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Weinen und lachen

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22.07.2002
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Weinen und lachen

Müde wühle ich mich aus der warmen Umarmung meiner Decke, lasse meine Füße auf den eiskalten Boden fallen. Es ist komisch, ich spiele nicht einmal mit dem Gedanken wieder ins Bett zurück zu kehren.
Mit in Jahren automatisierten Bewegungen messe ich Kaffeepulver ab, fülle die selbe Menge Wasser in die Maschine, betätige den Anstellknopf und warte auf das zufriedene Glucksen der Maschine, wenn sie ihren frühmorgendlichen Dienst aufnimmt. Sie tut es.
Ich warte bis der Kaffee durchgelaufen ist ohne mich zu bewegen, fülle die Tassen, auf welcher sich die eine Hälfte eines Herzens befindet, gehe zum Spiegel.
Mein graues Spiegelbild starrt mich aus tiefen Augenhöhlen an. Ich versuche einen Ausdruck in den roten mich fragen ansehenden Augen zu erkennen, ich vermag es nicht. Liegt es daran, das dort kein Ausdruck zu finden ist, oder daran, dass ich ihn nur nicht sehen kann?
Tiefe Furchen spalten mein Gesicht, die Haare liegen wirr in meiner Stirn.
Ich nehme einen Schluck aus der Tasse, verbrenne mir die Zunge und zucke kurz zurück, dann nehme ich noch einen.
Ich werfe noch einen Blick auf mein Gesicht und ärgere mich das es so lebendig aussieht.
Nachdem ich mir ein Blatt meines besten Briefpapiers geholt habe, meinen Füllfederhalter aus der Schreibtischschublade genommen habe, setzte ich mich an den Küchentisch. Für Momente starre ich die weiße Fläche an. Weiss ist eine gut Farbe stelle ich fest.
Ich weiß was ich schreiben will, habe es mir die ganze Nacht lang überlegt, jedes einzelne Wort abgewogen. Habe jeden Satz wirken lassen. Jetzt muss ich sie nur noch aufschreiben.
Fast wie von selbst beginnt die Feder sich über das Papier zu bewegen, schreibt Buchstaben, Wörter, Sätze.
Als ich noch jung war habe ich meinen Vater einmal gefragt: was ist Liebe?
Mein Vater sah mich lange an und sagte:
„Liebe ist jeder Tag, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde, jeder Augenblick deines Lebens.“
Damals war ich verwundert über die Antwort. Ich hatte eine einfache Antwort erwartet, eine die ich verstehen konnte, doch da sprach er schon weiter:
„Liebe ist, wenn du weißt das die Sonne an jedem Tag für dich heller als für alle anderen scheint, dass ihre Strahlen nur deinen Körper mit ihrer Wärme verwöhnen.
Liebe ist, wenn du weißt, dass die dicken Regentropfen die auf dein Haupt fallen Freudentränen des Himmels sind.
Liebe ist, wenn du dich über jedes Zwitschern eines Vogels freust, weil du weißt, dass er nur für dich sein schönstes Lied singt.
Liebe ist, wenn du den ganzen Tag lachen könntest und nicht weißt warum.“
Und ich fragte ihn, woher ich denn weiß, dass ich jemanden Liebe.
Er sah mich verdutzt an und sprach dann:
„Wenn du mitten in der Nacht aufwachst und du den Rest der Nacht aufbleibst, nur um sie schlafen zu sehen, wenn du nicht einschlafen willst, weil du eine Sekunde mit ihr verpassen könntest. Wenn dein Herz wie Feuer brennt und dein Magen sich verkrampft sobald sie nicht bei dir ist. Wenn du stundenlang neben ihr liegen kannst und keiner ein Wort sagen muss um sich zu verstehen, dann weißt du dass du sie liebst.“

Als ich das Blatt Papier voll geschrieben habe, falte ich es vorsichtig, schiebe es sachte in einen Briefumschlag und schreibe ihren Namen darauf. Ich schiebe den Umschlag ein Stück von mir weg und betrachtete ihn eine Weile. Etliche Gedanken und Fragen durchquerten meinen Kopf, doch ich beachte keinen von ihnen länger als ich brauchte um festzustellen, dass er unwichtig ist.
Es dauerte eine Zeit bis ich mich wieder im Stande fühle aufzustehen und mich anzuziehen.
Das Wasser, das aus der Dusche strömt perlt eisig an meiner Haut ab doch ich nehme es nicht war.
Ich trockne mich ab, steige in die Hose und streife das blütenweiße Hemd über. Weiss ist eine gute Farbe. Wie von selbst binde ich mir die Krawatte um und ziehe das Sakko über. Ich betrachte mich noch einmal im Spiegel und stelle fest, dass der Anzug wie angegossen passt.
Als ich aus dem Haus trete bemerke ich erst, dass es regnet, dicke Tropfen fallen auf mein Haar, benetzen meine Wangen.
Ich gehe und während das Pochen meiner Schritte einsam durch die Straßen hallt höre ich von fern ein paar Vögel zwitschern. Selten habe ich ein so schönes Lied vernommen und ich vermute, dass ich wohl auch nie wieder ein so schönes Lied hören werde.
Mittlerweile habe ich das eiserne Tor durchschritten, lausche dem Knirschen meiner Füße auf dem Kies des weißen Weges. Weiss ist eine gute Farbe.
Ich gehe an der Gruppe von Menschen vorbei, blicke in ihre Gesichter, in ihre Augen. Was mögen sie denken frage ich mich und gehe weiter.
Plötzlich bleibe ich stehen, ich kann meine Augen nicht von ihrem Namen abwenden, starre die Buchstaben an und greife in die Innentasche meines Sakkos. Das weisse Papier zwischen meinen Fingern fühlt sich weich an, ich ziehe den Umschlag hervor und betrachte wieder ihren Namen auf dem Umschlag. Ich bücke mich und lege den Umschlag zwischen die Kränze, sie haben schwarze Schleifen.
Magisch scheinen die schwarzen Lettern auf dem weissen Papier zu leuchten, doch sie leuchten nur für mich.
Als ich mich abwende bricht die Sonne zwischen großen Bergen von Wolken hervor und ich spüre die Wärme ihrer Sonnenstrahlen wärmer denn je, sehe ihr Leuchten heller als es sonst war und es je wieder sein wird. Der weisse Umschlag mit den schwarzen Buchstaben bleibt bei ihr und ich denke: weiss ist eine gute Farbe.
Ich weine... nein, ich lache. Sie lacht.

 

Hallo Prodi!

Also eine Kritik hast Du Dir jetzt aber ehrlich mal verdient, so geduldig wie Du hier wartest. ;)

Es klingt nach sehr persönlichen Erfahrungen und Gedanken, dieses Sinnieren über die Liebe - die Liebe zu sich, zu anderen Menschen und zum Leben überhaupt.
Aber egal, ob sie frei erfunden oder real ist, sie macht nachdenklich, und das nicht nur über die Liebe, sondern auch über das Leben. Aber zwischen leben und lieben ist ja auch nicht viel Unterschied, nur ein i...

Deine Geschichte hat mir wirklich gefallen, auch wenn der Schluß ein bisschen traurig stimmt. Ich dachte bis zu "betrachte wieder ihren Namen auf dem Umschlag", der Protagonist wirft den Brief in den Postkasten... :shy:

Meine Anmerkungen spare ich mir jetzt erst mal, da die Geschichte schon etwas älter ist und Du heute sicher schon viele Fehler selbst findest. Wenn Du dann editiert hast, komm ich gern nochmal wieder. :)

Alles liebe,
Susi

 

Hallo Prodi,

eine schön erzählte Geschichte, stimmungsvoll und einfühlsam. Die zufrieden glucksende Kaffeemaschine täuscht eine heile Welt vor, die es nicht gibt. Doch der Protagonist scheint einen ausgeglichenen Seelenzustand erreicht zu haben, was sich auch in Deiner Sprache ausdrückt.
War schön zu lesen.

Tschüß... Woltochinon

 

hallo prodi,

sehr sanft, etwas bitter, sehr nachdenklich - man spürt schon früh, dass es kein schöner brief ist..und genau woltochions (also jung, den namen muss ich immer buchstabe für buchstabe abschreiben.. *smile*) eindruck hatte ich auch: er scheint ausgeglichen, scheint akzeptiert zu haben, auch wenn das die traurigkeit nicht wegwischen kann..

hat mir sehr gut gefallen...lässt mich nachdenken.. und ruft auf..glück immer wieder bewußt zu leben...

grüße, streicher

 

Hey ihr drei,
war schon eine ganze Weile nicht mehr hier, aber so nette Antworten schreien doch förmlich nach einem Comeback;)!

@Susi: Wo hast du die denn ausgegraben?!? Hatte die Geschichte schon fast vergessen, aber es freut mich, dass du sie gut findest.

Ich freue mich besonders, welche Gedanken ihr drei euch über die Geschichte gemacht habt. Ich schreibe selten bis eigentlich nie Geschichten, die nicht in selber erlebtem ihren Anfang genommen haben oder deren Denkanstoss aus Erfahrungen resultiert. Aus diesen Erfahrungen leite ich gewissermaßen eine Daseinsberechtigung für die Geschichten ab.

Nur soll mich bitte keiner Missverstehen, diese Geschichte ist damit nicht autobiographisch und soll auch wirklich nicht als solche angesehen werden.

Also nochmal, vielen Dank euch dreien. Werde ich mich wohl jetzt auch mal wieder öfter hier sehen lassen;).

Liebe Grüße
Roman

 

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