Lieber Christophe, jetzt, wo der Skylinestammtisch in den wuchernden Covidzahlen versackt ist, erzähl ich dir halt hier was über deine Geschichte:
Hab nichts gelesen, was die anderen geschrieben haben, also kann sein, dass was doppelt ist. Aber macht ja nichts.
Ich habe mich wieder gut unterhalten gefühlt im Sinne der Ekel- und Horrorabteilung.
Sprachlich finde ich es wieder einmal sehr gut. Außer einem Tippfehler ist mir nichts Holpriges begegnet. Mir ist aber nach dem eigentlich Lesen aufgefallen, dass du hier eher gleichförmig gebaute Satzanfänge gewählt hast. Im Sinne von S-P-O oder adv. Best. Kramer geht, Kramer steht, Kramer kehrt ... Alle drei (so ungefähr) Sätze wechselt das, eine adverbiale Bestimmung rückt nach vorne. Beim Lesen selbst bin ich durchgerauscht, da war das Lesen im Vordergrund. Das funktioniert also gut, auch wenn die Satzanfänge sehr ähnlich sind. Dann hab ich doch so ein bisschen drüber nachgedacht, kann man ja mal bei einem FF-Text, wie du das sprachlich gemacht hast, und dann ist mir das eben aufgefallen. Auf den ersten Blick könnte man sagen, etwas zu wenig abwechslungsreich, aber ich finde es so trotzdem hier eine gute Wahl. Das hängt wohl mit dem kurzen Ausschnitt zusammen, den dieser Kramer und seine einsilbige Welt uns bieten. Die knappen, klaren Sätze und die ähnlichen Satzanfänge treiben nach vorne und das ist es ja, was man sich für einen derartigen Text mit Blick auf unerwartete Wedung wünscht.
Inhaltlich ist das durch den Horror-Tag natürlich schon klar, dass da was Widerliches oder Grusliges folgen wird. Und bei der Kürze kann das nur eine schnelle Drehung weg aus dem scheinbaren Alltag hin in das Abartige sein. Hier weiß man, wenn er mit Teller in den Keller geht, dass da eine arme junge Frau sitzt. Ich stelle mir vor, wie die Wirkung ist, wenn da kein Horrortag steht, und muss total kichern, wenn ich mir den ein oder anderen Wortkrieger, der sonst eher in Romatink oder Alltag zu finden ist, vorstelle. Da ist es vielleicht doch besser, der "Tag" warnst vor.
Was ich mir aber an deiner Stelle überlegen würde, das ist, den Leser noch ein bisschen mehr auf dieser Zunge rumkauen zu lassen. Im Moment ist sie zäh. Vermutlich hat er sie nicht genügend abhängen lassen. Was wäre denn, wenn er sie Hannibal Lectermäßig lecker zubereitet hätte? Und der Leser genießt das Sößchen und dann kommt die böse Überraschung. Dann ist im Keller nicht nur eine arme Frau gefangen gehalten, sondern sie ist Material für die nächste Fleischbeilage und der Leser ist fieserweise zum teilhaber gemacht worden.
Kramer kaut auf dem letzten, zähen Bissen herum und spült ihn mit einem Schluck Kaffee herunter.
Ja, man merkt im Nachhinein, es ist die Zunge, aber so wirklich einladend zum Mitschmausen ist sie nicht.
Der Wellensittich flattert im Käfig. Immer wieder krallt er sich an den Gitterstäben fest.
Huah, hier hab ich erst um den Sittich gefürchtet. Aber es kommt noch schlimmer.
Kramer kehrt zurück zum Tisch und legt die vertrocknete Apfelscheibe auf den Teller neben seinem eigenen. Er legt auch zwei Scheiben aufgeweichten Toast dazu.
Erst dachte ich nur, was für ein frugales Mal. Dann im Nachhinein, oh, Kramer, du Miststück von einer bösartigen, vorsorglichen Ratte.
Kramer schließt die Kellertür auf. In seiner Rechten hält er den Teller mit dem Toast und dem Apfelstück.
Okay, ab hier ist klar, da unten ist einer. Aber wie du mit deinem armen Leser runtergehst, das ist schon gut.
Hunderte Einmachgläser stehen in den Regalen.
Uaahhh, was ist da wohl drin????
In der Mitte des Raums türmen sich Kartons mit den Kleidern der Mutter.
Kleine Impressionen von Norman Bates tauchen auf.
Er wird sich um die Scharniere kümmern müssen.
Ich sags doch, Kramer passt schon auf, das ist kein Typ, der seine Sache unüberlegt macht.
Und dann nicht Frau zu schreiben, sondern in Kramers ekliger Perspektive zu bleiben, sein Zweitvögelchen. Pfui Deibel.
Ein paar Tränen sickern an den Augenwinkeln durch, dort, wo die Nähte weniger eng sind.
Um Gottes willen, was hat er mit den Augen gemacht?
Das Vögelchen versucht zu sprechen. Ein dünner Faden aus Blut und Speichel hängt an seiner Unterlippe. Kramer tätschelt seinen Kopf.
Das Tätscheln. Sehr gut. es ist das, was diesen kurzen und jeden, der mit Horror vertraut ist, ja auch vorhersehbaren Text so gut macht, dieser Kramer stimmt in sich. Es passt, dass er tätschelt, es passt zu diesem zweckgerichtet funktionierenden Mann. Der Kontrast zwischen den alltäglichen, fast freundlich wirkenden Tätigkeiten zu dem widerlichen Zweck wird dadurch größer.
Pass auf dich auf und Grüße von hier nach dort.
Novak
Ach so, der Tippfehler: Kramer zieht einen zweiten Schlüssel aus der Hostentasche