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Weisheiten Oder Das Ende einer Generation

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05.10.2012
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Weisheiten Oder Das Ende einer Generation

„Die Wahrheit über die Juden ist“, sagte der alte Mann ruhig, während er sich noch einen Whiskey einschenkte, ohne dabei seinem Gegenüber – ein dürrer, nichtsnutziger Bengel von 19 oder 20 Jahren und zu allem Überfluss auch noch sein Enkel – etwas davon anzubieten, „dass sie uns alle überleben werden.“ Er sagte das, ohne sich darüber zu echauffieren. Er stellte es einfach fest, mit dieser ganz bestimmten Mischung aus erhabener Gelassenheit und Resignation, wie sie bei alten Menschen häufig herauszuhören ist.
„Sie sind klein, widerlich und praktisch ohne herausragende Eigenschaft. Sie sind nicht wie wir. Sie sind weder stark noch mutig.
Aber sie können sich anpassen – wir können das nicht. Dafür sind wir viel zu stolz. Juden sind nicht stolz.
Es ist erstaunlich, wie anpassungsfähig man ist, wenn man auch das kleinste bisschen Menschenwürde abgelegt hat. Juden wissen, wann sie den Kopf einziehen müssen. Wie Kakerlaken sind sie. Unscheinbar, klein und schwach, aber die einzigen, die einen Atomkrieg überleben werden.“
Der Junge, der auf dem Sofa saß, welches dem alten Ohrensessel des alten Mannes zugewandt war, bewegte seinen Hintern auf dem Polster unruhig hin und her. Diesen weißen, schlaffen Hintern; den Hintern, für den er gekämpft hatte.
„Sie sind so“, der alte Mann hielt einen Moment mit leicht geöffnetem Mund inne, als suchte er nach dem passenden Wort und spuckte es dann förmlich heraus, als er es gefunden hatte, „widerlich. Geradezu ekelerregend. Nicht ihre langen Nasen, ihre unrasierten Haare in den Nasen und den Ohren, nicht ihre bucklige, kriecherische und heuchlerische Haltung ist es, die mich so anwidert. Es ist dieser fehlende Stolz, diese Bereitschaft alles, wirklich alles zu tun, um zu überleben. Juden kennen kein Gemeinschaftsgefühl, nicht einmal zueinander. Sie würden für ein paar Pfennig ihren eigenen Großvater verraten. Man kann das in ihren Augen sehen.“ Dabei tippte er sich mit seinen von Arthritis gezeichneten Fingern immer wieder an die Augen. „Voller Niedertracht sind sie, diese Augen. Mit tiefen Augenringen und Krähenfüßen umrandet, während in den Pupillen ein Feuer der Verschlagenheit brennt.“
Während er dem bleichen Bengel die grundlegenden Dinge, die es zu verstehen galt, erklärte, nippte er immer wieder von seinem schottischen Whiskey und bleckte daraufhin die Zähne.
„Verstehst du das?“, fragte er ihn mit einer Spur von Schärfe in der Stimme, auch wenn er beinahe wusste, dass es zwecklos war, den Jungen so etwas zu fragen. Er verstand es ohnehin nicht. Ganz gleich, wie oft er es ihm auch noch erklären würde. Die jungen Leute verstanden immer weniger von dem, wofür er und seine Altersgenossen damals gekämpft hatten. Dabei ging es nicht nur um Deutschland, es ging um die Welt. Es ging um die Bedrohung, die die Juden damals auf den Frieden der Welt ausübten und noch immer taten.
Der blasse Bengel nickte zaghaft. Aber in seinen Augen blitzte keinerlei Verstehen auf. Ein Wunder, wenn er ihm überhaupt zuhörte und nicht gerade an tausend Dinge dachte, die er jetzt gerade lieber tun würde als seinen Großvater zu besuchen.
„Der Deutsche dagegen ist im Allgemeinen zäh, stark und diszipliniert. Er ist hart gegenüber anderen und hart gegenüber sich selbst“, fuhr der alte Mann fort, auch wenn er nur zu genau wusste, dass dieser Weichling von einem Enkel all diese ehrenvollen Attribute nicht verkörperte. Und das obwohl er durch und durch ein Deutscher war. Was für eine Schande für die Familie und sein Vaterland.
„Wenn das tierische Gegenstück des Juden die Kakerlake ist, so ist der deutsche Vertreter im Tierreich der Jack Russel Terrier. Sicherlich ist er nicht der Größte, dafür jedoch äußerst widerstandsfähig, zäh, hartnäckig und ohne zu zögern bereit, sich für seine Gemeinschaft zu opfern.“
Mit wachen Augen musterte er den Jungen, ehe ihn ein rauer Husten schüttelte und den Kopf ein wenig senken ließ.
Wieder sah er, immer noch mit leicht gesenktem Kopf, zu dem Jungen auf, der gerade verstohlen auf seine Armbanduhr glotzte, wohl in dem Glauben, unbeobachtet zu sein.
Mit einem fast unmerklichen Kopfschütteln griff sich der alte Mann seine Pfeife und die Tabakdose und begann behutsam damit, seine Pfeife zu stopfen.
„Was viele nicht wissen und die meisten nicht wahrhaben wollen, ist, dass der Krieg unvermeidlich war. Ich spreche hier nicht von dem ganzen Mist über die Krise der Weimarer Republik und die Repressalien des Versailler Vertrages, ich rede vom Judenproblem.“
Der alte Mann steckte sich die Pfeife in den Mund.
„Hitler war sicher nicht der erste Mensch, der dieses Problem erkannte“, presste er mit der Pfeife zwischen den Zähnen hervor, ehe er sie wieder aus dem Mund nahm, um ungestört fortfahren zu können, „aber doch sicherlich der erste, der den Mut aufbrachte, etwas dagegen zu unternehmen.“
Mit langsamen, wohl bedachten Zügen entzündete er die Pfeife und stieß den Rauch in kleinen, dichten Wölkchen heraus.
„Und damit meine ich, ernsthaft etwas dagegen unternommen.
Den Juden zu verbieten, ein Gewerbe auszuüben…Da lache ich mich doch tot. Als ob so etwas ausreichen könnte. Die finden immer einen Weg.“
Eine besonders dicke Rauchwolke hing wie ein Vorhang einen Moment in der Luft und verdeckte seine Sicht auf den Jungen. Ob er auch diese Gelegenheit nutzen würde, um abermals auf die Uhr zu sehen? Warum konnte ihn nicht mal ein anderer der Enkel besuchen? Warum musste es immer diese Halbeportion sein?
Dieser kleine Scheißer hatte doch keine Ahnung. Als er selbst noch in diesem Alter war, war er bereits in den Krieg gezogen. Was wusste dieser Bengel, der in seinem ganzen Leben noch nichts Anständiges gearbeitet hat, vom Leben? Vom Sterben? Vom Töten?
„Es gab nur einen Weg. Und wir Deutsche haben die Pflicht übernommen, uns dieses Problems anzunehmen. Irgendeiner musste es schließlich tun.
Das will heute keiner mehr wahrhaben“, er fuchtelte nun wild mit der Pfeife in der Luft herum, um seine Worte zu bekräftigen, „aber wenn Hitler damals nichts unternommen hätte, wäre heute keiner von uns hier. Und niemand dankt es einem.“
Die eben noch brodelnde Wut war einer grauen, drückenden Resignation gewichen. Der Resignation eines in die Jahre gekommenen und vom Leben gezeichneten Mannes. Verständnislos sahen ihn die strahlendblauen Augen des Jungen an – zweifellos das Deutscheste an ihm.
Der Rauch, der nach oben stieg und sich gemächlich an der Zimmerdecke sammelte, war für einige Augenblicke das einzige, das zwischen den beiden stand. Dann setzte der alte Mann erneut an, wie ein Stein, der einen Abhang hinunterrollte – immer mehr Fahrt aufnehmend.

Das war nun schon der dritte Whiskey, den sich der alte Sack einschenkte. Dabei war er noch nicht einmal eine halbe Stunde hier. Ein unauffälliger Blick auf seine Armbanduhr bestätigte dies. Es war nicht einmal halb vier. Der Junge unterdrückte mit viel Mühe einen entnervten Seufzer. Da saß er nun schon wieder, gefangen in einen Monolog über die Verdorbenheit der Juden. Und es schien für ihn kein Entkommen zu geben. Eineinhalb Stunden musste er mindestens bleiben. Auch wenn er nicht sicher war, ob der Alte überhaupt noch ein Empfinden für Zeit hatte, so würden doch seine Eltern bemerken, wenn er nach einer knappen Stunde schon wieder zuhause wäre.
Aber die wussten ja nicht, wie es hier war. Jede Woche hier zu sitzen und immer wieder die gleichen Geschichten zu hören. Über die Juden und die Deutschen und all das. Und dabei die ganzen Macken des Alten zu ertragen. Besonders dieses ekelerregende Geräusch, das der Alte immer beim Sprechen von sich gab; als hätte er eine große Menge Schleim im Hals, die er immer wieder hervorwürgte und herunterschluckte. Das war eigentlich das Schlimmste.
Der Alte tippte sich mehrfach an sein Auge. Was hatte er gerade gesagt? Bestimmt wieder etwas über die Schlechtigkeit der Juden, welche man ihnen von den Augen ablesen konnte.
„Verstehst du das?“, bellte ihn der Alte plötzlich an. Fast wäre der Junge zusammengezuckt, so unvermittelt traf ihn diese Aggressivität. Der Junge verstand einfach nicht, wieso der Alte ihm ein jedes Mal aufs Neue diese Frage stellte. Er streute sie permanent in seine immer gleichen Erzählungen ein, wie ein Chefkoch eine Prise Salz. Der Junge begriff auch nicht, was es an den Geschichten des Alten nicht zu verstehen gab. Der antisemitische Scheiß war doch extra dafür konzipiert, dass ihn selbst die einfältigsten Menschen verinnerlichen konnten – wie zum Beispiel dieser alte Sack. Doch müde von den eintönigen Erzählungen nickte der Junge matt.
Die Aufzählung der deutschen Eigenschaften und Tugenden hatte der Alte wohl eins zu eins von Adolf Hitler übernommen. Bemerkenswert, wie lange so etwas im menschlichen Gedächtnis verhaften konnte, selbst wenn es nur so ein verkümmertes wie das des Alten war.
Ohne Zweifel, der tierische Vertreter des Deutschen ist der Jack Russel Terrier. Wenn sein Herrchen „Fass!“ brüllt, denkt er nicht, er handelt. Blinder gehorsam und immer auf die Gunst seines Herrchens bedacht.
Als der Alte von einem Husten gepackt wurde, nutzte er die Chance, um einen zweiten kurzen Blick auf seine Uhr zu werfen. Verging die Zeit denn hier überhaupt nicht?
Nur mit Mühe konnte er ein gespielt überraschtes und verächtliches Schnaufen unterdrücken, als er sah, dass sich der Alte jetzt auch noch seine Pfeife stopfte. Der Junge empfand ein seltsames Gefühl der Ungerechtigkeit bei dem Anblick seines Whiskey trinkenden und rauchenden Großvaters. Wieso lebte dieser alte antisemitische Sack noch, während seine Großmutter – eine ebenso herzliche wie kugelrunde Frau – schon seit fast fünf Jahren tot war?
Einmal mehr stellte er sich die ernsthafte Frage, wieso er diesen alten Giftsack eigentlich noch besuchte. Seine Cousins und Cousinen taten es schließlich auch schon längst nicht mehr. Machte er es gerade deshalb? Aus Mitleid?
Beim Anblick des dicken und unermesslich alten Rauchers, der sich gerade einen großen, dunkelgelben Klumpen Ohrenschmalz aus seinem Ohr puhlte, befielen ihn diesbezüglich allerdings starke Zweifel. Angewidert sah er mit an, wie sich der Alte den Klumpen Ohrenschmalz auch noch einige Augenblicke vor seine Augen hielt, als betrachtete er einen Goldnugget, und ihn daraufhin an der Lehne seines Sessels abwischte.
Der Geruch des Tabaks, der ihm zaghaft in die Nase stieg, überdeckte zumindest für den ersten Moment den Gestank des Hauses. In dem alten, baufälligen Gebäude roch es für gewöhnlich fürchterlich. Es roch nach Moder, getrocknetem Schweiß, altem Rauch und jahrelang geschlossenen Fenstern. Kurz es stank nach alten Menschen.
Während der Alte von der beinahe göttlichen Mission der Deutschen, die Welt von der Sklaverei der Juden zu befreien, berichtete, erholte sich sein Geruchssinn vom ersten Schock des Tabakaromas.
„…Die finden immer einen Weg.“ Der Alte machte eine unerwartete kleine Pause. Sollte er diese Gelegenheit nutzen? Der Junge überlegte nicht lange, sondern sagte sofort: „Also, es ist schon so spät und ich muss ja morgen wieder zur Uni…“ Eigentlich hatte er vorgehabt, noch ein wenig weiterzureden und zu erklären, dass er noch viel zu tun hatte, aber der Alte unterbrach ihn einfach barsch, indem er aussprach, was der Junge schon hundertmal gehört hatte. „Und wir Deutschen haben die Pflicht übernommen.“
Der Gestank war mittlerweile unerträglich, während der Rauch allmählich das Zimmer vernebelte. Wie ein hartnäckiger Schnupfen kroch er seine Nase herauf. Der Rauch selbst hatte, im Gegensatz zum Duft des Tabaks, nichts Angenehmes. Er widerte ihn an. Alles hier. Der Junge hatte nur noch einen Gedanken: Raus hier!
„Was glaubst du denn, was die Juden vorhatten?! Denkst du, die wollten eine Überraschungsfeier für uns veranstalten?! Nein! Die wollten uns versklaven. Das wollen sie noch immer. Das ist eine Macht, diese Juden.“ Der Junge konnte sehen, wie der Kopf des Alten eine ungesunde, rote Farbe annahm und immer dunkler wurde.
„Und natürlich musste Hitler daran scheitern, sie zu vernichten. Mussten wir scheitern. Dafür sind die Juden viel zu mächtig. Die lassen das gar nicht zu.
Darum haben wir auch den Krieg verloren. Weil die Juden nicht wollten, dass wir gewinnen.“
Milliarden kleiner Spucketröpfchen flogen dem alten Sack aus seinem weit aufgerissenen und wutverzerrten Maul, als er anfing zu schreien.
„Aber ich bin froh, ich bin heilfroh, dass wir es trotzdem versucht haben! Weil wir uns das nicht mehr länger gefallen lassen durften. Hilflos mussten wir mitansehen, wie diese Juden immer mächtiger wurden. Wie sie erst das Kaiserreich stürzten und dann die Weimarer Republik.
Hätten wir uns das länger gefallen lassen dürfen?!“

Der Alte schrie mittlerweile aus vollem Hals. Er konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Die Hauptschlagader an seinem Hals trat deutlich hervor. Auch an seiner Schläfe waren nun die dicken, blauen Linien unübersehbar.
„Und mit welchen niederträchtigen Waffen sie kämpften. Dieses Pack. Anstatt uns im gerechten Kampf auf einem Schlachtfeld gegenüberzutreten, manipulieren sie alles von hinten heraus; die beiden Kriege. Diese hinterlistigen Arschlöcher, lassen Millionen ihrer eigenen Landsleute sterben, um die moralischen Sieger zu sein und am Ende zu siegen. Diese Brudermörder. Weißt du, wer all diese Juden umgebracht hat? Weißt du das?! Habt ihr das in der Schule gelernt? Hat man euch das beigebracht? Sicher nicht! Dort heißt es nur, Hitler und die Deutschen. Diese verlogenen Arschlöcher an den Schulen haben wohl vergessen, wer ihre Väter und Großväter sind.
Aber ich sage dir, wer all die Juden in den KZs umgebracht hat.
Es waren die Juden selbst.
Das war doch ihr Plan.
Wie dieser Nigger. Dieser Gandhi. Gewaltloser Widerstand. Ha!“

Im ersten Moment hielt der Junge das für einen empörten Aufschrei. Aber das war es nicht. Spätestens als der Alte seine kraftlose Hand in seine Brust krallte und seine Augen vor Schreck und Schmerz weit aufriss, begriff der Junge.
Der Alte rutschte von seinem Sessel nach vorne auf die Knie.
Erschrocken sprang der Junge auf, blieb jedoch wie angewurzelt stehen, als sich der Kehle des Alten ein ersticktes Keuchen entrang. Mit hilflosen Augen sah er durch den fast undurchsichtig gewordenen Schleier zu seinem Enkel empor. Bittend, flehend.
Panisch tastete die alte, knöcherne Hand nach einem Halt. Der Sessellehne, dem Kaffeetisch oder irgendetwas anderem. Immer wieder griff sie ins Leere.
Ihrer Kräfte vollends beraubt versuchten die Lippen des Alten irgendwelche Silben zu formen. Zwecklos.
Dann brach er zusammen und krachte auf den Boden wie ein mit Zement gefüllter alter Sack.
Einige Augenblicke lang sah der Junge noch regungs- und teilnahmslos auf den zuckenden Haufen Fleisch zu seinen Füßen herab. Dann griff er seine Jacke, die über der Sofalehne hing, und stieg bedächtig über seinen sterbenden Großvater hinweg und verließ erleichtert das Haus.

 

Hallo Renegade Priest

Schon in den ersten Sätzen zeigt sich, dass du da in ein Gebiet vorstösst, dass andere eher meiden. Damit hattest du mich schon in den Bann gezogen.

ohne dabei seinem Gegenüber – ein dürrer, nichtsnutziger Bengel von 19 oder 20 Jahren und zu allem Überfluss auch noch sein Enkel –

Hier wird die Erzählstimme, es ist ja nicht der Grossvater der das Nichtsnutzige formuliert, wertend. Ich denke, sie sollte besser neutral das Bild runden und Wertungen den Figuren überlassen.

nippte er immer wieder von seinem schottischen Whiskey und bleckte daraufhin die Zähne.

Nur eine Kleinigkeit, aber wenn schon schottischen, dann eher Whisky und nicht die irländische oder amerikanische Bezeichnung.

Das war nun schon der dritte Whiskey, den sich der alte Sack einschenkte. Dabei war er noch nicht einmal eine halbe Stunde hier. Ein unauffälliger Blick auf seine Armbanduhr bestätigte dies. Es war nicht einmal halb vier. Der Junge unterdrückte mit viel Mühe einen entnervten Seufzer.

Hier nimmt die Erzählstimme die Sichtweise des Jungen ein, mit dem alten Sack wiederum wertend. Es dünkte mich besser, bestimmte Sätze würden als Gedanken des Jungen aufscheinen, und Darüberhinausgehendes einem neutralen, auktorialen Erzähler überlassend.

Der Rauch selbst hatte, im Gegensatz zum Duft des Tabaks, nichts Angenehmes.

Das überrascht mich etwas, da der Rauch von Pfeifentabak entgegen dem von Zigarren und Zigaretten seine aromatische Würzigkeit auch verbreitet. Aber vielleicht gibt es ja solche Sorten, die dies im Rauch nicht bewahren.

Wie dieser Nigger. Dieser Gandhi. Gewaltloser Widerstand. Ha!“

Hier hätte ich das „Ha!“ auf eine separate Zeile gesetzt, das neue Geschehen damit betonend.

Der Ausgang der Geschichte war mir etwas voraussehbar, wobei ich zwei Möglichkeiten ins Auge fasste. Entweder würde der Junge damit herausplatzen, er sei von einem Elternteil her selbst jüdischer Abstammung – was der Grossvater nicht zwingend wissen musste – oder der Alte stirbt vor selbstinszenierter Aufregung. Vor allem dieser Satz gab einen Hinweis auf erstere Version:

Diesen weißen, schlaffen Hintern; den Hintern, für den er gekämpft hatte.

Da viele der europäischen Juden eine sehr helle Hautfarbe haben, bleich wirken, wäre es eine Möglichkeit gewesen. So für sich gestellt, kann ich ansonsten den Sinn dieser Worte nicht erkennen. Wieso sollte jemand für eine solche Beschaffenheit seines Hintern gekämpft haben?

Ich fand die Geschichte interessant zu lesen, nicht eigentlich mit Spannungsbögen durchsetzt, aber flüssig zu lesen. Auch die Tiraden des Alten sind so aufgesetzt, wie es manche Alt-Nazis es von sich geben, von dem her sehr plausibel. Die Handlung an sich zieht aber dahin, für einen etwas schwachen Ausgang. Hätte der Junge wirklich den Mumm, den Alten sich da selbst zu überlassen? Es ist möglich und wäre mir verständlich, aber ich zweifle etwas daran, dass der in dieser Geschichte gezeichnete Junge dies täte. Doch tut dies der Geschichte insgesamt keinen Abbruch.

Auch wenn es thematisch nicht einfach unterhaltsam war, ich für meinen Teil habe die Geschichte gern gelesen. In weiten Teilen schien sie mir doch plausibel.

Schöne Grüsse

Anakreon

 
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Hallo Renegade Priest,

also ich muss sagen, ich verstehe den Sinn dieser Geschichte nicht. Da sitzt ein altes Ekel und schwadroniert ueber Juden. Dann sitzt da sein Enkel und denkt: Dieses alte Ekel schwadroniert wieder ueber die Juden.
Und dann stirbt das alte Ekel und der Enkel, der die ganze Zeit die Zaehne nicht auseinanderbekommen hat, laesst ihn allein verrecken und beweist so, in einem unmenschlichen Akt, wie er sich von der Unmenschlichkeit des Opas distanziert. Haeh? Soll das jetzt toll oder mutig sein? Also ich konnte dem Text nicht viel abgewinnen. Das bleibt mir alles zu flach, wenn man sich schon so ein schweres Thema aussucht.

@Anakreon

Hier wird die Erzählstimme, es ist ja nicht der Grossvater der das Nichtsnutzige formuliert, wertend. Ich denke, sie sollte besser neutral das Bild runden und Wertungen den Figuren überlassen.
Warum denkst Du, dass das besser waere? Der fokale Erzaehlmodus, also dass die Erzaehlstimme sich der Sichtweise einer Figur (meist in der 3. Person) anpasst, ist seit dem Realismus fest etabliertes Stilmittel. So ist es leichter, den Grossvater ueber seine Sichtweise zu charakterisieren. Und spaeter haben wir dann, wie Du richtig festgestellt hast, einen Wechsel der fokalen Figur oder Perspektivtraegers. Ich finde das transparent und konsequent durchgefuehrt und damit voellig legitim. Es ist ein Perspektivwechsel, kein inkonequenter Perspektivbruch, wie das bei Schreibanfaengern schon mal vorkommt.

lg,
fiz

 
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Hallo Renegade P.,

im Gegensatz zu Anakreon verstehe ich die Stelle

Der Junge, der auf dem Sofa saß, welches dem alten Ohrensessel des alten Mannes zugewandt war, bewegte seinen Hintern auf dem Polster unruhig hin und her. Diesen weißen, schlaffen Hintern; den Hintern, für den er gekämpft hatte.
so, dass der Erzähler immer noch beim Alten ist. Er hat für den Arsch seines "schlaffbearschten" Enkels gekämpft. Habe ich das korrekt verstanden? Und dieser Enkel dankt es ihm noch nicht mal.

Ich schließe mich Anakreon an: Es wäre besser, einen objektiven, nicht wertenden Erzähler zu benutzen, besonders, da du mitten in der Geschichte die Perspektive wechselst. Diesen Wechsel bekommt man problemlos mit, aber es gibt da einige Stellen, die wertenden, da hätte ich lieber Gedanken gelesen, auch um solche Missverständnisse zu vermeiden.

Alles in Allem gefällt mir deine Geschichte. Schön flüssig geschrieben, an Fehler kann ich mich auch nicht erinnern. Nur ein klein wenig enttäuscht war ich, als der Alte dann einfach so wegstirbt. Zack und weg. So ein kleines Übrigens, Opa, ich bin konvertiert. [oder so], das wäre fein gewesen!
Einen Schocker in Ehren kann niemand verwehren. :D

Aber das ist Geschmackssache, denke ich.

Gerne gelesen,
PSS

 

... also ich muss sagen, ich verstehe den Sinn dieser Geschichte nicht. Da sitzt ein altes Ekel und schwadroniert ueber Juden. Dann sitzt da sein Enkel und denkt: Dieses alte Ekel schwadroniert wieder ueber die Juden.
Und dann stirbt das alte Ekel und der Enkel, der die ganze Zeit die Zaehne nicht auseinanderbekommen hat, laesst ihn allein verrecken und beweist so, in einem unmenschlichen Akt, wie er sich von der Unmenschlichkeit des Opas distanziert. Haeh? Also ich konnte dem Text jetzt nicht viel abgewinnen.

Dem muss ich zustimmen. Ich verstehe, worauf Du mit der Geschichte hinauswillst aber - da fehlt jeglicher Konflikt, der eine Geschichte aus der Geschichte machen würde. Okay, das er ihm am Ende nicht hilft ist der Ansatz eines Konfliktes aber etwas NICHT zu tun ist nunmal auch nicht so toll für eine Figur.
Ansonsten die Judengeschichte doch etwas klischeebehaftet. Vielleicht sollte er einen einzelnen Juden - den ortsansässigen Bäcker oder sowas - zur Sau machen, sonst ist das eben sehr allgemein und oft gehört.

 

Also noch mal zum Ende ...

Man könnte es so verstehen, dass der schlaffe Enkel am Ende einige der tollen Jack Russel-Qualitäten zeigt, wenn er da über seinem Opa steht und ihn einfach verrecken läßt.
In etwa: Späte Erkenntnis für den Alten. Oder so.

Einen tieferen Sinn sehe ich auch nicht, dahingehend muss ich feirefiz Recht geben.

 
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Hallo


@Anakreon

Zitat:
Hier wird die Erzählstimme, es ist ja nicht der Grossvater der das Nichtsnutzige formuliert, wertend. Ich denke, sie sollte besser neutral das Bild runden und Wertungen den Figuren überlassen.

Warum denkst Du, dass das besser waere? Der fokale Erzaehlmodus, also dass die Erzaehlstimme sich der Sichtweise einer Figur (meist in der 3. Person) anpasst, ist seit dem Realismus fest etabliertes Stilmittel. So ist es leichter, den Grossvater ueber seine Sichtweise zu charakterisieren. Und spaeter haben wir dann, wie Du richtig festgestellt hast, einen Wechsel der fokalen Figur oder Perspektivtraegers. Ich finde das transparent und konsequent durchgefuehrt und damit voellig legitim. Es ist ein Perspektivwechsel, kein inkonequenter Perspektivbruch, wie das bei Schreibanfaengern schon mal vorkommt.

Ja, das find ich interessant .. also die Stimme hier ist hier fast die ganze Zeit "wertend", weil zwar in der dritten Person erzählt wird, aber eben ganz stark personal aus den Augen einer Figur … und wenn man aus den Augen einer Figur schreibt, dann ist ja alles wertend, oder? Das ist dann doch wie beim Ich-Erzähler. Ein Ich-Erzähler kann doch nichts unwertend beschreiben, oder wie soll das gehen?
Also in der dritten Person kann man da vielleicht mal zurückzoomen ... da kann man sagen: Alex ging anschließend nach Hause und duschte und zog seine Lieblingsschuhe an. Er hatte sein 24 Stunden nichts gegessen, aber das machte er oft. Mit dem Essen hatte er es nicht so.

Das ist dann irgendwie eine andere Ebene als das hier:

Dieser kleine Scheißer hatte doch keine Ahnung. Als er selbst noch in diesem Alter war, war er bereits in den Krieg gezogen. Was wusste dieser Bengel, der in seinem ganzen Leben noch nichts Anständiges gearbeitet hat, vom Leben? Vom Sterben? Vom Töten?

Aber das sind trotzdem alles nur Dinge, die die Figur wissen (denken) kann ... hier verschmilzt der Erzähler ja mit der Figur.

Also ich find das gut gemacht hier von der Perspektive her. Da kann man viel falsch machen auch. Wenn ich in der dritten Person schreib, dann versuche ich das auch ungefähr so, alles andere finde ich zu distanziert und das mag ich nicht.

Zur Geschichte: ALso es könnte fast eine Schreibübung sein, wo es eben um diesen Erzähler geht ... interne Fokussierung? fokale Erzähler? ... heißt das so? Wars eine Schreibübung? Dann bekommst du eine gute Note für die Perspektive, die hältst du konsequent durch, keine Brüche ... obwohl.. es wäre schön gewesen, wenn Opa und Sohn nicht genau die gleiche Art zu denken hätten. Beide beschimpfen den anderen im Kopf, und die haben den gleichen genervten, aberwertenden Sprachductus/Denken drauf ... da ein anderen Sound wäre gut.
Aber da sind wir schon bei der Geschichte, und die bekommt ne wesentlich schlechtere Note. Der Opa ist ja so ein Cartoon-Nazi ... da kratzt man jedes Klischee, das man im Kopf hat zusammen, und voila: wir haben einen Naziopa. Und dann der Junge .. Ich sehs so wie Feirefiz im Grunde. Und dann muss man das fast so werten, dass der Junge noch was Nazimäßiges in sich hat, oder? Ich mein .. so ein alter, eingefallener Opi, der im Altesrheim über die Juden herzieht, oder dir erzählen will, wie das mit dem Krieg ganz anders war ... so was ist doch ziemlich süß, finde ich. Okay .. kommt auch auf den Opi an ... aber interessant ist es eigentlich immer. Gibt auch ganz andere Dinge, die man da zu hören bekommt. Mir hat einer mal gesagt, dass die deutschen Männer im Ausland, also Kriegsgefangene und so weiter, dass die bei den russischen Frauen total beliebt waren, weil die so korrekte Gentlemans seien, und was da nicht alles passiert wär. So was zum Beispiel. Ach .. ich mag die Story einfach nicht.


MfG,

JuJu

 

Hallo feirefiz

Warum denkst Du, dass das besser waere? Der fokale Erzaehlmodus, also dass die Erzaehlstimme sich der Sichtweise einer Figur (meist in der 3. Person) anpasst, ist seit dem Realismus fest etabliertes Stilmittel.

Es mag an meinem Leseempfinden liegen, dass ich es gängiger sehe, wenn die Erzählstimme eine sachliche Position behält und Emotionen sich bei den Figuren widerspiegeln. Aber du hast schon recht, das es legitim ist.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Also vorab, vielen Dank an alle Leser, sowohl diejenigen, die eine Kritik geschrieben haben, als auch diejenigen, die es "nur" gelesen haben.
Puuh war jetzt ganz schön viel, ich gehe jetzt auch nicht auf alle Punkte ein. Danke an alle für die lobenden Worte, aber ich äußere mich jetzt mal nur zur negativen Kritik:

@feirefiz:
wie kommst du darauf, dass der Junge etwas Tolles oder Gutes oder Mutiges macht? Ich habe schließlich keinen wertenden auktorialen Erzähler eingebaut, der das sagt.
Ich wollte damit genau deine Reaktion erreichen. Ich wollte zeigen, dass sich Opa und Enkel sehr ähnlich sind, obwohl sie einander so sehr hassen. Und diese fehlende Hilfe am Ende sollte dem Verhalten vieler Menschen während des 3. Reiches (und der ausbleibenden Hilfe gegenüber der Ermordung der Juden) ähneln.

@nastroazzurro:
den Ansatz finde ich sehr interessant und auch hilfreich. Beim nächsten Mal werde ich eine Art persönliches Erlebnis oder dergleichen einbauen, um es individueller und etwas (wie soll ich sagen?) weniger klischeehafter zu machen. Danke dafür

@JuJu:
Dir danke ich besonders, da du als einzige(r) (männlich oder weiblich?) erkannt hast, dass es eine Schreibübung war. Zumindest anfangs. Ich habe über einen Perspektivwechsel nachgedacht und dann einfach angefangen zu schreiben und dann begonnen, das, was dabei herauskam, zu formen.
Leider sind nur keinem hier die Feinheiten aufgefallen. Also es wird ja zweimal die gleiche Stelle erzählt, nur das Ende aus der Sicht des Jungen. Das kann man an dem Einschenken des Whiskys (danke dafür, beim Jungen habe ich es bewusst gelassen, da er nicht weiß, dass es ein schottischer ist) und dem Stopfen der Pfeife sehen. Der Junge versucht z.B. auch das Gespräch zu beenden, was vom Großvater nicht wahrgenommen wird. Und die "Spur Schärfe" des Großvaters "erschlägt den Jungen fast mit seiner Aggressivität".
Und der Punkt, dass sie sehr ähnlich denken. Also das habe ich mir auch gedacht, aber genau das war meine Absicht. Wie oben schon gesagt, wollte ich zeigen, wie ähnlich sich die beiden insgeheim doch sind. Ich wollte also die Generation von damals kritisieren und die heutige Generation, also die Kritiker, genauso.

Dass ich aber all das hier erklären muss, zeigt mir ganz einfach, dass ich bei meinem Versuch gescheitert bin. Und das kann ich mitnehmen. Vielen Dank!

 

Salut Renegate Priest

Inhaltlich gesehen nicht spektakulär, liest sich dein letzter Genrationentreff dennoch flüssig.
Den Erzähler, einmal durch die Augen des Alten, dann zurückgespult aus Sicht des Jungen berichtend, finde ich den Erzähler schon richtig gesetzt, da folge ich JuJus Ausführungen. Allerdings dürftest du deinen Jungen noch stärker mit Gleichmut und Respektlosigkeit vor dem Alter zeichen, was Anakreon bereits angedeutet hat, sonst nehme ich ihm die Kaltblütigkeit am Ende nicht ab.

auch wenn er beinahe wusste, dass es zwecklos war, den Jungen so etwas zu fragen.
beinahe darf weg, der Erzähler ist hier ja im Kopf des Alten. ;)

Mit einem fast unmerklichen Kopfschütteln griff sich der alte Mann seine Pfeife und die Tabakdose und begann behutsam damit, seine Pfeife zu stopfen.
die erste Pfeife kann man getrost weglassen.

Und damit meine ich, ernsthaft etwas dagegen unternommen.
Und damit meine ich, ernsthaft etwas dagegen zu unternehmen.

wie lange so etwas im menschlichen Gedächtnis verhaften konnte,
hier würde mir "haften bleiben" besser gefallen.

Blinder gehorsam
Gehorsam

– eine ebenso herzliche[KOMMA] wie kugelrunde Frau –

Der Geruch des Tabaks, der ihm zaghaft in die Nase stieg, überdeckte zumindest für den ersten Moment den Gestank des Hauses. In dem alten, baufälligen Gebäude roch es für gewöhnlich fürchterlich. Es roch nach Moder, getrocknetem Schweiß, altem Rauch und jahrelang geschlossenen Fenstern. Kurz es stank nach alten Menschen.
Hier wiederholen sich unschön: Geruch - Gestank - roch - roch - stank.
Vorschlag:
Der herbe Tabakduft stieg ihm in die Nase und überdeckte fürs erste den Geruch nach Moder, getrocknetem Schweiss, altem Rauch und jahrelang geschlossenen Fenstern - kurz gesagt, der Gestank nach alten Leuten.

Dann brach er zusammen und krachte auf den Boden wie ein mit Zement gefüllter alter Sack.
alter kann weg

Einige Augenblicke lang sah der Junge noch regungs- und teilnahmslos auf den zuckenden Haufen Fleisch zu seinen Füßen herab. Dann griff er seine Jacke, die über der Sofalehne hing, und stieg bedächtig über seinen sterbenden Großvater hinweg und verließ erleichtert das Haus.
regungslos ist schon ein starkes Adjektiv, da braucht es das teilnahmslos gar nicht. Auch den letzten Satz würde ich kürzen und den Grossvater wieder etwas distanzierter als "den Alten" bezeichnen, dann wirkt er noch stärker:
Dann griff er seine Jacke, stieg über den sterbenden Alten hinweg und verließ erleichtert das Haus.

Fazit:
Der Spannungsaufbau verraucht, die Hasstiraden erschöpfen sich und der Junge ist während des zweiten Teils zu passiv, kein echtes Gegenstück zum Alten, also wiederholt sich das ganze einfach. Da müssten dem Jungen schon auch noch ein paar "gesellschaftliche" Aspekte durch den Kopf geistern. (Überalterung/Altersheim/Endlösung, uiuiui ...)

Gruss dot

 

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