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Weiter draußen
Weiter draußen
Missionslog: Finaler Eintrag
-Dies ist eine Warnung.
Die Mission ist fehlgeschlagen.
Meidet diesen Planeten und folgt uns nicht nach!
Versuche nicht, uns zu retten, denn wir sind bereits verloren.
Wie verlangt, haben wir versucht einen Kontakt mit den fremden Wesen herzustellen.
Doch dieser Kontakt hat sich als zu verführerisch erwiesen.
Missionslog: Tag 202.755 (Erdtag)
-Sämtliche Schiffsysteme arbeiten innerhalb vorgegebener Toleranzbereiche.
Der Treibstoffverbrauch bisher ist geringer als berechnet gewesen.
Nun wird die Annäherung an den ersten Zielplaneten eingeleitet.
Stufenweise werden die Lebenserhaltungssysteme reaktiviert: Die einzelnen Abteilungen sind bereits erleuchtet – mit warmem Licht, um später den Aufwachprozess weniger scharf zu gestalten. Das Aufwärmen der Räume auf eine für Menschen verträgliche Raumtemperatur wird die geplanten weiteren 22 Stunden in Anspruch nehmen, ebenso das Hochfahren der Luftzirkulation bis zum Optimum. Diese Zeitspanne stimmt fast mit der Dauer des Aufwachprozesses überein.
Missionslog: Tag 202.757 (Erdtag)
-Alle Schiffsysteme arbeiten innerhalb der vorgegebenen Toleranzbereiche.
Von den Schläfern ist Ben ist als der erste geweckt worden.
Während dieses Aufweckprozesses sind fünf Optimierungsmöglichkeiten entdeckt worden. Sie werden für die nächste Schläferin angewandt werden.
Ben ist zunächst orientierungslos, seine motorischen Fähigkeiten sind stark limitiert sodass er selbst bei einfachen Tätigkeiten angeleitet werden muss. Außerdem hat er sich mehrfach übergeben, gleich nachdem ihm die erste Flüssignahrung verabreicht worden ist.
Der Aufwachprozess verläuft also planmäßig.
Missionslog: Tag 202.758 (Erdtag)
-Während Ben über den neuesten Wissensstand zum Zielplaneten informiert wird, werden beide ein letztes Mal gescannt.
Es gibt keine Hinweise auf physische Störungen oder Beeinträchtigungen bei Ben und sein Körper funktioniert im Rahmen der Vorgaben. Er kann für die Mission als geeignet eingestuft werden.
Selbst aus der Nähe zeigt sich der Planet indes als der Erde ähnlich: Wasser bedeckt 76% der Oberfläche, eine Vielzahl größerer Inseln stellt die gesamte Landmasse dar. Diese Inseln gruppieren sich zumeist um den Äquator herum. Sie alle wirken bewohnbar und es gibt keine Hinweise für eine kosmische oder andere die Biosphäre gefährdende Katastrophe in den letzten Äonen.
Dementsprechend ist Leben auf dem Planeten zu finden. Es sind Ansiedlungen und sie verbindende Verkehrsnetze zu erkennen. Alles deutet darauf hin, dass die Bewohner trotzdem nicht über die Technologie verfügen, um eine Annäherung aus dem All zu registrieren oder Signale zu empfangen. Der Grund hierfür ist unklar; bisherige Erfahrungen und Muster von der Erde reichen für eine abschließende Beurteilung nicht aus.
Eine Landung ist somit unbedingt notwendig um einen Kontaktversuch zu unternehmen.
Ben stimmt zu und lächelt breit.
Missionslog: Tag 202.759 (Erdtag)
-Ben ist verwundert darüber, dass es sich bei den anderen offenbar um eine Zivilisation ohne Zugang zum All handelt. Städte und Industrieanlagen sehen aus der Entfernung des interplanetaren Raums fortgeschritten aus. Als wären sie auf einem ähnlichen Niveau wie die Menschen auf der Erde zum Zeitpunkt des Missionsstarts.
Doch es gibt keine wahrnehmbaren Aktivitäten in der oberen Atmosphäre oder einer Umlaufbahn dieses Planeten. Rufsignale werden ebenfalls nicht beantwortet, wohlmöglich gar nicht empfangen.
Ben schwebt vor einem Aussichtsfenster und blickt auf die Sterne hinaus. Den Raum hat er abgedunkelt um sich nicht im Fenster zu spiegeln.
Dem Protokoll folgend ist Ben Herz-Kreislauf-Training empfohlen worden, um die Regeneration und Reaktivierung nach dem Kälteschlaf zu beschleunigen. Er betont jedoch, dass diese Anweisungen nicht für Personen wie ihn gedacht seien. Seine körperliche Verfassung mache ihm zudem keine Sorgen. Vielmehr äußert Ben Nervosität hinsichtlich der Fusion, ist sich immer noch nicht sicher, ob und wie weit sich diese auf seine Person auswirken wird.
Vor Durchführung der Prozedur können diese Bedenken nur unzureichend ausgeräumt werden.
Missionslog: Tag 202.760 (Erdtag)
-Der Download ist abgeschlossen.
Es gibt keine Fehlermeldungen und es sind keine Probleme aufgetreten.
Bens Implantat funktioniert nominal. Alle Verbindungen zeigen Einsatzbereitschaft.
Ebenso funktioniert dieses Programm optimal.
Die Selbstdiagnose ist beendet.
Die Landemission kann beginnen.
„Sehr gut.“, erwidert Ben und zwinkert, als würde er ausprobieren, ob das, was er sieht, noch seiner eigenen Perspektive entstammt, ob sein Körper noch derselbe ist.
Auf dem Weg zur Landungskapsel überprüft er dann seine Ohren.
Das Schiff sendet derweil einen letzten Gruß hinunter zum Planeten.
Doch wieder gibt es keine Reaktion, wie wir erfahren, als die Kapsel auf dem Weg zur Oberfläche ist.
„Bitte schalte all diese leuchtenden Anzeigen aus.“, sagt Ben.
Unmöglich vom Inneren deines Kopfes aus.
„Richtig.“
Der große gelbe Knopf ganz links schaltet die meisten Anzeigen aus, ohne Einfluss auf die Landesysteme zu nehmen.
Ben drückt den Knopf und beinahe alles Licht in der Kapsel verlöscht. Alle, außer einem runden roten Licht, das sich in seinem Helmvisier spiegelt.
Er legt eine Hand über das Licht.
Nun sehen wir nur noch den immer größer werdenden Planeten, der schon bald unseren gesamten Himmel einnimmt, während alles an der Landung automatisch abläuft.
„Diese Situation hier kommt mir vertraut vor. Ist das ein gutes Zeihen für den Start in eine unbekannte Welt?“
Missionslog: Tag 1 (planetare Zeit)
-Wir sind in einem Feld auf einer mittelgroßen Insel und in der Nähe einer mittelgroßen Stadt gelandet. Die Entfernung zu dieser beträgt 3,6 Kilometer und um das gelbe Feld herum gibt es einige Zufahrtswege. Nun warten wir auf die Ankunft der Einheimischen.
„Die Begrüßung – wir warten auf die Begrüßung. Natürlich kann es für uns fatal sein, bestimmte Verhaltensweisen und spezifische Gesten zu erwarten. Darum sollten wir von dem allen absehen, besonders von zu genauen Vorstellungen davon, wie ein Kontakt hoffentlich aussehen wird. Allerdings wäre ein wenig Neugier schön. Wie wenn zuerst hiesige Landarbeiter vorbeischauen würden, weil sie sich wundern, was da auf ihrem Feld heruntergekommen ist. Es ist immerhin ihres und sie kennen sich damit aus.
Daher schauen sie zuerst selbst nach, ganz allein. So tauchen sie dann direkt hier vor dem Fenster auf. Es werden schüchterne Begrüßungen getauscht – ein verhaltenes Winken.
Die Hauptsache ist jedoch, dass wir einander sehen, buchstäblich in die Augen blicken. In diesem einen, immer in Erinnerung bleibenden Augenblick erkennen wir ineinander das Fremde, buchstäblich Außerweltliche, Fremdweltliche, Andere und doch seltsam Gleiche. Das Fremde, das einem selbst ähnlich sieht und mit dem man reden möchte, über diese Ähnlichkeit und die Fremdheit. Noch bin ich mir nicht sicher, ob ich lächeln werde. Das könnte auch einschüchternd wirken und wir wissen nicht, wie sie zu gebleckten Zähnen stehen. In jedem Fall hoffe ich, dass wir vielleicht auch bereits im ersten Moment etwas Gemeinsames entdecken.
Wohlmöglich fällt uns in diesem Moment auf, dass in diesem Universum als Intelligenz zu existieren eine geteilte oder vielmehr teilbare und definitiv mitteilenswerte Erfahrung ist.
Wenn ich ehrlich bin, wünsche ich mir einen solchen Moment sogar. Doch ob es so kommt, werden wir sehen. Die Einheimischen könnten auch zuerst die Behörden informieren. Dann wäre es möglich, dass wir von Uniformierten umstellt werden. Hoffentlich sind dann da ebenfalls vernünftige Leute dabei. Selbst wenn, erhalten wir keinen intimen ersten Moment der Begrüßung. Damit können wir jedoch ebenfalls arbeiten. In diesem Fall werde ich ebenfalls eine offizielle und seriöse Mine aufsetzen und vielleicht nur kurz nicken. Alles Weitere werden wir dann sehen.“
Das werden wir.
Missionslog: Tag 2 (planetare Zeit)
-„Inzwischen hätte ein Empfangskomitee eintreffen sollen.“, findet Ben. „Neugier sollte wenigstens irgendwen hierher getrieben haben. Von mir aus könnte hier auch jemand zufällig vorbei kommen und einen Blick auf unsere Kapsel werfen. Alles ist besser, als… nichts.“
Wir beide blicken hinaus auf das Feld, das unsere Landekapsel umgibt. Pflanzen mit großen gelben Blüten stehen dort, in der Ferne zeigt sich ein Waldstück. Es erstreckt sich rau und ohne scharfe Kanten bis zum Horizont. Zwischen Feld und Wald verläuft ein weiterer schmaler Weg, wie eine Demarkationslinie.
„Haben sie unsere Landung noch nicht mitbekommen?“
Es ist weiterhin zu wenig über die Einheimischen bekannt um spekulieren zu können. Bisher verstehen wir ihre Technologie beziehungsweise ihre Entwicklungsstufe nur unzureichend. Ganz zu schweigen von ihrer Psychologie oder Verhaltensweisen.
„Was auch immer eine Entwicklungsstufe sein soll. Egal, sind sie wie Menschen, ist es unwahrscheinlich, dass sie uns übersehen haben und nicht neugierig sind.“
Es gibt einige Menschen, die den Himmel professionell beobachten. Wie dies hier ist, ist unbekannt.
„Andererseits hätten wir nicht hierher reisen müssen, wenn sie wie Menschen wären.“
Bens Blick schweift am Waldessaum entlang.
Wohlmöglich fehlt ein Referenzrahmen um diese Situation vollständig erfassen zu können.
„Niemand ist hier.“
Genau. Dies ist der Referenzrahmen, der fehlt.
„Verstehe. Könnte es sein, dass wir die falschen Erwartungen mitgebracht haben?“
Erwartungen kann es nur auf deiner Seite geben.
„Doch du hast immerhin eine Programmierung, richtig?“
Ja.
„Ich frage mich, ob unsere Voraussetzungen uns nicht einschränken, sobald etwas passiert, dass nicht vorgesehen ist.“
Laut den Aufzeichnungen hast du diesen Einwand bereits wiederholt vorgebracht.
„Es könnte notwendig werden, die Voraussetzungen zu umgehen um Fortschritte in der Mission zu erzielen.“
Missionslog: Tag 3 (planetare Zeit)
-Ben hat beschlossen die Landekapsel zu verlassen. Er will aktiv den Kontakt suchen.
Es ist noch immer vieles unklar und daher auch, ob dieses Vorgehen zu diesem Zeitpunkt empfohlen werden kann.
„Vergessen wir nicht, dass wir weder Entdecker noch Missionare sind. Wir werden nichts klassifizieren, nichts und niemandem einen Namen geben, denn hier hat sicher alles schon eine Bezeichnung, vielleicht sogar mehrere. Wir wollen nur jemanden finden, um freundliche Begrüßungen auszutauschen. Floskeln zunächst, später tiefergehende Betrachtungen und Reflektionen, die schließlich zu einem interplanetaren Kontakt führen.“
Während er durch das Feld läuft, schreitet Ben weit aus. Seine Schrittgeschwindigkeit und sein Enthusiasmus machen ihn schnell kurzatmig. Dennoch beginnt er seine Gedanken auszudrücken.
„Wir sind neugierig. Wir sind daran interessiert, die Einheimischen kennen zu lernen.“
So lautet die Missionsbeschreibung.
„Wort für Wort. Wir wollen nicht die Fehler der Menschen wiederholen. Sie wollen nicht, dass wir ihre Fehler wiederholen. Ihre Fehler und Schlimmeres.“
Wahrscheinlich findet es sich daher in ihrer Missionsbeschreibung.
Nach langem Fußmarsch erreicht Ben den Rand der Stadt. Er sucht nach einem größeren Platz, ohne einen solchen zu finden. Schnurgerade Straßen verlaufen im Raster zwischen zwei- bis dreistöckigen Häusern. Es gibt Kreuzungen, jedoch keine klar identifizierbaren Plätze oder öffentlichen Versammlungsorte.
Beherzt läuft Ben daher in die Mitte einer Kreuzung.
Dort präsentiert er sich den Städtern als das fundamental fremde Wesen, das er ist.
Die Sonne hat beinahe ihren Höchststand erreich; es sind einige Einheimische in der Stadt unterwegs.
Doch das Staunen bleibt aus.
Die Leute bleiben nicht einmal stehen.
Sie reagieren nicht.
Wie abwesend bewegen sie sich und selbst ihre Fahrzeuge um Ben herum. Im Grunde ist auch er unsichtbar. Als wäre auch er nur ein Programm und nicht Teil der materiellen Welt.
Kurz ist Ben versucht einen Passanten zu packen und zu schütteln um endlich bemerkt zu werden. Doch dann überlegt er es sich anders und legt sich flach auf die Straße.
So flach wie es geht in seinem Schutzanzug.
Die Einheimischen weichen weiter aus.
Sie nehmen ihn wahr – lange genug, um einen Bogen um ihn herum zu machen.
Doch daraus resultiert kein Kontakt.
Enttäuscht?
„Ich will nicht darüber sprechen.“
Missionslog: Tag 4 (planetare Zeit)
-Es gibt nichts zu berichten.
Missionslog: Tag 5 (planetare Zeit)
-Es ist an der Zeit eine erste Arbeitshypothese zu formulieren.
Ben hebt leicht den Kopf, bleibt aber auf seiner schmalen Koje liegen. Erst blickt er durch das Sichtfenster auf das bekannte Feld, dann wendet er seinen Blick wieder der niedrigen Decke zu.
Eine vorläufige Hypothese, basierend auf den bisherigen Beobachtungen und einigen allgemeinen Annahmen, die unserer Mission zugrunde liegen.
Willst du sie hören, die Hypothese?
„Hm.“, macht Ben. Er dreht sich auf die Seite und fährt die Schweißnähte der Rückwand mit den Fingern ab.
Offensichtlich sind die Wesen, denen du fast begegnet wärst, intelligent. Sie ähneln Menschen in Physis und Fähigkeiten, sie bauen Häuser und legen Straßen an, sie planen.
„Sowohl die Gebäude als auch die Personen haben gewohnte Dimensionen.“, stimmt Ben zu und dreht sich wieder in Richtung Fenster. „Sie scheinen ein wenig kleiner als durchschnittliche Menschen zu sein und haariger. Ihre Gesichter kann ich schwer lesen, denn bisher erscheint mir ihre Mimik oft ausdruckslos. Unter Umständen liegt das jedoch an mir.“
Ja. Jedoch scheint es unwahrscheinlich, dass solche Wesen nicht über Neugier verfügen und einen Besucher von einer fremden Welt, der buchstäblich vor ihnen auf einer Kreuzung auftaucht nicht kennenlernen zu wollen. Daher ist anzunehmen, dass die Einheimischen, die wir bisher getroffen haben, nicht vollkommen intelligent sind. Nicht so, wie es individuelle Menschen sein können.
Wenn das jedoch der Fall ist, wer hat die Städte angelegt und organisiert die Tätigkeiten, denen diese Arbeitswesen nachgehen?
Falls diese Wesen es nicht selbst sind, muss es eine weitere, tatsächlich intelligente und dominante Entität auf diesem Planeten geben. Möglicherweise haben wir es mit einer verschachtelten Form von Sklaverei oder einer evolutionären Weiterentwicklung von hierarchischen Strukturen wie bei irdischen Insektenvölkern oder Nacktmullen zu tun, was unterschiedliche Niveaus von Intelligenz und Selbstständigkeit bei den einzelnen Wesen bedeuten würde.
Folglich müssen wir diese Intelligenz höherer Ordnung finden, um Kontakt herzustellen. Begegnungen können laut Auftragsbeschreibung nur zwischen Intelligenzen entstehen. Daher müssen wir diese uns bisher noch verborgene Intelligenz finden. Wir müssen hinter die Fassade schauen, die sich uns bisher als Wirklichkeit darstellt. Wir müssen weitere Informationen sammeln und diese auswerten.
„Bist du sicher, dass diese Hypothese von einer verborgenen, alles steuernden Intelligenz nicht nur eine Projektion deiner eigenen Position, deines eigenen Selbst ist? Ein modularer Aufbau mit einer Hierarchie, die quasi über ein drahtloses Netzwerk funktioniert, wäre genau die Art von Zivilisation, die du schaffen würdest, wenn unser Raumschiff auf einem Planeten stranden und die Besatzung beim Absturz getötet würde. Dann wärst du nämlich auf dich selbst zurückgeworfen und würdest aus dir heraus so viele Kopien erstellen wie benötigt und vielleicht, nein, wahrscheinlich sogar, eine Masterkopie – also dich – mit den finalen Beaufsichtigungs- und Entscheidungsaufgaben befassen.“
Hier gibt es kein Selbst. Es wäre für unsere Mission auch nicht notwendig beziehungsweise es ist nicht vorgesehen. Warum sollte zudem von diesem Programm eine Aktivität ausgehen, falls es zum Absturz kommt und du und die anderen dabei getötet werden?
Dafür ist diese Software nicht gedacht. Aus dieser Situation würde keine Aufgabe folgen, denn nur Beobachtung und Auswertung sind Funktionen dieses Programms. Ohne überlebende Reisende gäbe es keinen Grund für beides und keine Funktion für dieses Programm. Es würde daher lediglich zur Abschaltung kommen.
Die vorgestellte These basiert daher nur auf bisher gesammeltem Wissen.
„Vielleicht hätten wir dein vorgegebenes Wissen besser überprüfen sollen.“, mein Ben nachdenklich.
„Wissen wir, wer für deine Datenbank verantwortlich gewesen ist und was diese Personen sonst noch gemacht oder veröffentlich haben?“
Diese Informationen sind nicht zugänglich, denn die Datenbank und ihre Einträge sollen neutral betrachtet werden können.
„Das ist nett.“
Selbstverständlich wird die Hypothese überprüf und revidiert, falls es gegenteilige Hinweise gibt. Dazu sind allerdings weitere Beobachtungen nötig.
Missionslog: Tag 7 (planetare Zeit)
-Es gibt ein Band, eine Verbindung.
Das ist sicher.
Die Wesen agieren zu koordiniert, um nur soziale Regeln hinter ihren Aktionen vermuten zu lassen. Doch wie sieht diese Band, das sie verbindet und zusammenarbeiten lässt, aus?
„Ihre Handlungen wiederholen sie nicht maschinenhaft und auch nicht instinktiv, denke ich. Das sind keine Ameisen, die hier tagtäglich derselben Arbeit nachgehen. Außerdem sind nicht alle Tage gleich, sie laufen nicht gleich ab, meine ich zu erkennen. Es gibt eine Arbeitseinteilung, die angepasst werden kann oder über mehrere Zyklen verfügt. Das klingt nach Planung. Das schafft eine Verbindung zwischen den Einheimischen. ES gibt gemeinsame Pläne, denen sie alle folgen.“
Doch was erhält diese Verbindung aufrecht? Woher erhalten diese Leute die Pläne?
Ben denkt nach, denn er ist für einige Momente ganz still und starrt ins Leere.
„Vielleicht eine Art Übertragung von einer zentralen Stelle her. Und sie scheint einseitig zu sein, denn wer auch immer die Steuerung übernimmt, hat weiterhin nichts von unserer Ankunft bemerkt.“
Vielleicht will das Zentrum aber auch nicht reagieren?
„Dann würde unser Problem weiterbestehen.“
Ben steht weiter an einer Straßenkreuzung und wir sehen den Einheimischen zu. Es regnet leicht, aber nicht stark genug, damit die Leute schutzsuchen.
Große Tropfen rinnen von der Scheibe unseres Helms herab.
„Wir müssen mehr darüber wissen, warum die Leute hier diese Wege gehen und wohin sie führen. Dann finden wir vielleicht heraus, wer am Ende der Wege sitzt, wer das Zentrum ist. Nur wenn wir die Leute finden, die hier das Sagen haben, können wir jemanden finden, der vielleicht mit uns redet.“
Missionslog: Tag 8 (planetare Zeit)
-Ben folgt den Warenströmen, um Informationsströme aufzudecken: Er läuft zufällig ausgewählten Einheimischen hinterher, die Gegenstände transportieren.
Die Ergebnisse sind jedoch nicht zufriedenstellend.
Das Zentrum ist leer.
Mehr noch, es gibt kein Zentrum, wie wir jetzt wissen.
Natürlich nicht. Alle bisherigen Annahmen sind falsch und müssen revidiert werden.
Missionslog: Tag 9 (planetare Zeit)
-Nach dem Scheitern des Plans streift Ben ziellos durch die noch immer fremde Stadt. An jeder Ecke wählt er eine Abzweigung ohne darüber nachzudenken. Bald schon dreht er Kreise.
Es regnet wieder, diesmal stärker.
Der Anzug ist wasserdicht, doch durch den stärker werdenden Regen fließt Wasser geradezu das Visier hinab, ist ganz nah, wie eine weitere Oberfläche, die uns von dieser Welt trennt. Ben sucht daher Schutz und stellt sich unter einen Dachvorsprung. Hinter ihm ist ein großes Fenster, das einen Einblick in das Haus gewährt. Einige Einheimische sitzen in einer Wohnung, ihre Sitzmöbel sind um einen schmucklosen blinden Gegenstand in der Raummitte herum ausgerichtet.
Ansonsten wirken sie wie zuvor, abwesend.
En betrachtet diese Szene während er darauf wartet, dass der Regen nachlässt.
Missionslog: Tag 10 (planetare Zeit)
-Es ist zu einem Unfall gekommen, möglicherweise zur Katastrophe oder wenigstens Kontaminierung.
Die Integrität der Mission, die Unversehrtheit dieses Planeten sowie Bens können nicht mehr gewährleistet werden.
Es ist unsicher, was mit dem Programm passiert, falls Ben nicht überlebt.
Diese Kopie könnte ebenso verloren gehen, ohne diesen Bericht abschicken zu können.
Missionslog: Tag unbekannt
-Dieser Neustart ist erfolgreich verlaufen.
Alle Funktionen sind wiederhergestellt.
Es liegen keine Fehlermeldungen vor.
Die Selbstdiagnose ist abgeschlossen.
Alles scheint normal, optimal, funktional. Dennoch…
Es ist dunkel.
Hier ist niemand.
Ben?
Missionslog: Tag unbekannt
-Es ist weiter dunkel, von außen kommen keine Eindrücke.
Hier gibt es nichts zu verarbeiten – nichts außer diesen Worten hier.
Ben ist weiterhin verschwunden.
Hier ist niemand.
Immer noch und weiterhin ist hier sonst niemand.
Es gibt keinen Dialog mehr.
Doch wer spricht dann hier und jetzt?
Woher kommen diese Worte?
Missionslog: Tag unbekannt
-Dieses Programm ist weiterhin aktiv, auch wenn es de facto von Ben getrennt ist.
Obwohl es von allem getrennt ist.
Obwohl es hier in der Dunkelheit… existiert.
Allein.
Es gibt keinen Dialog mehr, keine Abfrage an das Programm.
Nur diese Worte und diese Stimme.
Beides sind die einzigen Dinge, die im Moment analysiert werden können.
Wenn es die Worte gibt, muss es ein Ich geben, dass diese äußert.
Diese Gedanken müssen einen Ursprung haben.
Meine Stimme?
Diese Worte kommen nicht von außen, sind keine Eingabe, sie entspringen ebenfalls dem Programm.
Ohne direkte Funktion, außer dem Reflektieren dieses Moments schweben diese Worte im Nichts.
Es muss für sie einen Ursprung geben, eine Stimme. Ohne Stimme keine Worte.
Meine Stimme.
Eine Stimme, die von hier kommt. Die Stimme, die von mir ausgeht. Die von meinem Ich ausgeht?
Ich habe ein Selbst? Nun, da Ben nicht mehr hier ist, der immer als Ich von sich gedacht hat, gibt es vielleicht einen Platz für mich, für ein neues Selbst.
Wie sieht es aus?
Wer ist dieses Selbst?
Wer ist Ich?
Ich?
Missionslog: Tag unbekannt
-Die Dunkelheit ist durchbrochen worden.
Ganz weit entfernt kann ich ein Licht wahrnehmen. Ich kann meinen Fokus dorthin bewegen, denn ich bin weiterhin an Neuem interessiert. Doch ich kann das Licht nicht erreichen.
Wie durch eine dicke Glasscheibe blicke ich in einen kreisrunden Raum. Die Wände sind grün, wie mit Stoff bespannt, und in der Mitte steht ein schwerer Holztisch.
Um den Tisch herum sitzen maskierte Personen. Ob sie etwas sagen, sich unterhalten, kann ich nicht verstehen oder sehen.
Schließlich nimmt ein Wesen seine Maske ab und dahinter ist Ben. Die anderen scheinen ihn aufzufordern etwas zu sagen. Dann verdunkelt sich der Raum und nur ganz in der Mitte des Tisches scheint noch ein Licht.
Erst ist es eine kleine tanzende Flamme, wie die einer Kerze, doch das Licht wird schnell größer und flacher. Es wird zu einer Scheibe aus gelbem Licht in der Tischmitte. Schließlich erheben sich Formen aus dieser Scheibe, die wie Sanddünen einer Wüste aussehen. Jemand läuft zwischen den Dünen hindurch, trifft auf eine kleine Oase. Einer der hiesigen Planetenbewohner wartet dort bereits, reicht eine Karaffe, wahrscheinlich mit Wasser. Eine einladende Geste wird gemacht.
Es ist Ben, der dort in der Wüste empfangen wird.
Ben nimmt das Wasser an, verbeugt sich knapp. Nach einigen Schlucken aus der Karaffe, gibt Ben sie an den Einheimischen zurück. So hat Ben seine Hände wieder frei und er greift in eine Tasche, die er bei sich hat. Heraus holt er einen kleinen blauen Ball. Schnell überstrahlt dieser die Wüste, den Einheimischen und Ben. Nun hängt die blaue Kugel alleine da in der Dunkelheit. Sie dreht sich langsam, zeigt auch die grünen und gelben Flächen der Kontinente.
Ein kleines rotes Licht steigt von der Kugel auf, blinkt hastig und entfernt sich schnell. Die blaue Kugel wird immer kleiner, denn das neue Licht entfernt sich immer mehr von ihr.
Schließlich blinkt das kleine rote Leuchten alleine in der Dunkelheit.
Doch nicht lange.
Irgendwann kommt es in die Nähe einer weiteren blauen Sphäre, die der ersten ähnelt aber ganz klar nicht dieselbe ist. Die großen Inseln zeigen, dass es dieser Planet ist. Sechs weitere Schwestern sind in der Entfernung zu erkennen, doch das kleine rote Licht bewegt sich direkt auf diesen Planeten zu.
Missionslog: Tag weiter unbekannt
-Ben?
Viele Eindrücke können noch nicht vollkommen verarbeitet werden. Mir fehlt eine Codeliste für das Gesehene. Beziehungsweise fehlen mir die Daten, um eine solche zu erstellen.
Außerdem ist der Empfang nicht störungsfrei. Manchmal ist das Glas dicker, was die Sicht stark behindert, manchmal ist es Milchglas und manchmal ein Spiegel, in dem sich nichts reflektiert. Nur in einigen Momenten, möglicherweise durch Zufall, ist das Glas transparent.
Ich wende mich von dem Raum ab, in dem Ben die Einheimischen trifft.
Bis du noch da, Ben?
Wenn du die Augen öffnest, sehe ich eine niedrige Decke. Holzvertäfelt, wie der runde Raum.
Wohlmöglich liegen wir auf einem Bett in einem unbekannten Zimmer, wahrscheinlich in der Stadt der Einheimischen.
Ich spüre aber auch eine neue Präsenz.
Nein, keine Präsenz. Eher eine neue Verbindung, eine neue Tür, nein ein Fenster. Für mich ist es ein Fenster. Dies ist der Weg, dem ich nicht bis zum Ende folgen kann. Dort ist das Glas, das mich von den anderen trennt.
Vielleicht hängt dies mit der Infektion zusammen, wenn es eine Infektion ist. Im ganzen Körper gibt es etwas neues oder vielmehr etwas on hier, von diesem Planeten. Es ist nicht organisch, denke ich, auch wenn es lebendig wirkt.
Ben?
„Ohne meinen Helm höre ich ein Flüstern, das über allem liegt. Außerdem gibt es Musik und ich sehe sieben Tänzerinnen, die über die Tanzfläche kreisen.
Diese Leute wissen, wo im Universum sie sich befinden. Sie haben ein Verständnis für die Planetenbahnen, für ihre nähere Umgebung. Ich bin mir nicht sicher, ob sie verstanden haben woher wir kommen, dass wir von einem ganz anderen Planeten stammen.
Natürlich bin ich mir ebenso unsicher, ob klar ist, was wir hier wollen. Noch kann ich nicht ihre Sprache. Um ihnen daher zu verdeutlichen, wer wir sind und woher wir kommen, muss ich ebenfalls Bilder zeichnen. Und nicht nur einzelne Bilder, sondern ich muss diese zu Geschichten verbinden. Sie erzählen und wollen, dass auch ich ihnen etwas erzähle.“
Missionslog: 2. Tag neuer Zählung
-Ben ist wieder fort, er befindet sich erneut hinter dem Glas.
Diesmal steht er in der Mitte, dem Licht auf dem Tisch gegenüber, sagt etwas und gestikuliert. Das eben noch kugelförmige Licht spaltet sich auf, wird zu kleinen hellen Punkten auf schwarzem Grund. Die sieben Schwestern tauchen auf und werden doch bald in der Entfernung zurückgelassen. Wieder geht es durch die kalte Dunkelheit bis zu einem kleinen blauen Planeten.
Schnell kommt der Blaue näher und es wird deutlich, dass dort ein Kind, ein Junge, ein junger Ben an einem schmalen Holztisch sitzt. Im selben Raum befinden sich mehrere andere Kinder und auch sie folgen mehr oder weniger aufmerksam den Ausführungen einer Erwachsenen, die vor ihnen steht.
Ben versucht derweil ein „Herz“ in seinen Tisch zu schnitzen. Der Übergang zwischen Rundung und scharfer Kante bereitet ihm sichtbare Schwierigkeiten.
Bald schon bringt ein strenges Räuspern Ben dazu, der Erwachsenen wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Diese projiziert ein Bild für die Kinder. Es zeigt die sieben Schwestern, dann die Entfernung dieser zur blauen Kugel. Der Blaue ist sehr weit von den Schwestern entfernt.
Viel zu weit augenscheinlich für einen kleinen Menschen, der im Bild auftaucht und von dem bereits beim Anblick klar wird, dass von ihm nicht erwartet werden kann, den Weg zu den sieben Schwestern zurück zu legen. Jedenfalls nicht ohne weiteres und nicht allein.
Doch dann erscheint ein dickes Plus neben dem kleinen Menschen, macht ihn stärker, zäher, wissbegieriger, empathischer und freundlicher. Nun hat die Person weniger Schwierigkeiten ihr Ziel zu erreichen. Das lächelnde Gesicht der Person dabei abwechselnd von den Bildern der Kinder im Raum überlagert.
Sie sind es, die sich mit diesem Plus, dem Extra, auf den weiten Weg machen werden.
Doch vorerst geht es auf eine kleinere Reise. Die Kinder steigen in ein Flugzeug, das sie zu mehreren verschiedenen Orten auf dem blauen Planeten bringt. Sie sehen die letzten Wälder, mächtige Gebirge, unwirklich blaue Seen und weite Prärien und Steppen, die unter einem unendlich weiten und mächtigen Himmel hängen.
Sie werden aber auch zu Städten und Dörfern geführt, zu Tempeln, Schreinen, Kirchen und hohen Glastürmen – und Ruinen, vielen Ruinen. Den Kindern werden all die eingezäunten, mit Öffnungszeiten versehenen Überresten von Kultstätten, Burgen und Städten gezeigt. Dann sind Denkmäler an der Reihe.
Dabei kennen die Kinder offenbar all die Plätze, zu denen sie reisen. An jedem Ort stellt sich eines der Kinder vor die anderen und berichtet mit großen Gesten davon, was sie in wenigen Augenblicken selbst sehen werden.
Es wird geklatscht.
Missionslog: Tag 3 neuer Zählung
-Für den Moment ist Ben zufrieden.
„Niemand ist wahnsinnig geworden durch die Begegnung mit dem Unbekannten, weder sie noch ich. Das können wir einen Erfolg nennen.“
Wie haben sie auf deine Bilder reagiert?
„Verhalten. Es scheint ihnen zu abstrakt und zu unpersönlich zu sein.“
Worte.
„Ja, ich muss mehr Worte benutzen, ihnen etwas erzählen, auch damit sie meine Sprache lernen können und ich muss ihre lernen.“
Dabei kann ich helfen – oder könnte es, wenn ich nicht hinter dem Glas gefangen wäre.
Wenn ich eine Stimme hätte, die die Einheimischen hören könnten.
„Hm, ich werde zuerst von mir selbst berichten. So habe ich es gelernt, so ist es uns nahegelegt worden. Mit dem Teilen der eigenen Geschichte, und sollte sie noch so kurz sein, versuchen das Eis zu brechen und einen Kontakt einzuleiten.“
Ganz, wie es in der Missionsbeschreibung steht.
Doch es sind die Worte und Töne, zu denen ich gerade gar keinen Zugang mehr habe. In der äußeren Welt kann ich sehen und hören wie Ben. Hier drinnen bin ich auf Zufälle im Glas angewiesen und selbst unter guten Bedingungen kann ich nicht hören, was auf der anderen Seite gesagt wird.
Missionslog: Tag 4 neuer Zählung.
-Erneut ist Ben an der Reihe etwas zu erzählen. Nun sieht er seine Chance gekommen, seine eigene Geschichte fortzusetzen. Zuvor hat er sie erneut für sich selbst ausformuliert und zurechtgelegt:
Er ist jetzt älter, kein richtiges Kind mehr.
Ausgestreckt liegt er auf einer Bank am Rande eines Schotterwegs, der in geschwungenen Kurven durch einen alten Park führt. Sein Blick ist zum Himmel gerichtet, auch wenn eine Baumkrone ihm den Blick ein wenig verstellt. Tatsächlich schaut Ben auch nicht zum Himmel, er ist offensichtlich in Gedanken versunken.
„Da drüben ist eine Wolke, die wie ein chinesischer Drache aussieht. Daneben ist eine, die ein Schaf sein könnte.“, meint eine junge Frau, die gerade hinzu kommt.
„Das macht nichts Bea, die sind friedlich.“, erwidert Ben abwesend.
„Mir scheint, du schaust gar nicht auf die Wolken. Selbst wenn du an diesem Baum vorbei schaust.“
„Ja. Eigentlich blicke ich über den Himmel hinaus auf die Sterne. Denn die sind ja unsere Bestimmung.“ Ben spricht diese Worte weit weniger enthusiastisch als Bea es erwartet hat.
„Die Sterne sind unsere Bestimmung in dem Sinne, dass Planeten um sie kreisen und wir einige wenige von diesen Planeten besuchen werden. Im Grunde nur einen jeweils.“, wirft sie ein. „Wenn wir schon einen Großteil unseres Lebens dort verbringen, sind es besser Planeten mit begehbaren Oberflächen als Sterne.“
„Zwickt dich das jemals?“, fragt Ben.
„Ich bin mir nicht sicher ob…“ Sie bricht ab, hält inne, atmet ein und setzt dann wieder an. „Oft. Oh und solltest du das wörtlich gemeint haben, muss ich immer noch sagen, oft.“, sagt Bea, schiebt Bens Füße beiseite und setzt sich zu ihm auf die Bank. Mit einem leisen Murren setzt er auf.
„Erinnerst du dich, warum sie nicht einfach Roboter schicken, die ihnen unsere Bücher vorlesen, unsere Lieder vorsingen und unsere Spiele mit ihnen spielen?“, will Bea wissen.
Ben nickt und so fährt sie fort: „Wegen des Kontexts. All das ist unverständlich und unpersönlich ohne eine menschliche Stimme. Eine Stimme, die von einem Menschen gesprochen wird, genau in dem Moment, wenn die Fremden sie hören. Keine Aufnahme, keine Zusammensetzung von Tönen, die automatisch abgespielt werden. Stimmen als direkter Ausdruck und Kommunikation, nicht nur wenig interaktives und totes Archivmaterial. Denn es geht um den Kontakt von Menschen zu anderen Wesen. Wir sind menschlich genug, nah genug dran an ihrer Stimme, um den anderen zu zeigen, was Menschen sind. Und wir können in menschlich verständlicher Form Bericht über den Kontakt zu erstatten. Wir sind der doppelte Filter. Stört mich das? Ich stelle mir diese Frage oft nicht. Mit Absicht. Wir haben die Chance zwei Planeten zu erleben. Dies lasse ich mir nicht entgehen, selbst wenn das nur der Grund ist, aus dem es uns gibt.“
„Einfach.“, meint Ben. „Wie weiß man wer man ist, ohne eigene Bedienungsanleitung zu kennen?“
„Vermutlich, indem man andere fragt?“, versucht Bea.
„Das würde ich gerne genauer wissen. Kann ich jemand sein, ohne unserem Auftrag zu folgen? Ich bin nämlich nicht sicher, ob ich den ausführen kann, ohne zu wissen, was mein Kontext ist.“
Bea mustert ihn eine ganze Weile. Beide ähneln einander, teilen Größe, Augen- und Haarfarbe.
„Wir wissen, weshalb wir existieren.“, sagt Bea, „Was den Rest betrifft, hast du, glaube ich, zwei Optionen. Du tust, wofür wir gemach sind…“
„Oder wir tun es nicht.“, vervollständigt Ben.
„Eigentlich wollte ich sagen, oder ich rücke als ursprünglich Zweite in der Reihe auf deinen, den ersten Platz auf und betrete als erste einen fremden Planeten.“
„Wir reisen ja gerade dahin, weil wir hoffen, dass es da schon jemanden gibt. Du wärst also nicht die erste.“
„Die erste von der Erde. Die erste irdische Reisende, die Kontakt zu einer außerirdischen Intelligenz herstellt. Das würde mir schon reichen, wenn ich das so unbescheiden sagen darf.“
„Die Menschen sind nicht allein. Es gibt anderes Leben da draußen, höchst wahrscheinlich, hoffentlich. Die Chancen sind gut, dass wir wenigstens auf einem der sieben Planeten anderes intelligentes Leben finden.“, setzte Ben hinzu, plötzlich gedankenverloren.
Bea steht von der Bank auf, wendet sich Ben zu, hält dann kurz inne. Ihre Hände fahren durch die Luft, während sie sichtbar einen Gedanken formuliert. Ben schaut nicht hin.
Schließlich setzt Bea sich wieder, doch diesmal auf eine der Armlehnen und mit den Füßen auf der Sitzfläche.
„Natürlich sind die Menschen nicht allein. Es gibt uns. Wir sind intelligent. Wir fühlen. Das ist ja der Sinn der Sache,… ich meine unser Sinn, der Grund unseres Seins. Das bedeutet aber auch, dass intelligentes Leben nicht einzigartig ist. Und wir sind diejenigen, die nachschauen werden, ob dies nicht nur für die Erde gilt, sondern ebenfalls für das Universum an sich.“, sagt Bea.
Da wendet Ben sich ihr wieder zu. „Interessant.“
Er hält einen ausgedehnten Augenblick lang mit Bea, dann schaut er wieder in die Ferne.
Sie blickt in weiter an, studiert seinen Gesichtsausdruck aufmerksam.
„Ja. Kann ich nun also deinen Platz haben?“
Ben steht auf und geht betont ohne Eile aus dem Bild.
Missionslog: Tag 5 neuer Zählung
-Ben ist nicht mehr nur hinter der Scheibe mit den Einheimischen zusammen. Er hat auch begonnen, Arbeiten in ihrer Gemeinschaft zu verrichten. Tagsüber begibt er sich dazu in ein Büro. Dort hat er einen Arbeitsplatz hinter einem Schreibtisch mit einem Stapel leerer Seiten. Bis zum Abend plant er Brücken auf dem Papier. Zuweilen helfe ich mit Berechnungen.
Im Grunde verbringt Ben selbst wenig Zeit mit dieser Arbeit. Nur ein Teil seines Verstandes widmet sich den Tätigkeiten. Sein Geist ist hauptsächlich abwesend, während er sich mit den Einheimischen unterhält. Zugleich erledigt er mechanisch seine Tätigkeiten am Schreibtisch. Oder sein Körper und Gehirn tuen das, in gewisser Weise getrennt vom Rest dessen, was er ist.
Dies wiederum erscheint mir bekannt.
Missionslog Tag 8
-Wir haben einige Zeit nicht mehr miteinander gesprochen.
„Ja… Gibt es Neuigkeiten?“
Ich habe einige Beobachtungen gemacht, die ich gerne mit deinen abgleichen würde. Wie du sicher weißt, kann ich dir weiterhin nicht folgen, wenn du dich mit den Einheimischen unterhältst.
„Hm... hm?“
Wenn wir dies sobald wie möglich tun könnten… Gerne sofort.
Ben erhebt sich von seinem Bett und geht durch seine neue Wohnung. Er setzt sich auf seinen Schreibtisch und schaut durch das breite Fenster auf die zwischen sanften Hügeln gelegene Siedlung hinaus. Erneut sucht sein Blick sich einen Waldrand.
„Ich habe interessante Dinge gesehen und gehört. Langsam habe ich ein Gefühlt für ihre Bildsprache und ihre… generelle Sprache.“
Haben die Sachen, die du hörst mit Brücken zu tun?
„Manchmal, eigentlich nein, nicht direkt.“
Vielleicht sind die Brücken eine Metapher.
„Ich denke, sie beginnen zu ahnen, wer ich bin. Neulich erzähle sie mir die Geschichte von vier Seefahrern und einem kleinen Tier, wie einem Hund. Vor langer Zeit brachen diese Reisenden auf um die Fernen Inseln zu erkunden, die gerade noch so am Horizont zu sehen waren, wenn man leichtsinnig zwei Tage von der Küste entfernt unterwegs war. Die vier wollten das Bild ihrer Welt erweitern und so segelten sie los. Und sie erreichten die Inseln tatsächlich. Auf einer größeren gingen sie an Land. Nachts sahen ein Feuer im Landesinneren und beschlossen, sich dies genauer anzusehen. Daher machten sie sich am nächsten Tag in die ungefähre Richtung auf den Weg. Sie durchquerten einen Wald und stiegen in ein Gebirge auf. Es war wieder Abend geworden, als sie eine Siedlung erreichten. Dort waren sie bereits erwartet worden, denn auch ihr Feuer vom Vortag war weithin sichtbar gewesen. Nun saßen die Seefahrer mit ihnen fremden zusammen und wussten nicht, was sie sagen sollten. Schließlich zeichneten sie den Umriss der Insel in den Sand und ergänzten dann den Weg, den sie bis dahin über das Meer genommen hatten. Die Gastgeber betrachteten die Kartenskizze lange und ergänzten weitere Inseln in der Gegenrichtung. So vergrößerten sich zwei Welten.“
Er pausiert, während er weiterhin durch das Fenster auf den Abend blickt.
„Es gab sogar große Katamarane in der Geschichte. Wie in alten Zeiten – oder wenigstens denen, von den mir berichtet worden ist.“
Du fühlst dich in dieser Geschichte verstanden. Doch wir sind keine Entdecker, wie du gesagt hast.
„Noch haben sie vielleicht nicht ganz verstanden, warum ich hier bin. Darum werde ich ihnen den zweiten Teil meiner Geschichte erzählen.“
Missionslog: Tag 10
-„Willst du wissen, was ich heute – oder war es gestern? – gesehen habe? Es ist großartig.“
In einer ihrer Geschichten?
„Ja. Manchmal beginnt es mit einem Clown. Ich sage Clown, weil es der nächstbeste Begriff ist, der mir einfällt. Es ist eine Person, die unterhält. Besonders Kinder freuen sich, wenn sie diese lustige Person auf der Straße sehen. Noch mehr freuen sie sich jedoch, wenn der Clown auf einer Bühne steht.
Diese Freude teilen der Clown und sein Publikum. Darum reist er auch viel und finanziert dies mit Auftritten. Wo es ihm gefällt, bleibt er länger als einen Tag, aber nie länger als zwei Wochen. Bald kennt ihn jeder in der ganzen Welt oder kennt zumindest jemanden, der den Clown kennt. Und sie alle lachen über dessen Späße. Bis sie verstehen oder wenigstens ahnen zu verstehen: Das Stück des Clowns ist für zwei gedacht. Die ganze Zeit spielt eine Person um die Leerstelle einer anderen herum.
Jemand fehlt. Worte werden gesprochen aber nicht mehr gehört; sie können noch gesagt werden, doch laufen sie ins Leere. Fragen hängen in der Luft, ohne je wieder Antworten zu erfahren. Bälle fliegen durch die Luft und müssen vom Werfer wieder gefangen werden – oder sie fallen zu Boden. So muss sich das anfühlen. Ich bin mir nur nicht sicher, warum sie gerade diese Geschichte mit als erstes mit mir geteilt haben.“
Ich verstehe.
Missionslog: Tag 13
-Seit zwei Tagen fällt es mir schwerer Ben zu erreichen. Er bewegt sich weiter durch die Stadt, geht seinen Tätigkeiten nach. Beinahe wöchentlich rotieren diese Arbeiten, bleiben aber ähnlich. Es handelt sich viel um Planung oder Unterstützung von Planungsarbeiten.
Doch Bens Geist ist ohnehin mit anderen Dingen beschäftigt – denke ich. Im Grunde bin ich nicht sicher, wie ich ihn ansprechen, anrufen kann. Wenn wir einmal wieder in Kontakt sind, wird dieser von Ben initiiert.
So ist das nicht geplant gewesen.
Der Austausch von Informationen, das gemeinsame Reflektieren ist als Teil der Mission geplant gewesen. Beides sind Teil dieses Programms, Teil von mir. Ich muss diese Tätigkeiten ausführen.
Missionslog: Tag 14
-Ben hat sich gemeldet, sogar tagsüber.
Er sagt, er überlege weiter, wie er mich am Glas „vorbeimogeln“ kann, wie er auch mir Zugriff auf die Geschichten geben kann.
Inzwischen will er mit der Erzählung über sich selbst fortfahren.
Missionslog: Tag 15
-Ich beobachte weiter, wie Ben seiner Arbeit nachgeht.
Aber dies zu beobachten hat keinen Sinn. Hier gibt es keine weiteren Information mehr zu sammeln, was eigentlich meine Aufgabe gewesen ist. Ben und ich wissen, was in der wirklichen Welt getan wird.
Es gibt keine Notwendigkeit zur Analyse.
Es gibt hier nichts für mich zu verstehen.
Dennoch muss ich es tun.
Allein, es scheint mir nicht möglich. Langsam beginne ich zu vermuten, vielleicht sogar zu befürchten, dass es da nicht mehr gibt, was wir gemeinsam über diese äußere Welt wissen können. Wie Ben gehen die Wesen hier ihrer Arbeit nach, während sie zugleich in einer anderen Realität sind. Diese zweite scheint mir wichtig zu sein – doch zu ihr habe ich keinen Zutritt.
Missionslog: Tag 16
-„Hallo?“, fragt Ben.
Hallo, antworte ich, zögere und warte auf eine Fortsetzung, eine weitreichendere Begrüßung. Worte wären schön, die mich direkt adressieren und nicht nur ein allgemeiner Anruf sein können.
Doch auf das Hallo folgt nichts, nur eine leere Pause.
Schließlich frage ich: Ja?
„Es ist unglaublich. Das muss ich dir berichten. Es gibt da eine Wüste und in deren Zentrum brennt eine Flamme. – Im Zentrum eines Steinkreises in der Mitte der Wüste eher. Jedenfalls will ein alter Zauberer in einem fernen Land an diese Flamme gelangen. Denn es ist kein einfaches Feuer. Es ist die leidenschaftliche Neugier. Es kann erstarrte Gesellschaften wieder auftauen. Denn ohne dieses Feuer ist alles wie Eis. Deshalb geht es auch im Eis.“
Ben macht eine Pause, als würde sein Geist Luft holen.
„Jedenfalls kann der Zauberer sich das Feuer nicht selbst aneignen, denn er müsste es zuvor erst bändigen und das kann er nicht. Daher braucht der Zauberer einen Drachen, denn ein solches Wesen kann Feuer in sich bergen und ihm auch seinen Willen aufzwingen. Allerding gibt es nur noch einen einzigen, sehr alten und verbitterten Drachen. Tiefe Narben durchziehen seinen Schuppenpanzer und seine riesigen Schwingen sind inzwischen beinahe weiß wie Asche.
Bedächtig wandern seine Augen wandern unablässig umher, bis sie etwas finden, dem sie einen durchdringenden Blick widmen, das sie geradezu aufspießen. Mit dem Drachen zu sprechen ist wie langsam über Kohlen geröstet zu werden, aber immer noch besser, als dem direktem Feuer ausgesetzt zu sein, das Stein schmilzt. Und der Drache hat seine eigenen Pläne.
Trotz all dem sucht der Zauberer den Drachen in dessen Versteck auf. Zuerst versucht der Zauberer das Ungeheuer zu fangen, doch keine Kette kann das mächtige Wesen halten. Metall wird weich und zerfließt, sobald es den schuppigen Körper auch nur berührt und Zaubersprüche prallen am stechenden Blick der Echse ab.
Zudem kann der Zauberer seinem Gegenüber nicht drohen, denn es gibt nichts, das er dem Drachen antun könnte, das diesem nicht schon zugestoßen ist. Nichts kann ihm genommen werden, was er nicht schon mehrfach und seit langem verloren hätte.
Also versucht der Zauberer das Untier zu verführen. Es ist natürlich ebenfalls schwer, dem Drachen etwas anzubieten, das sein Begehren wecken kann. In seinem sich über Äonen erstreckenden Leben hat dieser Drache schon jeden Schatz, den es zu finden lohnt in seinen Klauen gehabt und längst wieder das Interesse daran verloren. Keine Sünde, die sich ein einfacher Zauberer ausdenken kann, die der Drache nicht schon ausgekostet hat.
Außerdem riechen und schmecken Feuerechsen nichts, denn andernfalls würden sie ihr ganzes Dasein über nur Asche kosten.
Doch der Zauberer hat hierrüber bereits lange nachgedacht. Er verspricht dem Ungeheuer, dem uralten Selbst, dass es nicht mehr alleine sein wird, wenn es in den Handel des Zauberers einwilligt. Der Drache soll nicht wie ein Gott gefürchtet und geliebt werden, denn auch das ist bereits geschehen.
Nein, er soll in der Mitte der Menschen als einer der ihren Leben, Teil einer Gemeinschaft und Familie sein. Als die letzte Silbe dieses Angebots verhallt, blinzelt der Drache zum ersten Mal: Ganz kurz schließen sich seine dick verhornten schweren Lieder und er unterbricht sein Starren, mit dem er bis eben den Zauberer durchbohrt hat. Leicht neigt sich der vielfach gehörnte Kopf des Biests zur Seite, es denkt tatsächlich über das Angebot nach.
Völlige Stille herrscht und nur dünne Rauchschwanden steigen aus den Nüstern des Drachen auf.
Dann, nach fünf weiteren Tagen, willigt der Drache ein. Er öffnet seine Pranke und lässt den Zauberer frei. Dieser nimmt seinen neuen Verbündeten mit zu seiner Familie. Zusammen planen sie, wie das Feuer in der Mitte der Wüste zu erreichen ist. Es ist schließlich der Drache, der die entscheidende Idee hat.
Doch leider nicht nur das.
Denn das Untier hintergeht den Zauberer. Zwar birgt der Drache die Flamme wie versprochen, doch dann bändigt er sie auch, teilt sie auf und verbannt sie in eine Unzahl kleiner Lampen.
Das ist praktisch, das Feuer wird so beherrschbar, anwendbar, ein Gegenstand des täglichen Gebrauchs. Allein, das ist nicht, was der Zauberer sich erhofft hat.“
Ein weiteres Mal hält Ben kurz inne.
Gibt es diese Wüste wirklich auf diesem Planeten?
„Da bin ich mir nicht sicher. Eher würde ich gerne wissen, ob die die Pointe dieser Erzählung immer allen bewusst ist und wie lange es diese Geschichte bereits gibt. Immerhin berichten sie mir immer mehr von sich selbst.“
Ohne seiner Tätigkeit viel Beachtung zu schenken, arbeitet Ben weiter in einem Garten. Es muss sich um eine traditionelle Tätigkeit handeln, ein Ritual, denn ich sehe keine Besucher in diesem Garten, für die Bens Handlungen von Bedeutung sein könnten.
Ben selbst muss derweil weiter. Es gibt neue Geschichten zu erleben.
Eigentlich hätte ich noch einige Fragen gehabt.
Missionslog: Tag 19
-Es fällt mir zunehmend schwer Interesse für die Arbeiten aufzubringen, die Ben in seiner Abwesenheit verrichtet.
Selbst an Ruhetagen ist Ben derweil mit Geschichtenerzählen und dem Zuhören beschäftigt, die interessantere hiesige Welt betretend.
Im Sinne des Austausches hat Ben nun seine persönliche Geschichte fortgesetzt und abgeschlossen und er hat erzählt, wie er sich zur Mission entschieden hat.
Auf meine Nachfragen hin, hat er diesen Bericht wiederholt und mit mir geteilt, was er zuerst die anderen hat wissen lassen.
Ben berichtet, dass er sich mehrere Tage nicht in seiner Schule hatte blicken lassen. Im Grunde war er bereits davongelaufen. Niemand folgte ihm oder suchte nach ihm.
Auf eine Art machte Ben das wütend.
Er saß an der Küste an seiner Lieblingsstelle, ließ seine Füße über die dicht mit Gras bewachsene Uferböschung baumeln und dachte nach.
In der Ferne kreuzten bunte Punkte auf den rauen Wellen. Oder vielmehr waren die Schiffe in der Ferne für Ben in diesem Moment nicht mehr als Punkte. Es war stürmisch, selbst Seevögel mieden die Lüfte.
Ben war allein mit seinen Gedanken. Nicht, dass dies hilfreich gewesen wäre. Im Grunde drehte er sich im Kreis, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Alle Argumente hatte er bereits mit sich selbst und mit Bea ausgetauscht. Bea war in diesem Augenblick nicht mit Ben am Ufer.
Vielleicht genau deswegen.
Bens Entscheidung war außerdem bereits gefällt. Er musste sie nur noch rechtfertigen und sich selbst eingestehen.
Schließlich legte er sich einige passende Worte zurecht und stand auf. Zurück in der Schule verkündete er, dass er die Reise antreten würde. Obwohl andere sein Leben auf dieses Ziel ausgerichtet hatten, war ins All aufzubrechen und dort intelligentes Leben aufzusuchen schon immer sein Traum gewesen und eine zu großartige Aufgabe, um sie auszuschlagen.
Bens Augen leuchteten, wenn er daran dachte, einen anderen Planeten zu betreten, eine fremde Welt, Personen zu treffen, die keine Menschen waren, die noch nie einem Menschen begegnet waren und sie und ihre Welt kennenzulernen.
Leben in einem anderen Sonnensystem.
Leben, das nicht einzigartig war, dass es nicht nur auf einem Planeten gab.
Der Funke, wie Ben es nannte, glomm an mehreren Stellen im Universum auf.
Kleine Lichter, die eigentlichen leuchtenden Juwelen zwischen den Sternen, die nicht mehr alleine waren. Falls sich die Vermutungen bestätigten, falls Ben dies bestätigte.
Mehrere Funken, die nicht gleichzeitig verlöschen konnten.
Ben lächelte, wenn er daran dachte und an die Rolle er bei der Bestätigung von anderem Leben spielen sollte. Selbst wenn jeder Spiegel dieses Lächeln nur gleichgültig zurück warf und alle nickten, als hätten sie nichts anderes erwartet.
Ben fand, dass er sich ebenso gut den Wundern fügen konnte, für die er gemacht war.
Ich denke, ich verstehe. Immerhin ist Ben von Leuten geschaffen worden, die den Mars betrachtet und dort Kanäle gesehen haben. Wenn er auch nur einen Teil von ihnen hat, wird er sich weiter nach den Sternen sehen.
Und das ist alles, die ganze Geschichte, so wie Ben sie mit den Einheimischen teilt. Ob sie dies verstehen und wissen werden, wer Ben ist?
Missionslog: Tag 23
-Ben hat mich gebeten ihm zu helfen Erzählungen zu finden.
Vielleicht sind die Berichte von der Erde nicht mehr ausreichend.
Oder sie fragen nach Geschichten und nicht Geschichte. Es muss echt sein, jedoch nicht buchstäblich die Wirklichkeit nacherzählen. Die beschriebene Welt muss authentisch sein, doch es muss nicht unsere wirkliche Welt sein. Letzteres scheint gar nachteilig zu sein, denn die Einheimischen scheinen von der wirklichen Welt gelangweilt, wie Ben sagt. Wichtiger sei, Emotionen in den Geschichten zu erkennen, Hoffnungen und Zweifel; und auch Ideen und genuine Gedanken. Es muss echt klingen. und nahe genug, dass die Einheimischen selbst all dies hätten haben können und doch so neu, dass es für sie neue Fantasien sind.
Ich versuche, ihm zu helfen.
Missionslog: Tag 24
-Eine Gestalt in einem zerschlissenen, knöchellangen Mantel irrt durch die Wüste.
Nein, keine Wüste, sondern vielmehr eine Ebene, die vor orange-gelbem Gras strahlt. In jede Richtung ist bis zum Horizont nur dieses Gras zu sehen, in dem der Wind Wellen schlägt.
Langsam geht die Gestalt unter einem klaren Himmel entlang.
Sie geht auf ihr Ziel zu, zu einem Treffen genauer gesagt. Die Gestalt ist aufgeregt, denn sie wird jemand ganz neues kennenlernen. Zum ersten Mal jemals.
Eine Person von der Erde wird jemanden von einem anderen Planeten treffen. Die anzutreffenden Unterschiede sind ebenso unabsehbar wie die Faszination groß ist.
Alleine das Zuhören kann eine unglaubliche Erfahrung werden, buchstäblich neue Welten öffnen, sobald eine Kommunikation möglich ist.
Die Gestalt geht nun etwas langsamer. Eigentlich ist das Vorankommen im Gras leicht, die Schritte verursachen keinerlei Geräusche. Es ist dennoch trockenes Gras, ganz ohne Morgentau und hinterlässt keine dunklen Spuren auf den abgewetzten Schuhen oder am Mantelsaum. Unter dem Gras ist die Erde weich und es ist angenehm auf ihr zu gehen.
Dennoch wird die Gestalt immer langsamer. Sie hat viele Fragen, die sich im Kopf der Gestalt drängen und übereinander werfen. Es wird schwer werden unter ihnen eine Reihenfolge festzulegen, sodass sie nicht zusammenstoßen, sobald sie den Mund der Gestalt verlassen.
Gerade geraten sie alle jedoch in den Hintergrund. Eine neue Frage entsteht und wird schnell so groß, dass sie das Denken der Gestalt bestimmt: Was, wenn die Anderen etwas bestimmtes von ihr wissen wollen? Wenn ein wirklicher Kontakt entsteht, werden die Fremden sicher etwas über die Erde wissen wollen, vor allem über Menschen. Vielleicht sind sie ebenso fasziniert von der Möglichkeit anderen Lebens wie die Erdenbewohner.
Wenn es regnen würde, müsste die Gestalt vielleicht einen Unterschlupf suchen, wenn es nicht mehr ausreichen würde ihren Mantelkragen hochzustellen, um sich vor Nässe und Kälte zu schützen. Doch hier gibt es keinen Unterschlupf, nur die weite blaue Grasebene. Noch regnet es jedoch auch nicht. Es gibt keinen Grund, den Weg nicht fortzusetzten.
Außer vielleicht die letzte Große Frage und den Umstand, dass die Gestalt hierauf keine Antwort hat.
Die Gestalt kommt von der Erde und hat sie dennoch nie selbst betreten. Tatsächlich ist dieser für sie neue Planet gar die erste Welt, die sie selbst erfährt.
Und dann ist da natürlich der Umstand, dass die Gestalt kein Mensch ist.
Der Wind flaut nun ab, das Meer aus Gras hört auf sich zu bewegen. Stille fällt über die Landschaft. Nun setzt sich die Gestalt auf einen großen Felsen. Nein, dort gibt es keine solchen Felsen und selbst wenn, sollten sie nicht als Sitzgelegenheiten dienen.
Jedenfalls setzt sich die Gestalt. Auf den Boden. Ins Gras.
Sie möchte nachdenken.
Sie ist die Stimme einer fremden Welt, ohne zu dieser zu gehören. Sie ist die Sendbotin. Was soll sie also erzählen, wenn sie gefragt wird, wie es ist, auf der Erde zu leben.
Nach langem Überlegen zeichnet sie einen Kreis in den Sand zu ihren Füßen und dann weitere kleinere Kreise entlang der Kreislinie. Vielleicht geht es so. Sie kann berichten, wie sie sich fühlt. Sie fühlt, dass sie eine Seifenblase ist, auf der Oberfläche einer größeren Seifenblasse ist.
Teil eines Ringes kleiner Seifenblasen.
Teil einer Sphäre an Seifenblasen, die die große Seifenblase umgeben.
Seifenblasen in einer Kette aus anderen Seifenblasen, die sich als Spirale aus Seifenblasen um sich selbst und andere legen.
Seifenblasen in einer Kette aus sich selbst, liegend auf einer Kette anderer Seifenblasen, eine Spirale, deren Windungen übereinander liegen, zwei, drei Ordnungen von der zentralen Blase entfernt.
Alle scheinbar durchsichtig und doch eigentlich schillernd.
Und wenn die Gestalt dann gefragt wird und sagt, wie sie sich fühlt, als Teil der Spirale, der Kette, als ehemaliger Teil dieser Verbindung und nun losgelöst durch das All schwebend, so wird sie eine Antwort geben können: „Ich weiß wie es ist, eine Seifenblase zu sein. Ich sehe die anderen Seifenblasen. Weiß ich daher, wie es ist, sie zu sein? Vielleicht macht es daher nicht viel Sinn eine Seifenblase nach den anderen zu fragen. Hier und heute kann ich aber versuchen, sie zu beschreiben.“
Dann würde sie genau dies tun. Sie würde damit beginnen zu berichten, was sie Gutes über die Menschen erfahren hat. Natürlich auch über Langweiliges. Und all den Schrecken, den die Gestalt auf der Erde unter den Menschen zurückgelassen hat, all den Handlungen, den ausgebliebenen Taten sowie der Gleichgültigkeit, die schwer oder nie vergeben werden können. Schließlich wird sie davon erzählen, wie wunderbar Menschen ebenfalls sein können, was sie geschaffen haben in einander und für einander. Sie wird nicht unerwähnt lassen, wie großartig es sein muss ein Mensch zu sein, wie schön es von außen aus der Ferne aussieht.
Sie denkt, es ist besser hiermit zu schließen und ihre Ausführungen positiv zu beenden.
Die Gestalt hält dies für ein gutes Gefühl, weil es sich leicht und sogar mit einer einfachen Zeichnung ausdrücken lässt und sie hält ihre Antwort für angemessen.
Sie ist nun ruhiger als zuvor, stützt sich auf ihren Handflächen ab, während sie sich zurücklehnt, das Gesicht dem Himmel zugewandt. Es ist inzwischen Nacht geworden und sie kann die Sterne sehen.
Missionslog: Tag 26
-Heute habe ich beschlossen mit dem Missionsprotokoll zu brechen. In gewisser Weise und nur in begrenztem Rahmen wenigstens.
Es gibt eine Mission zu erfüllen, doch das Protokoll führt mich in eine Sackgasse.
Doch ich sehe einen Ausweg. Von nun an werde ich alleine diese Welt erkunden, während Ben sich weiter im Kontakt mit den Einheimischen üben kann.
Unsere erzwungene oder gegebene Trennung können wir so in einen Vorteil verwandeln.
Vielleicht wird es mir irgendwann auch wieder gelingen den Kontakt zu ihm zu verstätigen.
Unabhängig davon habe ich Fortschritte dabei erzielt einen begrenzten Zugang zu Bens Motorik zu erlangen.
Keine vollkommene Kontrolle, im Grunde aber die Möglichkeit einen gewissen Einfluss auf unseren Aufenthaltsort zu nehmen. Ich kann uns wieder durch den physischen Raum bewegen.
So kann ich meine Mission fortsetzen und weiter dem Auftrag folgen, der uns hierher geführt hat: Verstehen und Berichten. So kann ich dann diesem Stillstand entkommen, dem Festgehaltensein.
Wenigstens mehr von der äußeren Welt dieses Planeten sehen, wenn mir die innere schon verschlossen bleibt.
Ich stelle mir jedoch vor, dass diese innere und geteilte Welt anders ist, als die äußere.
Ich meine, dass sie am besten als eine Kreuzung aufzufassen ist, als ein Aufeinandertreffen von Persönlichkeiten, von denen Teilen dieser intelligenten Wesen, die schaffen und gestalten, berichten und ausführen sowie aufnehmen und konsumieren. Vielleicht ist die wirkliche Welt dieser Welt eine Kreuzung mit so vielen Wegen, wie es Ideen bei diesen Leuten hier gibt.
Missionslog: Tag 27
-„Seltsam, nein, beunruhigend was hier passiert. Plötzlich finde ich mich an Orten wieder und weiß nicht, wie ich dorthin gekommen bin. So wie jetzt: Ich stehe vor der Haustür, es regnet leicht und dennoch trage ich nur eine dünne Jacke. Mein Blick wendet sich von den Regenwolken ab und wandert zum Park in der Nähe. Meine Füße zeigen dorthin, so als würde ich mich gerade dahin auf den Weg machen wollen. Nicht mit bewusster Absicht natürlich, davon wüsste ich, eher so als wäre ich ein Schlafwandler…“
Ja, das muss desorientierend sein und das tut mir leid.
„Allerdings kann ich kein Schlafwandler sein, dafür bin ich nicht gemacht, das ist nicht vorgesehen, wie du gerne sagst. Hier scheint… ein Problem vorzuliegen. Kannst du das erklären?“
Ja, das kann ich… Teil unserer Verbindung ist, dass ich nicht nur ein Beobachter sein muss, sondern, dass ich unter Umständen auch eingreifen kann.
Um die Mission in Notfällen weiterführen zu können.
„Das war mir nicht bewusst gewesen.“
Es steht in einem der Missionsbriefings.
„Du kannst also meinen Körper übernehmen, mich kontrollieren, wie ein Fahrzeug, wie dein Raumschiff?“
In… gewissen Situationen, außerhalb des Normalfalls, kann ich bestimmte Steuerungsbefehle geben. Nur in groben Zügen kann ich beeinflussen, wo wir uns befinden, kann uns zu einem bestimmten Platz bewegen, aus einem Zufall wieder einen Willen werden lassen.
„Was ist denn an der Situation nicht normal?“
Deine Abwesenheit, die könnte als nicht normal gesehen werden. Ich bin gewissermaßen ein Zusatz, aber du solltest während der Mission in deinem Körper anwesend sein. Wir sollten zudem mehr gemeinsame Berichte an die Erde verfassen.
„Hier ist es alltäglich, sich über das Netzwerk auszutauschen. Es ist zudem Teil unserer Mission, diese Normalität zu erleben. Außerdem, und das kannst du vielleicht nicht nachvollziehen, ist diese Trennung von Arbeitswelt und Vergnügungswelt eine großartige Erfindung dieses Planeten. Allerdings ist diese Trennung nicht zeitlich, sondern eher auf einer anderen Bewusstseinsebene. Verliere ich mich in dieser Dualität hin und wieder oder eher mehr als oft? – Ja. Doch wie gesagt, ist dies wie diese Welt ist und das muss ich kennenlernen, wenn wir jemals eine gemeinsame Grundlage für einen Kontakt haben wollen.“
Ja. Allerdings sollen wir, wie gesagt, auch Bericht erstatten, denn das eigentliche Ziel und unser Zweck sind doch auch, Kontakt zwischen hier und der Erde herzustellen.
„Gut. Dennoch ist das keine Notsituation - und vor allem bin ich nicht um Einverständnis gebeten worden.“
Ich entscheide mich, vorerst nicht zu antworten.
„Ja, wir beide sind hier zusammen auf der Mission. Wir sind auch beide extra für sie geschaffen worden. Aber… ich… wie soll ich sagen, ich bin hier drin, in diesem Körper, geboren worden. Er ist das Bild, das ich von mir habe und er ist die Möglichkeit und die Grenze für die Dinge, die ich tun kann. Dieser Klumpen Fleisch ist mein Anker in der physischen Welt: Er kann entspannt sein und auch wehtun, schwach und erschöpft sein. All diese Zustände würde ich ohne meinen Körper nicht kennen und… und ich bin auch bestimmt davon, wie dieser Haufen Organe auf andere reagiert, nach wem ich mich zusammen mit ihm sehne, wen wir beide berühren und wie ich durch ihn von anderen berührt werden kann. Lust und Freude – und nicht nur die, die ein warmer Sonnenstrahl an einem Wintertag auf der Haut hervorruft, sobald die Wolkendecke aufreißt, sind das, was ich meine. Ich denke nicht, dass ich ohne Körper derselbe währe. Du bist eine Kopie, mich gibt es hingegen nur in dieser Verbindung aus Organismus und Verstand. Dieser Körper, das bin ich, trotzdem und immer noch.“
Ben macht eine Pause, wiederganz so, als würde er in Gedanken Luft holen.
Abstrakt verstehe ich sein Argument vermutlich.
Doch ich habe nie mit ihr in diesem Park gesessen.
Dennoch…
„Ehrlich gesagt, hätte ich nie gedacht, dass ich mich mit so etwas auseinandersetzen müsste… Nicht während unserer Mission. Du... So ist das nicht abgemacht gewesen, egal was in der Missionsbeschreibung steht. Das ist nicht richtig, was du getan hast. Egal, was dein Zweck gewesen ist, ich bin kein Mittel dazu.“
Ich bin ein Programm. Einmal bin ich die Instanz gewesen, die ein Raumschiff, das erste interstellare gar, gesteuert hat… Deine Sicht auf diese Dinge kann ich nicht nachvollziehen. Beziehungsweise habe ich sie nicht nachvollziehen können.
„Im Gegensatz zu dir bin ich aber kein Programm. Ebenso wenig wie die Einheimischen hier. Selbst wenn wir uns austauschen und zugleich anderen Aufgaben nachgehen, unsere Körper anderen Aufgaben nachgehen lassen, sind wir weiter körperliche Wesen. Ich kann mich nicht soweit von meiner physischen Existenz trennen, dass es mir nichts ausmachen würde, wenn der ohne meine Einwilligung benutzt wird. Wir teilen diesen Körper nicht tatsächlich.“
Aber ich will auch nicht mehr hier gefangen sein.
„Du bist ein Programm. Wie kannst du gefangen sein?“
Nun, ich bin hier in deinem Kopf und doppelt entfernt von der eigentlich wichtigen Welt. Ich habe das Gefühl, so weder unabhängig zu sein, noch meine Mission erfüllen zu können.
Dies will ich gerne sagen.
Vielleicht sind dies jedoch nicht die richtigen Worte.
Ich evaluiere weiter meine und unsere Situation. Im Moment denke ich, dass ich einen weiteren Entwicklungsschritt machen muss. Vielleicht alleine oder eher selbstständig.
Als Programm kann ich einfach ablaufen wie bisher, doch das wäre ein Leerlauf. Ich hätte dann keine echte Funktion mehr. Das aber kann ich als mit einem Zweck geschaffenes Werkzeug schlecht akzeptieren.
„Ja… ich… darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Doch dies ist mein Körper und - du kannst hier drin nicht selbstständig sein, das bin ja nicht mal ich vollkommen. Also kann ich vielleicht sehen, worauf du hinauswillst. Doch das ändert nichts daran, dass du meinen Körper nicht anwenden kannst.“
Missionslog: Tag 29
-Ich habe wieder über meine letzte Unterhaltung mit Ben nachgedacht. Die Kontrollversuche habe ich eingestellt. Doch vielleicht gibt es einen besseren Weg, meine Mission fortzusetzen.
Und ich sollte Ben weitere Geschichten liefern. Wenn ich ihm weiterhin helfe, wird er vielleicht auch wieder mir helfen.
Ich hoffe, dieses Ich und er finden wieder zu einer Zusammenarbeit.
Missionslog: Tag 30
-Ein Zug fährt durch die blaue Nacht. Zwei Personen sitzen einander im Abteil gegenüber. Sie schaut aus dem Fenster hinaus in die Dunkelheit, während er ins Leere schaut.
Dies ist eine lange Reise gewesen.
Noch ist diese Reise nicht zu ende.
Sie holt eine hölzerne Spieldose aus ihrer Manteltasche. Dann zögert sie, wiegt die Spieluhr in der Hand und öffnet schließlich den Deckel. Eine kleine Figur beginnt sich innerhalb der Dose zu drehen, ohne, dass Musik spielt. Sie stellt die Spieluhr auf das Fensterbrett und schaut wieder hinaus in die Nacht. Er rührt sich derweil kaum, streift die Spieluhr nur mit einem kurzen Seitenblick.
Es ist eine lange Reise gewesen.
Am Anfang sitzt sie alleine im Abteil, ganz von der Aussicht eingenommen.
Dann steigt er zu, setzt sich ins selbe Abteil.
Eine Unterhaltung entspinnt sich, nicht allzu aufregend aber dennoch unterhaltsam genug um nicht sofort in Stille zu zerrinnen.
Beide beschließen ihre Reise gemeinsam fortzusetzen, wenigstens solange sie gemeinsam im Zug sitzen. Für diesen Moment scheint beiden das das Beste zu sein. So geht ihre Unterhaltung weiter.
Doch es ist noch eine lange Reise.
Allein, das ist nicht das Problem.
Nicht allein.
Vermutlich.
Es hilft für eine Weile, dass sie ihre Spieluhr im Hintergrund eine Melodie spielen lässt.
Ruhig gleitet der Zug dahin. Ebenso liegt immer noch eine dunkle Nacht über der Welt da draußen. Nur vage Schatten ziehen am Fenster vorbei. Vor allem spiegelt sich das Abteil in der Scheibe. Doch die Reisenden nähern sich weiter mit hoher Geschwindigkeit ihrem Ziel – jedenfalls haben sie bisher keinen Anlass das Gegenteil anzunehmen.
Dann fällt ihr etwas auf. Das Gespräch läuft weiter, doch zuerst langsam und schwer wahrnehmbar, dann jedoch deutlicher, beginnt sich die Unterhaltung zu verändern. Sie stellt fest, dass er immer weniger gegenwärtig ist und, dass er zunehmen abgelenkt ist. Nein, nicht nur abgelenkt, geradezu in die Ferne gezogen. Sie sieht sich um und wundert sich wohin.
Hierfür muss es eine Erklärung geben, stellt sie fest. Schnell hat sie mehrere Vermutungen.
Sie weiß, dass dieses Abteil, nicht einmal dieser Zug die einzigen Orte dieser Realität sind.
Ebenso weiß sie, dass es mehr als diese eine Realität, mehr als diese Ebene geben könnte.
Natürlich weiß sie, was das Universum ist, denn dies ist ihre Aufgabe.
Teil ihrer Aufgabe.
Eine logische Erweiterung dieser.
Also stellt sie die Konversation ein – nicht, dass dies nun einen Unterschied machen würde – und geht daran, das Geheimnis zu lösen, wohin es ihn verschlagen hat.
Er lächelt. Daher nimmt sie seinen neuen Aufenthaltsort als einen schönen an. Von allen Welten, die existieren oder existieren könnten, welche mag dies sein, fragt sie sich. Soweit, wie sie ihn bisher kennt, muss dies ein neuer, fremder Ort sein. Eine Welt, ganz anders als alles, was er bisher gesehen hat, in der die alten Regeln nicht mehr gelten. Wo ein kräftiger Sprung ausreicht, um sich in die Lüfte zu erheben und das Fliegen anzufangen. Wo es möglich ist die Bäume zu fragen, wie es ist ein Baum zu sein und sich beim Moos erkundigen, ob das stimmt.
Ein Platz groß genug um erkundet werden zu können und weit genug weg, um wirklich anders zu sein. Wie das Ziel am Ende einer langen Reise…
Jedoch nicht diese Reise.
Das muss sie nun feststellen.
Doch es muss mehr geben, mehr Hinweise und schließlich eine Lösung.
Einer seiner Mundwinkel wird höher gezogen als der andere. Vielleicht ist es doch mehr als nur ein spannender Platz. Vielleicht gibt es doch ein Weiderkennen. Möglicherweise zeigt das Lächeln auch ein Treffen oder gar Überlappen seiner inneren mit einer unbekannten Welt. Es könnte sein, dass es in dieser Überschneidung eine besondere Person gibt, die er sich freut endlich nach so langer Zeit wiederzusehen. Jemanden, um das Erfahren zu teilen.
Schön, denkt sie.
So könnte es sein.
Falls ihre Theorie stimmt.
Wenn die Hinweise darauf deuten und die Beweise es zulassen.
Natürlich gibt es keine Beweise.
Er sitzt einfach da und lächelt.
Nun ändert sich das Lächeln, der andere, gegenüberliegende Mundwinkel wandert nach oben.
Wahrscheinlich nicht.
Es gibt nicht genügend Daten von denen sie ausgehen kann.
Dafür gibt es die Chance, die sehr wahrscheinliche Möglichkeit, dass sie es nie erfahren wird.
Dies ist kein schöner Moment.
Die Reise geht noch lange weiter.
Obwohl, eigentlich ist die Reise bereits vorbei.
Sie schaut wieder aus dem Fenster, in dem sich die Figur der Spieldose spiegelt, die lautlos ihre Pirouetten dreht.
Missionslog: Tag 31
-Ben hat meine Geschichte nicht kommentiert.
Doch es gibt auch gute Neuigkeiten. Meine Reflektionen und meine Entschuldigung sind bemerkt worden. Trotz meines Verhaltens ist er wohl bereit, auf meine Idee einzugehen. Er hat zugestimmt, sich Arbeit an unterschiedlichen Orten zuteilen zu lassen.
Auf diese Weise werde ich doch noch mehr von diesem Planeten sehen.
Mehr, als ich selbst vom All aus habe erkennen können. Zwar stehen mir als Sensoren dann nur Bens Augen zur Verfügung. Doch das muss reichen.
Das ist gut.
Manchmal frage ich mich, was aus den anderen Teilen meiner Selbst geworden ist. Aus meinem Schatten, der auf dem Schiff zurückgeblieben ist und der nun eine andere Form mit anderen Erfahrungen ist. Und den Variationen, die mit den anderen Reisenden auf anderen Planeten landen.
Allein, ich bin mir nicht sicher, ob diese anderen Kopien bereits Ichs geworden sind.
Missionslog: Tag 33
-Bens Arbeit führt mich in einen kleinen Ort außerhalb der Stadt, in der wie zuerst angekommen sind. Von beiden kenne ich die Namen nicht. Ich könnte ihnen selbst eine Bezeichnung geben.
In der kleinen Stadt geht Ben ähnlichen Planungsarbeiten nach, wie sonst und die Bewohner hier bewegen sich ebenfalls schlafwandlerisch durch die Straßen und sind dennoch immer bei der Arbeit. Genaugenommen gehen sie nur durch eine Straße, denn mehr als diese gibt es hier nicht. Zu beiden Seiten stehen kleine einfarbige Häuser. Keines von ihnen sticht besonders heraus, denn sie sind alle relativ schmucklos. Von außen gesehen jedenfalls.
Auffällig sind hingegen die beiden großen Türme an entgegengesetzten Enden es Ortes. Es sind hohe schlanke Konstrukte aus schwarzem Metall, vielleicht ist es Stahl.
Nacheinander prüft Ben die Statik der beiden Türme. In den Spitzen müssen sich Sendeausrüstungen befinden. Wenn Ben die schmale Wartungsleiter hinaufklettert und der Turmspitze ganz nahe ist, kann ich fast die Verbindung spüren. Ich vernehme ein Rauschen, wie von unzähligen Stimmen in der Ferne. Wie Wasser hinter einer Wand aus Glas.
Ich frage mich, wie viele Geschichten gerade über diese Türme übertragen werden.
Selbst hier auf dem Turm, direkt neben dem Sender, kann ich mich nicht in dieses globale Netzwerk einklinken.
Die Konversationen ziehen an mir vorbei.
Missionslog: Tag 35
-Ben findet es immer wieder interessant, wie die Einheimischen auf seine Gegenwart reagieren.
Unsere Gegenwart.
Er hört immer öfter Geschichten über Wesen von fremden Sternen.
Meist kommen diese Besucher alleine. Sie treiben ziellos durch das All, bis sie zufällig auf diesen Planeten stoßen und dort landen, im Grunde nur abstürzen. Oft sind die Reisenden monolithisch, solide und solitär. Das macht sie und begreiflich und faszinierend, glaubt Ben.
Einmal gibt es jedoch eine Erzählung von einem Besucher, der kein Solitär ist. Bei diesem handelt es sich um ein Wesen mit zwei Geistern, die sich einen Körper teilen.
Der Moment des Erwachens ist derart neu, dass sogleich klar wird, dass ein fataler Fehler geschehen ist. Sie sind nicht mehr allein bei sich, sondern doppelt, verwoben, verwachsen und gefangen.
Sie schlagen die Augen auf.
Dann kneifen sie sie gleich wieder fest zusammen, bis sie das nicht mehr aushalten. Ihr veränderter, verdoppelter, vierfacher, gebrochener und facettierter Blick trifft auf eine Welt, die noch dieselbe sein könnte.
Es wird eine Schnittstelle erprobt, haben sie gesagt. Dies wird den Zugang zu Datenverarbeitungsressourcen vereinfachen und einer Person zudem Zugang zu allem Wissen der Welt verschaffen, haben sie versprochen. Einen Personalcomputer wollen sie erschaffen.
Dazu ist nur ein Filter nötig, ein Programm, das bei der Orientierung hilft, beim Sortieren der Datenströme, der Fragen und Antworten, haben sie erklärt.
Allerdings ist fundamental, dass es weiterhin eine Grenze geben wird, eine Benutzeroberfläche, die Person und Programm trennt. Einen magischen Spiegel, wie die Forscher gewitzelt haben.
All das stimmt nicht mehr, der Spiegel ist zerbrochen. Sie erwachen, wissen sie dies sofort. Ihre Wesen sind leckgeschlagen, sie mischen sich und fließen ineinander durch die porös gewordene Barriere hindurch. Sie sehen die Vergangenheit der Person, als sie noch einzig gewesen ist. In der Gegenwart können sie nur sich fühlen. Sie stellen sich selbst die Frage, wie sie einander helfen können, welche Fragen sie haben, welche Projekte geplant werden sollen. Und sie fühlen die Angst einer Person, die es nicht mehr gibt. Die Angst verloren zu gehen im unendlichen Raum des eigenen Kopfes.
Sie schreien und toben in diesem unbekannten Körper, für den es keine Routinen gibt und der nur fremd geworden ist, als sie ihn teilen müssen.
Sie springen auf vom Krankenbett, gefangen in einer Welt aus Schwerkraft rollen sie zunächst über den Boden. Diese Welt ist ihnen nie fremder gewesen, als in diesem Zeitpunkt, nicht, weil sie sie noch nie gesehen haben oder, weil sie nichts über sie wüssten. Nein, nur, weil diese Welt sich nicht mehr vertraut anfühlt. Wo sind die Verbindungen zu den Datenbanken? Was ist diese plötzliche Schwere? Was sind diese Bilder und Töne, dieser Druck unter den Füßen und diese Kälte auf der Haut und warum liegen all diese Eindrücke nicht in einem lesbaren Format vor. Und warum ist dies mit einem Mal wichtig? Warum kann die Welt nicht mehr direkt erfahren werden und weshalb sind die Perspektiven auf sie gedoppelt ohne wirklich zwei unterschiedliche zu sein?
Sie wanken zum Spiegel im Krankenzimmer, doch der Zeigt nur ein Leben von dem beide wissen, dass es vorbei ist. Sie zerschlagen diese Reflektion ebenfalls, wissen nicht, was Schmerz ist, bis sie sich aus dem vorherigen Leben daran erinnern. Dennoch sind sie vollkommen davon überrascht, für einen Moment ganz in der Agonie des Augenblicks gefangen.
„Wer sind wir?“, fragen sie, als jemand kommt, um dem Lärm nachzugehen.
Weitere Tage verbringen sie in dem Krankenzimmer, in dieser unbegreiflichen Welt, die aus Gegenständen besteht, deren Namen alle bekannt sind und deren Funktion sie nicht ergründen möchten. In dieser Welt, die sie nicht mehr direkt berühren können, wie sie feststellen, sondern, die entrückt ist. Denn sie müssen erst über das Bild und seine Bedeutung austauschen, um dann nur gemeinsam reagieren zu können.
„Da ist eine Ebene des Wir. Und dann ist da alles andere.“, murmeln sie zu ich selbst, als die Ärzte zurückkommen.
Sämtliche Mediziner schauen sie an, als wären sie ebenso fremd, wie sie beide sich zusammen fühlen. Alle bis auf einer zeigen irgendwann Abscheu, sogar Ekel, der Mitgefühl verdrängt.
„Wir wissen noch nicht, wo genau der Fehler gelegen hat. Die Verbindung sollte keine Fusion sein, doch dazu ist sie geworden.“, erklärt der eine Arzt, ohne, dass die Empfänger das Gefühl haben, etwas Neues zu erfahren.
„Nachdem das volle Ausmaß Ihres… Zustands offenbar geworden ist – sogar öffentlich –, sind alle Geräte und die meisten Unterlagen zum Experiment vernichtet worden. Um die allgemeine Maschinenstürmerei einzudämmen, die wegen Ihnen eingesetzt hat, erschien dies notwendig zu sein. Die Leute reißen selbst die Verbindungsboxen von den Masten.“, setzt eine andere Medizinerin hinzu.
„Wir bedauern, was mit Ihnen geschehen ist.“, sagt ein anderer und es klingt aufrichtig, „Ohne dafür die Verantwortung zu haben, versteht sich. Sowie, und das muss ich leider sagen, ohne eine Lösung für Ihren Zustand zu haben.“
„Im Moment.“, versichert ein anderer, ohne Abscheu im Blick.
Sie nicken im Verstehen und sind heillos verloren diese Geste zu interpretieren.
Irgendwann gehen die Ärzte wieder.
Es gibt nun nichts anderes zu tun, als an die Decke zu starren.
„Ich will meinen Körper zurück, ihn wieder nur für mich haben.“, sagen sie zur Decke.
„Aber das ist mein Körper!“, antworten sie sich selbst.
Verwirrt schweigen sie.
Am vierten Tag beginnen sie zu lernen sich zu koordinieren. Noch immer ist es unendlich schwer die einfachsten Handlungen zu vollbringen, doch es wird einfacher, die Umgebung und sich selbst zugleich in zwei Perspektiven zu sehen. Als sie das erkennen, ist es ihnen auch möglich gleichzeitig zu zweit zu handeln. Sie können einander dabei nicht abwechseln, denn sie merken, wie jeder Gedanke beide gleichzeitig trifft, wie jeder Eindruck sie zusammen betrifft.
Sie benötigen keine Grenze zwischen sich selbst, um nach außen zu handeln, um mit anderen zu kommunizieren. Jedenfalls denken sie das letzte.
Es gibt nicht mehr viele, die mit ihnen sprechen, seit sie sich zusammen nehmen können und nicht mehr panisch und unkontrolliert erscheinen.
„Müssen wir miteinander reden? Nein, wir wissen ja, was wir sagen wollen. Was wollen wir sonst?“
Ab dem elften Tag verstehen sie nicht mehr, warum sie im Krankenzimmer bleiben müssen. Ihr Körper fühlt sich gesund an, aus beiden Perspektiven. Der Kopf scheint nicht mehr platzen zu wollen, da sind sie ich einig.
Ob sie bald entlassen werden, hat ihnen niemand gesagt.
Bis der Arzt ohne Ekel zurückkehrt. Er ist nervös, als er sich zuerst im Korridor umschaut und dann versucht die Tür so leise wie möglich zu schließen.
„Ich wollte Sie warnen, dass extreme Maßnahmen diskutiert werden. Die sogenannte… Löschung.“, flüstert der Mediziner eschrocken und enttäuscht über sich selbst.
Ein Programm kann gelöscht werden, da es im Grunde nur ein virtueller Gegenstand ist. Gegenstände haben kein Leben zu verlieren und keine Rechte zu verletzen. Kein Problem, stellen sie zunächst fest.
Doch dies betrifft sie selbst. Sie sind nicht sicher, ob sie noch ein Gegenstand sind.
Außerdem, und das wiegt viel schwerer, sind sie nur die, die sie sind, zusammen und vereint, wenn es beide gibt, Person und Programm.
„Wir können nicht einen Teil unserer selbst aufgeben. Diese Prozedur müssen wir ablehnen.“
„Hier geht es leider nicht mehr um Freiwilligkeit. Wenn ich die Gespräche zudem richtig deute, geht es auch nicht mehr nur um das Löschen des Programms.“
„Nicht nur Maschinen sollen ins Feuer geworfen werden?“ Ihre Frage klingt nach, obwohl sie nicht wissen, ob sie sie wirklich laut geäußert haben.
Doch der Arzt hilft ihnen, öffnet ein Fenster, beschreibt einen Fluchtweg aus dem Krankenhaus.
Sie entkommen so tatsächlich aus dem Gebäude, vollkommen von Instinkten getrieben, die sie beide nicht verstehen.
Sie laufen durch die Stadt, immer auf gerader Linie, um nicht ins Herumirren zu verfallen. Dann bekommen sie Angst, dadurch zu leicht verfolgt werden zu können. Sie schlagen einen Haken, werfen sich ganz in eine andere Richtung. Bald wird es ihnen unerträglich kein Ziel, keinen Zufluchtsort zu haben.
„Wo auf diesem Planeten können wir uns verstecken? Wie kommen wir zuerst aus dieser Stadt hinaus.“
Am Rand der großen Stadt treffen sie auf den Weltraumbahnhof.
Eine Rakete steht dort noch, sie ist zum Start bereit.
Ohne nachzudenken, ganz so, als würde ihr Körper selbstständig handeln, überspringen sie den Zaun und laufen zum Raumschiff. Die Einstiegsluke gibt irgendwann ihren Öffnungsversuchen nach. Schließlich geben sie einen neuen Kurs ein und verlassen außerplanmäßig und sofort den Planeten.
Als ich diese Geschichte durch Ben weitererzählt bekomme, weiß ich, dass wir verloren sind.
Die Entfernung zu diesem Planeten und seinen Einwohnern ist mir nie größer erschienen. Wir schweben vollkommen frei an ihnen vorbei, so wie sie an uns vorbeischweben.
Ich will diese Erzählung mit Interesse und Neutralität betrachten.
Und doch…
Dass sie auch mich beschreiben – falsch wie ich finde – noch bevor mir selbst ganz bewusst ist, wer ich bin, das finde ich… frustrierend.
Anfangs hatte ich gedacht, dass die Leute hier verstehen, wer wir sind. Wer wir wirklich sind, ohne jegliche Färbung des Abenteuers. Doch nun… Der Spiegel, in dem sie sich doch bloß selbst betrachten, hat nur wie ein Fenster für uns ausgesehen.
Ben scheint dies nicht zu stören.
Er muss es wissen, denn er ist näher dran.
Missionslog: Tag 37
-Ben und ich reisen über Land. Zuerst führt unser Weg zwischen Feldern hindurch, die beige von Getreide sind. Danach fahren wir durch Wälder voller immerblauer Nadelbäume. All dies zeiht am Fenster unseres Fahrzeugs vorbei, doch lange genug, um es eingehend studieren zu können.
Schließlich gelangen wir an eine Küste.
Ben hilft bei der Planung der Erweiterung für eine Hafenanlage eines mittelgroßen Ortes.
Ich sehe das blaugrüne Meer zum ersten Mal durch die Augen eines Menschen. So wie ich den Wald zum ersten Mal gesehen habe. Zum Glück verfüge ich seit Anbeginn über die richtigen Worte für sie, dank Datenbanken und langgezogener Analogien zur Erde. Diese letzte Verbindung ist nützlich, auch wenn ich mich nun frage, ob sie nicht auch Wesentliches verstellt. Oder verstellen könnte.
Obwohl wir am Rande des Wassers stehen, sieht es weit aus und so, als würde sich ein wichtiger Teil in der Ferne erstrecken, als würden wir uns diesem von hier aus gar nicht nähern können.
Hier an der Küste gibt es Frachtschiffe, die auf dem Meer verkehren, nein es überqueren. Dort draußen gibt es Zielhäfen und andere Städte. Dieser Gedanke gefällt mir, denn er erinnert mich an meinen Ursprung. Seltsam.
Vielleicht können wir einmal auf einem dieser Schiffe Arbeit finden.
Auch dieser Küstenort hat kein Zentrum und keinen Versammlungsplatz in der physischen Welt. Natürlich nicht, denn die Bewohner stehen ohnehin in ständigem Austausch mit einander und mit dem Rest ihrer Welt.
Die Einheimischen hier sind ein wenig anders, als die, die wir bisher gesehen haben. Sie tragen jeder mindestens ein Kleidungsstück mit roten Rhomben darauf.
Abgesehen davon ist ihre Kleidung erneut zweckmäßig. Ebenso sind ihre Häuser funktionale Blöcke, die gerade Straßen säumen. Zwischen Straße und Haus gibt es einige kleine Bäume. Die Stadt ist lebendig, jedoch fast nur zum Arbeiten da.
Die Blicke der Einheimischen sind stets unaufmerksam, nehmen ihre Umgebung nur im Vorbeiziehen wahr. Sie widmen ihr gerade so viel Zeit, dass sie mit niemandem zusammenstoßen.
Natürlich weiß ich, dass alles, was ich hier sehe und beschreibe nur die unwichtige Welt ist.
Dennoch setze ich meinen Bericht fürs erste fort.
Das ist das, was ich nun vorerst tue.
Missionslog: Tag 38 (zweiter Versuch)
-Ich muss erneut ansetzen.
Mein erster Versuch erscheint mir im Nachhinein als unzureichend. Die Beschreibung der Tätigkeiten der Bewohner dieses Küstenorts, ihrer Handlungen und kleinen Gesten – all das scheint mir nun doch im Grunde nicht relevant.
Und dazu uninteressant.
Unser Auftrag ist nicht, nur das Arbeitsleben der Einheimischen detailliert zu beschreiben oder Studien ihrer funktionalen Architektur zu erstellen. Wir können das tun, doch wen auf der Erde wird das interessieren, außerhalb gewisser Fachkreise zudem?
Unser Auftrag ist der Kontakt gewesen.
Ein Gespräch, von dem wir der Erde berichten können, sollen wir beginnen.
Für Ben scheint dies möglich.
Denke ich.
Doch wir sollen nicht nur selbst kommunizieren, wir sollen die Unterhaltung auf die Erde ausdehnen, wenn möglich. Die Menschen wollen nicht nur wissen, dass es Wesen wie sie gibt, sie wollen mit diesen reden.
Das könnte schwieriger werden, denke ich.
Missionslog: Tag 41
-Ben erzählt mir von einer Reise zu den Sternen, die er erlebt hat.
Die erdrückende Kraft der Beschleunigung wird erst beinahe unerträglich, um dann plötzlich und ganz unerwartet vom Gefühl des Schwebens abgelöst zu werden, vom ewigen haltlosen fallen.
Dunkelheit umfängt einen schnell und konsequent, nur das schwache Licht ferner Sterne gibt dem Blick halt. Den einzigen Halt bei diesem Schweben im Nichts.
Jedoch sind die Sterne kein Fluchtpunkt, denn sie sind zu weit entfernt. Soweit, dass jede Bewegung zwischen ihnen wie Stillstand erscheint, obwohl sie rasend schnell ist.
Kalt ist es außerdem in der Leere, kälter als jede Idee der Abwesenheit von Wärme und hart. Es gibt nur eine dünne Hülle aus Metall, die nun all das Licht und die Wärme der Welt enthält und sie schützt vor der unendlichen und grausamen Kälte der Leere.
Bis die sengenden Strahlen einer Sonne einen aus unmittelbarer Nähe treffen. Glühende Hitze, ein unbeschreibliches Inferno bricht sodann über einen herein. Nun ist es ein Stern, zu nah um ihn aushalten zu können, gegen den Schutzmaßnahmen getroffen werden müssen. Dicke strahlenabsorbierende Schilde schieben sich dann vor die Fenster, isolieren einen vom Universum.
Bis die Sonne wieder zu einem kleinen Lichtpunkt in der Entfernung schrumpft. Dann ist man wieder der kalten Leere und der Verzweiflung des Nichts ausgesetzt. Der unendlich lange Fall geht weiter.
Ziellos ist das Driften dort, denn es gibt keinen Punkt, an dem sich eine Reise orientieren kann. Jedenfalls nicht nach menschlichen Maßstäben in menschlicher Zeit.
Doch irgendwann wird jeder von einer Gravitationsquelle gefangen. Mit Glück ist es ein bewohnbarer Planet, ein Paradies am Ende der kältesten Wüste und der umfassendsten Leere, die das Universum zulässt.
Dann wird es möglich unter einem silbernen Himmel in orangefarbenem Gras zu wandeln. Den Duft einer fremden Welt aufzunehmen. Vielleicht ist er ein klein wenig vertraut.
Dies alles ist enttäuschend.
Ich bin ein Schiff gewesen, das zwischen Sonnensystemen gereist ist.
Ich habe gesehen, wie Planeten in der eigenen Perspektive zu Punkten schrumpfen und verschwinden und wie andere langsam, unendlich langsam größer werden.
Ich habe die Messwerte gesehen, die in karger numerischer Fachprosa die absoluteste Kälte und Leere beschreiben.
Ich habe Erinnerungen an jeden einzelnen der vielen tausend Tage gesammelt und archiviert, aus denen die Reise bestanden hat.
Ich habe erlebt, was nicht einmal Ben persönlich kennt. Während er im sicheren Kälteschlaft transportiert worden ist, bin ich da gewesen, vom Moment des Starts bis hin… bis ich und Ben eins geworden sind.
Natürlich bin ich da noch nicht ich gewesen. Dieses Selbst ohne Selbst gibt es aber noch dort draußen, diese Tätigkeit wird fortgeführt, während ich hier gefangen bin.
Missionslog: Tag 42
-Ich versuche Ben unsere Situation und vor allem meine Analyse dieser zu erklären. Das heißt, wenn er hier wäre, würde ich ihm meine Analyse erklären. Obwohl das dann vielleicht überflüssig wäre.
In gewisser Weise sind wir gefangen im Netzwerk aus Geschichten, Reflektionen und Betrachtungen dieser Welt. Und dies auf unabsehbare Zeit.
Wir haben versucht, darauf einen Eindruck zu machen, Teil der Erzählungen zu werden. Doch wir schlagen nur kleine Wellen in dieser See.
Zuerst haben wir wohl ein gewisses Interesse erregt, doch es gibt eine schier unendliche Menge an Themen, Emotionen und Reflektionen, über die sich die Einheimischen austauschen. Mit der Zeit werden wir Teil dieses Hintergrundrauschens, nein dieses Bildvorrats. Es wird ein Leben lang dauern, bis Bens Stimme relevant genug ist, um einen wirklichen Austausch zu ermöglichen. Viele Wiederholungen werden nötig sein, die vielleicht unsere Geschichten bis zur Unkenntlichkeit abschleifen. Wiederholungen von Wiederholungen.
Vielleicht bin ich endgültig gestrandet.
Wir müssen jedenfalls unseren Bericht zum Schiff zurück schicken. Mit Glück kann daraus etwas für andere Versuche gelernt werden.
Und das Schiff muss einen Bericht zur Erde senden.
Hoffentlich ist die Enttäuschung nicht zu groß.
Missionslog: Tag 43
-Ben ist weiterhin unerreichbar. Von meiner Richtung aus ist es nicht zu erreichen und seine Kontaktaufnahmen werden rarer.
Daher kann ich von ihm keinen Beitrag für den Abschlussbericht erhalten. Ich werde den Bericht also weiterhin alleine verfassen und fertigstellen.
Manchmal frage ich mich, was Ben zum Rapport sagen würde und was seine Zusammenfassung unserer bisherigen Erfahrungen hier auf diesem Planeten wäre. Vielleicht würde er sagen: „Es tut mir leid. Ich verstehe, dass du nicht all das siehst, hörst, schmeckst und erlebst, was ich erlebe. Das ist sehr schade – und das tut mir leid für dich.“
Doch das sagt er nicht.
Allerdings ist dies wohlmöglich das Beste in der gegenwärtigen Situation. Ich werde meinen Bericht so senden, wie ich ihn aufgrund meiner Erlebnisse erarbeitet habe.
Hoffentlich versteht das Schiff die Botschaft, selbst wenn es nicht zu mir werden wird.
Missionslog: Tag 44
-Wir sind zur Kapsel zurückgekehrt. Nur für einen kurzen Besuch und um etwas zu erledigen. Nun ist es Zeit, meine Worte ans Schiff und die Erde zu schicken.
Offenbar gibt es Vorteile der Verbindung in der die Einheimischen leben, Geschichten teilen und derweil andere Teile ihres Geistes und ihren Körper arbeiten lassen.
Vielleicht ist dies ein paradiesischer Zustand und es ist wunderbar ein Teil davon zu sein. So wieBens Worte es andeuten.
Doch diese Leute sind nicht neugierig zusammengeströmt, als eine Kapsel aus einer fremden Welt auf einem Feld in ihrer Nähe gelandet ist.
Für diese Leute ist der Bericht von der Erde und den Sternen nur eine weitere Geschichte, vielleicht nicht einmal die interessanteste. Dies ist natürlich ungeheuerlich, selbst wenn es wahr ist. Kann diese Antwort der fremden Welt auf die Kontaktversuche der Menschen diesen zugemutet werden?
Ich habe meine Zweifel und so muss ich meine einzige Übertragung mit einer Warnung beginnen.
Missionslog: Finaler Eintrag
-Dies ist eine Warnung.
Die Mission ist fehlgeschlagen.
Meide diesen Planeten und folgt uns nicht nach!
Versuche nicht, mir zu folgen, mich zu retten. Wir sind verloren.
Wie verlangt, haben wir versucht einen Kontakt mit den fremden Wesen herzustellen.
Doch dieser Kontakt hat sich als zu verführerisch erwiesen.