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- 17.09.2002
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Wenn der Tag......
Wenn der Tag erst mal vorbei ist und er beleuchtet wird weil’s dunkel ist gehe ich immer hinaus um noch einmal Luft zu schnappen. Ich sauge dann meine Lungen auf das Volumen eines Heißluftballons voll bis die Alveolen zu platzen drohen. Erst später zu Hause atme ich aus. So bringe ich ein wenig frische Luft herein. Dann nehme ich schnell das Kissen und verteile die frische ausgeatmete Luft mit wedeln und Rudern im ganzen Raum. Es ist dunkel auch wenn’s hell ist. Vor dem Fenster ist eine Wand, die Kellerwand. Ich wohne also unten und nur von oben durch den Rost an dem sich der Gartenfascho, mein Vermieter, die Füße abklopft und den Dreck zu mir herunter fallen lässt, dringt manchmal ein wenig Licht. Exakt von 10 Uhr bis 10Uhr und 57 Sekunden. Der Rost ist also klein.
Ich kann meine Finger in Aussenrotation so inneinder schieben und nach aussen drücken das man das Schaben des Gelenkes hört. Es ist kein knacken, mehr etwas kleines wiederliches und wenn man nicht mit dem Ohr direkt neben meinen Händen steht hört man es nicht.
Ich wohne nicht allein, ich habe mich. Das langt mir zur Beschäftigung. Tagsüber die Kollegen. Ich pflege guten Kontakt zu ihnen, aber nur während der Arbeitszeit, den Rest bin ich allein. Nein mit mir. Ich habe mir das Rauchen abgewöhnt und eine Rudermaschine bestellt für einen Waschbrettbauch, die an der Wand lehnt. Meine Pflanzen werden nach wenigen Wochen immer gelb. Ich kaufe also ständig neue und verbrauche so das Geld das ich früher für die Zigarretten brauchte. Mein Bruder kommt mich jeden Freitag besuchen, er raucht noch und wir spielen Schach. Ich hab ihm erlaubt weiterhin hier unten zu rauchen. Als wir jünger waren hat er dann und wann was Richtiges zum rauchen mitgebracht. Ich habe die kleine Pfeife heute noch. Russschwarz. Als hätte sie sich dem Keller angepasst. Ich habe eine hübsche Kollegin mit der ich immer turtel. Sie nimmt das nicht ernst. Ich auch nicht und weine. Sie mag mein Fingergelenkschaben, doch inzwischen kann sie es nicht mehr hören. Ich muss mir etwas neues einfallen lassen. Ich höre dann immer Tom Waits mit meinem Bruder, spiele Schach, verliere immer und schütte ihm schwarzen Tee nach. Eine klassische Zeremonie. Er hasst mein Fingergelenkschaben. Früher als wir noch jünger waren und er manchmal was zum rauchen mitgebracht hatte, lies ich meine Fingergelenke schaben um ihn zu ärgern. Heute wär mir das eher peinlich. Aus dem Alter ist er raus. Er hat eine Frau aber keine Kinder. Seine Frau kann keine Kinder kriegen. Manchmal liegt er mir damit in den Ohren und spricht dann von anderen Frauen oder von Adoption. Ich rate ihm dann immer zur Adoption. Dann bin ich wieder Schachmatt. Doch meistens reden wir gar nichts. Ich esse Ravioli obwohl ich weiss das die biologische Wertigkeit von Ei und Kartoffeln am höchsten ist. Aus 100g Eiweis gewinnt man da 134g das ist mehr als man eigentlich zu sich genommen hat. Doch was will ich mit Eiweiß? Ich will die Kollegin. Meine Gitarre steht in der Ecke manchmal texte ich und spiele dazu seit Jahren die selbe Melodie. Ich singe: „Ich nehme Anlauf und schmeiss mich gegen eine Wand. Das ist zwar nicht politisch aber ein Widerstand!“ Ich fühle mich dann wie ein armer Revoluzzer der im Keller gefangen sitzt. Hinter Gittern. Dann finde ich alte CD´s. Neulich hörte ich seit Jahren wieder einmal Ton Steine Scherben. „Wieviel sind hinter Gittern die die Freiheit wollen! Wieviel sind hinter Gittern die wir draußen brauchen. .........!“ Abgedroschen ist es ja aber ich hab geweint und voll aufgdreht. Einmal damit man mich nicht weinen hört und zum anderen um den Gartenfascho zu ärgern.
Meine Freunde waren weg als ich 20 war. Recht früh finde ich. Allein hat man den Klassenkampf verloren. „Allein machen sie dich ein!“ Manchmal aber nur selten leihe ich mir Pornofilme aus. Ich wider mich dann an und oft habe ich kleine blutige Stellen an meinem Penis. Dann gebe ich ihn eine Stunde später wieder ab und leihe mir was schönes aus. Neulich Ronja Räubertochter. Ich stelle mir vor der Junge zu sein der im anderen Halbstück der Burg wohnt. Ich habe seinen Namen vergessen. Wie heisst die andere Räuberbande nocheinmal. Ich komm grad wirklich nicht drauf. Normalerweise müsste ich mich schämen vor den Leuten hinter dem Thresen in der Videothek. Die müssen mich für krank halten, denkt man, müsste man denken. Doch die sind mir egal. Ich fühl mich so schon schlecht genug dabei.
Ich sitze auf dem Kloh und presse eine unvorstellbar große Wurst heraus. Das tut gut. Das beste Gefühl in dieser Woche, ohne Frage. Schöner als das Lächeln von meiner Kollegin, für die ja alles nur Spaß ist.