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Weisser Schnee
Weisser Schnee
Im Wonnemonat Mai standen wir in Manhattan vor dem Empire State Building. Mit seinen mehr als 380 Metern drang das riesige Gebäude in die Wolken. Bis zum fünfzigsten, sechzigsten Stock war die Sicht frei. Innen, bei den Aufzügen zu den Büros standen einige Herren, vermutlich Sicherheitsleute. Erna sprach einen der Männer an:
"28. Stock, bitte sehr, wie kommen wir dahin?"
"Kein Problem", er drückte auf den entsprechenden Knopf, wir betraten den Lift und in wenigen Augenblicken waren wir oben. Ein Schild zeigte uns den Weg zu einer Glastür, verschlossen, ein Zettel in Deutsch, BITTE SCHELLEN. Eine junge Dame, mit strahlenden Augen, in bunter Bluse und kurzem Rock öffnete und begrüßte uns mit herzlichem Lächeln.
"Regina ist mein Name, alle sagen hier Reggie zu mir. Also, auch für Sie, einfach Reggie! Was kann ich für Sie tun? Kommen Sie weiter, dort drüben sitzt meine Kollegin Pirosch, eigentlich heißt sie Piroschka, kommt aus Ungarn, spricht sich etwas hartes Deutsch!"
Wir bekamen Antworten auf unsere Fragen und als wir gehen wollten, zeigte Reggie auf meine Kamera:
"Sie haben ein schönes, altes Stück! Wollen Sie eine Aufnahme machen? Wenn Sie mir helfen, können wir auch das Fenster öffnen."
Ich schaute sicherlich etwas überrascht, denn die Aussicht von hier oben war nicht sehr überzeugend. Rückseiten großer, grauer Gebäude, ab und zu spitz zulaufende Dachabschlußkanten, alles im Sprühregen nebelverhangen. Reggie war schon am Fenster, quälte und mühte sich, ich sprang hinzu und half. Frischluft strömte in das Büro im 28. Geschoß. Das Fräulein kniete sich hin, hielt seinen Oberkörper hinaus, breitete die Arme aus und rief:
"Wundervoll, wundervoll!" winkelte ihre Beine an und begann, auf dem unteren Sims hin- und herzukippen. Wahnsinn! Ich schnappte zu, ihr linkes Bein, hielt es mit meinen Händen fest. Sie hatte kein Höschen an. Ich zog kräftig an ihr, zurück in den Raum, platsch, da lag sie nun auf dem Teppichboden.
Pirosch war aufgesprungen, kam um ihren Schreibtisch herum.
"Biste verrückt geworden, Reggie? Haste wieder gekokst? Wie kommste nur an den Stoff, an das Kokain? Du weißt doch, du verträgst nicht Schnee weisses!"
Inzwischen war ich wieder aufgestanden, versuchte mit "Ruhe, Ruhe, meine Damen" die ganze Aufregung zu dämpfen. Voller Entsetzen stand Erna daneben. Plötzlich sprang Reggie auf, warf sich mir an den Hals und begann zu weinen.
"Meine Nerven! Verzeih mir! Du bist der Mann meiner Träume! Wie sollte ich es machen, mein starker Retter, Du!"
Sie küßte mich, drängte sich immer mehr in mich hinein, hielt meinen Kopf fest in ihrem Griff. Meine Frau mischte sich ein.
"Fräuleinchen, Fräuleinchen, so geht es nicht! Der Kerl gehört mir! Los, komm, hier weg!"
Energisch schnappte sie meine Hand, riß mich los von der kleinen, süßen Reggie, und marschierte zur Tür. Im Fahrstuhl stellte sie fest:
"Du bist und bleibst doch mein alter, lieber Esel!"