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10.03.2016
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Fallen
Stille. Dann ein Herzschlag. Langsam wird es heller. Wieder ein Herzschlag. Kälte umschließt den Körper. Ein Platschen. Blubbern. Plötzliches Gefühl gezogen zu werden. Es wird wieder dunkler. Frische Luft schlägt ins Gesicht. Der Hals noch immer zugeschnürt, dumpfe Geräusche. Mit einem Schlag erinnern sich Lunge und Augen wieder an ihre Hauptfunktion. Helles Licht, tief einatmen. Dann wieder Dunkelheit.

Alltag
Jeden Tag hat Sie Ihn besucht. Seine Hand gehalten. Und trotzdem versucht das Leben weiterzuführen. Aber wie nur. Die Pflanzen daheim schon übermannt von knuspriger Dürre. Jeden Tag ins Büro, dann ins Krankenhaus, dann schlafen. Manchmal auch nur im Sessel neben Seinem Bett. Mit dem Pflegepersonal per du zu sein ist ein zweifelhafter Vorteil. Der Hund lebt schon lange bei Seinen Eltern. Sie erinnert sich noch genau an den Samstag als Sie den Hund bekommen haben. Es hat geregnet und zum Frühstück gab es Eierspeise. Sogar mit frischem Schnittlauch aus dem Garten. Und mit Paradeisern. “Wegen den drei Grundfarben”, erklärt Er stolz. Sie lächelt mild. Süß sieht Er aus, wenn das morgendliche Sonnenlicht durch das Fenster auf sein Gesicht fällt. Vorbei an den Vorhängen, die Er nie wollte. Und jetzt reden Sie über den Hund. Den Sie nie wollte. Aber nach wochenlangen Diskussionen, die sich nur im Kreis gedreht haben, hat Sie endlich zugestimmt. Ja, objektiv betrachtet passt ja alles. Die Wohnung hat einen kleinen Garten und Er kann den Hund auch in die Arbeit mitnehmen. Und Gassi gehen. Bei jedem Wetter. Aber ok. Das mit dem Urlaub wird auch irgendwie klappen, Seine Eltern haben ja selber auch einen Hund und würden sich kümmern. Was tut man nicht alles für die Beziehung. Trotzdem war da noch der schale Beigeschmack. Subjektiv natürlich. Veränderung erzeugt immer Widerstand.

Früher
“Nennt sich Trägheit”, hat schon Ihr bärtiger Physiklehrer erklärt, an den Sie sich manchmal zurückerinnert. Nicht speziell an den Physiklehrer, sondern allgemein an die Schulzeit. Die Klassengemeinschaft, die keine war. Natürlich versucht man miteinander auszukommen, wenn man sich fünf mal in der Woche sieht. “Und zur Stundenwiederholung kommt …” Rauschen im Ohr. “Was war letzte Stunde? Irgendwas mit Bewegungslehre.” Sie hatte nur Augen für Ihren Schwarm. Wie er mit seinen braunen Haaren und ebenso braunen Augen schräg vor Ihr saß und wiedermal etwas ausgeheckt hat. Irgendwas Dummes. Aber Mutiges. Sie bewundert Mut. “Ja, du bist gemeint! Komm’ ruhig raus an die Tafel.” Eine Reihe hinter Ihr wurde heftig gekichert. Vier Minuten, einen gewaschenen Kopf und ein fettes Minus später saß Sie wieder am Platz. Macht aber nichts, denn in 12 Tagen war Sie ohnehin weg von dieser Schule. Allen Protesten Ihrer Geschwister zum Trotz hat Ihr Vater dennoch den neuen Job angenommen. “Es ist das Beste für die ganze Familie”, versuchte er zu beschwichtigen. Doch so recht glauben konnte ihm niemand. Selbst die Mutter, die bisher alles für ihren Mann getan hat, begann zu zweifeln. Aber was blieb ihr schon übrig? Ihre Ausbildung hat sie abgebrochen, als sie mit dem ersten Kind schwanger war. Ab dann war sie daheim und beschäftigte sich hauptsächlich mit der Frage, in welchem Supermarkt das Joghurt gerade in Aktion ist. So trieb sie durch die Zeit und das Leben. Wobei es eher das Leben der anderen war. Bis alle Kinder soweit erwachsen waren und auf eigenen Beinen standen. Dann fiel sie in ein tiefes Loch. Der Fall endete bei Kerzenschein in der Badewanne. Mit glasigem Blick und umspült von rot gefärbtem Wasser, das ihren blonden Haaren einen leichten Bronzeton verlieh, wurde sie von ihrem Mann gefunden. Doch der Schock währte nur kurz, sechs Monate später hat er auch schon die Assistentin aus der Buchhaltung geheiratet. Dabei gibt es solche Klischees normalerweise nur in schlechten Filmen. Ungefähr zu dieser Zeit ist auch der Kontakt zu seinen Kindern völlig abgerissen. So gesehen war Ihr Vater auch nur eine weitere Person auf Ihrem Lebensweg. Genauso wie besagter Schwarm aus der dritten Klasse. Knappe zwei Wochen blieben Ihr noch um … ja, um was zu tun eigentlich? Das wusste Sie noch nicht so genau. Fest stand nur, dass beide am Freitag auf der Geburtstagsfeier einer gemeinsamen Freundin eingeladen waren. Dort trafen sie sich auch beim Tisch mit den Knabbersachen. Witzig, dass die rotierende Flasche immer justament auf die anderen gezeigt hat, aber die Aussicht auf Salzgebäck den beiden doch ihre private Blase im Raum-Zeit-Kontinuum geschaffen hat. “Hi”, sagte Sie etwas schüchtern. Das war doch sonst nicht Ihre Art. Sie hatte sich doch schon so gut vorbereitet und aus den geschmuggelten Bravo Heften alles über “die Jungs” und “die Clique” gelernt. “Hallo”, erwiderte er. Lange schaute er Sie an. Zumindest kam Ihr das wie eine Ewigkeit vor. Ein kräftiger Schlag auf den Oberarm holte Sie jäh auf den Boden der Tatsachen zurück. “Reing’schaut!”, frohlockte er und ging weg. Jungs können so dumm sein.

Ausflug
Nicht dass es Ihm besser mit der Mädchenwelt erging. Die Pubertät ist so ein andauerndes Auf und Ab. Irgendwann verlässt man dann das Elternhaus, weil man denkt reif genug für die eigenen Beine zu sein. Das Studium plätschert dann so dahin, aber eine rechte Stabilität hat man noch nicht im Leben. Braucht man auch nicht, dazu gibt es ja auch das unbeschwerte Vergnügen. Und so war es dann auch wieder eine von diesen Partys, wo man am Liebsten gleich absagen würde, nachdem man in der Einladung schon den Vermerk „Mitzubringen: Gute Laune“ gelesen hat. Trotzdem geht man hin. Ist der Gastgeber doch Sein alter Kindergartenfreund. “Nicht alt. Langjährig! Mit 21 ist man doch nicht alt.” Trotzdem fühlte Er sich wie auf der Afterhour nach dem Nachmittagsauftritt der Niederschlainzer Blasmusik bei Klingendes Österreich. Ein paar Leute die langweilig herumsaßen, einen griechischen Heckenklescher mit unaussprechlichem Namen schlürften und sich über spannende Themen wie „Butter oder Margarine“ und „Die Zukunft des Bausparens“ unterhielten. Nach ein paar flachen Gesprächen seilte Er sich unauffällig ab in Richtung Buffet, der letzte Rettungsanker um den Geschmacksknospen außer dem „Leichten Landbräu“, das im Diskonter gerade in Aktion war, doch noch irgendetwas zu bieten. Die suchende Hand wanderte vorbei an langweiligen Schinkenkipferln und billigen Erdnussflips. Soletti – der Klassiker! Aber ohne Liptauer auch nicht sehr aufregend. Leider war weit und breit kein Vertreter dieser Aufstrich-Spezies zu sehen. Um kein Risiko einzugehen schnappte Er sich die Packung und zog in Richtung Küche. Nach dem Blick in den Kühlschrank folgte die Ernüchterung - aber zum Glück nur im übertragenen Sinn, denn die Averna Sour, die Er sich zwischendurch genehmigt hatte, zeigten weiterhin ihre Wirkung. Nichtsdestotrotz war der Kühlschrank geprägt von hellem Licht und viel Rückwand. “Mist”, dachte er, “wo bekomme ich jetzt …” Und plötzlich stand Sie neben Ihm, wie ein Engel mit Liptauer in der Hand. Also eigentlich die beste Art von Engeln. “Du bist also der stadtbekannte Soletti-Dieb!”, scherzte Sie. Mit übertrieben gespielter Betretenheit stellte er die Packung auf die Anrichte. Sie plazierte den Liptauer daneben, setzte sich selbst auf die Arbeitsplatte und begann mit schlackernden Beinen genüßlich zu essen. Sie hatte dunkle Haare, leuchtende Augen und Fingernägel, die in einem kräftigen Kirschrot lackiert waren. Dann fingen Sie an zu reden. Über “Butter oder Margarine” und “Die Zukunft des Bausparens”. Aber irgendwie war alles anders. Es ist immer wieder ein erstaunliches Gefühl in ein Gespräch verwickelt zu sein, das ungezwungen und von selbst läuft. Mit einer Person, die man gar nicht kennt - aber trotzdem irgendwie das Gefühl eines tiefen Verständnisses füreinander hat. “Lass’ uns hier verschwinden”, schlug Sie plötzlich vor, “so wirklich kenne ich ja doch niemanden hier.” “Gute Idee, ich wollte ohnehin nicht mehr lange bleiben. Außerdem hab’ ich Lust auf gehaltvollere Speisen. Ein Freund von mir arbeitet beim Catering, wo ich zum Ende der Veranstaltung immer die übergebliebenen Reste verputzen kann.” Kurz darauf standen Beide auch schon unten auf der Straße. Es war eine laue Sommernacht, der Asphalt strahlte noch immer die Wärme des Tages ab und das sanfte Licht der Stadt flutete über die Gehsteige. “Mein Fahrrad steht dort drüben”, sagte Er, “Hüpf’ rauf!” “Du meinst auf den Gepäckträger? Aber laut dem Aufkleber auf der Seite ist der nur bis 8 kg zugelassen“, sagte Sie mit einem Schmunzeln hinter der korrekten Miene. “Ach, das passt schon”, versicherte Er. Und schon ging die Fahrt los. Durch kleine Gässchen, manchmal etwas holprig. Der Fahrtwind verlieh’ Beiden ein Gefühl der Freiheit. Als ob Sie Flügel hätten. Gerade als Er in eine kleine Allee mit großen Birken einbog, machte es “Knacks”. Es war kein lautes Geräusch aber genau dadurch klang es umso verhängnisvoller. Er konnte zwar noch bremsen, aber der Gepäckträger der auf das Hinterrad krachte, brachte das Fahrrad dennoch zum Kippen. Beide kugelten in die Wiese und lachten. “Na super, jetzt verpassen wir das Essen. Und gestrandet sind wir hier auch”, sagte Sie. “Keine Sorge, ich hab’ einen Plan”, sagte Er, sprang auf und lief zu einer nahegelegenen Tankstelle. Kurze Zeit später kam Er grinsend wieder heraus und präsentierte stolz ein kleines Radio und zwei Stück Eis. “Erdbeere oder Haselnuss?”, fragte Er. “Erdbeere, auf jeden Fall! Aber wozu das Radio?”, erwiderte Sie. “Wirst du schon sehen”, sagte Er, holte ein Isolierband aus der Tasche und fing an die Antenne des Radios an die gebrochene Strebe des Gepäckträgers als improvisierte Schiene zu befestigen. Gleichsam interessiert wie skeptisch beobachtete Sie Ihn dabei und aß dabei zufrieden Ihr Eis. “So, das hält ewig und 3 Tage”, verkündete Er stolz. “Oder hoffentlich zumindest bis du daheim bist”, fügte Sie lachend hinzu. “Bestimmt sogar. Und das Beste ist ja die musikalische Untermalung”, sagte Er und schaltete das Radio ein. Und so verschwanden die Beiden zu Elton Johns “Rocket Man” im Dunkel der Nacht, wo sich aber Ihre Wege auch alsbald teilten. “Ich bin müde und jetzt ohnehin in der Nähe meiner Wohnung”, meinte Sie. “Ok, aber das nächste Mal gehen wir auf jeden Fall Essen und lassen uns nicht von solchen kleineren Gebrechen aufhalten”, schlug Er vor. Darauf lachte Sie nur und verschwand im Hauseingang vor dem Sie gehalten hatten. Tatsächlich sollte es noch eine Zeit und einige belanglose Liebschaften dauern, bis das Leben die Beiden wieder zusammenführen sollte. Denn irgendwie dachten Sie immer wieder zu den passendsten und unpassendsten Gelegenheiten aneinander. So wie der fast zufällige Gedanke an einen Minus 10% Gutschein für den Supermarkt, der in den Tiefen der Tasche sein Dasein fristet. Aber wie es mit dem Schicksal, oder zumindest mit gewissenhaften Recherchen in sozialen Netzwerken so spielt trafen Sie sich wieder. Und dann lebten Sie glücklich Ihr gemeinsames Leben. Oder so.

Trennung
Er fand Sie im Wohnzimmer sitzend, in Tränen aufgelöst. Sofort setzte Er sich zu Ihr, fasste Ihre Schulter und fragte “Was ist denn los?” Die Antwort “Nichts …” bohrte sich wie ein Dolch in sein Herz. Er hasste diese Herumdruckserei. “Wirklich? Sieht aber nicht danach aus”, nahm Er einen zweiten Anlauf. “Ach, egal” seufzte Sie und versuchte mit aller Kraft das nächste Schluchzen zu unterdrücken. “Gut, hier ist kein Weiterkommen” dachte Er sich und ging in die Küche um sich ein Wurstbrot zu machen. Geschickt schnitt Er zwei Scheiben Brot vom Laib und fragte sich wieder einmal, wie unfähig manche Leute sein müssen um eine Brotschneidemaschine zu benötigen. Es tat Ihm weh, Sie so schmerzerfüllt zu sehen - doch anscheinend wollte Sie keine Hilfe. Er schnitt noch eine dritte Scheibe herunter um Ihr das Schmelzkäsebrot zu machen, das Sie über alles liebte. Besonders wichtig daran war der frisch gemahlene Pfeffer. Gerade als Er dabei war die Brote zu streichen, kam Sie in die Küche und setzte sich auf die Anrichte - so wie Sie es immer tat, wenn Sie Ihn beim Kochen beobachtete. Und hoffte, dass Er sich dabei nicht verletzte. “Ich kann das, ich bin ein emanzipierter Mann!” war üblicherweise Seine Aussage. Umrühren war auch Seine große Leidenschaft. Was Sie jedoch manchmal in den Wahnsinn trieb, wenn Sie selbst gerade am Kochen war. Doch heute war alles egal. “Ich muss dir etwas sagen”, eröffnete Sie das Gespräch. “Oh”, dachte er, “das bedeutet üblicherweise nichts Gutes. Oder etwas halb so Schlimmes und Sie übertreibt wieder einmal”. Er blickte auf und schaute in Ihre Augen. Sie hatte Angst, das war deutlich zu sehen. Sie fuhr fort: “Erinnerst Du dich, letztes Monat, wie ich auf Dienstreise in Barcelona war, auf dieser Konferenz?” Ihm gefiel nicht die Richtung in die sich dieses Gespräch entwickelte. “Am letzten Abend war ich mit meinen Kollegen fort um zu feiern. Zuerst Essen und dann in dieser super-stylischen Bar. Ich freute mich, weil ich dort wieder diesen Konferenzbesucher getroffen habe, mit dem ich mich schon auf der Tagung so nett unterhalten habe.” “Oh, Oh”, war Sein nächster Gedanke. “Ach weißt du”, sagte Sie, “wir waren so am Reden und Trinken und Spaß haben. Und irgendwann …” Schweigend sah Er Sie an und dachte Sich “Komm schon, sprich es aus und ich bin weg”.
Mit einem lauten Knall fiel die Tür ins Schloss. Am anderen Ende der Stadt klingelte ein Telefon. “Ja, Ich bin’s. Bist du gerade daheim? Ich muss mit dir reden. Und vielleicht für einige Zeit deine Couch crashen” Sein bester Freund hatte schon so eine Ahnung worum es ging. “Kein Problem”, sagte dieser. “Komm’ einfach vorbei. Bier und Wodka ist eh eingekühlt”. Und dann folgte es, das improvisierte Leben als Untermieter. Bereits am zweiten Tag rief Sie Ihn an. Was Ihn noch wütender machte. Abgehoben hat Er aber nicht. Was Sie noch wütender machte.
Die ersten Tage waren für Ihn wie eine Realitätsverweigerung gepaart mit einem dauernden Drogentrip. Irgendwann zu Mittag in die Arbeit, abends saufen und zu rauchen hat er auch wieder angefangen. “Freiheit!” schrie jede Zelle ihn Ihm. “Scheiß egal was morgen ist.” Doch als Er dann verschwitzt und mittelprächtig alkoholisiert um fünf Uhr in der Früh auf der nur noch spärlich bestückten Tanzfläche eines Clubs stand, keimte ein neuer Gedanke in Ihm auf. “Wozu das Ganze?”, dicht gefolgt von “Was will ich eigentlich vom Leben?” Doch zum Glück standen Seine alten Bekannten Gin und Tonic, begleitet von Fräulein Gurke und einer Prise “ach-mir-egal” Ihm gleich zur Seite um die Gedanken zu verdrängen.
Doch dann trafen Sie sich wiedereinmal. Auf dem neutralen Boden eines Cafés. Betreten starrten Beide in Ihre Heißgetränke. Der dunkle Kaffee im Latte Macchiato wirbelte im Glas herum. Die Schokobohne neben Seinem doppelten Espresso war schon fast geschmolzen, als Er ansetzte: “Schau … Es tut mir leid.” Verwundert blickte Sie ihn zwischen den Strähnen Ihrer neuen Frisur an. “Ich bin ein Idiot”, fuhr Er fort. “Du? Warum bist du der Idiot?”, fragte Sie verblüfft. “Weil du mir tatsächlich fehlst. Ich denke sehr oft an dich.” Sie verstand die Welt nicht mehr und erwiderte: “Aber ich habe dich doch betrogen?” “Ja. Schon. Und ganz ehrlich; das war auch das echt aller-beschissenste was du machen konntest. Aber ich respektiere, dass du es mir erzählt hast. Sex hin oder her, ich glaube deine Gefühle mir gegenüber sind ehrlich. Und der Idiot bin ich, weil ich wieder nach Hause kommen will - aber gleichzeitig Angst habe, dass diese Sache von nun an ewig zwischen uns stehen wird.” Ihre großen Augen wurden immer wässriger. Sie verschluckte ein Schluchzen und sagte: “Es kommt nicht wieder vor …” “Ich weiß.” “Lass uns wegfahren. Santorin soll toll sein um diese Jahreszeit!”
Tatsächlich tat Ihnen diese Auszeit wirklich gut. Die Ruhe. Das Zueinanderfinden. Sie haben gelacht, geweint, getrunken. Aber alles war echt. Damals. Und heute ist alles wieder anders. Aber aus anderen Gründen.

Eintreffen
Es war ein klarer Morgen. In der Nacht hat es geregnet und die Feuchtigkeit lag noch auf der ganzen Stadt. Die frisch gewaschene Luft roch nach dem bevorstehenden Neuanfang im Kreislauf der Jahreszeiten. Sie hatte wieder eine sehr unruhige Nacht hinter sich. Mehrmals aufgewacht, drei Mal auf’s Klo gelaufen und sich ein Mal übergeben. Der Stress der letzten Wochen, die Ungewissheit und das Bangen war einfach zu viel. Mittlerweile war ihr Lebenszyklus schon komplett durcheinander, die unregelmäßige Nahrungsaufnahme und der fehlende Kontakt zu Ihren Freunden taten das Übrige. Kopfweh war der ständige Begleiter und Sie bemerkte nicht einmal so richtig, dass Sie ihre Periode ebenfalls nicht mehr hatte. Sie wälzte sich nur noch im Bett umher, da kam das Läuten des Telefons sehr gelegen als Grund endlich aufzustehen. Es war das Krankenhaus. Sein Zustand hat sich über Nacht rapide verschlechtert. Sie schreckte auf, zog sich hastig an - zum Duschen war keine Zeit mehr - und sprang ins Auto. Tausend Gedanken rasten Ihr durch den Kopf, während Sie zügig durch die Gassen fuhr. “Soll es das gewesen sein? Ist es nur ein Tief in der an sich positiven Entwicklung der letzten Tage? Wird alles wieder gut? Oder wenn es nicht so ist, ist es vielleicht besser so?” Sie hasste sich für den letzten Gedanken. Verbissen umklammerte Sie das Lenkrad und stieg auf’s Gas. Dabei sah Sie nicht das Taxi, das von links aus der Gasse schoß. Plötzlich war die Luft erfüllt von hellem Staub. Langsam schwebten die Partikel durch die Luft, während die Karosserie begann sich zu verformen. Die Welt drehte sich und so plözlich und intensiv wie das tiefe Einatmen nach einem langen Tauchgang drang der Schall wieder in Ihre Ohren. Wie bei einem Paukenschlag dröhnte der heftige Aufprall, Ihr Kopf schlug hart an der Seitenscheibe auf und die Teile der Türverkleidung bohrten sich in Ihre Seite.
Sie erwachte mit einem vertrauten Bild vor Augen. Die beigen Vorhänge vor den weiß gestrichenen Fenstern, die hohen Altbauräume und das sanfte Piepsen des EKG. Ihr Oberkörper war von einem großen Verband umwickelt. Während Sie noch versuchte sich zu orientieren und im Jetzt anzukommen, hörte Sie wie die Türe geöffnet wurde. Eine Krankenschwester betrat den Raum und stellte sich zu Ihr ans Bett. “Gut dass du wach bist. Wie geht es dir?” Mehr als eine Mischung aus Grunzen und Stöhnen konnte Sie nicht von sich geben. “Ja, es war ein sehr schwerer Unfall, du scheinst aber halbwegs glimpflich davon gekommen zu sein. Vorerst brauchst du noch Ruhe. Morgen in der Früh bei der Visite wirst du mehr erfahren.” Sie versuchte sich aufzurichten und nach Ihm zu fragen, aber die Anstrengung war einfach zu groß. Erschöpft sank Sie zurück in das Kissen und entglitt wieder der Realität.
Die ersten Sonnenstrahlen und der Geruch von frischen Semmeln weckte Sie am nächsten Tag. Vor ihrem Bett standen einige Leute. Unter anderem auch der Arzt, den Sie schon kannte. “Guten Morgen” sagte dieser. “Gleich zu der guten Nachricht. Die Operation nach deinem Unfall ist gut verlaufen. Wir konnten die Blutungen schnell unter Kontrolle bringen. Die Niere wird zwar noch brauchen, bis sie vollständig geheilt ist, aber im Großen und Ganzen sind noch keine weiteren Folgen absehbar.” Sie verspürte noch keine wirkliche Erleichterung, Ihre wahre Sorge, wie es Ihm wohl geht, hing noch immer wie ein Damoklesschwert in der Luft. “Die schlechte Nachricht ist, dass sich der Zustand deines Freundes vor 2 Tagen plötzlich verschlechtert hat. Auch mit einer Notoperation am Vormittag konnten wir sein Lungenödem nicht mehr unter Kontrolle bringen. Es tut mir sehr leid.” Fassungslos starrte Sie an die Decke. Jetzt ist es also geschehen. Tiefe Trauer legte sich auf Ihr Gesicht. “Ich weiß zwar nicht, ob du es wusstest - aber eine gute Nachricht habe ich noch. Bei der Behandlung haben wir festgestellt, dass du schwanger bist - und dem Baby geht es gut. Es scheint großes Glück gehabt zu haben”.

Abschlüsse
Alle kamen sie zu Seinem Begräbnis. Freunde, Verwandte, Schulkollegen. Der Friedhof war gesteckt voll. Ihm hätte es gewiss Freude bereitet zu sehen, wie vielen Menschen Er am Herzen lag. Es ist immer wieder spannend zu sehen, mit wie wenig Hintergrundwissen über den Verstorbenen der Zeremonienmeister eine von Grund auf persönliche und intime Feier gestalten kann. Alle Anwesenden dachten an die gemeinsamen Erlebnisse, die sie miteinander verband. Es wurde auch viel gelacht, auch wenn sich jeder dabei gleichzeitig etwas schlecht fühlte.
Bei der anschließenden Tafel im kleinen Kreis ergriff zuerst Sein Vater das Wort. Er sprach darüber, wie sehr er seinen Sohn vermisse und dass es keinem Elternteil dieser Welt passieren dürfe sein Kind zu überleben. Danach bat er Sie noch ein paar Worte zu sagen. Betreten stand Sie auf. Sie betrachtete den Boden, dann die Gesichter der Anwesenden. Der Boden war doch ein angenehmerer Anblick. “Ich … ich weiß nicht was ich sagen soll. Die letzten Wochen waren sehr schwer. Das andauernde Bangen ob er wieder nach Hause kommt. Oder zumindest einmal aufwacht und ich noch mit ihm Reden kann. Ihn aus dem Leben zu reißen ohne die Chance auf eine ordentliche Verabschiedung ist einfach nicht fair. So viel hätte ich noch zu sagen. Ja, natürlich hatten wir unsere guten wie auch schlechten Zeiten. Ich denke aber, dass das jedem so geht. Trotzdem haben wir beide für uns gekämpft. Für unsere Zukunft. Ich erinnere mich noch an unsere Gespräche, wie wir auf der Couch gelegen sind und Pläne schmiedeten. Flachdach oder Spitzdach. Hierbleiben oder für ein Jahr im Ausland arbeiten. Wir hatten noch so viel vor. Diese Seifenblase ist nun zerplatzt. Er fehlt mir sehr. Aber ich freue mich, dass ein Teil von ihm noch weiter bei uns sein wird. Damit meine ich nicht nur in Gedanken, wir werden uns wohl immer an Ihn erinnern. Nein, mehr als das. Ich bin nämlich schwanger.” Nun gaben auch Ihre zittrigen Knie nach und Sie sank zurück in Ihren Stuhl. Dann folgte ein Schweigen, welches aber alsbald durch zuerst verhaltenes Klatschen unterbrochen wurde. Immer mehr der Gäste stimmten mit ein und es dauerte nicht lange, bis Sie umringt von Leuten war, die Ihr alle gratulierten. Nur Sein Vater saß auf seinem Sessel, starrte in die Luft und dachte sich: “Oh mein Gott. Das kann nicht sein. Mein Sohn hat Ihr wohl nie von dem Unfall als Jugendlicher erzählt. Er kann doch gar keine Kinder zeugen …”

Epilog
Das Geschirr klappert, wie Sie es hastig in den Geschirrspüler räumt. Sie war wie immer spät dran. An die neue Morgenroutine musste Sie sich noch gewöhnen. Wobei diese Routine nun schon seit über 3 Jahren jeden Tag irgendwie immer neu ist. “Komm Isabella, wir ziehen dir deine Jacke an! Ja, die grüne wenn du möchtest. Ist ja schließlich heute den erster Tag im Kindergarten.” Das kleine Mädchen zwängte sich sehr umständlich in das Kleidungsstück. “Auf geht’s, die anderen Kinder werden sich bestimmt freuen dich kennenzulernen”. Sie schnappte Ihre Tasche, als sich die Tür zum Wohnzimmer öffnete. “Morgen bringe ich sie in den Kindergarten”, sagte eine noch sehr verschlafene Männerstimme. “Ach, keine Sorge. Du weißt ich schaff’ das”, erwiderte Sie. “Ja. Stimmt. Du bist eine tolle Frau”, bekundete Martin, “und dafür liebe ich dich!” Mit diesen Worten schnappte er Sie sich und drückte Ihr einen dicken Kuss auf die Lippen. “Bis am Abend!”, rief Sie während Sie die Stiegen hinunterging, Isabella an der Hand. Sie setzte sich und das kleine Mädchen in’s Auto und während Sie dann die kleine Straße hinunterfuhren, an deren Ende Ihr hübsches Zuhause lag, dachte Sie sich: “Schon interessant wie das so ist mit dem Leben. Irgendwie geht es doch immer weiter …”

 

Hallo MichaelBe,

ich habe angefangen, deinen Text zu lesen, aber ich glaube, ich halte ihn im Moment nicht durch. Er lässt sich schwierig lesen. Du benutzt statt Namen nur Pronomen und schreibst diese groß. Was soll das? Das ist nur bei Königen und Göttern üblich. Ich fände es schöner, wenn deine Protagonisten greifbarer wären. So baust du meiner Meinung nach unnötig große Distanz auf.

Macht so für mich keinen Spaß zu lesen. Vielleicht denkst du mal drüber nach. Einem anderen geht es vielleicht anders. Ich find's schade um den Text.

Trotzdem herzlich willkommen hier!

Schönen Gruß
khnebel

 

Danke für deine Rückmeldung! Ich hielt dieses Mittel für eine gute Idee um die Anonymität der Einzelschicksale, die um uns herum passieren, zu unterstreichen. Gleichzeitig hatte aber auch ich Bedenken, ob das bei Anderen auch gut ankommt. Daher ist deine Antwort schon mal sehr hilfreich. Danke!

 

Hallo Michael!

Ich habe weniger Probleme mit den anonymen Pronomen, wenn dann höchstens damit, dass Du sie großschreibst.
Nein, etwas problematischer wirkt auf mich das Springen zwischen den Zeiten, was dann auch noch in einzelne Absätze verpackt ist. Dadurch bekomme das Ganze den Charakter einer längeren Erzählung. Es ist nicht wirklich eine KG, was da zu lesen ist. Eher die Stationen eines Lebens, aufgeteilt in die einzelnen, wohl wichtigsten Stationen.

Das Ganze ist für meine Begriffe interessant zu lesen, es ist auch flüssig formuliert und insofern gut aufzunehmen.

Was mir etwas zu oberflächlich, ja ein wenig wie "drangehängt", erscheint ist der letzte Absatz. Sie räumt mal eben die Spülmaschine ein, während ihr müder Neuer aufsteht, rennt dann schnell los, um das Kind in die Kita zu bringen und denkt sich dann mal eben so etwas... Für uns Leser ist es zwar verständlich, was sie da denkt. Aber wieso sollte sie das in solch einer Situation, mal eben so im Auto, tatsächlich denken? Das stört mich als Leser irgendwie, weil ihr das so eine merkwürdige Oberflächlichkeit verleiht.

LG

 

Danke für's Lesen!
Ja, die Erzählstruktur ist eigen. Ich habe auch sehr lang nach "Kurzgeschichte Definition" gegoogelt, wenngleich auch ohne eindeutigem Ergebnis. Es ist halt eine episodenhafte Geschichte. Welches Etikett man auch immer draufklebt ist mir egal.
Guter Punkt mit dem Ende. Ich denke ich wollte mit aller Kraft einfach die Pointe rüberbringen und das Ding abschließen. Ich werde mir aber was überlegen wie man das ein wenig glaubwürdiger rüberbringen kann...

 

Hallo,

ich schließe mich meinen Vorrednern bezüglich "Er und Sie" an. Das irritiert beim Lesen ungemein und transportiert wenig von der von dir angedachten Distanz.

Hier und da war ich versucht auszusteigen, aber das liegt nicht am Stil, sondern ich vermute an den einzelnen Abschnitten und Zeitsprüngen. Vermutlich, weil ich nach den ersten beiden vollkommen hilflos zurückblieb, da sie für mich nahezu zusammenhanglos daherkamen. Fühlt sich bei mir so an. Ich kann es aber - auch nach längerem Überlegen - nicht wirklich an Etwas festmachen.

Schade finde ich persönlich, dass der Schluss tatsächlich so beiläufig daherkommt. Ein kleiner Satz, der im Alltagsgewusel untergeht. Dabei ist es doch der, um den es geht, oder? Oder war es deine Intention, damit darzustellen, dass unser Alltag so oft die großen Dinge des Lebens überdeckt?

Gruß zum Sonntag!

 

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