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Wellensittich

Monster-WG
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10.07.2020
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Wellensittich

Kramer kaut auf dem letzten, zähen Bissen herum und spült ihn mit einem Schluck Kaffee herunter. Der Wellensittich flattert im Käfig. Immer wieder krallt er sich an den Gitterstäben fest. Kramer steht auf und tauscht die vertrocknete Apfelscheibe gegen eine frische aus.

Kramer kehrt zurück zum Tisch und legt die vertrocknete Apfelscheibe auf den Teller neben seinem eigenen. Er legt auch zwei Scheiben aufgeweichten Toast dazu. Dann schenkt er sich eine weitere Tasse Kaffee ein und schlägt die Zeitung auf.

Kramer schließt die Kellertür auf. In seiner Rechten hält er den Teller mit dem Toast und dem Apfelstück. Er steigt die Treppe hinab. Hunderte Einmachgläser stehen in den Regalen. In der Mitte des Raums türmen sich Kartons mit den Kleidern der Mutter. Kramer zieht einen zweiten Schlüssel aus der Hosentasche und öffnet die Tür zum Kohlenkeller. Sie knarrt. Er wird sich um die Scharniere kümmern müssen.

Kramers Vögelchen kauert auf der Matratze und atmet leise. Vielleicht schläft es. “Frühstück”, sagt er und streicht ihm über die Stirn. Erschrocken fährt es auf, dreht sich weg, weint. Ein paar Tränen sickern an den Augenwinkeln durch, dort, wo die Nähte weniger eng sind. Das Vögelchen versucht zu sprechen. Ein dünner Faden aus Blut und Speichel hängt an seiner Unterlippe. Kramer tätschelt seinen Kopf.

Den Rest der Zunge wird er heute Abend essen.

 
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Hallo Wortkrieger,

... keine Sorge, ich veröffentliche jetzt nicht fünf Texte pro Woche! Den hier wollte ich aber schnell nachreichen: Nachdem mein letzter Text keinen, öhm, "echten" Horror enthalten hat, tut's dieser, hoffe ich, bisschen besser.

Bis zum nächsten Text lasse ich mir bisschen Zeit, gell. ;)

 

So, Christophe, dann will ich mir mal deine neuste Geschichte ansehen. Du scheinst ein Horrorfan zu sein, zumindest sehe ich von Dir einige Stories in diesem Bereich. Ist doch schon mal sympathisch :thumbsup:

Verzeih mir, Flash Fiction musste ich erst mal googeln. Kannte ich nicht. Bin wohl zu alt dafür! Nun aber zu der vorliegenden Geschichte:

Hier hat der Horror funktioniert. Vor allem den letzten Absatz finde ich ziemlich stark. Ich finde aber auch, dass man als Leser relativ einfach darauf kommen kann, was passieren wird, als Kramer in den Keller geht. Ich habe mir beim Lesen schon genau das gedacht, also das er dort jemanden gefangen hält. Was könnte er dort sonst suchen wollen mit seinem Imbiss? Ist jetzt aber bei einer solchen Kürzestgeschichte nicht weiter schlimm.

Was mir beim Lesen aufgefallen ist, sind die monotonen Satzanfänge:

Kramer spült den letzten Bissen Frühstücksfleisch mit einem Schluck Kaffee hinunter. Der Wellensittich flattert im Käfig. Immer wieder krallt er sich an den Gitterstäben fest. Kramer steht auf und tauscht die vertrocknete Apfelscheibe zwischen den Stäben gegen eine frische aus.

Kramer kehrt zurück zum Tisch und legt die vertrocknete Apfelscheibe auf einen Teller neben seinem eigenen. Er legt auch zwei Scheiben aufgeweichten Toast dazu. Dann schenkt er sich eine Tasse Kaffee ein und schlägt die Zeitung auf.

Kramer dreht den Schlüssel zur Kellertür im Schloss. In seiner Rechten hält er den Teller mit dem Toast und dem Apfelstück. Er steigt die Treppe hinab. Hunderte Einmachgläser stehen in den Regalen. In der Mitte des Raums türmen sich Umzugskartons mit den Sachen seiner Mutter. Mit einem zweiten Schlüssel öffnet er die Tür zum Kohlenkeller. Sie knarrt. Er wird sich um die Scharniere kümmern müssen.

Kramers Vögelchen kauert auf der Matratze und atmet leise. Vielleicht schläft es. “Frühstück”, sagt er und streicht dem Vögelchen über die Stirn. Erschrocken fährt es auf, dreht sich weg, weint. Ein paar Tränen sickern an den Augenwinkeln durch, dort, wo die Nähte weniger eng sind. Das Vögelchen versucht zu sprechen. Ein dünner Faden aus Blut und Speichel hängt an seiner Unterlippe. Kramer tätschelt seinen Kopf.

Den Rest der Zunge wird er heute Abend essen.


Das liest sich für mich wie eine Aufzählung. Kramer macht das und dann das und das … Stilistisch ist das sicher ausbaufähig, oder ist das irgendwie dieser Flash-Fiction-Stil? Lass mich Dir nur ein kleines Beispiel geben:

Kramer spült den letzten Bissen Frühstücksfleisch mit einem Schluck Kaffee hinunter. Im Käfig flattert der Wellensittich, krallt sich immer wieder an den Gitterstäben fest. Aufmerksam beobachtet Kramer den Vogel, steht auf und tauscht die vertrocknete Apfelscheibe zwischen den Stäben gegen eine frische aus.

Das ist jetzt nur mein behäbiger Versuch, lass Dir von mir nichts vorschreiben! Ich finde jedoch, so liest es sich runder und weniger wie eine Aneinanderreihung von Geschehnissen.

Schön, wie Du bereits im ersten Satz eine Frage aufwirfst: Frühstücksfleisch?, habe ich mich gefragt. Klingt zuerst seltsam, passt aber im Nachhinein natürlich hervorragend in den Kontext der Geschichte.

Dann noch eine kleine Anmerkung, als Nachtisch sozusagen:

Erschrocken fährt es auf, dreht sich weg, weint.
Ich hätte es schöner gefunden, wenn das Vögelchen hier schluchzt.

Danke für diese Geschichte, gerne gelesen.

DM

 

Hallo @DissoziativesMedium und @Rob F,

vielen Dank für Eure Kommentare!

@DissoziativesMedium

Hier hat der Horror funktioniert. Vor allem den letzten Absatz finde ich ziemlich stark. Ich finde aber auch, dass man als Leser relativ einfach darauf kommen kann, was passieren wird, als Kramer in den Keller geht. Ich habe mir beim Lesen schon genau das gedacht, also das er dort jemanden gefangen hält. Was könnte er dort sonst suchen wollen mit seinem Imbiss? Ist jetzt aber bei einer solchen Kürzestgeschichte nicht weiter schlimm.
Ja, diese Story (Szene, eigentlich) ist absehbar, da gebe ich dir recht. Ich war einfach fasziniert von dieser Grundidee und wollte sie ausschreiben, aber du hast schon recht, Suspense ist da kaum - eher so eine Art Abscheu, weil man ahnt, was kommt.

Das liest sich für mich wie eine Aufzählung.
Genau, so ist es auch gedacht. Der Text soll spröde, empathielos und bericht-artig klingen. Ich verwende einen personalen Erzähler, er spiegelt Kramers Perspektive. Kramer ist nicht so der reflektierende Typ. ;) Für ihn ist das hier Alltag, Routine, banal - und das Böse in seinen Taten sieht er auch nicht (deshalb "Vögelchen" und nicht "der Junge" oder "die Frau" oder was-auch-immer).

Dann noch eine kleine Anmerkung, als Nachtisch sozusagen:
Erschrocken fährt es auf, dreht sich weg, weint.
Ich hätte es schöner gefunden, wenn das Vögelchen hier schluchzt.
Uhh, du magst es grausig. Muss ich drüber nachdenken. Ob das geht, so, mit ohne Zunge.

Vielen Dank für deine Kritik!

@Rob F

obwohl das Ende nicht ganz überraschend ist, dennoch ein guter Gruselmoment.
Danke - siehe oben, mehr soll es auch wirklich nicht sein.

Bei der Kürze des Textes wäre die Wirkung mE deutlich stärker, wenn bis kurz vor dem Ende der Leser nicht damit rechnet. Also indem der Prota zB etwas ganz anderes macht, zB im Keller an einem Möbelstück werkelt oder so ... und sich dann ganz beiläufig zu seinem "Vögelchen" setzt. Bei dem Essen, das er mitnimmt, könnte der Leser ja erstmal davon ausgehen, dass es für ihn selbst ist.
Uaaaarghhh! Wow. Klingt spannend. Ich gucke mal. DANKE!

Viele Grüße!

Christophe

 

Hallo @Christophe,

hast du noch etwas von dem Zeug, was dich am laufenden Band Geschichten raushauen lässt? Oder hast du die Reste schon an @Rob F abgedrückt? So oder so, besorgt mir mal was davon. Bitte.

Ich erinnere mich noch gut an dein Nest, mal schauen, was es mit dem Wellensittich auf sich hat ...

...

Ja, das ist dann wohl der Inbegriff von Flash Fiction, kürzer ginge es kaum. Wie kommentiert man so was denn?

Hier hab ich was entdeckt:

In der Mitte des Raums türmen sich Kartons mit den Sachen der Mutter. Mit einem zweiten Schlüssel öffnet er die Tür zum Kohlenkeller.

Gerade bei der Kürze sollte jedes Wort sitzen. Hier haben mich zum einen "die Sachen der Mutter", genauer "die Sachen" gestört, das ist so ein plumper, unpräziser Ausdruck. Zum anderen das doppelte "mit" - mit den Sachen der Mutter, mit einem zweiten Schlüssel.

Zurück zum Anfang:

Immer wieder krallt er sich an den Gitterstäben fest. Kramer steht auf und tauscht die vertrocknete Apfelscheibe zwischen den Stäben gegen eine frische aus.

Hier stören mich die doppelten Stäbe.

Kramer kehrt zurück zum Tisch und legt die vertrocknete Apfelscheibe auf einen Teller neben seinem eigenen.

Würde hier vielleicht "den" Teller nehmen, zum einen gehe ich einfach mal davon aus, dass da keine fünf Teller auf dem Tisch liegen, zum anderen stört mich da die ... Lautdopplung: "scheibe, einen, seinem, eigenen". Mega pingelig, ich weiß, aber ja: Bei der Kürze muss einfach alles sitzen.

Und hier:

“Frühstück”

Ich nutze diese Art von Anführungszeichen beim Kommentieren auch, weil einfacher, richtig sind die aber nicht.

Ja, das reicht jetzt aber auch. Hat mich gut unterhalten, gute Idee, gut umgesetzt.

Danke dafür!

Bas

 

Hallo @Bas und @NoOne,

vielen Dank für Eure Kommentare!

@Bas

hast du noch etwas von dem Zeug, was dich am laufenden Band Geschichten raushauen lässt? Oder hast du die Reste schon an @Rob F abgedrückt? So oder so, besorgt mir mal was davon. Bitte.
:lol: ganz ehrlich: Ich weiß auch nicht, wo das herkommt. Könnte am Vitamin D liegen. Zwei Kapseln pro Woche!

Gerade bei der Kürze sollte jedes Wort sitzen. Hier haben mich zum einen "die Sachen der Mutter", genauer "die Sachen" gestört, das ist so ein plumper, unpräziser Ausdruck. Zum anderen das doppelte "mit" - mit den Sachen der Mutter, mit einem zweiten Schlüssel.
Stümmt! Gekauft.

Immer wieder krallt er sich an den Gitterstäben fest. Kramer steht auf und tauscht die vertrocknete Apfelscheibe zwischen den Stäben gegen eine frische aus.
Hier stören mich die doppelten Stäbe.
Check - hast recht. Die Sprache soll insgesamt bisschen spröde sein, aber solche Wiederholungen braucht's trotzdem nicht.

Kramer kehrt zurück zum Tisch und legt die vertrocknete Apfelscheibe auf einen Teller neben seinem eigenen.
Würde hier vielleicht "den" Teller nehmen, zum einen gehe ich einfach mal davon aus, dass da keine fünf Teller auf dem Tisch liegen, zum anderen stört mich da die ... Lautdopplung: "scheibe, einen, seinem, eigenen". Mega pingelig, ich weiß, aber ja: Bei der Kürze muss einfach alles sitzen.
Danke, übernommen!

Und hier:
“Frühstück”
Ich nutze diese Art von Anführungszeichen beim Kommentieren auch, weil einfacher, richtig sind die aber nicht.
Oh ja, die muss ich mir abgewöhnen.

Ja, das reicht jetzt aber auch. Hat mich gut unterhalten, gute Idee, gut umgesetzt.

Danke!

@NoOne

hast du noch etwas von dem Zeug, was dich am laufenden Band Geschichten raushauen lässt? Oder hast du die Reste schon an @Rob F abgedrückt? So oder so, besorgt mir mal was davon. Bitte.
Ich nehme auch die Krümelreste nach @Bas
Vitamin D. Gerade jetzt!

Wenn du ihn die Zunge (als Fleischstück) essen lässt, da am Anfang und ausführlich beschreibst, dann isst der Leser ja fast mit. Das würde vielleicht nochmal reinhauen. Aber ich bin mir nicht sicher.
Du hast wahrscheinlich absichtlich nicht geschrieben was er isst. Aber das geht bis zum Schluss fast vergessen.
Oder habe ich das falsch interpretiert?
Hehe, nee, du interpretierst das schon in meinem Sinne. Dass mit der Zunge finde ich spannend. Habe schon mal losgelegt (mit einem Adjektiv: "zäh"), ich guck mal, ob ich das noch ausbaue. Deine Idee ist jedenfalls fies und grausig und super.

Vielen Dank euch beiden!

Viele Grüße

Christophe

 

Lieber Christophe, jetzt, wo der Skylinestammtisch in den wuchernden Covidzahlen versackt ist, erzähl ich dir halt hier was über deine Geschichte:
Hab nichts gelesen, was die anderen geschrieben haben, also kann sein, dass was doppelt ist. Aber macht ja nichts.

Ich habe mich wieder gut unterhalten gefühlt im Sinne der Ekel- und Horrorabteilung.

Sprachlich finde ich es wieder einmal sehr gut. Außer einem Tippfehler ist mir nichts Holpriges begegnet. Mir ist aber nach dem eigentlich Lesen aufgefallen, dass du hier eher gleichförmig gebaute Satzanfänge gewählt hast. Im Sinne von S-P-O oder adv. Best. Kramer geht, Kramer steht, Kramer kehrt ... Alle drei (so ungefähr) Sätze wechselt das, eine adverbiale Bestimmung rückt nach vorne. Beim Lesen selbst bin ich durchgerauscht, da war das Lesen im Vordergrund. Das funktioniert also gut, auch wenn die Satzanfänge sehr ähnlich sind. Dann hab ich doch so ein bisschen drüber nachgedacht, kann man ja mal bei einem FF-Text, wie du das sprachlich gemacht hast, und dann ist mir das eben aufgefallen. Auf den ersten Blick könnte man sagen, etwas zu wenig abwechslungsreich, aber ich finde es so trotzdem hier eine gute Wahl. Das hängt wohl mit dem kurzen Ausschnitt zusammen, den dieser Kramer und seine einsilbige Welt uns bieten. Die knappen, klaren Sätze und die ähnlichen Satzanfänge treiben nach vorne und das ist es ja, was man sich für einen derartigen Text mit Blick auf unerwartete Wedung wünscht.

Inhaltlich ist das durch den Horror-Tag natürlich schon klar, dass da was Widerliches oder Grusliges folgen wird. Und bei der Kürze kann das nur eine schnelle Drehung weg aus dem scheinbaren Alltag hin in das Abartige sein. Hier weiß man, wenn er mit Teller in den Keller geht, dass da eine arme junge Frau sitzt. Ich stelle mir vor, wie die Wirkung ist, wenn da kein Horrortag steht, und muss total kichern, wenn ich mir den ein oder anderen Wortkrieger, der sonst eher in Romatink oder Alltag zu finden ist, vorstelle. Da ist es vielleicht doch besser, der "Tag" warnst vor.
Was ich mir aber an deiner Stelle überlegen würde, das ist, den Leser noch ein bisschen mehr auf dieser Zunge rumkauen zu lassen. Im Moment ist sie zäh. Vermutlich hat er sie nicht genügend abhängen lassen. Was wäre denn, wenn er sie Hannibal Lectermäßig lecker zubereitet hätte? Und der Leser genießt das Sößchen und dann kommt die böse Überraschung. Dann ist im Keller nicht nur eine arme Frau gefangen gehalten, sondern sie ist Material für die nächste Fleischbeilage und der Leser ist fieserweise zum teilhaber gemacht worden.

Kramer kaut auf dem letzten, zähen Bissen herum und spült ihn mit einem Schluck Kaffee herunter.
Ja, man merkt im Nachhinein, es ist die Zunge, aber so wirklich einladend zum Mitschmausen ist sie nicht.

Der Wellensittich flattert im Käfig. Immer wieder krallt er sich an den Gitterstäben fest.
Huah, hier hab ich erst um den Sittich gefürchtet. Aber es kommt noch schlimmer.

Kramer kehrt zurück zum Tisch und legt die vertrocknete Apfelscheibe auf den Teller neben seinem eigenen. Er legt auch zwei Scheiben aufgeweichten Toast dazu.
Erst dachte ich nur, was für ein frugales Mal. Dann im Nachhinein, oh, Kramer, du Miststück von einer bösartigen, vorsorglichen Ratte.

Kramer schließt die Kellertür auf. In seiner Rechten hält er den Teller mit dem Toast und dem Apfelstück.
Okay, ab hier ist klar, da unten ist einer. Aber wie du mit deinem armen Leser runtergehst, das ist schon gut.

Hunderte Einmachgläser stehen in den Regalen.
Uaahhh, was ist da wohl drin????

In der Mitte des Raums türmen sich Kartons mit den Kleidern der Mutter.
Kleine Impressionen von Norman Bates tauchen auf.

Er wird sich um die Scharniere kümmern müssen.
Ich sags doch, Kramer passt schon auf, das ist kein Typ, der seine Sache unüberlegt macht.

Und dann nicht Frau zu schreiben, sondern in Kramers ekliger Perspektive zu bleiben, sein Zweitvögelchen. Pfui Deibel.

Ein paar Tränen sickern an den Augenwinkeln durch, dort, wo die Nähte weniger eng sind.
Um Gottes willen, was hat er mit den Augen gemacht?

Das Vögelchen versucht zu sprechen. Ein dünner Faden aus Blut und Speichel hängt an seiner Unterlippe. Kramer tätschelt seinen Kopf.
Das Tätscheln. Sehr gut. es ist das, was diesen kurzen und jeden, der mit Horror vertraut ist, ja auch vorhersehbaren Text so gut macht, dieser Kramer stimmt in sich. Es passt, dass er tätschelt, es passt zu diesem zweckgerichtet funktionierenden Mann. Der Kontrast zwischen den alltäglichen, fast freundlich wirkenden Tätigkeiten zu dem widerlichen Zweck wird dadurch größer.

Pass auf dich auf und Grüße von hier nach dort.
Novak

Ach so, der Tippfehler: Kramer zieht einen zweiten Schlüssel aus der Hostentasche

 

Hallo @Christophe,

meine Vorkommentatoren haben Dir schon sehr viel Feedback gegeben, daher von mir nur ganz kurz: Ich fand Deine Kleine gut gelungen, sprachlich ziemlich ausgereift, in dem Sinne, dass sie gut zum Stil und Zweck der Geschichte passt, aber ich ahnte einfach zu früh, wohin die Reise geht. Ehrlich gesagt hatte ich bei dem Titel Wellensittich + Tag "Horror" schon eine Vorahnung, dass es am Ende neben dem Wellensittich noch um ein anderes Vögelchen gehen wird.

Also wenn Du an der Geschichte noch schrauben möchtest, wäre es aus meiner Sicht gut, wenn man als Leser nicht so schnell auf der richtigen Fährte wäre. Novak meinte ja, vielleicht sogar den Tag wegzulassen, was ich ganz spannend finde, denn die Tags sind zwar gut, aber sie sorgen natürlich dafür, dass man als Leser eine bestimmte Erwartungshaltung hat. Gerade bei Deiner kurzen Geschichte würde das Überraschungsmoment viel besser gelingen, wenn sie nicht den Tag Horror hätte, aber das ist der einfache Trick. Die größere Herausforderung wäre es, den Leser länger in die Irre zu führen. Novaks Ideen finde ich da schon sehr gelungen. Vielleicht reicht es aber schon, den Titel zu ändern (ich dachte z. B. an "Gaumenschmaus", also einen Titel, der den Fokus auf das Essen richtet).

Andererseits habe ich irgendwo gelesen, dass diese Geschichte quasi als Nebenprodukt zu Deiner Popcornpornogeschichte abgefallen ist (dazu schreibe ich eher keinen Kommentar, weil ich das zwar anfangs irgendwie lustig, aber dann doch in der Länge zu viel Klamauk fand) und vielleicht hast Du gar keine Lust mehr, hier noch sehr viel weiter zu feilen (was ich verstehen könnte).

Gruß
Geschichtenwerker

 

Hallo @Novak und @Geschichtenwerker,

vielen Dank für Eure Kommentare!

@Novak


Lieber Christophe, jetzt, wo der Skylinestammtisch in den wuchernden Covidzahlen versackt ist, erzähl ich dir halt hier was über deine Geschichte:
Dankeschön - den Stammtisch holen wir nach!

Ich habe mich wieder gut unterhalten gefühlt im Sinne der Ekel- und Horrorabteilung.
Danke!

Mir ist aber nach dem eigentlich Lesen aufgefallen, dass du hier eher gleichförmig gebaute Satzanfänge gewählt hast. Im Sinne von S-P-O oder adv. Best. Kramer geht, Kramer steht, Kramer kehrt ... Alle drei (so ungefähr) Sätze wechselt das, eine adverbiale Bestimmung rückt nach vorne. Beim Lesen selbst bin ich durchgerauscht, da war das Lesen im Vordergrund. Das funktioniert also gut, auch wenn die Satzanfänge sehr ähnlich sind. Dann hab ich doch so ein bisschen drüber nachgedacht, kann man ja mal bei einem FF-Text, wie du das sprachlich gemacht hast, und dann ist mir das eben aufgefallen. Auf den ersten Blick könnte man sagen, etwas zu wenig abwechslungsreich, aber ich finde es so trotzdem hier eine gute Wahl. Das hängt wohl mit dem kurzen Ausschnitt zusammen, den dieser Kramer und seine einsilbige Welt uns bieten. Die knappen, klaren Sätze und die ähnlichen Satzanfänge treiben nach vorne und das ist es ja, was man sich für einen derartigen Text mit Blick auf unerwartete Wedung wünscht.
Genau so ist es auch gedacht. Die Sprache soll spröde und hässlich und banal sein, wie Kramers kleine Welt.

Ich stelle mir vor, wie die Wirkung ist, wenn da kein Horrortag steht, und muss total kichern, wenn ich mir den ein oder anderen Wortkrieger, der sonst eher in Romatink oder Alltag zu finden ist, vorstelle. Da ist es vielleicht doch besser, der "Tag" warnst vor.
Puh. Also, irgendwo wär's witzig, ja. Gleichzeitig wäre es sehr fies. :sconf:

Was ich mir aber an deiner Stelle überlegen würde, das ist, den Leser noch ein bisschen mehr auf dieser Zunge rumkauen zu lassen. Im Moment ist sie zäh. Vermutlich hat er sie nicht genügend abhängen lassen. Was wäre denn, wenn er sie Hannibal Lectermäßig lecker zubereitet hätte? Und der Leser genießt das Sößchen und dann kommt die böse Überraschung. Dann ist im Keller nicht nur eine arme Frau gefangen gehalten, sondern sie ist Material für die nächste Fleischbeilage und der Leser ist fieserweise zum teilhaber gemacht worden.
Die Zunge etwas auszugestalten, finde ich gut - das werde ich mal versuchen, danke! Hannibal-Lecter-mäßig allerdings nicht: Kramer ist, zumindest in meinem Kopf, ein sehr einfacher Typ. Was er da im Keller hat, ist für ihn "Fleisch", mehr nicht. Stell ihn dir als einen entfernten Verwandten der Sawyer-Familie aus dem "Texas Chainsaw Massacre" vor.

Kramer kaut auf dem letzten, zähen Bissen herum und spült ihn mit einem Schluck Kaffee herunter.
Ja, man merkt im Nachhinein, es ist die Zunge, aber so wirklich einladend zum Mitschmausen ist sie nicht.
Ich verstehe, worauf du hinauswillst - ich beschreibe den "Bissen" am Anfang so, dass dem Leser das Wasser im Munde zusammenläuft, und entlasse ihn am Ende mit der Info, übrigens, das war 'ne Zunge. Fies! Aber gut! :D

Der Wellensittich flattert im Käfig. Immer wieder krallt er sich an den Gitterstäben fest.
Huah, hier hab ich erst um den Sittich gefürchtet. Aber es kommt noch schlimmer.
In der aller-allerersten Fassung hat er dem Wellensittich mit einer Nagelschere ein Beinchen abgeknipst. Aber das war sogar mir, der ich permanent haarscharf an der Karikatur vorbei schreibe, zu viel.

Kramer kehrt zurück zum Tisch und legt die vertrocknete Apfelscheibe auf den Teller neben seinem eigenen. Er legt auch zwei Scheiben aufgeweichten Toast dazu.
Erst dachte ich nur, was für ein frugales Mal. Dann im Nachhinein, oh, Kramer, du Miststück von einer bösartigen, vorsorglichen Ratte.
Ha! Schön, dass das Detail mit der aufgeweichten Toastscheibe nicht untergeht. Danke!

Kramer schließt die Kellertür auf. In seiner Rechten hält er den Teller mit dem Toast und dem Apfelstück.
Okay, ab hier ist klar, da unten ist einer. Aber wie du mit deinem armen Leser runtergehst, das ist schon gut.
:kuss:

Hunderte Einmachgläser stehen in den Regalen.
Uaahhh, was ist da wohl drin????
Hauptsache kein Wirsing!

In der Mitte des Raums türmen sich Kartons mit den Kleidern der Mutter.
Kleine Impressionen von Norman Bates tauchen auf.
Ja, das ist ein bisschen albern, aber die böse Über-Mutter ist so ein Klischee geworden ...

Und dann nicht Frau zu schreiben, sondern in Kramers ekliger Perspektive zu bleiben, sein Zweitvögelchen. Pfui Deibel.
Jupp - wie gesagt, es ist ein personaler Erzähler, oder zumindest nah dran.

Ein paar Tränen sickern an den Augenwinkeln durch, dort, wo die Nähte weniger eng sind.
Um Gottes willen, was hat er mit den Augen gemacht?
Nix Gutes.

dieser Kramer stimmt in sich. Es passt, dass er tätschelt, es passt zu diesem zweckgerichtet funktionierenden Mann.
Danke. Mal schauen, ob ich diese Stimmigkeit auch mal auf der Langdistanz schaffe ...

Lieber @Novak, vielen Dank für Deine Kritik und Deine hilfreichen Anmerkungen! Ich werde sie umsetzen!

Ach so, der Tippfehler: Kramer zieht einen zweiten Schlüssel aus der Hostentasche
Huch, stimmt! Danke!

@Geschichtenwerker

Also wenn Du an der Geschichte noch schrauben möchtest, wäre es aus meiner Sicht gut, wenn man als Leser nicht so schnell auf der richtigen Fährte wäre. Novak meinte ja, vielleicht sogar den Tag wegzulassen, was ich ganz spannend finde, denn die Tags sind zwar gut, aber sie sorgen natürlich dafür, dass man als Leser eine bestimmte Erwartungshaltung hat. Gerade bei Deiner kurzen Geschichte würde das Überraschungsmoment viel besser gelingen, wenn sie nicht den Tag Horror hätte, aber das ist der einfache Trick.
Ja, der Tag gibt viel her. Aber - siehe oben - ich möchte niemanden gegen seinen Willen in so eine Geschichte laufen lassen - ich glaube, wenn jemand Horror nicht mag und sich in sowas wiederfindet, pfui, nee. ;)


Die größere Herausforderung wäre es, den Leser länger in die Irre zu führen. Novaks Ideen finde ich da schon sehr gelungen. Vielleicht reicht es aber schon, den Titel zu ändern (ich dachte z. B. an "Gaumenschmaus", also einen Titel, der den Fokus auf das Essen richtet).
Ja, das ist total interessant, ich bastle schon. Danke!


Andererseits habe ich irgendwo gelesen, dass diese Geschichte quasi als Nebenprodukt zu Deiner Popcornpornogeschichte abgefallen ist (dazu schreibe ich eher keinen Kommentar, weil ich das zwar anfangs irgendwie lustig, aber dann doch in der Länge zu viel Klamauk fand) und vielleicht hast Du gar keine Lust mehr, hier noch sehr viel weiter zu feilen (was ich verstehen könnte).
Ach, doch, klar! Aber stimmt schon: Unter der Porno-Geschichte stand mehrfach (!), dass das jetzt ja gar nicht gruselig sei, da dachte ich, ich guck mal, ob mir noch was Gruseliges einfällt am Nachmittag.

Lieber @Geschichtenwerker, vielen Dank für Deine Kritik - ich schaue mal, wie ich die Story in Deinem und @Novaks Sinn ein bisschen weniger vorhersehbar machen kann.

Viele Grüße!

Christophe

 

Gerade erst folgende, alarmierende Nachricht erfahren aus der „Bild“-Zeitung und als letztes Aufbäumen der gut‘ bürgerlichen „Bildung“ gegen den Nieder- und Abgang der Zivilisation in den Keller, wenn es heißt
»Doch für die zehn Wellensittiche kam jede Hilfe zu spät.« (aus der Bild vom 23.02.2000, zitiert am 8. Oktober 2020, kurz >20:00 aus der Tagesschau – quatsch, „Wellensittich“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache>, abgerufen am 08.10.2020. etwas > als zuvor)

Benehmet Euch gefälligst wellensittlich!

Euer Dante Friedchen

 

Guten Abend @Christophe,

ich mag deinen Schreibstil, finde ihn klar und präzise. Das ist mir besonders bei folgenden Textstellen aufgefallen:

Sie knarrt. Er wird sich um die Scharniere kümmern müssen.
Mir gefällt, wie du die Umwelt mit dem Protagonisten verknüpfst. Das lässt die Szene in meinem Kopf lebendiger wirken.

Kramer tätschelt seinen Kopf.
Ein kurzer Satz, der viel ausdrückt. Das meinte ich oben mit der Präzision. Für mich steckt da gerade auch hinsichtlich des Endes ein saddistischer Charakterzug drin, der hier gut zum Ausdruck kommt.

Den Rest der Zunge wird er heute Abend essen.
Das Ende ist gelungen, der Twist passt. Habe den Text dann beim zweiten Lesen ganz anders wahrgenommen, genau so gefällt es mir.

Als einzige Verbesserungsidee, ist mir folgendes aufgefallen:

und spült ihn mit einem Schluck Kaffee herunter.
Dann schenkt er sich eine Tasse Kaffee ein und schlägt die Zeitung auf.
Du erwähnst am Anfang, dass er Kaffee trinkt. Daher fände ich es noch etwas präziser, wenn du dann bei der zweiten Erwähnung von Kaffee "eine weitere Tasse Kaffee ein" schreiben würdest. Aber das ist wirklich nur ein kleines Detail.

Insgesamt bin ich auf deine anderen Texte gespannt, werde mich mal ein wenig einlesen. Dieser Text hat mir jedenfalls gefallen.


Beste Grüße
MRG

 

Hallo @Sisorus, @Friedrichard und @MRG,

vielen Dank für Eure Kommentare!

@Sisorus:


kennst Du den Film Tusk? Falls nicht: Schau ihn Dir bitte an, ohne vorher Zusammenfassungen zu lesen und dann meld Dich zurück :) Könnte Dir Ideen geben. Ich finde nämlich, Deine Geschichte könnte noch ein paar Alleinstellungsmerkmale vertragen. Gerade ist das Schockmoment noch sehr glatt, finde ich. Zugenähte Lider, entfernte Zunge, jaja, kennt man, aber:
So ein Vögelchen pfeift doch. Pfeift und zwitschert und trällert, immerfröhlich lustig fein, vor allem, wenn die Sonne scheint! Und wenn ein Vögelchen nicht trällern kann, hilft ihm gern der liebe Mann. Näht ihm ein Pfeifchen in den Hals, damits auch immer fröhlich schallt! Nur ein Schnäbelchen hats Tierlein nicht. Stattdessen s platte Menscheng'sicht. Also bricht der gute Mann die Zahnreihn klein, macht den Kiefer weich und fein. Er formt die Matsche schön zur Spitze, damit auchs Schnäblein richtig sitze. Piep piep piep, das Vöglein hat den Papa lieb!
:drool:
:D ... aber selbstverständlich kenne ich Tusk! Deine Idee finde ich sehr gemein und sehr gut, das geht dann so in die Richtung Body-Modification-Horror (ein ganz neues Untergenre, schau mal nach "American Mary" von den Soska-Schwestern, der könnte dir gefallen).

Ich denke darüber nach - dafür brauche ich aber etwas Abstand. Meine ursprüngliche Idee bei der Story war, dass Kramer ein sadistischer Kannibale ist - aber mehr nicht (ich wohne im Rhein-Main-Gebiet, wir hatten hier vor ein paar Jahren einen Serienmörder-Fall, der hier vermutlich reingespielt hat). Dass er seine Opfer "Vögelchen" nennt, soll sie ent-menschlichen; es soll aber nicht notwendigerweise bedeuten, dass sie in seinen Augen Vögelchen sind. Aber klar, man kann die Story auch so lesen, dass er da im Keller ein Vögelchen, ähh, heranzieht. Die Variante, die du da entfaltest, ist ... kreativ. :eek: Ich spiele mal mit der Idee herum - vielen Dank dafür!

@Friedrichard:

... dieses Jahr kommt aber auch alles zusammen!

@MRG:

Dankeschön! Den Kaffee-Vorschlag habe ich gleich umgesetzt. Ursprünglich stand da tatsächlich mal "weitere", aber dann habe ich im Kürzungswahn alles rausgekickt, was nicht irgendwie notwendig schien. Wie soll ich sagen - dieses Wort ist notwendig, du hast völlig recht. Vielen Dank für den Hinweis!

Viele Grüße!

Christophe

 

Hallo @Christoph
Geht ja garnicht, zur Anthologie gratulieren und noch keinen Text kommentiert.
Dabei habe ich den kleinen "Schocker" bereits kurz nach Veröffentlichung gelesen und mich gut amüsiert. Das zweite Mal dann – und auch jetzt wieder – ist so wie "The Sixth Sense" erneut gucken — man achtet auf die Details, die beim ersten Lesen eine ganz andere Bedeutung haben. Auch die punktuelle Überarbeitung hat dem Text gut getan, insbesondere klug verwendete Wörter bei so einem kurzen Text den Lesespass erhöhen.
Du verwendest ja die spröden und zum Teil sich 1:1 wiederholenden Satzanfänge als Stilmittel. Das gefällt mir und erzeugt bei mir die von dir beabsichtigte Wirkung.
Allerdings bei diesem Konstrukt empfinde ich die Folge seiner/seinen als störend. Ich kann dir nicht mal sagen, warum.

Ein dünner Faden aus Blut und Speichel hängt an seiner Unterlippe. Kramer tätschelt seinen Kopf.
Beide Possesivpronomen gehören zwar dem Vögelchen, aber das zweite könnte auch Kramers Kopf sein. Spitzfindig, aber ich stolperte und deshalb erwähne ich es.
Was ich sagen will, der erste Satz ist stark, drückt die ganze Grausamkeit des Twists aus und wird vom zweiten irgendwie abgeschwächt. Statt dessen ein "Kramer nimmt ihn behutsam mit dem Zeigefinger auf und leckt ihn ab."
So irgendwie würde das die Ekel-Stimmung manifestieren. Aber hei, jammern auf hohem Niveau.

Auf jeden Fall ein feines Horror amuse bouche.
Liebe Grüsse, dot

 

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