Welten
„Ich schaff´s einfach nicht!“, stieß er letztlich aus, nachdem sie eine gefühlte Ewigkeit im Schneidersitz voreinander gesessen hatten, tief im meditativen Moment des Schweigens und der Erwartung gefangen. Um sie herum war so viel Platz. Raum, Weite und Luft wie das nur im Gebirge der Fall ist. Unten im Tal bildete sich schon Nebel im Schatten der Gebirgsketten. Hier oben war noch alles in oranges Licht getaucht. Der Bann war gebrochen, sie bettete sich etwas um, ihre Beine fühlten sich an wie zerfleischt. Die Muskeln steif von der Überanstrengung des Aufstiegs.
„Ich kann keine Frau schlagen. Das widerstrebt mir in den Grundfesten. Ich finde das sogar ein bissl krank, dass du das willst. Und irgendwie fühle ich mich jetzt wie ein Schwächling und das Gefühl kann ich nicht ab. Eigentlich fühlt man sich sonst wie ein Held, wenn man Frauen nichts antut und sie beschützt. Ich finde es bescheuert, dass du mich jetzt anschaust wie ein Versager.“
„Ich schau dich nicht an wie ein Versager, das ist doch Quatsch“, versuchte sie ihn zu besänftigen. Er hatte es wohl eher als Trösten aufgefasst und bekam einen harten Zug um den Mund. Sie mochte ihn vor allem deshalb, weil er ein richtiger Naturbursche war. Als Extrembergsteiger diszipliniert und hart zu sich selbst. Mit einer recht konventionellen Vorstellung von den Geschlechtern. In dem Punkt passten sie gut zusammen.
„Warum kannst du nicht ganz normal sein? Damit ich mich als ganzer Mann fühlen kann, wenn ich mich zärtlich um meine Freundin kümmer? Alle anderen Frauen waren recht glücklich mit mir als Liebhaber. Ich weiß, wie man Frauen befriedigt. Du kannst mir echt nicht vorwerfen, dass ich bei Sex nur an mich und meine Befriedigung denke, egozentrisches Reinraus gibt es bei mir nicht!“
„Das ist ein Teil des Problems.“
„Aha, jetzt wird mir auch noch vorgeworfen, dass mir deine Befriedigung am Herz liegt? Toll, echt.“
„Bitte. Es bringt nichts, wenn du an dem Punkt immer einschnappst und dichtmachst. Ich sitz doch jetzt auch mit dir auf diesem Berg und bin nicht mit der Seilbahn hochgefahren, wie du dich sicher erinnerst. Und ich hasse Wandern. Und wenn ich mich recht erinnere, haben wir eine ganze Woche gebucht, von Hütte zu Hütte. Und ich bin heut schon voll im Arsch.“
„Ach geh, ich hab voll die Mädchentour geplant.“
„Und ich hab nur um eine mickrige Ohrfeige gebeten. Ich hab ja nicht verlangt, dass du mich grün und blau schlägst. Ich will doch nur, dass du das mal probierst, wenn`s dir keinen Spaß macht, dann zwinge ich dich nich zu, eine Karriere als Supersadist zu starten.“
„Aber ich versteh immer noch nicht, was da dran sein soll, dass du beim Sex ausgerechnet so gefährliches Zeug machen willst. Das ist doch verrückt.“
„Ach, und dein Hobby ist natürlich vollkommen ungefährlich. Du läufst nie Gefahr ein paar Finger abzufrieren, oder Zehen, oder ganz auf dem Berg zu bleiben. Wenn einer verstehen müsste, dass man sich in Todesnähe besonders lebendig fühlt, dann bist das ja wohl du.“
„Das ist so ein Klischee, ich kann es nicht mehr hören. Bergsteiger sich nicht suizidal. Wir bereiten und darauf vor, wir planen die Tour, wir haben professionelle Gerätschaften, die körperliche Konstitution. Ich gehe da nicht alleine hoch, sondern zu zweit, ich kann mich hundertprozentig auf Jörg verlassen. Und er sich auf mich. Wir kennen uns blind und jeder geht da trotzdem alleine, in vollkommener Eigenverantwortung hoch. Wir machen das nicht um zu sterben.“
„Tausche Bergsteigen mit BDSM und der Vortrag passt hundertpro für beides.“
Er schnaubte und schüttelte sich ein paar Fransen aus der Stirn.
„Aber Spatz, du musst schon zugeben, dass man sich im Angesicht des Abgrunds besonders lebendig, wach und erhaben fühlt? Mehr, als wenn man mit der Fernbedienung auf dem Sofa liegt?“
„Ja.“
„Also.“
Lange sagte keiner mehr etwas. Sie gab ihm Zeit das alles zu überdenken und ließ den Blick schweifen. Ihre Augen folgten einer Bergdohle, die schwerelos dem letzten roten Tageslicht entgegen schwebte. Das leise Glockengeläut einer Herde Kühe wirkte besänftigend.
„Das ist so unglaublich schön“, seufzte sie mit einer Geste, die alles umfasste.
„Ja, hab ich dir ja versprochen. Man muss es erleben. Ich erinnere dich morgen noch mal dran, wenn du wieder heulst und jammerst beim Kraxeln.“
Sie suchte seine Hand und schaut in seine Augen. Ganz weit hinten in seinen Pupillen konnte sie erkennen, dass er es verstanden hatte. Sie lächelte ihm ihr wärmstes Lächeln entgegen.
„Ich liebe dich.“
„Ich liebe dich auch, du Verrückte.“
Dann legte sie wieder ihre Hände in den Schoß, wie um zu beteuern, dass es hier noch etwas zu tun gab. Langsam fing es an zu dämmern. Trotzdem konnte sie den inneren Kampf den er focht gut an seinem Gesicht ablesen. Sie rechnete die ganze Zeit mit dem Schlag, als er tatsächlich kam, fühlte sie sich dennoch unvorbereitet. Vor allem von seiner Härte. Geschockt fiel sie von seiner Wucht nach hinten, sah den Himmel und hörte nur noch ein Dröhnen. Tränen stiegen in ihre Augen. Wegen des Schmerzes, oder der Rührung, sie wusste es nicht. Er beugte sich über sie und verstellte den Blick zu den Wolken.
„Gut so?“
„Ja.“
Er küsste sie wild und ungestüm, legte sich auf sie und hielt ihre Handgelenke fest. Als sie die Härte in seiner Hose an ihrem Schambein spürte verlockte sie innerlich. Wenn das nicht sein Fahrtenmesser war, dann waren sie über dem Berg. Plötzlich löste er sich von ihr, hob sie vom Boden auf und trug sie zu den Felsen und dem Abgrund, wo sie vor einer Stunde gepicknickt hatten.
„Pass auf, meine Höhenangst!“
„Jetzt halt das Schäbele und vertraue mir einfach.“
Bei den schroffen Felsen setzte er sie ab. Und leitete sie mit einem ungewohnt zackigen Befehlston dazu an, sich auf den Rücken zu legen und schob sie weiter Richtung Kante, bis ihr Kopf keinen Halt mehr hatte und frei über dem Abgrund hing. Nun drapierte er ihre Arme rechtwinklig neben den Körper. Nahm einen kleineren Felsbrocken und legte ihn langsam auf die rechte Hand. Dieses Prozedere wiederholte er auf der anderen Seite. Dann nahm er einen größeren und ließ ihn behutsam auf die Fußspitzen ihrer Meindl kippen. Die Zehen bogen sich nach unten, dies führte zu einer starken Dehnung im Spann und an den Muskeln ihrer Schienbeine. Wie festgenagelt war sie dazu gezwungen auszuharren. Die Höhenangst flutete an und surrte in ihren Ohren wie Rotorblätter eines Hubschraubers. Sofort begann sie wieder zu heulen. Nur waren es dieses Mal keine Tränen der Rührung. Die Vorstellung, wie tief die sich von den Wangen lösenden Tropfen in die Tiefe stürzten, brachten sie halb um den Verstand. Er hockte sich neben sie und streichelte vorsichtig mit den Fingern über ihren Bauch. Schob eine Hand unter ihre Fleecejacke zerrte das T-Shirt aus der Hose und schälte eine Brust aus dem Sport-BH. Umrundete sachte ihre Brustwarze, packte sie und zog etwas daran. Folgte dann einem geheimen Muster über ihren Bauch, öffnete den Knopf und den Reißverschluss der Hose. Ihre Gefühle waren hin und her gerissen zwischen Angst, Erregung und Verwunderung und befeuerten sich gegenseitig. Als seine Finger am Ziel angelangt waren und anfingen zu zupfen, reiben und einzutauchen, wurde die Lust immer größer und verdrängten alle anderen Emotionen. Wenn der Schmerz durch die Quetschungen an Händen und Füßen nicht gewesen wären, der sie daran erinnerte auf Felsen zu liegen, hätte es sich wie ein Bergdolenflug angefühlt .
Das letzte Tageslicht verstrich in Handumdrehen, da sie jäh eine Nebelwand erreichte.
„Wenn ich dich jetzt sicher in die Hütte bringe und in unser kariertes Bett lege, darf ich dich dann zärtlich vögeln?“
„Ja, sehr gerne.“
"War gar nicht so schwierig", bemerkte er verschmitzt.
"Ich hab´s gemerkt."
"Ehrlich gesagt war es auch ein bisschen geil."
"Ja. Man muss es erleben, hab ich mir sagen lassen."