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Weniger als das

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11.01.2003
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Weniger als das

Weniger als nur das Bisschen hatte ich mir nicht gerade gewünscht. Ich war müde und schlapp und ich hatte höchstens noch ein paar Cent in der Tasche. Der Kühlschrank war seit Tagen nicht mehr mit der nötigen Liebe behandelt worden und neben ein paar Scheiben Mortadella und zwei Flaschen Bier, machte sich nur noch das karge Licht in seinem Innenraum breit. Ich war ausgebrannt, hatte keinen Job und würde sich an meiner Situation nicht bald etwas ändern, drohte mir der Hausbesitzer mit dem Rausschmiss. Was also tun wenn man keine Chance mehr hatte? Die Stellenanzeigen hatte ich immer wieder durchgewälzt und war nur zu dem Ergebnis gekommen, dass es keinen gottverdammten Job in dieser Stadt gab, mit dem man sich wirklich über Wasser halten konnte. Ich stellte mich ans Fenster meiner erschreckend, düsteren Behausung, zündete mir eine Zigarette an und sah wie die Regentropfen des letzten Unwetters an der Scheibe abperlten. Draußen war es in letzer Zeit wieder ziemlich ruhig geworden und bis auf ein paar Autos die sich täglich den Weg durch die schmale Gasse vor meiner Wohnung bahnten, gab es nichts weiter zu sehen. Ich ließ meinen Blick ein wenig in der Umgebung umherschweifen, zog an meiner Zigarette und gerade, als ich mich vom Fenster abwandte um mir das vorletzte Bier aus dem Kühlschrank zu holen, wurde ich von einem lauten, durchdringendem Schuss aufgeschreckt, dann folgte ein Knall. Ich drehte mich wieder zur Fensterscheibe und drückte mir die Nase daran platt, um zu erkennen was dort draußen vor sich gegangen war. Als ich auf die Straße hinunter sah, konnte ich gerade noch erkennen wie sich ein dunkelblauer Wagen mit quietschenden Reifen auf der Querstraße um die Ecke davon machte. Ich sah ihm nach und als er verschwunden war, nahm ich einen Mann war, der fast regungslos auf dem Fußweg lag. Dieser Mistkerl mit dem dicken Schlitten hatte ihn angefahren. Ich war aufgeregt und das Adrenalin schoss mir durch sämtliche Körperteile. Dann rannte ich zur Wohnungstür, riss sie auf und stampfte mit schnellen Schritten die Treppen meines Stockwerks hinunter. Ich konnte ihn doch nicht einfach so liegen lassen. Unten angekommen sprintete ich über die Straße. Als ich bis auf ein paar Meter an den Kerl herangekommen war stoppte ich, denn ich konnte nun erkennen, das er in der linken Hand eine Pistole hielt. Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen und näherte mich ihm vorsichtig. Ich ging in die Knie, beugte mich zaghaft über ihn und fragte fast lautlos:
>>Alles klar Kumpel?<<
Nichts tat sich bei ihm. Er sah furchtbar aus wie er da lag. An der rechten Braue hatte er eine große Wunde und das Blut lief ihm über die Schläfe bis zum Ohr hinunter. Seine Kleidung war fast so mies und runtergekommen wie meine und sein Gesicht konnte ich vor lauter Bartwuchs kaum erkennen. Ich war in Panik und hatte keine Ahnung was zu tun war. Ich schaute rings umher und erwartete Hilfe, doch das einzige was es zu sehen gab waren die gaffenden Gesichter meiner Nachbarn, die sich hinter den Vorhängen und Jalousien in ihrer ach so heilen Welt versteckten. Jetzt wandte ich mich wieder zu dem halbtoten Typ um und als ich ihn gerade ein weiteres Mal ansprechen wollte sah ich seine tiefgrünen Augen die mich durch seine schmerzverzogenen, zusammengekniffenen Lider anblickten. Er gab nun ein leises Stöhnen von sich und ich versuchte ihn nochmals anzusprechen.
>>Hey Kumpel, das wird schon wieder!<<
Er kniff die Augen zusammen und hustete, dann sah ich, wie Blut und Speichel über seine Lippen lief und sich in seinen struppigen Barthaaren verfing. Er öffnete wieder die Augen und zuckte mit dem Kopf als wolle er, dass ich näher komme, um mir was zu sagen. Ich beugte mich etwas weiter zu ihm hin.
>>Greif in meine Brusttasche<< flüsterte er >>dort findest du einen Schlüssel und einen Zettel ...nimm Beides und verschwinde von hier so lange es noch geht.<<
Nach kurzem Zögern sah ich ihm ins Gesicht, nickte bejahend und machte mich schnell daran die Sachen aus seinem Hemd zu ziehen. Ich wurde fündig. Es war ein kleiner Schlüssel mit rundem Kopf und ein gelbes, abgerissenes Stück Papier, auf dem eine Adresse stand.
>>Verschwinde von hier Junge<< sagte er abermals, diesmal etwas deutlicher. Dann hustete er wieder. Ich stand langsam auf, den Blick auf die beiden Utensilien gerichtet, als ich schon die Sirene der nahenden Polizei vernahm. Ich sah die Gasse zur Querstraße hinunter, stopfte mir alles in die Hosentasche und machte mich auf und davon die Straße hinauf. Ich kann mich nicht mehr erinnern wie weit ich lief und warum ich das eigentlich tat. Ich hätte einfach auf die Bullen warten und ihnen schildern können was passiert war, ich hätte in mein stumpfsinniges Leben zurückkehren können und nach ein paar Tagen, Wochen, Monaten hätte ich all das vergessen, aber vielleicht war es auch gerade das Abenteuer was mich davon abhielt.
Etliche Straßen und einige Schweißperlen später musste ich verschnaufen, stemmte meine Hände auf die Knie und blickte stur und schwer atmend nach vorne. Nicht weit von mir stand der 14-Uhr-Bus Richtung Stadtmitte. Ich packte meine Kraftreserven, rannte zum Bus und erreichte ihn gerade noch rechtzeitig, bevor der Fahrer die Türen schließen konnte.
>>Endstation ...Stadtmitte<< keuchte ich und knallte ihm dabei meine letzte Kohle auf die Kassiermulde. Er sah mich fragend an, dann nahm er das Geld und schob mir die restlichen Cent und einen Fahrschein entgegen. Ich setzte mich auf einen der vorderen Einzelplätze. Als ich mich etwas gefangen hatte kramte ich den gelben Zettel aus der Tasche und sah ihn mir diesmal etwas genauer an.

Marxstrasse 52
Gang 3, Fach 12

Es musste eines der vielen, hochmodernen Geschäftsgebäude sein, die sie in den letzten Jahren hier in der Stadt hochgezogen hatten. Der Straßenname war mir bekannt. Ich stieg einige Stationen früher in der Nähe des Marktplatzes aus und machte mich wieder zu Fuß auf den Weg, um das passende Haus zur Adresse ausfindig zu machen. Was würde mich dort erwarten und was war das eigentlich alles für ein Durcheinander in meinem Kopf. Nach einem kurzen Fußmarsch hatte ich das Gebäude gefunden. Es war eine alte, baufällige Bibliothek die zwischen den gläsernen, hochstrebenden Fassaden der Bankfilialen und Kaufhäusern ein eigenartig, unerwünschtes Bild abgab. Ich ging hinein, an dem grauhaarigen Pförtner mit einem grüßenden Kopfnicken vorbei, schaute mich um und sah immer wieder auf meinen Zettel, während ich mich zwischen den morschen Holzregalen und modrigen Büchern hindurchzwang, die scheinbar seit Ewigkeiten niemand mehr aufgeschlagen hatte. Bald fand ich auch Gang 3. In dieser Reihe waren einige Schließfächer an den Regalen angebracht, die aussahen wie alte Briefkästen. Ich schlich aufgeregt durch den Gang und verfolgte mit meinen Augen die Nummern auf den Schließfachtüren. 3 ...7 ...10 ...da war es. Fach 12 im dritten Gang. Ich stand einen Moment lang regungslos da, dann zog ich den Schlüssel aus der Tasche und schob ihn vorsichtig ins Schloss der Tür. Er passte und es gab ein kurzes metallisches Klicken als ich den Schlüssel zu drehen begann, dann öffnete ich den Kasten und konnte jetzt ich die ganze Pracht seines Inhaltes begutachten. Weniger als nur das Bisschen hatte ich mir nicht gerade gewünscht.

 

Weniger als nur das Bisschen hatte ich mir nicht gerade gewünscht.

Irgendwie gefällt mir der satz sehr, obwohl ich glaube dass er nicht ganz das ausdrückt was der ich erzähler an den beiden stellen sagen will. Verneinungen sind eine schwierige angelegenheit und es ist erwiesen das leser für verneinte sätze wesentlich mehr zeit zum verstehen brauchen. Also ich glaube der Ich-Erzähler ist an beiden Stellen unzufrieden mit dem was er vorfindet. Aber der oben genannte satz, drückt wenn man ihn genau liest keine unzufriedenheit aus sondern eigentlich eine zufrieden darüber, dass es nicht noch weniger ist. Ansonsten guter spannungsbogen, interessanter offener schluss, nicht schlecht.

Etliche Straßen und einige Schweißperlen weiter musste ich verschnaufen, stemmte meine Hände auf die Knie und blickte stur und schwer atmend nach vorne.

also dieser satz gefällt mir wirklich gut, aber ich würde unbediing das "weiter" durch ein "später" ersetzen

Hannibal

 

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