Welch ein glücklicher Mann bin ich
Welch ein glücklicher Mann bin ich
Fremde Gesichter, fremde Stimmen,
Fremde Menschen um uns herum.
Geräusche und Bilder verschwimmen,
Und ich beobachte Dich stumm.
Und ich seh' Dich dies Lächeln tragen,
Von dem ich weiß, es ist für mich.
Stünd' ich bei Dir, ich würd' Dir sagen:
Welch ein glücklicher Mann bin ich!
Wir sind uns so nah, daß wir meinen,
Uns ganz zu kennen mit der Zeit.
Manches will uns alltäglich scheinen
Und vieles Selbstverständlichkeit.
Dann ist es gut, abseits zu stehen,
Um Wohlvertrautes rings um sich
Mit neuen Augen anzusehen.
Welch ein glücklicher Mann bin ich!
Und es ist gut, zurückzudenken,
An all' die Stürme ohne Zahl.
Du magst Dich tausendmal mir schenken,
Es ist immer das erste Mal.
Was mir an Glück begegnen sollte,
Bist du heut mehr denn je für mich,
Und alles, was ich jemals wollte!
Welch ein glücklicher Mann bin ich!
(Copyright by Reinhard Mey)
Als er ihre Lippen auf seiner Stirn fühlte, schlug er die Augen auf. So geweckt zu werden, fand er, war einfach die schönste Art, den Tag zu beginnen.
„Liebling, der Kaffee ist fertig.“, flüsterte Lisa sanft.
Mit einem wohligen Seufzen streckte er die Arme nach ihr aus, zog sie an sich und genoss die Wärme, die von ihr ausging.
„Okay, Kleines, ich stehe schon auf.“, murmelte er, noch schlaftrunken, bevor er vorsichtig ein Bein aus dem Bett streckte. "Nun komm schon, Du Faultier“. Mit einem zärtlichen Nasenstüber versuchte Lisa, ihrem Weckversuch Nachdruck zu verleihen. „Die Kinder warten schon am Frühstückstisch.“
Der Gedanke an die kleinen Racker, die er über Alles liebte, ließ ihn endgültig munter werden. Während Lisa in die Küche zurück ging, schlüpfte er schnell aus dem Bett und in den Bademantel und verschwand flugs im Badezimmer.
Rolf liebte die Wochenenden. Gemeinsam mit der Familie frühstücken, schöne Spaziergänge, Harmonie und Liebe in jedem Wort, in jeder Geste. Wenn er die Augen schloss, sah er die Bilder vor sich, hörte Lisas glockenhelles Lachen, mit dem sie ihn jedesmal zu verzaubern verstand.
„Welch ein glücklicher Mann bin ich“ jubelte er innerlich und schenkte seinem Spiegelbild ein strahlendes Lächeln.
Die Tür wurde aufgerissen. Der Hund sprang aufs Bett und leckte mit seiner langen Zunge quer durch sein Gesicht. In der offenen Tür konnte Rolf seine Frau erkennen. Lisa trug wieder den ihm verhassten rosa Jogginganzug, der ihr eine fast unheimliche Ähnlichkeit mit Miss Piggy verlieh. „Los!“, keifte sie. „Heb schon Deinen Hintern aus dem Bett. Wir haben eine Menge zu erledigen und die Bälger plärren mir schon seit Stunden die Ohren voll.“
Gern wäre er noch ein wenig im Bett geblieben, hätte einfach seinen Gedanken nachgehangen und gemütlich vor sich hingedöst. Doch er wusste, Lisa würde keine Ruhe geben, wenn er nicht sofort ins Bad ging. Seufzend ergab er sich in sein Schicksal und als er sein Gesicht im Spiegel betrachtete, kamen ihm die Worte in den Sinn, die er im Traum gedacht hatte.
„Welch ein glücklicher Mann bin ich!“. Ein bitteres, gequältes Lachen quoll aus seiner Kehle, als er nach den Rasierklingen griff.