dargestellt.

Die Einsparung der Überheblichkeit in der Sprache, dafür aber ein um so intensiver Einsatz derselben im Ausbau wäre für den Leser eventuell zufriedenstellender ausgefallen.


Hendek

 

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