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Wenn’s nicht läuft, lauf!
Wenn’s nicht läuft, lauf!
Warum passt die verdammte Kulisse eigentlich nie zu dem was grade in mir vorgeht? Liegt das daran das mein Leben doch kein Film ist, wie ich immer angenommen habe, oder einfach daran, dass es ein besonders guter Film ist? Neija, es könnte soviel einfacher sein wenn ich mal der Regisseur wäre.
Hat ne Weile gedauert bis ich eingeschlafen bin, um 10 konnte ich dann schon nicht mehr. Viel zu früh für einen Samstag. Ich bin aufgestanden mit Gedanken, vielen davon, aber wenigstens mit einem verwertbaren. Duschen, Jogginghose, schwarzes T-Shirt, kaputte Turnschuhe und eine knallorange Jacke, die so aufdringlich farbig ist wie ein roter Spritzer Farbe auf einer unbemalten Leinwand. Das fällt auf, weil doch im Winter alle grau sind. Auffallen will ich jetzt gar nicht, aber es ist mir fast egal. Wenn es sein muss bin ich halt freundlich ohne es zu meinen. Die Treppe runter, ich habe keine Stoppuhr im Haus, der Sekundenzeiger muss reichen. Ich jogge einen grossteil des Weges, merke aber, dass ich jetzt kein Interesse daran habe nur halbherzig zu laufen. Konnte ich eigentlich sowieso nie verstehen, wie man Sachen nur halb machen kann. Ich gehe das kleine Stück das noch bleibt und atme schnell, weil meine Kondition irgendwann mal auf der Strecke geblieben ist. Ich biege in den völlig weißen Park ein, ärgere mich, dass ich dieses Jahr noch keinen Schneeball geworfen habe, obwohl ich es oft genug hätte tun können und lasse es einmal mehr.
Ich sehe einigen Kindern zu wie sie Schlitten fahren, während ich den glatten Hügel besteige, der zum Seitentor eines Sportplatzes führt. Das habe ich früher auch schon gemacht, Schlittenfahren meine ich.
Ich rutsche aus, kann mich grade noch fangen bevor ich den ganzen Hügel wieder hinunter gleite. Ein Junge, vielleicht acht, berichtet mir stolz ich müsse es an der anderen Seite versuchen, weil ich mitten in der Schlittenspur laufen würde und diese natürlich sehr glatt sei. Ich bedanke mich und lächle. Zu Kindern bin ich immer freundlich, ganz ehrlich. Noch zweimal bewegen sich meine Füße, samt angehängten Beinen beunruhigend weit von meinem Körperschwerpunkt weg, dann bin ich oben. Würde sich irgendein unfähiger Literaturkritiker (warum eigentlich nicht ich selber?) darüber hermachen diese Szene zu analysieren, könnte er bestimmt ein grade zu obszön stimmiges Gleichnis in dieser „vereisten Steigung des Lebens“ finden. Tatsächlich ist es aber einfach nur ein verdammter Hügel, der den kürzesten Weg zu meinem Ziel bildet.
Die Sonne scheint, der Schnee der die Laufbahn weiß färbt reflektiert die Strahlen und bringt die Welt zum glitzern. Ein herrlicher Tag.
Ich ziehe Start und Ziellinie in den Schnee, lasse meinen knallroten Rucksack auf der endlosen Schneefläche liegen und ärgere mich, dass ich den Vergleich mit einer ungefüllten Leinwand schon für meine Jacke verschwendet habe. Ich mache mich halbherzig warm, obwohl ich es nicht mag etwas halb zu machen. Dann warte ich bis eine neue Minute anbricht. Interessant, dass es grade 11 Uhr schlägt. Warum eigentlich nicht 12? Zumindest die Dramatik eines High Noons hätte man meiner Geschichte gönnen können.
Ich bin kein guter Läufer, deshalb weil ich nie laufe, deshalb weil ich laufen langweilig finde, deshalb weil mir das zu stupide ist, deshalb laufe ich heute. Start. Ein Kilometer so schnell es irgendwie geht. Zwei ein halb Runden. Ich frage mich ob es irgendwie länger oder kürzer wäre, wenn ich auf einer geraden Strecke laufen würde. Ich laufe schnell aber ich denke immer noch. Das letzte Mal, dass ich ernsthaft gelaufen bin habe ich noch Football gespielt, hatte noch Kondition. Das Wetter war perfekt die Luft warm aber nicht heiß. Heute ist sie kalt und brennt in den Lungen. Ich war immer nur Mittelfeld, so ungefähr 3.50 für die 1000 Meter. Hat grad fürs Sportabzeichen gereicht. Jetzt laufe ich schnell, kann das aber nicht durchhalten. Nach der ersten Runde, den ersten 400 Metern bin ich schon fast am Ende. Ich denke immer noch, konzentriere mich eigentlich nicht aufs Laufen, atme falsch. Ich denke nach über Gestern, und über die letzten zwei Monate. Mir kommt die Idee einfach aufzuhören mit dem Laufen. Das was ich wollte - Ablenkung - scheint sowieso nicht zu finden zu sein.
Ich merke, dass ich doch hätte frühstücken sollen. Halte das Tempo mit leerem Magen nicht mehr durch. Nach nicht einmal der Hälfte der Strecke. Es reicht! Es reicht…
Dann merke ich, dass es mir wirklich reicht. Mir reicht es das dieses verdammte Leben so schnulzige Dramen schreibt, und das Happy End meistens jemand anderen überacht als mich, und mir reicht es, dass ich anscheinend nur dazu da bin irgendjemanden zu unterhalten den ich nicht einmal kenne. Ein Atemzug, kurzer Zeitstillstand. Und dann, dann laufe ich.
Ich meine nicht ich laufe, sondern ich LAUFE, diesmal richtig. Meine Lungen brennen, meine Beine tun weh, und ich habe das Gefühl kurz vorm Zusammenklappen zu sein. Ich denke nur noch daran den nächsten Schritt zu machen, den verdammten nächsten Schritt! Und dann den Nächsten. Ich habe noch eine ganze Runde vor mir und keusche wie eine defekte Dampfmaschine. Schritt, noch einer, noch einer, einer nur noch. Ich quäle mich über 400 Meter, die mich mit ihrer Kraft erdrücken, die letzte halbe Runde scheint länger als die gesamte Strecke. Ich bekomme Kopfschmerzen, will aufhören, tu es nicht. Meine Augen tränen von dem kalten Wind, können aber schon die Vertiefung im Schnee erkennen. Ziel. Die Linie bewegt sich wie von Zauberhand unter meinen durchgeweichten Turnschuhen hindurch, als ob ich nur auf einem Laufband laufen würde. Ich reiße die Uhr aus der Tasche, werfe mich in den Schnee. An meinen Rucksack gelehnt merke ich wie die Erschöpfung mich zu Boden reißt, obwohl ich schon sitze. Ich kann nicht denken. Es reicht nicht einmal sich darüber zu freuen nicht zu denken. Vier, fünf Minuten bis ich langsam wieder ruhiger atme.
- 3 Minuten und 20 Sekunden -. Keine gute Zeit für einen Läufer, aber 30 Sekunden besser als alles was ich je gelaufen bin. Erschöpfung.
Ich sitze immer noch da und glaube, dass mich irgendwer von ganz weit oben betrachtet. Ein knalloranger Punkt der sich an einen knallroten lehnt und dann erst anfängt zu lächeln, als er merkt wo er gelaufen ist. Nicht auf einer glatten angenehmen Laufbahn sondern stapfend durch eine knöcheltiefe Schneeschicht. Einen ganzen Kilometer lang. 1000 Meter in drei Minuten und zwanzig Sekunden!
Drei Minuten und zwanzig Sekunden und schließlich ein roter Farbklecks auf einer Leinwand die noch bemalt wird.
Max Kaufmann