Weltuntergangs-verkauf
»Noch 15 Minuten bis zur automatischen Verriegelung!«, tönte die Stimme aus den Lautsprechern, die versteckt im gesammten Supermarkt angebracht waren. Mir fehlten noch diverse Konserven und vor allem Wasser, wenn ich die kommenden Feiertage überleben wollte. Aber wenn ich mich nicht beeilen würde, würde ich nicht einmal diesen Einkauf überleben. Mein Kühlschrank und die Vorratskammer zu Hause waren vollkommen leer, und der Lebensmittel-Lieferdienst hatte Insolvenz anmelden müssen, kurz nachdem ich zu meiner zwei Wochen dauernden Geschäftsreise aufgebrochen war. Ich hätte mir einfach einen anderen Internet-Lebensmittel-Anbieter suchen können, aber ich dachte mir, dass das auch bis zu meiner Rückkehr warten könnte. Zu dem Zeitpunkt war mir allerdings entfallen, dass dann die Feiertage anlässlich der Europäisch-Amerikanischen Neuorganisation beginnen würden.
Nach dem Zerfall der EU, ausgelöst durch den Bankrott von Griechenland, Spanien, Portugal, Italien und Deutschland, beschlossen die Politiker einen weitreichenden Zusammenschluß mit den USA, die in einer ähnlichen Situation waren. Mit Hilfe der amerikanischen Streitkräfte, konnten all jene in Schach gehalten werden, die gegen die vereinbarte 'Kapitalistische Reform' waren. Die Idee dahinter war einfach. Da der Großteil aller staatlichen Institutionen ohnehin bereits privatisiert war, und die Politiker aller führenden Parteien durchweg von der Wirtschaft bezahlt, bestochen oder anderweitig entlohnt wurden, lag es nahe, dass die Staatsführung auch gleich denen überlassen werden könnte, bei denen die größten Schulden vorlagen. Es gab unter den Gläubigern natürlich ein heiteres Geschacher , aber letztlich konnten so alle Staatsschulden der EU und USA auf einen Schlag getilgt werden. Und zu Ehren dieses gloreichen Moments, beschlossen die neuen Regierungs-chefs die EAN-Feiertage zu verabschieden. Natürlich nicht ohne diverse Auflagen. Denn Feiertage sind normalerweise Gift für ein kapitalistsches System wie dieses. Allerdings hatten findige Marketing-strategen heraus gefunden, dass der Tag vor egal welchem Feiertag, immer zu den beliebten Hamsterkäufen führt. Und so wurde beschlossen, dieses Konzept weiter auszubauen. Mit der neu gewonnenen politischen Macht, wurde durchgesetzt, dass alle Internet-Versender fünf Tage vor Beginn der Feiertage nicht mehr versenden dürfen, um die Not bei den Konsumenten zu schüren. Was genau der Grund war, warum ich jetzt hier im Supermarkt der ALG stand, statt zu Hause auf dem Sofa zu sitzen. ALG war die Abkürzung für Aldi-Lidle-Group, der alle Supermarkt-ketten angehörten, die nicht zur Metro-Schlecker-Group gehörten. Das vorher mit ALG abgekürzte Arbeitslosengeld, hatten die Politiker in Arbeitssuchendengeld umbenannt, um verkaufsschädigende Verwechslungen zu vermeiden. Doch das war nur ein Teil des neuen Konzepts. Denn es wurde offensichtlich, dass die Leute viel zu gezielt hamsterten, und zu horrenden 60% nur das kauften, was sie wirklich brauchen würden, statt den zu Hauf angebotenen Rammsch zu erwerben. Und davon gab es jede Menge. Doch auch dafür fanden findige Marketing-Leute eine Lösung. Beruhend auf der Tatsache, dass die Leute mehr Rammsch kaufen, wenn sie in Eile sind, und keine Zeit haben genau hinzuschauen, entwickelte die ALG eine Strategie um die Konsumenten in panische Eile zu versetzen. Die KI im ALG-Rechenzentrum wurde mit statistischen Daten der Supermarkt-Videoüberwachung gefüttert, um den Moment zu bestimmen ab dem der Countdown für die Abriegelung der Räumlichkeiten zu starten wäre. Danach wäre aus dem Supermarkt kein Rauskommen mehr, und eine Trupp automatischer Dronen, würde all jene finden und weg sperren, die nicht rechtzeitig raus gekommen sind. Das war bereits die überarbeitete Fassung des Konzepts. In einer sehr frühen Fassung, wurden einfach Killerdronen benutzt, und die Leute eliminiert. Da das architektonische Design der Supermärkte damals allerdings noch auf alten Standards beruhte, bildete sich trotz der – dank RFID – unbesetzten Kassen, durch die man einfach durch laufen konnte, Staus und 80% der Einkäufer des ersten Testlaufs schaften es nicht rechtzeitig nach draußen. Es war ein finanzielles Desaster auf ganzer Linie. Zum einen hatten die Konzerne viele Konsumenten verloren – was der Kundenbindung alles andere als zuträglich war. Zum anderen führte es zu den verhehrenden Konsumenten-Kriegen, die Millionen Tote forderten und beinahe die gesammte kapitalistische Welt in den Abgrund gerissen hätten. Doch auch die abgeschwächte Version war nicht gerade ungefährlich. Das es durchaus möglich war, wärend der Gefangenschaft - welche die gesammten Feiertage über dauerte – zu verhungern, war dabei noch das kleinere Übel. Viel wahrscheinlicher war es jedoch schon vorher Opfer eines anderen Konsumenten zu werden. Denn der Konkurenzkampf war brutal. Da die Waffenlobby – einer der einstigen Hauptgläubiger – die Waffengesetze extrem gelockert hatte, waren Schießereien und Messerstechereien um die besten Waren und den schnellsten Weg zur Kasse, keine Seltenheit.
Einige Einkäufer hatten ihre Einkaufswagen mit Klingen und Stacheldraht versehen. Und der Typ zwei Meter vor mir hatte seinen sogar zu einem halben Panzer umgebaut. Ich hingegen war völlig unvorbereitet. Aber auch für diesen Fall hatten die kleveren Marketing-Leute von ALG eine Lösung parat: das Regal mit den Waffen war nur zwei Reihen weiter. So konnten sich auch unbewaffnete Konsumenten durchsetzen. Und es kurbelte den Umsatz an, denn es bestand natürlich Kaufzwang für alle benutzen Waffen. Einige Supermärkte waren sogar schon auf die neue Waffen-Flat aufgerüstet. Die Waffen mussten zwar immer noch bezahlt werden, aber um überhaupt welche benutzen zu dürfen, galt es, eine zusätzliche Waffen-pauschale abzudrücken. Dieser Supermarkt gehörte allerdings noch nicht dazu. Ich versuchte mich halbwegs unauffällig an der alten Dame mit dem Derringer vorbei zu schleichen, um zum Waffenregal zu gelangen. Andernfalls würde ich es nicht zum Konserven-Regal schaffen, dass von einer Horde wild gewordener Hausfrauen, mit Küchenmessern und Schwertern belagert wurde. Was das Wasser anging, würde ich vermutlich mehr Glück haben, die meisten Leute waren eher hinter alkoholischen Getränken her, was eindeutig an den Schreien und Schüssen aus der Schnapps-Abteilung fest zu machen war. Dort musste ich glücklicherweise nicht hin. Da Wasser äußerst unbeliebt war, stand es meist irgendwo zwischen vergammeltem Gemüse und alten Iphones, die keiner mehr haben wollte. Nach der Pleite von AT&T, der Telekom und einigen anderen Telekom-Anbietern, ging auch Apple mal wieder den Bach runter, als sich heraus stellte, dass die Exklusiv-Verträge trotzdem weiter liefen, und Apple keine Möglichkeit hatte das Gerät bei einem anderen Carrier anzubieten. Es wurde dann als letzter Notakt versucht, die Millionen nutzlos gewordenen IPhones als billige Musikplayer zu verschärbeln, aber auch das konnte den Untergang Apples nur kurz verzögern. Jetzt lagen die Dinger in den Supermärkten wie Steine in den Regalen.
»Her mit dem Toastbrot!«, schrie es plötzlich von der Seite. Ein bärtiger Mann, Mitte 30, stürmte mit einem Katana auf die alte Dame zu. Ein Schuss aus ihrem Derringer später, lag er auch schon halb tot am Boden. Ich konnte im Gefecht nicht erkennen, ob es sich um einen Derringer mit einem oder zwei Schuss handelte, aber das ganze war Ablenkung genug, um unbeschadet ein Messer-Set und ein Seil aus dem Waffenregal zu krallen, und das Weite zu suchen. Wobei Weite vielleicht auch übertrieben ausgedrückt ist. Genau genommen war es fünf Meter weiter, und damit nur zwei Regale vom belagterten Konserven-Vorrat entfernt. Wie ich mit ein paar kleinen Messern und einem Seil daran kommen sollte, war mir allerdings noch schleierhaft. Aber die freundliche Stimme aus den Lautsprechern wies mich darauf hin, dass ich noch genau 10 Minuten hätte um es heraus zu finden und den Laden zu verlassen. Auf der anderen Seite des Regals waren drei der Hausfrauen damit beschäftigt die Konserven in zwei Einkaufswagen zu verladen. Doch nicht nur die Hausfrauen hatten sich zu einer Bande zusammen geschlossen. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie ein halbes Dutzend Männer mit Handzeichen und Gesten einen koordinierten Angriff planten. Faul, wie Männer nun mal sind, wollten sie damit offensichtlich warten, bis die Frauen den Wagen voll beladen hatten. Zwei oder drei Dosen würden mir allerdings reichen. Ich knüpfte das Seil zu einem Lasso und wartete auf den Angriff. Das andere Ende des Seils knotete ich am Einkaufswagen fest. Ich war mir zwar nicht sicher was das bringen sollte, aber irgendwie würde es sich bestimmt als nützlich erweisen. Bevor die Männerbande allerdings zum Angriff blasen konnten, brachen aus der Regalreihe schräg gegenüber, pöbelnd sieben Leute hervor. Mit Armbrust, Schwertern und Baseballschlägern bewaffnet wollten sie allen anderen die Konserven streitig machen. Und während im Kampfgetümmel schon die ersten zu Boden gingen, blieb das halbe Dutzend zu meiner Rechten völlig überrascht stehen. Offenbar wussten sie nicht so recht, ob sie mit machen oder warten sollten, bis die sich da vorne gegenseitig abgeschlachtet hatten. Ich hingegen nutzte die Gelegenheit und preschte mutig nach vorne. Vorbei an der Frau mit dem Zweihänder, warf ich mich auf den Boden und schlitterte auf den glatten Fließen unter der Vettel hindurch, die mit den Küchenmessern um sich warf. Ich drehte mich schnell auf den Rücken und krallte mir in liegender Position vier Konservendosen, bevor besagte Messerwerferin mich für voll, sowie ins Korn nahm. Dadurch konnte sie allerdings den Einkaufswagen nicht sehen, den ich hinter mir her zog, und der ihr mit Schwung ins Kreuz donnerte. Trägheitsbedingt flogen die Messer, die ich im Wagen hatte liegen lassen, jedoch weiter gerade aus, und der häßlichen Dame direkt ins Gesäß. Ihr Schreien ging allerdings im Lärm des Kampfes unter. Und die Frau mit dem Zweihänder war zu sehr mit den anderen Angreifern beschäftigt um ihr zu Hilfe zu kommen. Ich rappelte mich auf, blieb allerdings in geduckter Haltung. Der alten Vettel verpasste ich einen Schubs, bevor sie wieder auf die Idee kam, mit ihren Messern auf mich zu werfen. Sie landete unsanft auf dem Hintern, was für sie recht unvorteilhaft war, weil sich die Messer die da schon drinne steckten nun noch tiefer hinein bohrten.
Das war mir in dem Moment allerdings reichlich egal. Ich warf die Konserven in den Einkaufswagen und versuchte auf schnellstem Wege zur Kasse zu kommen. Auf halben Weg, stand mir aber schon wieder die alte Frau mit dem Derringer im Weg, die gerade den Mann ausraubte, den sie vor fünf Minuten erschossen hatte. Als sie mich kommen sah, richtete sie das Ding auf mich. Mit der linken Hand hielt ich mich am nächst besten Regal fest und konnte somit eine scharfe Linkskurve in die Regalreihe mit den Kochutensilien machen, bevor die fiese Oma abdrücken konnte. An der nächsten Regal-Kreuzung schlitterte ich fast vorbei, schaffte es aber gerade noch rechts abzubiegen. Bis zur Kasse ging es jetzt gerade durch, und bis auf ein paar Mitflüchtlinge, stand auch niemand mehr im Weg.
»Noch 30 Sekunden bis zur totalen Verriegelung. Wir gratulieren allen Überlebenden und hoffen sie hatten einen spannenden Einkauf.«, tönte es aus den Lautsprechern. Die Tore begannen sich bereits langsam zu schließen. Ich nahm noch einmal kräftig Schwung und klammerte mich an den Einkaufswagen. Mit Ach und Krach schaffte ich es durch den Ausgang – fünf Sekunden später hätte der Einkaufswagen schon nicht mehr durch gepasst. Bei einem Blick über die Schulter konnte ich noch die fiese Oma mit dem Derringer sehen, wie sie panisch Richtung Ausgang humpelte. Sie war allerdings noch 10 Meter entfernt, als die Tore schließlich komplett zu waren.
Geschiet ihr ganz Recht!, dachte ich, wärend ich mit den erbeuteten Lebensmitteln den Heimweg antrat.
Es lebe die Konsumgesellschaft!