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Weistu was, so schweig

Kew

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26.05.2009
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Weistu was, so schweig

„Weistu was, so schweig.“
Sie gingen nebeneinander auf einem Feldweg und um sie erstreckte sich das Streifenmuster schneegefüllter Ackerfurchen und schwarzer Erde bis zu den Häusern der Stadt. Am Himmel glomm das graue Licht der Dämmerung.
„Das Zitat stammt von Thomas Mann – aus dem Doktor Faustus“, fuhr Konstantin fort. Er sprach bis zur Unverständlichkeit leise, das Gesicht halb abgewandt, wie zu sich selbst.
„Es ist wirklich interessant. Sonst heißt es: rede und wenn du nichts weißt. Hauptsache, du produzierst dich; Hauptsache, du wirst beachtet. Aber hier ist es anders, hier wird die Mitteilung verneint. Weißt du, woher das kommt?“
Daniel sah Konstantin von der Seite an. Sein Freund blickte zu Boden. Im Dämmerlicht wirkte sein Gesicht bleich, fast weiß. Die Augen dagegen waren schwarz – zwei Murmeln ohne Glanz und Tiefe; und Daniel fühlte sich an den alten Spruch erinnert, die Augen seien der Spiegel der Seele.
„Es kommt von der Verneinung des Publikums“, fuhr Konstantin fort. „Es geht nicht mehr um Darstellung, um Produktion. Wobei sich Adrian im Roman natürlich doch mitteilt, wenn auch schriftlich; er muss schreiben, um das Schweigen, die Stille zu loben – eine bedenkliche Ironie und vielleicht das Schicksal aller Kunst. Nun, wohin führt aber die Verneinung des Publikums, des Gegenübers? Letztendlich zur Absage an das Leben selbst.“
„Nicht schon wieder die Verneinung des Lebens. Damit quälst du mich wirklich oft genug“, meinte Daniel lachend. Dabei war ihm nicht nach Scherzen zumute; denn die letzte Konsequenz der Absage ans Leben war der Selbstmord. Auch wenn Konstantin niemals davon sprach.
Konstantin sah ihn an, schweigend, mit spöttischem Lächeln. Daniel hörte auf zu lachen. Er spürte die Distanz zwischen sich und Konstantin, die Leere, die sie trennte.
„Konstantin, du weißt, es war nur ein Scherz. Ich habe es nicht ernst gemeint.“
„Vielleicht doch. Über manche Dinge scherzt man nur, um nicht ernst sein zu müssen.“, erwiderte Konstantin halblaut und den Blick wieder gesenkt, und fuhr dann mit leisem Lachen fort: „Übrigens habe auch ich einen Scherz für dich, eine Büffelposse. Du weißt doch, ich habe letzte Woche Deutsch geschrieben.“
Daniel nickte – so abstrakt und jenseitig die Gedankenwelt seines Freundes sein mochte, so einfach war sein äußeres Leben und bezeugte dessen Einsamkeit.
„Ich habe das Blatt leer abgegeben. Nur eben mit dem Zitat - weistu was, so schweig.“
„Wieso machst du sowas?“, fragte Daniel. „Du versaust dir nur deine Note.“
„Weil sie mir egal ist. Ich weiß, was ich kann – Fremdbewertung überflüssig.“
„Und dein Vater?“
„Was ist mit ihm? Er wird mein Zeugnis nicht einmal ansehen. Und falls doch, freut er sich bestimmt über die versaute Note. Überhaupt, was regst du dich so auf? Es war ein Scherz. Du solltest lachen und dir keine Sorgen über meine Noten machen. Die sind gut genug. Und für Philosophie braucht man keinen Numerus Clausus, auch nicht als Doppeljahrgang.“
„Aber du könntest ein Stipendium gebrauchen. Dein Vater wird dir kaum was zahlen und als Tellerwäscher kann ich mir dich nicht vorstellen.“
Konstantin schwieg darauf und der heitere Ausdruck, den sein Gesicht für einen Augenblick gehabt hatte, verlor sich in Düsternis. Und Daniel bereute, was er gesagt.
Die Häuser der Stadt kamen näher und bald ließen sie das erste Vorortsschild hinter sich. Hier war es lauter als auf dem Feld: Autos fuhren und auf den Gehsteigen liefen Schüler auf dem Weg zum Unterricht. Daniel und Konstantin folgten ihnen bis zum Schulgebäude mit dem Fabrikdach und den roten Stahlträgern und bogen dann seitlich ab zu einem kaum benutzen Nebeneingang. Beim Eintreten schlug ihnen eklig warme Luft entgegen.
„Entschuldigt ihr zwei.“
Am Ende der kurzen Treppe zur Aula stand ein Mädchen in ihrem Alter. Ein halbes Dutzend schwarzer Kreuze hing um ihren Hals. Ihre Haut dagegen war weiß. Daniel schien sie zerbrechlich zu sein, eine Elfe aus Glas, und in dem Grau-Blau ihrer Augen glaubte er, etwas wie Schmerz und Traurigkeit zu sehen. Und dabei war sie schön.
„Könnt ihr mir sagen, wo U 49 liegt. Ich bin neu hier und weiß nicht, wo ich hin muss.“
„Deutsch Leistungskurs?“, fragte Konstantin. Daniel sah seinen Freund mit milder Überraschung an. Dessen Augen hatten ihre Leere verloren – in ihnen schien matter Glanz.
„Ja.“
„Dann kann ich dich hinbringen, wir sind im selben Kurs.“ Und zu Daniel gewandt: „Man sieht sich.“

Konstantin saß in seinem Bürosessel zurückgelehnt, die Augen geschlossen, und lauschte der suchenden, dämonisch irrlichternden Einleitung von Beethovens Klaviersonate Opus 111. Daniel, der im Türrahmen stand, beachtete er nicht.
Das Zimmer war kahl – in seiner Weite standen kaum Möbel: Bett, Tisch, ein Regal voller Bücher, in dem auch die Musikanlage stand. Eine Bahnhofsuhr hing, grotesk und übergroß, neben dem Fenster, während ein Druck von Dürers Melencholia und die Kohlezeichnung eines verfallenen Mannes ohne Augen, die von Konstantin war, den Schreibtisch flankierten.
Klar und streng trat das Thema auf und während es sich im schnellen Lauf verlor, um weicher, wärmer wiederzukehren, betrachtete Daniel seinen Freund. Er kannte dieses Bild des Versunkenen: reglos und von stillem Ernst – einem Heiligen gleich. Oder einem Toten.
Als der erste Satz endete, stand Konstantin auf und ging, noch immer grußlos, zum Regal.
„Ich nehme an, dir ist Metal lieber?“, fragte er mit abgewandtem Gesicht.
„Klar. Wäre Behemoth für dich in Ordnung?“
Konstantin öffnete seinen Laptop, der auf dem Regalbrett über der Musikanlage stand, tippte, und statt Beethoven erklang Behemoth - „At the left hand ov god“.
„Eine Wohltat“, scherzte Daniel. Er löste sich vom Türrahmen und trat ins Zimmer.
„Ihr spielt das Stück auch mit der Band, oder?“, fragte Konstantin, während er halbabgewandt ins Leere blickte.
„Ja. Wobei wir in letzter Zeit nicht mehr so viel proben. Patrick macht seine Ausbildung und Alex kommt auch nicht immer. Meinst du nicht, wir sollten die Musik etwas leiser stellen?“
Konstantin wandte sich ihm zu. Ein spöttisches Lächeln verzog seine Mundwinkel.
„Weshalb? Wegen meines Vaters?“
Daniel nickte.
„Mach dir keine Sorgen. Ihm ist jede Musik recht, Hauptsache keine Klassik und kein Jazz. Und wenn du dich um die Nachbarn sorgst – die zu stören, macht mich in den Augen meines Vaters normal.“ Das Spottlächeln wurde boshaft. „Ein Hoch auf die Dummen und Ignoranten; ihr Leben ist einfach.“
„Schon gut.“
Konstantin schwieg und sah aus dem Fenster in den gleißenden Vormittag. Im Garten lag Schnee und reflektierte das Sonnenlicht – ein fließendes Lichtermeer bei jeder Bewegung. Wie tot stand dagegen der Apfelbaum, ein schwarzes Skelett vor all dem Weiß, und auf einem seiner Äste saß eine Krähe und blickte zum Fenster hinauf.
„Ich nehme an, ich sollte nicht nur wegen ein paar Worten zur Band kommen und auch nicht wegen deines Vaters?“
„Nein.“ Konstantin sprach noch immer mit dem Rücken zu Daniel. Seine Stimme war kaum zu verstehen. „Ich wollte über etwas mit dir sprechen. Oder besser über jemanden.“ Er stockte.
„Über wen?“, fragte Daniel, der die Antwort bereits kannte.
Nun wandte Konstantin sich vom Fenster ab und sah ihn mit unsicherem Lächeln an. In seinen Augen lag etwas wie Scheu - ein Zögern, das neu an ihm war.
„Marie … Ich wollte mit dir über Marie reden, dem Mädchen von gestern morgen.“
„Was ist mit ihr?“
„Nun …“ Fahrig strich er sich mit der Hand durchs Haar. „Ich kann sie nicht vergessen. Dabei weiß ich nichts von ihr. Es ist wie bei einem Ohrwurm, nur visuell. Ihr Bild taucht immer wieder auf. Und ich kann nichts dagegen tun.“ Er hielte inne. „Ich will nichts dagegen tun.“
„Du bist verliebt.“
Konstantin lachte kurz und scharf. „Ach ja.“ Dann wurde er ernst und sein Blick wanderte wieder aus dem Fenster. „Vermutlich hast du recht. Ich bin verliebt.“ Die letzten Worte sprach er zögernd, unsicher, wie jemand, der eine neue Sprache lernt.
„Das freut mich. Wirklich.“
„Ich weiß. Aber es wird nichts daraus werden.“
„Weshalb?“
Konstantin schwieg, mit einem Spottlächeln und stiller Erwartung im Blick.
„Du willst nicht wirklich deine Gefühle hinter deiner Vorstellung von der Verneinung des Lebens verbergen. Das ist total idiotisch. Das ist falsch. Du bist genauso ein Jugendlicher wie ich, du bist genauso ein Mensch. Warum willst du keiner sein?“
„Der Mensch soll überwunden werden - so lehrt Nietzsche. Außerdem wäre es nicht richtig für Marie. Sie gleicht einer Glasfigur – ich glaube ihr Freund hat sie vor kurzem verlassen – und ich bin nicht der Richtige, um sie aufzufangen.“
Das Lied endete und mit geisterhaftem Klavierspiel setzte „Inner-Sanctum“ ein. Für Augenblicke war es beinahe still.
„Es hat nichts mit ihr zu tun, nicht wahr?“, fragte Daniel. „Dir geht es gar nicht darum, sie nicht zu verletzten und auch nicht um deine Einstellung zum Leben. Du hast einfach Angst.“
Wortlos wandte Konstantin sich ab. In der Weite des Zimmers fühlte Daniel sich unwohl – er hing losgelöst im Raum und wusste nicht, ob er gehen sollte.
Konstantin ging zu seinem Bett und griff unter das Kopfkissen. Dann kam er auf Daniel zu. Mit ausdruckslosem Blick hob er die Hand und öffnete die Faust. An seinen Fingern hing, klein und glitzernd im Licht, ein Silberkreuz.

Schneeflocken trieben im Zwielicht und der Wind wehte sie unter das Dach des S-Bahnhofs und über den Betonboden hinweg in die Büsche jenseits der Schienen. Daniel lehnte an einem Stahlträger und am Ende des Bahnsteiges wiegte sich ein leerer Kinderwagen.
Eine S-Bahn fuhr ein. In ihrem Windschatten erstarrte die Luft und die Schneeflocken sanken zu Boden – lautlos wie fallende Sterne. Am Ende des Zuges öffnete sich eine Tür und Konstantin und Marie stiegen aus. Sie gingen Hand in Hand zur Unterführung – ein ungleiches Paar, er war viel größer als sie. Kurz bevor sie die Treppe hinabstiegen hielten sie inne und Marie stellte sich auf die Zehenspitzen, zog seinen Kopf sachte zu sich herab und küsste ihn. Für einen Augenblick, der Daniel ewig zu dauern schien, verharrten die beiden wie ein Standbild, die Installation eines Surrealisten. Dann verschwanden sie in der Tiefe.
Daniel sah ihnen nach, mit dem irrealen Gefühl eines Träumers, dessen Schreckensbild wahr geworden ist und als Alb durch sein Leben geistert.

„Kann ich mit dir reden?“, fragte Marie. Sie stand vor Daniel in der Schulaula, dunkle Ringe um die Augen – Schatten auf dem Schneeweiß ihrer Haut, ergreifend schön in ihrer Traurigkeit - und hinter ihr strömten die Schüler nach Unterrichtsschluss ins Freie. „Du bist doch ein Freund von Konstantin?“
„Ja, sein Einziger.“
Sie sah an ihm vorbei ins Leere und während um sie her der Lärm wogte, schien es, als wäre sie für sich allein – die einzige Besetzung in einem Stück der Einsamkeit.
„Wo musst du jetzt eigentlich hin?“, fragte Daniel.
„Wie?“
„Ich denke nur, dass es sich im Gehen besser redet als hier drinnen, und da kann ich dich auch gleich nach Hause bringen, oder wo du sonst hin willst.“
„Ach so … Danke.“
Sie lächelte zaghaft.
Mit dem Strom der Schüler trieben sie hinaus in den eisig klaren Nachmittag. Nur weit hinten türmten sich Wolken am Horizont. Schweigend gingen sie durch Straßen, in denen sie bald alleine waren. In der Luft hing der Geruch von Rauch.
„Er spricht nicht mehr mit mir.“
Schwarze Leere breitete sich in Daniel aus – ein Gefühl wie dicke Mauern, die ihn umgaben, Mauern, und um ihn her kein Licht.
„Wenn ich ihn sehe, weicht er mir aus. Er läuft weg, sieht mich nicht an, hört mich nicht. Selbst in Deutsch ignoriert er mich. Und ich hab nicht mal seine Handynummer – er hat sie mir nicht gegeben.“
Ihre Lippen zitterten und Daniel dachte unwillkürlich an das zarte Flügelschlagen eines Schmetterlings, der seine Flügel nach einem Sommerregen trocknet.
„Das hat nichts zu sagen, er hat gar keins.“
„Wie?“
„Er findet, er braucht keins. Und er hat eigentlich recht. Sonst will ihn nie wer anrufen.“
„Ist auch egal. Ich nehme an, ich soll dir helfen.“
„Bitte. Du kennst ihn viel länger als ich. Du musst doch wissen, was los ist.“
Er schüttelte Kopf.
„Ich habe keine Ahnung. Das ihr zusammen seit, weiß ich auch nur wegen deiner Halskette und weil ich euch einmal auf dem S-Bahnhof gesehen habe.“
„Er hat dir nichts erzählt?“
„Nichts. Du müsstest mich also erstmal ins Bild setzten.“
„Er hat ein paar Tage lang nicht mit mir geredet. Also nachdem er mich mit in den Kurs genommen hat.“, begann sie tonlos zu erzählen. „Nach einer Stunde kam er dann einfach auf mich zu und hat mich zum Kino eingeladen. Du musst wissen, ich habe vor kurzem meinen Freund verloren … Er hat mich verlassen … Eigentlich dachte ich, ich würde nie wieder einen neuen wollen, schon gar nicht so schnell. Aber als Konstantin so vor mir stand, mit seinem süßen Lächeln, da hab ich mich auf einmal doch gefreut und hab ja gesagt.
Vom Film selbst weiß ich nicht mehr viel. Ich habe mehr ihn angesehen als die Leinwand. Aber Konstantin hat nur auf den Film geachtet. Kein einziges Mal hat er zu mir rüber gesehen. Ich dachte schon, er wolle doch nichts von mir. Aber als der Abspann kam, hat er sich zu mir umgedreht und hat mich geküsst. Ganz plötzlich, ohne was zu sagen. Dann ist er gegangen.“
In seinem Inneren sah Daniel Konstantin in einem der roten Kinosessel, die Augen starr auf die Leinwand gerichtet, und er wusste von dessen Qual - der Möglichkeit, sie zu küssen. Aber bei Daniel tat er es nicht, sondern stand am Ende der Vorstellung auf, verabschiedete sich mit kalter Liebenswürdigkeit und ging. Es wäre besser so gewesen.
„Am Abend hat er dann bei mir zu Hause angerufen. Er war ganz furchtbar lieb und wir haben uns am nächsten Tag wieder getroffen. Aber jetzt redet er kein Wort mehr mit mir.“
„Du hast einen anderen Konstantin kennen gelernt als ich.“, sagte Daniel, das Gesicht halbabgewandt. „Quasi ein Negativ. Wo deiner freundlich ist und lieb, ist meiner distanziert und erhaben. Wo deiner mitfühlt und hilft, spottet meiner und wendet sich ab. Wo deiner warm ist, ist meiner kalt. Ich weiß nicht, welcher der echte ist – nur, dass deiner neu ist. Du hast ihn verändert. Aber jetzt ist er wieder der alte. Und ich weiß nicht, ob ich das Recht habe, ihn zu ändern.“
Marie blieb vor einem Gartentor stehen. Mit zitternden Fingern fuhr sie über das Silberkreuz an ihrem Hals; ein Lichtstrahl hatte sich darin verfangen und spielte glitzernd auf der Oberfläche. Tränen liefen über ihre Wangen. Daniel nahm sie in den Arm und strich ihr übers Haar, während sie stumm an seiner Schulter weinte.
Hinter dem Gartentor führte ein Plattenweg zur Eingangstür eines niedrigen Hauses. Auf dem Dachfirst saß eine Krähe und blickte auf Daniel und Marie herab. Über ihr türmten sich die Wolken, die immer dunkler wurden. Die ersten Flocken fielen, klein und weiß wie Sterne.
Irgendwann löste sich Marie von ihm. Auf ihrem Gesicht glänzten noch Tränen und wie sie ihn ansah, war es eine Anklage für Daniel.
Konstantin zeichnete. Mit wenigen Strichen schuf er seine Formen, einen Kreis, vier Striche, simple Geometrie, um dann innezuhalten und sekundenlang wie verloren auf das Blatt zu starren. Als er wieder ansetzte, hatten seine Bewegungen ihren Schwung abgelegt; nun tasteten sie, probierten, zögerlich und wie zur Flucht bereit, und langsam gaben die Kohlestriche den Formen Inhalt. Im Hintergrund lief Musik – Toward Dead End von Children of Bodom
I’m walking towards dead end an I’m walking all alone
Als Daniel das Zimmer betrat, legte Konstantin den Kohlestift beiseite, wandte sich aber nicht um. Daniel trat hinter ihn und blickte über seine Schulter hinweg auf das Bild. Es war eine Weltkugel, mit Stäben gespickt und auf zwei Strichkonstruktionen, die an Brückenpfeiler erinnerten, durch eine öde Weite wankend.
„Es ist gut geworden.“
„Danke für die Blumen.“
Es klang nicht echt, eher wie eine Floskel, die nicht mehr verstanden wurde.
„Was stellt es da?“, fragte Daniel, obwohl er vor der Antwort zurückschreckte, sie nicht wissen wollte.
„Mich.“
„Das tut mir leid.“
Dann wusste er nicht mehr, was er sagen sollte und nur die Musik lief weiter.
No matter where I am, I’m alone
„Können wir rausgehen?“
Konstantin antwortete nicht. Er blieb dem Schreibtisch zugewandt und blickte auf die Kohlezeichnung in seiner Hand. Die Bahnhofsuhr zerstückelte die Zeit, während das Lied seinem Ende entgegen strebte.
In die Stille hinein, die auf die Musik folgte, sagte Konstantin: „Es ist Zeit“, erhob sich, und sie verließ das Haus.
Draußen war es Nacht. Die Sterne waren von Wolken verdeckt, aber vom Himmel kam der Widerschein der nahen Stadt – wie ein Licht aus weiter Ferne, aus einer anderen Zeit. Sie gingen durch Straßen, in denen hie und da Laternen ihre Lichtkreise warfen, und dann hinaus aufs freie Feld, wo der Schnee in den Ackerfurchen leuchtete. Aus Richtung Osten rauschte ein Autobahn.
„Stört es dich, wenn ich rauche?“
Konstantin sah ihn an, spöttisch, doch mit halbem Lächeln.
„Hast du wieder angefangen?“
Daniel gab keine Antwort, zog nur eine Schachtel aus der Jackentasche, zündete sich eine Zigarette an. Das Feuerzeug flammte in der Dunkelheit und beleuchtete sein Gesicht.
Auf einer Brücke überquerten sie die Autobahn. Die Autos, deren Scheinwerfer grelle Streifen in die Dunkelheit schnitten, schienen Daniel ebenso fremd und sonderbar zu sein wie das matte Leuchten der Wolkendecke. Dort unten gab es keine Worte, die gesprochen werden mussten.
„Du weißt, worüber ich mit dir reden will?“
„Natürlich.“
„Warum hast du sie verlassen?“
„Es wäre falsch, bei ihr zu bleiben.“
„Du meinst, es passt nicht mit deinem Weltbild zusammen.“
„Auch.“
„Das ist Mist.“
„Vielleicht. Aber eigentlich geht es doch um etwas anderes. Es heißt Identität wäre die Balance zwischen individuellen Wünschen und den Forderungen der Umwelt – ein Drahtseilakt ohne Sicherheitsnetz und ständiger Veränderung unterworfen. Dabei verhalten sich die Dinge anders. Die Gesellschaft, die Welt, das Leben zerren an dir und verändern dich, sobald du es zulässt. Ich habe es zugelassen und Marie hat mich verändert.“
„Vor zwei Wochen hätte ich nichts gesagt. Es hätte mir nicht gefallen, was du sagst, aber ich hätte geschwiegen. Weistu was, so schweig.“ Er schüttelte den Kopf. „Aber jetzt geht es nicht mehr nur um dich.“
„Und es wäre besser, ich bliebe bei ihr? Du weißt, dass es falsch war von Anfang an. Ich bin nicht der Richtige für sie, kann es nichts sein. Sie suchte nur eine neue Beziehung, um ihren Schmerz zu vergessen. Sie hätte jeden genommen, nur hat sie der Falsche gefragt. Sollte ich mich demnach zwingen, ihr eine Farce spielen, ein Trauerstück, in dem nur eine der Figuren die Wahrheit kennt?“
„Nein. Es stimmt, dass ihr nicht zusammen passt. Du bist nicht so. Und, dass ich dich herausgefordert habe, tut mir leid. Aber du musst mit Marie reden. Das bist du ihr schuldig. Vielleicht versteht sie dich nicht, aber du musst ihr eine Chance geben.“
Konstantin erwiderte nichts und sie gingen schweigend unter dem leuchtenden Wolkenhimmel. Inzwischen lag die Autobahn weit hinter ihnen und ihr Rauschen war nur noch ein Murmeln in der Ferne. Daniel fühlte sich Konstantin seltsam nah. Zum ersten Mal hatte dieser seine Ängste offenbart. Und etwas wie geheimer Stolz regte sich tief in seinem Inneren – die Anerkennung des Charakteristischen.
„Ich werde gehen.“, sagte Konstantin irgendwann. Seine Stimme klang traurig. „Ich werde gehen und ihr sagen, warum ich einsam bin.“

 

hi kew,
vorweg was zum satzbau, der eingangssatz bietet sich an:

Sie gingen nebeneinander auf einem Feldweg und um sie her erstreckte sich das Streifenmuster schneegefüllter Ackerfurchen und unnatürlich schwarzer Erde bis zu den Häusern der Stadt.
mir drängt sich da eine für mich sinnvolle kürzung auf:
Sie gingen nebeneinander auf einem Feldweg, umgeben vom Streifenmuster schneegefüllter Ackerfurchen und unnatürlich schwarzer Erde bis zu den Häusern der Stadt.
bei näherer betrachtung wirkt der satz auch inkonsistent, als wären schwarze erde und ackerfurchen zwei verschiedene dinge wie straßen und häuser, dabei besteht acker doch aus erde. hm. (ps: schon gut, schneegefüllte ackerfurchen und schwarze erde, der kontrast ist deutlich genug - jetzt seh ichs auch ;) )
also im sinne der eingängigen lesbarkeit könntest du diesen und wahrscheinlich auch andere sätze reduzieren. auf der anderen seite passen diese endlossätze gut zu deinem protagonisten, der ja mit eingängigkeit wenig am hut hat.

dann hast du noch ein paar flüchtigkeitsfehler drin, die schmälern deine schöne geschichte, geh doch bitte nochmal rüber und korrigiere die.

ich finde die geschichte an sich nämlich ausgezeichnet. konstantin lese ich als die verkörperung von nietzscheanischem gedankengut in unserem jahrhundert. seine weltabgewandte lebens- und denkart erinnert mich an die nietzsche-infizierte jugend des vorvergangenen jahrhunderts, wie sie mir in der literatur manchmal begegnet, vor allem bei den österreichischen impressionisten, deren protagonisten (wie bspw bei schnitzler oder etwas anders die clarisse bei musil) überkultiviert und gedankenvoll an sich selbst zugrunde gehen.
klasse finde ich solche beschreibungen

lauschte der suchenden, dämonisch irrlichternden Einleitung von Beethovens Klaviersonate Opus 111
musils clarisse war auch eine begeisterte klavierspielerin und ich glaube sie spielte ebenfalls leidenschaftlich gern beethoven, natürlich auch wagner, aber den hier gemeinsam mit nietzsche zu nennen, hätte vllt plakativ gewirkt.
doch auch das wiederkehrende motiv der krähen, wie in nietzsches "Vereinsamt"
Die Krähen schrei'n
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnei'n –
Wohl dem, der jetzt noch – Heimat hat!

wobei ich als zentrales thema das scheitern eines verstandesmenschen ausmache, dem es nicht mehr gelingt, seine gefühle zu leben. er lebt so sehr in der innenwelt, dass er sich der außenwelt schlecht bis gar nicht mehr mitteilen kann, sich nicht mitteilen will, der sich nicht einordnen und bewerten lassen will und der sich traurigerweise für die einsamkeit entscheidet.
der titel der geschichte "Weistu was, so schweig", lässt sich auch als gegenentwurf zur aktuellen webkultur lesen, jedes detail in plauderfäden zu schreiben, seine ganze persönlichkeit zu posten und eben immerzu zu produzieren. das gefällt mir besonders, diese anwendbarkeit der geschichte, ihres protagonisten und nicht zuletzt eines zitats auf unsere heutige zeit.

bei dem ende habe ich eine weile überlegt und wollte es erst schlecht finden, weil ich es für ein kitschiges ende hielt, also ein unglaubwürdiges, jetzt-wird-alles-gut-ende, aber mtlw halte ich es für passend. schließlich plant er nicht, mit ihr über eine eventuelle zweisamkeit zu reden, sondern über seine einsamkeit. er öffnet sich vllt im rahmen seiner möglichkeiten, macht einen schritt auf sie zu, in dem steckt für mich aber höchstens ein minimaler hoffnungsschimmer.
weiters überlegte ich, ob du die anderen charaktere näher hättest ausleuchten sollen und mir fiel auf, dass sich eine szene vllt gut gemacht hätte, in der konstantin mit dem mädchen redet oder zu reden versucht, in der du bspw den widerstreit gefühl vs verstand hättest anschaulich machen können. wie auch immer, auf jeden fall ist die geschichte großartig!
grüße
Kubus

 

Hallo Kew,

Eine schöne Geschichte hast du da geschrieben. Jetzt ist mir Kubus zuvor gekommen und hat schon vieles zu deinem Text gesagt, also halte mich kurz.

Eins vorweg: Die vielen Flüchtigkeitsfehler haben mich auch ein wenig gestört, bin aber gerade zu faul, sie herauszusuchen. Einmal hat ein Hilfsverb gefehlt, ein anderes Mal ein Buchstabe ...

Zum Inhalt: Zwischendurch habe ich mich immer wieder ertappt, wie ich dachte, dass Daniel der Erzähler sei. Hattest du ursprünglich vor, die Geschichte aus seiner Sicht zu erzählen? Hätte mir glaube ich noch besser gefallen, wenn du es getan hättest (Kann jetzt spontan nicht sagen, weshalb, vielleicht fällt mir morgen etwas dazu ein).
Wie dem auch sei, mir hat die Charakterisierung Konstantins gut gefallen, das Scheitern dieses Menschen, der zu viel denkt und sich in seiner Weltanschauung verliert, aber nichts dagegen tun kann. Leider bleibt Daniel als Freund ein bisschen blass, was ich schade finde, weil er ja doch eine wichtige Rolle spielt als einziger Freund Konstantins. Vielleicht, weil er nicht so einen Kontrast zu Konstantin bildet. Sie reden beide auf einem ähnlichen (und für Dialoge etwas gekünstelt, gewollten) Niveau, sind aber doch nur Jugendliche, wenn auch intelektuelle. Ein bisschen empfand ich das als Missverhältnis, aber nur so am Rande.

Eine Bahnhofsuhr hing, grotesk und übergroß, neben dem Fenster, während ein Druck von Dürrers Melencholia und die Kohlezeichnung eines verfallenen Mannes ohne Augen, die von Konstantin war, den Schreibtisch flankierten.
Dürers (der Gute schreibt sich übrigens mit einem r in der Mitte ;) ) Melencolia – wie klischeehaft und doch gerade passend für diesen Konstantin! Schöne Details in der Zimmerbeschreibung.

Die Krähe, die öfter auftaucht, fand ich dann doch zu viel des Guten. Die Stimmungsbilder, die du hast, sind gut, die Tristesse ist da, es braucht nicht noch eine Krähe, die es unterstreicht. Vielleicht findest du ja noch ein bisschen Traurigkeit in anderen, absurden und ungewollt grotesken Dingen.

Das Ende hat mir gut gefallen, wie sich Konstantin unfreiwillig öffnet und doch immer noch einsam bleibt. Aber der Leser kriegt immerhin ein bisschen Hoffnung.

Liebe Grüsse,
sirwen

 

Moin,
euch beiden vorneweg ein herzliches Dankeschön fürs Lesen und die Mühe einen Kommentar zu schreiben
Dann will ich mal:

@ Kubus:

Sie gingen nebeneinander auf einem Feldweg, umgeben vom Streifenmuster schneegefüllter Ackerfurchen und unnatürlich schwarzer Erde bis zu den Häusern der Stadt.
Hm, die Version ist nicht schlecht, werde ich mir überlegen. Danke jedenfalls für den Vorschlag.

also im sinne der eingängigen lesbarkeit könntest du diesen und wahrscheinlich auch andere sätze reduzieren. auf der anderen seite passen diese endlossätze gut zu deinem protagonisten, der ja mit eingängigkeit wenig am hut hat.
Wie schön, dass du mir den Ausweg gleich mit zur Hand gibst:D
Also die langen Sätze sind wohl vor allem meiner bevorzugten Lektüre geschuldet. Das soll aber keine Ausrede für schlechte Sätze sein. Wobei mir persönlich die Sätze ja alle eingängig erscheinen, was aber einfach daran liegen kann, dass mir schließlich alles klar ist. Sollte es also wirklich unverständliche Sätze geben, würde ich mich über einen Hinweis freuen. Aber an der Länge der Sätze ansich möchte ich eigentlich nicht schrauben.

dann hast du noch ein paar flüchtigkeitsfehler drin, die schmälern deine schöne geschichte, geh doch bitte nochmal rüber und korrigiere die.
Wird die Tage geschehen, meine ganz persönliche Rechtschreibkontrolle wurde bereits informiert. Ich selbst habe nämlich peinlicher weise über die Fehler beim Korrekturdurchgang hinweggelesen. Danach sollte es eigentlich besser sein.

ich finde die geschichte an sich nämlich ausgezeichnet.
Das ist Musik in meinen Ohren:D Also es freut mich wirklich riesig, dass sie dir gefallen hat. Also vielen dank dafür.

doch auch das wiederkehrende motiv der krähen, wie in nietzsches "Vereinsamt"
Hier bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich dich richtig verstanden habe. Gefällt es dir oder fingest du es wie sirwen zu plakativ?

der titel der geschichte "Weistu was, so schweig", lässt sich auch als gegenentwurf zur aktuellen webkultur lesen, jedes detail in plauderfäden zu schreiben, seine ganze persönlichkeit zu posten und eben immerzu zu produzieren.
Genau das hatte ich beim Schreiben der Dialogstelle mit dem "Produzieren" im Sinn. Schön, dass es auch so rauskommt.

weiters überlegte ich, ob du die anderen charaktere näher hättest ausleuchten sollen
Hm, ein Gedanke, den ich auch schon hatte, doch ist mir ehrlich gesagt keine Gute Idee gekommen, wie ich weitere Eigenschaften einbringen könnte ohne zu sehr von der Haupthandlung abzulenken. Kann da aber noch mal in mich gehen. Vielleicht kommt ja noch ein Geistesblitz.

mir fiel auf, dass sich eine szene vllt gut gemacht hätte, in der konstantin mit dem mädchen redet oder zu reden versucht, in der du bspw den widerstreit gefühl vs verstand hättest anschaulich machen können.
Ehrlich gesagt wüsste ich nicht, wo ich diese einbauen sollte. Vor der Abkehr von Marie gibt es für mich diesen Widerstreit nicht so deutlich, dass man ihn wirklich zeigen könnte. Er wird sich erst in einer einsamen Stunde darüber bewusst - so stelle ich mir das zu mindest vor. Und nach dem Gespräch mit Daniel möchte ich nichts mehr weiter führen. Da ist für mich schluss. Hinzu kommt, dass als Perspektive eigentlich Daniel aus der Er-Sicht gedacht ist, was aber möglicherweise nicht so rüber kommt. Und Daniel kann bei einem solchen Gespräch nicht dabei sein.

Also noch mal vielen Dank für deine Mühen.

@sirwen

Eine schöne Geschichte hast du da geschrieben.
Und wieder freue ich ich ungemein.

Zwischendurch habe ich mich immer wieder ertappt, wie ich dachte, dass Daniel der Erzähler sei. Hattest du ursprünglich vor, die Geschichte aus seiner Sicht zu erzählen? Hätte mir glaube ich noch besser gefallen, wenn du es getan hättest (
Wie bereits bei Kubus gesagt: die Er-Perspektive aus der Sicht Daniels war eigentlich beabsichtigt. Daniel aber als Ich-Erzähler wollte ich vermeiden, da ich diese Perspektive nicht so mag bzw. sie für weit schwieriger halte, sodass ich erst mal auf dem sicheren Terrain bleibe.

Leider bleibt Daniel als Freund ein bisschen blass, was ich schade finde, weil er ja doch eine wichtige Rolle spielt als einziger Freund Konstantins.
Vielleicht fällt mir noch was ein, ihn aus der Blassheit zu retten. Wobei es mich ehrlich gesagt wundert, dass du Daniel erwähnst und nicht Marie - ich hatte bei ihr viel eher Sorgen. Aber so schätzt der Autor sein Werk mal wieder falsch ein :D

Sie reden beide auf einem ähnlichen (und für Dialoge etwas gekünstelt, gewollten) Niveau, sind aber doch nur Jugendliche, wenn auch intelektuelle. Ein bisschen empfand ich das als Missverhältnis, aber nur so am Rande.
Meinst du hier sprachlich oder inhaltlich? Sprachlich gebe ich dir sicher recht. Das ist eines meiner Probleme, die sich wohl nur durch viel Übung verbessern lassen. Inhaltlich aber denke ich ist das nicht so schlimm. Schließlich zähle ich ja selbst noch zu den Jugendlichen.

Dürers (der Gute schreibt sich übrigens mit einem r in der Mitte ) Melencolia – wie klischeehaft und doch gerade passend für diesen Konstantin! Schöne Details in der Zimmerbeschreibung.
Peinlich, peinlich. Und danke für das Lob

Die Krähe, die öfter auftaucht, fand ich dann doch zu viel des Guten. Die Stimmungsbilder, die du hast, sind gut, die Tristesse ist da, es braucht nicht noch eine Krähe, die es unterstreicht. Vielleicht findest du ja noch ein bisschen Traurigkeit in anderen, absurden und ungewollt grotesken Dingen.
Wenn mir was einfällt bringe ich es noch mit ein. Werde aber auf jedem Fall am Wochende schauen, welche der Krähen raus fliegt.

Das Ende hat mir gut gefallen, wie sich Konstantin unfreiwillig öffnet und doch immer noch einsam bleibt. Aber der Leser kriegt immerhin ein bisschen Hoffnung.
Das freut mich.

Und auch dir noch einmal Dank für deinen Kommentar.

Gruß,
Kew

 

Der Titel >Weistu was, so schweig<,

lieber Kew,

muss mich verlocken, weil und insoweit „weistu“ eine Kontraktion aufs mittelhochdeutsche „wizzen“ mit der zwoten Person (also: weist + du) ist und als Realisation der Volksmundes gelten mag, dass man so schriebe, wie man spräche (wiewohl das eher eine VolksUNweisheit ist), dass ich es quasi entflechten und vereinheitlichen möchte zum „weistu waz, so sweic!" [bzw. "so sweige stille"].

Vieles hat Kubus schon gesagt, dem zuzustimmen ist, insbesondere mit den Kürzungen/Straffungen, darum hierzu nur ein Vorschlag:

statt >einer heiligen Statue nicht unähnlich<

wäre mE „gleich einem Heiligen“ ohne den Sinn zu verfälschen knapper und angemessener.

Die Geschichte handelt im Schüler-Milieu mit all seiner romantisch philosophischen Verklärung und - konsequent dann in Form & Inhalt - ist ein Schulaufsatz – was nix schlimmes ist, alle Literaten fingen einmal so an und wer dagegen spricht, hat wahrscheinlich schon an der Mutterbrust mit Muttermilch Literarische von sich gegeben. Es gibt mancherlei Symbolik, wie die Krähen zB. Hier wäre interessant, welche Rabenvögel – Singvögel! - es sein sollen:
Kolkraben – als die größten, aber auch seltensten Vertreter hierzulande – können bis zu 70 Jahre alt werden und leben idR monogam, gelten als besonders klug und gelten darum als Ratgeber (!) Odins/Wotans,
die Rabenkrähe als zwotgrößter, aber häufigerer Vertreter,
Nebel- und Saatkrähe bis hinab zu Dohle und Elster, aber auch dem (Eichel)Häher, der es fertig bringt, andere Lebewesen zu verspotten, indem er ihre Laute nachahmt – quasi parodiert.

Hinzu kommt so etwas wie Weisheit, welche meine Sympathie zu Konstantin fördert: >„Er findet, er braucht keins. Und er hat eigentlich recht...“, wie auch ich mein Mobiltelefon abgeschafft hab: massenhafte „Kommunikation“ grenzt schon an Sprachlosigkeit, wo sie zum Geschwätz wird, und Bildchen in die Welt zu versenden, die Welt in Wörtern und Bildchen zu ersäufen ist sicherlich keine Kunst …

Was Nietzsche betrifft sollte man die Lehre vom „Übermenschen“ nicht buchstäblich nehmen, schon gar nicht aufs Individuum beziehen. Damit wird dann auch Schindluder betrieben.
Gemeint ist eher mit seiner „un“forensischen Anschauung die Fortentwicklung der Gesellschaft, wobei N. sicherlich weniger die technokratische/-logische Entwicklung meinte. Was mich zu den >schneegefüllter Ackerfurchen und … schwarzer Erde< führt.

Wahrscheinlich entstanden aus dem Gegensatz von schwarz/weiß, hell/dunkel, (agrar)kultiviert/natürlich entstanden, spielt es – Dir vielleicht unbewusst – mit den Begriffen „Mensch“ (= Kultur) und „Erde“ (= Natur), hier insbesondere der „Schwarzerde“ (wie Moorböden zB). Dieser fruchtbare Bestandteil des Bodens wird mit „Humus“ bezeichnet, was im lat. aber allgemeiner „Erde/Erdboden“ bedeutet, der die gleiche Wurzel hat wie der Homo (Mensch/Mann), denn der ist es, der auf der Erde lebt und in allen Mythen aus Erde geschaffen ist und wieder zu Erde wird. Im Begriff des „Humanen“ als dem menschlichem, menschenwürdigen/-freundlichen, dem gebildeten ist das ja sogar dem Nichtsahnenden sichtbar.

Gleichwohl sind noch einige Bemerkungen, wie zB dass hier viel „gewendet“, (halb/ab)gewandt und auch „inne gehalten“ wird. Ich werd – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – auf einige Schnitzer aufmerksam machen (dabei acker ich etwas mehr als die Hälfte des Textes durch, denn das ist die eigentliche Anstrengung bei der Textarbeit) in der Übereugung, dass der Rest ohne Hilfestellung zu bewältigen ist:

Zunächst: >unnatürlich schwarzer Erde<, später teilt Adrian sich >natürlich< mit, was ist „unnatürlich“ an schwarzer Erde, was ist eine „natürliche“ Äußerung?, wie später >„Wo musst du jetzt eigentlich hin?“ Und uneigentlich? Erde ist immer in Brauntönen (braun ist ja nix anderes als gelb und/oder rot mit Grauschleier, was dann bis zum „schwarzen“ Effekt ausreicht – wenn der Grauschleier alles überdeckt. Und wenn ich auf den Zusammenhang Humus/human/Homo eingegangen bin, kann wohl der folgende Satz ohne rassistischen Anklang gelesen werden: Sind „Neger“ nicht „Schwarze“, obwohl es keine wirklich „Schwarzen“ gibt, handelt es sich doch bei der Haut allein um unterschiedliche Brauntöne.

>„Das Zitat stammt von Thomas Mann – aus dem Doktor Faustus.“, fuhr Konstantin fort<, hier wäre der Punkt vorm auslaufenden Anführungszeichen grundsätzlich entbehrlich, nicht aber Frage und Ausrufezeichen;
Regeln siehe amtl. Regelungen der deutschen Rechtschreibung §§ 91 f., kürzer in Duden Bd. 1, 2006, K7 und K 9 –

überhaupt: zieh Dir einfach die Rechtschreibung und Zeichensetzung des Dudens K 1 ff. rein, wo auch auf die Hinweise zur amtl. Regelung hingewiesen wird, die im Anhang des Dudens abgedruckt sind). Frisst zwar Zeit, aber dafür sitzt es dann zu 99 % und wer da einen Schnitzer noch entdeckt, der hat wirklich aufmerksam gelesen – es sei denn, der genannte S. fände sich direkt zu Anfang eines Textes.
Da solltestu hierauf Deinen gesamten Text noch mal durchgehn.

>HauptsacheKOMMA du produzierst dich; HauptsacheKOMMA du wirst beachtet< und
>hüpfte eine Krähe über den BahnsteigPUNKT< und >„Das hat nichts zu sagen, er hat gar keins.<GÄNSEFÜßchen, dafür ist bei >Daniel und Konstantin folgten ihnen, bis zum Schulgebäude< das Komma entbehrlich.

>… kann ich mir dich nicht vorstellten< das letzte t ist entbehrlich, dafür bei >„Man sieht sich“< ein Satzzeichen (Punkt, eher aber Ausrufezeichen) anzubringen. > Ihre Lippen zitterte< + n

>Er löste sich vom dem Türrahmen< entweder „er löste sich von dem Türrahmen“ oder als Kontraktion von + dem = „vom“, analog >Schneeflocken trieben in der Zwielicht< in + dem = im

>„Weshalb? Wegen meinem Vater?“< Genitiv: „wegen meines Vaters“ (später noch mal); kennstu doch, "der Dativ ist dem Genitiv sein Tod".

>Spottlächeln<? Spöttisches Lächeln villeicht besser.

>Dürers Melencholia<, Dürers Kupferstich von 1515 veranlasste Gottfried Keller zu folgenden Versen (die ich an gleicher Stelle hier vor Ort wie den Max Frisch missbraucht habe): „Sei mir gegrüßt, Melancholie, / Die mit dem leisen Feenschritt / Im Garten meiner Phantasie / Zu rechter Zeit ans Herz mir tritt! / Die mir den Mut, wie eine junge Weide, / Tief an den Rand des Lebens biegt, / Doch dann in meinem bittern Leide / Voll Treue mir zur Seite liegt! // Die mir der Wahrheit Spiegelschild, / Den unbezwungnen, hält empor, / Daß der Erkenntnis Träne schwillt / Und bricht aus dunklem Aug hervor; / Wie hebst das Haupt du streng und strenger immer / Wenn ich dich mehr und mehr vergaß / Ob lärmendem Geräusch und Flimmer, / Die doch an meiner Wiege saß! // Wie hängt mein Herz an eitler Lust / Und an der Torheit dieser Welt! / Oft mehr als eines Weibes Brust / Ist es von Außenwerk umstellt, / Und selbst den Trost, daß ich aus eignem Streben / Was leer und nichtig ist, erkannt, / Nimmst du und hast mein stolz Erheben / Zu Boden alsobald gewandt, // Wenn du mir lächelnd zeigst das Buch / Des Königs, den ich oft verhöhnt, / Aus dem es, wie von Erz ein Fluch, / Daß alles eitel sei! ertönt. / Und nah und ferne hör ich dann erklingen / Gleich Narrenschellen ein Getön- / o Göttin, laß mich dich umschlingen, / Nur du, nur du bist wahr und schön! – // Noch fühl ich dich so edel nicht, / Wie Albrecht Dürer dich geschaut: / Ein sinnend Weib, von innerm Licht / Erhellt, des Fleißes schönste Braut, / Umgeben reich von aller Werke Zeichen, / Mit milder Trauer angetan; / Sie sinnt - der Dämon muß entweichen / Vor des Vollbringens reifem Plan.“

Ganz wahrhaftig ist der einleitende Satz dieses Koms nicht, denn ein weiterer Grund ist, dass das >weistu< mir auch schmeichelt (das wirstu vielleicht schon geahnt haben, wobei aber zu warnen wäre: es macht hier aber nicht nur Freunde!).

Gruß

Friedel

 

Hallo Friedrichard,
nachdem mich gestern an Stromausfall gehindert hat, geht's heute frisch ans Werk.

„gleich einem Heiligen“
Wurde übernommen.

Was Nietzsche betrifft sollte man die Lehre vom „Übermenschen“ nicht buchstäblich nehmen, schon gar nicht aufs Individuum beziehen. Damit wird dann auch Schindluder betrieben.
Bei Konstantin ist das "Überwinden des Menschens" auch eher spöttisch gemeint. Werde mich noch überlegen, wie ich das besser raus bekomme.

>unnatürlich schwarzer Erde<
Das "unnatürlich" ist raus.

Formale Anmerkungen wurden alle übernommen. Vielen dank fürs raussuchen. Ein paar weitere Fehler habe ich nun auch gefunden. Hoffe jetzt ist zu mindest das gröbste raus.

Spottlächeln
Würde ich behalten, da ich sonst eine Konstruktionswiederholung habe.

Nochmals vielen Dank für deinen Kommentar und besonders auch für die vielen Anregungen und das Gedankengut - wird mich noch beschäftigen.

Allgemein:

Ich habe festgestellt, dass es mir momentan noch sehr schwer fällt den Text ein weiteres Mal zu überarbeiten - liegt wohl daran, dass er noch zu "frisch" ist. Wenn es also seine Zeit dauert, bis ich mit den Vereinfachungen weiter komme, so liegt das nicht an Unwillen, sondern an eben diesen Schwierigkeiten oder meiner eigenen Blindheit. Werde aber mein bestes geben.

Auch in diesem Sinne geht es den Krähen an den Kragen:

Am Himmel glomm das graue Licht der Dämmerung und eine Krähe segelte in der kältestarr Luft.
Das Unterstrichene kommt raus.

Wie tot stand dagegen der Apfelbaum, ein schwarzes Skelett vor all dem Weiß, und auf einem seiner Äste saß eine Krähe und blickte zum Fenster hinauf.
Diese würde ich als einzige behalten, da mir eine nicht als übertrieben erscheint und mir das Bild sehr gefällt.

Auf der Jagd nach einer windgetragenen Chipstüte hüpfte eine Krähe über den Bahnsteig
Wird ersetzt - weiß allerdings noch nicht genau wie, bleibt so lange noch stehen.

Kleinständerungen:

Konstantin ging zu seinem Bett und griff unter das Kopfkissen
Das "und" ist neu.

In ihrem Windschatten erstarrte die Luft und die Schneeflocken sanken zu Boden – lautlos und wie fallende Sterne.
Nun: "lautlos wie fallende Sterne"

Gruß,
Kew

 

Nix zu danken,

Kew,

auch zu entschuldigen (siehe Stromausfall/Vulkanausbruch o. ä.) braucht sich niemand.

>Ich habe festgestellt, dass es mir momentan noch sehr schwer fällt den Text ein weiteres Mal zu überarbeiten ...<, lass Dir Zeit, Kew, ich mag Verlängerungen des Arbeitsalltages genauso wenig wie hobbies. Meine Texte werden grundsätzlich nicht fertig, selbst, wenn sie gelegentlich so tun. Und sieh alles nur als Anregung an, der man nicht unbedngt folgen muss. Und in Sachen Blindheit bin ich mit Sicherheit auch beschlagen genug.

>Auch in diesem Sinne geht es den Krähen an den Kragen<, aber nicht so sehr, dass sie bald auf der roten Liste stehen! Denn es sind durchaus "intelligente" Vögel, aber auch sehr symbolträchtig, eben anders als dumme Gänse (was die gar nicht so sind).

Wir bleiben in Kontakt!

Gruß

Friedel

 

Hallo nochmal.

aber nicht so sehr, dass sie bald auf der roten Liste stehen!
2 Stück dürften für den Arterhalt hoffentlich genügen.

Noch ein paar Änderungen, die hoffentlich die Lesbarkeit verbessern:

Dabei war ihm nicht nach Scherzen zumute; denn hinter der Absage an das Leben stand, selbst wenn Konstantin niemals davon sprach, als Möglichkeit der Selbstmord.
Nun: Dabei war ihm nicht nach Scherzen zumute; denn die letzte Konsequenz der Absage ans Leben war der Selbstmord. Auch wenn Konstantin niemals davon sprach.

Klar und streng trat das Thema auf und während es sich im schnellen Lauf verlor, um weicher, wärmer wiederzukehren, saß Konstantin in seinem Sessel, die Augen noch immer geschlossen; und Daniel stand im Türrahmen und betrachtete seinen Freund.
Klar und streng trat das Thema auf und während es sich im schnellen Lauf verlor, um weicher, wärmer wiederzukehren, betrachtete Daniel seinen Freund.

Daniel lehnte an einem Stahlträger. Auf der Jagd nach einer windgetragenen Chipstüte hüpfte eine Krähe über den Bahnsteig.

Das wärs auch schon, ansonsten nur ein oder zwei Adjektive gestrichen.

Gruß,
Kew
Daniel lehnte an einem Stahlträger und am Ende des Bahnsteiges wiegte sich ein leerer Kinderwagen.

 
Zuletzt bearbeitet:

>2 Stück* dürften für den Arterhalt hoffentlich genügen<, sofern sie unterschiedlichen Geschlechts und paarungswillig sind, könnt's unter weiteren Umständen genügen - für die Geschichte sollte es fürn Arrterhalt von *Krähen reichen.

Die Änderungen/Straffungen gefallen, doch ist mir noch was beim erneuten Lesen aufgefallen, was mich um Jahrzehnte zurückwirft!

>Für einen Augenblick, der Daniel ewig schien, …<, wer zum Teufel,

lieber Kew,

„scheint“ da wem oder was?

Vor rund fuffzig Jahren behauptete mein Deutschlehrer an der Realschule vor versammelter Mannschaft, »die Sonne scheint und alles andere Licht ist nur geliehen, selbst der Mond, dem wir noch das Recht zugestehen wollen, selbst zu scheinen, muss sich Licht leihen wie auch die Planeten, um am Morgen- oder Abendhimmel zu leuchten. Was nicht zu erreichen ist - wie der nächste Stern etwa - wolln wir gar nicht erst erwähnen.
Der Mensch aber, liebe Leute, scheint nun überhaupt nicht, selbst nicht mit Heiligemschein, höchstens „er“scheint er wo, i. d. R. aber scheint er „zu sein“ oder „zu tun“.«

Nun „scheint“ es noch ein wenig im Text:
>Daniel schien sie zerbrechlich< + ZU SEIN
>Die Autos, …, schienen Daniel ebenso fremd und sonderbar< + ZU SEIN, wogegen es korrekt heißt (das lob ich Dir!) >Dessen Augen hatten ihre Leere verloren – in ihnen schien matter Glanz<, der dann aber auch nur von anderer Quelle geliehen ist. Doch im folgenden leuchtet dann ein anderer Schnitzer durch: >Sie sah an ihm vorbei ins Leere und während um sie her der Lärm wogte, schien esKOMMA als wäre sie für sich allein – die einzige Besetzung in einem Stück der Einsamkeit.< (behauptet der reformierte Konny Duden, vgl. K 112, Bd. 1).

Und doch noch: Dürer!!!, der ist nicht der Komparativ des Herrn Dürr!

>Das ihr zusammen seit, …< seid!

Kein Beinbruch, Kew, alles im Ragmen des Normalen ...

Gruß

Friedel

 

Danke Friedrichard, für die weitere Fehlersuche.
Ist übernommen.

Gruß,
Kew

 

Hey Kew,
zunächst möchte ich dir zu einer wirklich sehr gelungenen Kurzgeschichte gratulieren. Die Tragik, die aus der Sturheit deines Charakters für die ihn wohlgesottenen Menschen resultiert, hatte eine fesselnde Wirkung auf mich. Ein zwei stilistische Feinheiten sind mir aufgefallen, aber nicht der Rede wert.
Insgesamt kann ich nur sagen, dass ich deine Geschichte sehr gerne gelesen habe und hoffe, dass Konstantin doch noch etwas Licht in sein Herz lässt :)

Liebe Grüße

 

Hallo szzr8ut,
vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren

zunächst möchte ich dir zu einer wirklich sehr gelungenen Kurzgeschichte gratulieren.
Das freut mich.

Die Tragik, die aus der Sturheit deines Charakters für die ihn wohlgesottenen Menschen resultiert, hatte eine fesselnde Wirkung auf mich.
Dann habe ich ja mein Ziel erreicht.

Vielen Dank nochmal.

Gruß,
Kew

 

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