Wenn die Angst im Weg steht
„Du weißt doch gar nicht worauf du dich da einlässt!“ Durch Kraft in der Stimme versuchte Mark seine Verzweiflung zu überspielen. Melina sollte nicht erfahren wie sehr er sie mochte. Wie sehr er sie liebte.
“Wie meinst du das?“ Melina war verzweifelt. Jetzt endlich hatte sie die Liebe gefunden und jetzt wollte er nicht mit ihr zusammen sein? Nein, das konnte doch nicht wahr sein!
„Ich meine, weißt du worauf du dich da, wenn du mit mir zusammen bist? Ich bin Arzt. Und ich bin das gern. Ich muss Nachtdienst machen, am Wochenende arbeiten und dass ich an Feiertagen frei habe, ist auch nie sicher. Und außerdem weißt du dass ich auch noch in der Forschung tätig bin. Ich habe nicht so viel Zeit wie andere für eine Beziehung. Ich kann mir nicht vorstellen dass du jemanden willst der mehr auf Arbeit als zuhause ist.“
Mark war Arzt, sehr begabt, jung, dynamisch, mit dem Ziel in der Medizinischen Forschung Schritte vorwärts zu gehen. Er hatte sich für dieses Leben entschieden und ihm wurde erst zu spät bewusst dass es schwer werden würde dabei die Frau fürs Leben zu finden. Seine letzte Freundin hatte ihn nach langer Beziehung sitzen lassen, weil sie jemanden gefunden hatte, der mehr Zeit für sie hat. Somit war Marks Beruf der Trennungsgrund. Doch er hatte diese Leben schon so verinnerlicht, dass er es jetzt nicht mehr aufgeben wollte. Als er dann Melina kennen lernte, hätte er nie gedacht, dass sie beide einmal zu dem Punkt kommen würden an dem sie mehr als nur gute Freunde für einander sein wollen oder sind. Doch jetzt war es soweit und Mark hatte Angst sie zu verlieren. Er hatte sich in sie verliebt, befürchtete aber jetzt dass sie es nicht lange mit ihm aushalten würde, wenn er so selten Zeit für sie hat. Während der Zeit die sie sich jetzt kannten, sahen sie sich schon nicht häufig. Würde es jetzt besser werden? Würde es Melina reichen? Er glaubte nicht daran. Um sie nicht ganz zu verlieren würde er lieber für immer nur ein Freund bleiben. Wenn er sie doch nur überzeugen könnte nicht mit ihm zusammen sein zu wollen. Dass es so schwer werden würde hätte er nicht gedacht. Ihm war nicht bewusst wie sehr auch Melina sich in ihn verliebt hatte.
„Du meinst, ich wüsste nicht worauf ich mich einlasse, wenn ich mit dir zusammen sein will?“ Melina wusste nach der Bemerkung von Mark gar nicht mehr was sie denken sollte. Was, wie sie sich fühlen sollte. Sie war sicher gewesen, dass er das gleiche empfindet wie sie und jetzt wollte er sie scheinbar fernhalten. Sie musste jetzt kämpfen und Geheimnisse verraten, die sie lieber noch für sich behalten hätte.
„Mark, du hast Recht. Ich weiß wirklich nicht worauf ich mich da einlasse. Das wäre aber bei jedem Mann so.“
Fragend schaute Mark sie an. „Wie meinst du das?“
Schon bereute Melina was sie gesagt hatte. Jetzt gab es wirklich kein Zurück mehr, sie musste die Wahrheit sagen.
„Ich meine, ich kann nicht wissen worauf ich mich einlasse, weil…“ sie schwieg einen Moment, holte tief Luft und sagte sehr leise „weil ich noch nie mit einem Mann zusammen war. Ich hatte noch nie einen Freund.“
Bei den letzten Worten kamen ihr die Tränen. Sie drehte sich um und rannte los. Sie wollte nur noch weg. Wie konnte sie es nur wo weit kommen lassen? Sie kam sich wie ein Versager vor. Sie war jetzt vierundzwanzig Jahre alt. Mark war fünf Jahre älter. Noch nie gab es in ihrem Leben einen Mann der sich ernsthaft für sie interessiert hatte. Verliebt hatte sie sich schon einige Male, aber dieses Mal beruhte es auf Gegenseitigkeit. Zumindest hatte sie das bis eben noch geglaubt. Sie hatte Mark durch Freunde kennen gelernt und es entstand eine Freundschaft die immer tiefer wurde. Sie wollte ihm nicht sagen, dass sie noch keinen Freund hatte. Zumindest nicht jetzt. Sie fühlte sich als Versager und hatte Angst dass er sie auslachen würde. Obwohl das nicht seinem Naturell entsprach. Und jetzt war es raus. Er wollte nicht mit ihr zusammen sein, das war offensichtlich und jetzt hatte sie ihm noch einen weiteren Grund dafür geliefert.
„Melina, warte!“ Es hatte ein paar Sekunden gedauert bis Mark begriff was sie ihm gerade gebeichtet hatte. Er hätte nie gedacht dass es noch keinen für sie gegeben hatte. Sie war eine hübsche, junge Dame. Humorvoll. Einfach liebenswert. Wieso nur hatte sie bisher keinen Freund gehabt? Mark merkte, dass er mit seiner abwesenden Haltung etwas in ihr zerstört haben musste. Er liebte sie und war gerade auf dem besten Weg alles kaputt zu machen. Er lief ihr hinterher, holte sie ein und hielt sie am Arm fest.
„Gab es wirklich noch keinen Mann in deinem Leben?“
Melina schaute ihn durch tränennasse Augen an. „Nein. Wenn ich bisher verliebt war, dann war ich für den anderen nie mehr als eine gute Freundin oder kleine Schwester. Doch bei dir ist das anders. Das dachte ich zumindest. Noch nie habe ich so starke Gefühle für jemanden gehabt. Ich vermisse dich wenn du nicht da bist und ich bin froh über jede Sekunde die wir zusammen verbringen. Ich hatte das starke Gefühl dass es dir auch so geht. Sag mir jetzt bitte nicht dass ich mich getäuscht habe.“ Die Tränen rannen ihr weiter über die Wangen. „ Irgendetwas stimmt mit mir aber scheinbar nicht, wenn selbst du nicht mit mir zusammen sein willst.“
„Das stimmt doch nicht!“
Melina schaut Mark an. Die Art und Weise wie er sie unterbrochen hatte ließ sie hoffen. Da war etwas in seiner Stimme dass ihr den Boden unter den Füßen nahm. Mit sanfter, verzweifelter Stimme sprach Mark weiter. „Ich will mit dir zusammen sein. Sosehr, dass es schon fast weh tut. Aber ich habe solche Angst, dass du es nicht lange mit mir aushältst, weil ich so wenig Zeit habe. Meine letzte Freundin hat mich deswegen sitzen lassen und du weißt wie fertig mich das gemacht hat. Ich liebe dich mehr als sie und könnte es nicht verkraften wenn du mich auch sitzen lassen würdest. Deswegen dachte ich, es wäre besser, wenn wir erst gar nicht zusammen kommen.“
„Wieso?“ Jetzt wusste Melina gar nicht mehr was sie denken sollte. „Wie kommst du darauf dass ich dich wegen deiner Arbeit verlassen würde? Ich habe dich so kennen gelernt. Und vielleicht liebe ich dich gerade deswegen so sehr, weil du deine Arbeit so sehr liebst. Bestimmt wird es Zeiten geben, wo ich mir wünsche dass du bei mir und nicht auf Arbeit bist, aber das wäre bei jedem so, denke ich. Wieso nur glaubst du, dass ich dich deswegen verlassen würde? „
„Ich weiß es nicht.“
Damit sagte Mark die Wahrheit, das spürte sie.
„Meinst du nicht wir sollten dem ganzen erst mal eine Chance geben? Ich weiß nicht wie sehr ich dich vermissen, werde wenn du arbeiten musst und ich weiß auch nicht was ich erwarten soll, wenn wir zusammen sind. Zurzeit weiß ich nur eines und das ist dass ich mir wünsche, dass du mein erster Freund wirst. Ich denke immer dass das Schicksal einen ganz besonderen Menschen für mich bestimmt hat. Und du bist so ein besonderer Mensch.“
In Melinas Blick spiegelte sich ihre Angst, dass Mark trotz allem immer noch „Nein“ sagen könnte.
Mark schaute ihr tief in die Augen. In einem einzigen Augenblick zog er sie an sich, breitete seine Arme um sie und legte seine Lippen auf die ihren. Der erste, flüchtige Kuss wurde von einem voller Leidenschaft gefolgt. In diesem zweiten waren alle Gefühle für einander enthalten, die sie jetzt endlich miteinander teilen konnten. Nach einer Umarmung bei der beide merkten dass sie sich beim jeweils anderen fallen lassen konnten, schaute Mark Melina tief in die Augen.
„Es tut mir leid dass ich daran gezweifelt habe. Du hast Recht. Wir sollten es versuchen. Wenn wir das nicht tun, würde uns vielleicht die schönste Zeit unseres Lebens entgehen.“
Melina lächelte angesichts dieser Worte. Dann sank sie in seine Umarmung zurück, aus der sie nie wieder raus wollte. Und auch Mark war klar, dass er sie nie mehr wieder gehen lassen würde.