Veteran
- Beitritt
- 17.10.2001
- Beiträge
- 674
Weinen
"Ich schätze, das war nicht gut genug."
"Sag das nicht. Du schreibst gut. Du schreibst halt anders."
"Anders als wer?"
"Als er. Da ist halt ein Unterschied."
"Ich kann schreiben wie ich will."
"Ich weiß. Aber er schreibt schön."
"Okay. Also schreibe ich nicht schön genug. Meine Gedichte bringen dich nicht zum Weinen. Ich glaube, das ist es, was ich will. Dich weinen sehen. Wenn ich das schaffe, dann habe ich's geschafft."
Sie lachte und hob einen Ast vom Boden auf. Er war schmal und gerade und tot und die kleineren Äste waren abgebrochen. Sie warf ihn in den kleinen mit Algen und Schlamm bedeckten Teich. Der Ast drehte sich im Wasser und Algen verfingen sich in seinen Gabelungen. Ich fragte mich, ob irgend etwas in dem Tümpel lebte.
"Schau dir den Ast an", sagte sie. "Das ist ja eklig."
"Dann nimm ihn doch wieder raus", antwortete ich.
"Aber es macht Spaß."
Ich setzte mich auf eine schmale Bank am Rande des Teichs. Wir waren in einem kleinen Park mit verschlungenen Pfaden, die in die Dunkelheit führten. Mehrere Laternen standen um den Teich herum, und im Schein des Lichts sah ich einige Felsbrocken. Sie hob wieder etwas vom Boden auf und warf es ins Wasser, ich hörte es hineinfallen, versinken und egal was es war, es würde nie mehr gehört oder gesehen werden.
"Laß uns zu den Felsen gehen" schlug sie vor.
"Nee, keine Lust."
Dann laß uns was finden, das wir ins Wasser werfen können."
"Das will ich auch nicht."
"In Ordnung. Nun, was willst du dann machen?"
"Komm, setz dich zu mir!" Sie setzte sich neben mich, ein Ausdruck der Verwunderung lag auf ihrem Gesicht. Ein paar blonde Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht und sie strich sie aus dem Weg. Ich hatte ihre Haare immer gemocht. 'Irgendwann muß ich mal darüber schreiben', dachte ich, 'über ihre tollen Haare und ihr tolles Lächeln.'
"Was ist?" Sie schaute mich an.
Es gab noch viele Dinge über die man schreiben konnte, und sie gehörte definitiv dazu. Viele Dinge, über die man schreiben konnte, aber nicht genug Zeit um sie alle zu schreiben. Ich hatte noch so viel zu schreiben über verlorene Liebe und gefundene Liebe und zu viel Bier in zu vielen Städten und Ausflüge in zu viele Städte mit zu viel Bier. Ich mußte noch darüber schreiben wie es ist, von einem dreitausend Meter hohen Berg herunter zu schauen, vor sich Wüste zu sehen und sich wie im Paradies zu fühlen.
Ich mußte noch über die guten Dinge und die schlechten Dinge schreiben, die genauen Dinge und noch mal die schlechten Dinge.
"Ich muß dir etwas sagen" fing ich an.
"Was?"
Mir fiel auf, daß das Wasser auf dem Teich ganz ruhig war.
"Ich bin nicht in dich verliebt."
Sie saß für einen Augenblick ganz still und schaute mich dann an.
"Was?"
"Ich bin nicht in dich verliebt." Sie sagte nichts. Mir fiel auf, daß ein leichter Wind durch die Nacht wehte und daß das irgendwie ganz schön war so.
"Glaubst du, du warst überhaupt mal in mich verliebt?"
"Ich weiß es nicht."
"Nun, jetzt sieht die Sache ganz anders aus."
"Ja, ich schätze schon."
"Was willst du jetzt machen?"
"Keine Ahnung."
"Könntest Du dich überhaupt in mich verlieben? Gibt's da überhaupt eine Chance? Ich meine, willst du, daß wir uns für eine Weile nicht sehen, oder willst du, daß es ganz vorbei ist, oder was willst du eigentlich?"
"Ich weiß es nicht."
Ich schaute geradeaus und die Antworten kamen einfach nicht. All die Worte, all die Antworten, die ganzen Erfahrungen.
Am Ende hatte ich kein Wort zu sagen, kein Versprechen einzuhalten und überhaupt nichts gelernt. Mit nichts kommen wir. Mit nichts gehen wir.
"Ich glaube nicht, daß in dem Teich irgend etwas lebt."
"Ja, du hast wahrscheinlich recht."
Wir saßen da und schwiegen.
"Sieht so aus als hätte ich es geschafft", sagte ich.
"Ja, ich glaube, du hast es echt geschafft."
[Beitrag editiert von: Rabenschwarz am 19.11.2001 um 15:49]