Wenn der Rücken juckt...
Es sollte Mirkos letzter Tag in seinem Leben sein. Er würde sich noch in der selben Stunde durch Kratzen seines Rückens selbst umbringen. Unwissend seines Schicksals schlenderte er gemütlich den breiten Bürgersteig entlang und beobachtete dabei die Stadtmenschen in ihrem hektischen Treiben.
Der Wecker klingelte.
Gerald stand auf, ging unter die Dusche, rasierte sich, und setzte sich anschließend an den Frühstückstisch, wo seine Frau und seine Kinder schon saßen. Er trank seinen Kaffee, gab seiner Frau einen Kuss und zog sich seinen Mantel an. Er verließ das Haus, winkte noch einmal seinen Kindern und ging mit seiner Aktentasche unter dem Arm die Strasse runter.
„Ceeeeh-lebrate-you-times-comm’on! ... dudu-dudu-du..“
Fröhlich singend saß Marianne in ihrem Auto, während sie auf der Strasse Richtung Stadt fuhr. Sie tippelte dabei mit ihren Fingern im Takt der Musik auf das Lenkrad. Das Fenster hatte sie hinuntergekurbelt, die Sonne schien, und sie dachte, das dieser wunderbare Tag kaum noch besser werden könnte. Sie setzte den Blinker und bog Richtung Stadtzentrum ein.
Das Baugestell wankte.
Giovanni hielt sich an der Fassade fest. Sein Magen zog sich für einen Moment auf ein Minimum zusammen. Als sich das Gestell wieder beruhigt hatte, wagte er einen Blick nach unten. Die Aussicht vom siebten Stock des Hochhauses war grandios, doch wenn er nach unten sah, und die Leute so klein waren, und das Baugestell unter seinen Füssen wankte, lief ihm ein kalter Schauer den Rücken hinab. Giovanni hatte bis jetzt Sicherheitsnetze ans Bausgestell getackert, und gönnte sich jetzt eine Brotpause. Er legte den Tacker neben sich auf das Holzbrett.
Mirko war immer noch in das Treiben der Menschenmenge vertieft. Es juckte ihn am Rücken. Er hob seinen Ellenbogen mit viel Schwung an, um die Stelle, an der es ihn juckte, zu erreichen, da spürte er einen Dumpfen Stoss an seinem Arm, gefolgt von einem überraschten Aufschrei.
Gerald war den ganzen Weg bis in die Stadt gelaufen. Er war spät dran. Er bahnte sich seinen Weg durch die Menschenmenge, und versuchte, dabei sowenig Leute wie nur möglich anzurempeln. Plötzlich sah er einen Arm vor sich, gefolgt von einem zuckenden Schmerz im Auge. Blitze bildeten sich vor seinen Augen, und er torkelte seitwärts. Einen Moment später hörte er das Hupen eines Autos und das Quietschen von Reifen. Ein weiterer Schmerzensstoß, als ihm eine Motorhaube die Beine brach und ihn auflud.
Marianne saß ihn ihrem Auto, erfreute sich an der Sommersonne und dudelte fröhlich zur Musik. Sie fuhr durch die Stadt und war in Gedanken versunken. Plötzlich wurde sie aus ihren Tagträumen gerissen. Ein Mann torkelte aus der Menschenmenge direkt vor ihr Auto. Sie schrie, riss das Steuer herum und bremste. Trotzdem schleuderte es den Mann auf ihre Motorhaube. Sie war immer noch ziemlich schnell, als sie auf der anderen Strassenseite in ein Baugestell krachte.
Verwundert blickte sie sich um, und fragte sich, warum sie noch lebte. Als sie nach vorne sah, sahen sie zwei Blutunterlaufene Augen aus einem zerbeulte Gesicht an. Der Mann, den sie angefahren hatte, lebte noch! Sie merkte erst, dass sich das Baugestell, in das sie Gefahren war, zusammenstürzte, als der Kopf des Mannes auf ihrer Motorhaube von einem Stahlrohr durchbohrt wurde. Sie hatte nicht lange Zeit zum schreien, denn das Rohr drückte sich weiter durch die Windschutzscheibe durch ihren Brustkorb. Mit einem Keuchen gab sie ihren letzten Luftstoß von sich.
Giovanni war gerade aufgestanden um weiterzutackern, und hatte den Tacker schon wieder in die Hand genommen, als plötzlich ein Ruck das ganze Gestell durchfuhr. Er taumelte, und konnte sich schließlich festhalten. Er konnte noch sehen, wie sich die Hauswand von ihm entfernte, und, als er seinen Kopf drehte, wie der Boden rasend schnell näher kam. Als sein Kopf am Boden zerschellte, und sein ganzer Körper danach auf den Asphalt schlug, löste sich ein Schuss vom Tacker, den er immer noch in der Hand hielt.
Mirko ging immer noch. Er hatte nicht bemerkt, dass er am ganzen Spektakel schuld war.
Er zuckte auf, als sich plötzlich ein kleiner Gegenstand durch sein Hirn bohrte. Er war tot, bevor er überhaupt auf dem Boden aufschlug.
[ 21.05.2002, 07:33: Beitrag editiert von: QuentinT ]