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Weil ich geil bin
Sie sitzen am Tisch. Der ohne Haare, das Mädchen, der mit vielen Haaren, Mama, Mamas Mama und Papa. Und ich. Leider. Aus mir vollkommen unerklärlichen Gründen hat Mamas Mama meine Mama dazu überredet heute hier zu sein. Währenddessen ich scheitere „Ich möchte hier nicht sein, es kommt gleich eine Diskussion zum Nahostkonflikt im Fernsehen, die ich mir sehr gern anschauen würde.“ auszuformulieren, starren mich beide aufgrund meiner erbärmlichen Versuche mit riesigen, liebevollen Augen an. Diese Arschlöcher. Wenn ich aus diesem Stuhl herauskäme, würde ich ihnen meine “süße“ Faust tief in den Rachen rammen, damit sie an meiner Niedlichkeit ersticken. Wenn die wüssten.
Jetzt gehen sie das Essen holen, alle bis auf den mit den vielen Haaren, Max oder so heißt er. Max hat nämlich zwischen sich und mich eine Mauer aus Bierflaschen aufgebaut, zwischen der seine Augen hin und wieder aufblitzen. Ich glaube fast, dass ich einen Hauch von Angst in seinem Blick wahrnehme. Besser so für ihn. Die Welt soll mich fürchten.
Wenn mein physischer Körper sich meiner Genialität angepasst hat, werde ich über die Welt herrschen. Das weiß ich sicher. Warum denn auch nicht? Ist doch leicht. Ich suche mir einfach ein Land und lasse die Menschen wie Marionetten für mich tanzen. Am besten Deutschland, ich kann mir nicht vorstellen, dass ich nach der deutschen Sprache noch eine Zweite lernen möchte, die ist ja schon an sich schwer genug. Schrecklich schwer, erst recht, wenn die eigene Zunge noch nicht so recht will. Zum Beispiel: Ich möchte sagen, dass mich das Mobile über meinem bettähnlichen Gefängnis aufs Äußerste vom Schlaf abhält und das es ein impertinenter Schandfleck an der Decke ist, aber wenn mich Mama dann ins Bett bringt und ich darauf zeige, ist das Einzige, was ich sage ein „Fläääähhhhhhhh“. Solche erniedrigenden Umstände begleiten mich tagtäglich. Es ist einfach nur deprimierend. Vor allem, wenn Mama und Papa dann vor mir sitzen und irgendwelche Gegenstände in die Hand nehmen, um wiederum laut zu rufen „LÖFFEL“ oder so etwas Elegantes wie „KLO“. Bei so was könnte ich immer kotzen, mache ich meistens auch. Da seht ihrs, ich bin zu allem bereit. Aber mein, unter großem Aufwand, Hochgewürgtes wird von ihnen eigentlich immer einfach nur so hingenommen. Wenn ich es dann noch darauf ankommen lasse und meine Exkremente in dieser unglaublich weichen Unterwäsche verteile, schnallen sie mir diese einfach ab, freuen sich über den Inhalt, und geben mir eine Neue. Revolution ist tot, meine Freunde.
Essen steht bereit, alle sitzen da und Max hat die Hälfte seiner Mauer bereits geleert. Gerade unterhält er sich mit dem ohne Haaren, aus dem Kontext schließe ich, dass der Haarlose der Vater von Max ist. Max fängt an laut zu lachen, Papa lacht schüchtern mit, während der Rest ein wenig betreten auf sein Essen starrt. Der Junge ist mir fast schon symphatisch, vielleicht wird er irgendwann mein professioneller Stiefellecker. Das Mädchen, welches sich als seine Schwester entpuppt hat, nimmt jetzt am Dialog teil. Er und seine Schwester, Leonore der Name, lachen nun beide gleichzeitig los. Herr Haarlos verkneift sich offensichtlich eine Reaktion, wie man an seinen zusammengedrückten, fast weißen Lippen sieht. Fast zeitgleich huscht bei Bruder und Schwester ein bösartiges Grinsen ins Gesicht, als sie ihren Kopf in meine Richtung drehen. Die gläserne Mauer zwischen Max und mir ist jetzt schon zu ¾ durchsichtig und mich beschleicht das unangenehme Gefühl, dass ich mich langsam fürchten sollte, da ich ja noch im Larvenstadium vor mich hin vegetiere und allein seine Haare länger sind, als mein gesamter Körper. Dazu noch die, im wahrsten Sinne des Wortes, Atem raubende Geschwindigkeit, in der er die zubereitete Mahlzeit hinunter schlingt. An sich fast schon inspirierend, so eine Art Weltenverschlinger im Kleinen, doch bekomme ich den Gedanken nicht aus dem Kopf, dass er meinen zarten, weichen Larvenkörper an einem Bein nimmt und mich einfach so in seinen Rachen gleiten lässt, bevor Mama und Papa etwas dagegen tun können. Im Nachhinein können sie ja natürlich mit ihm schimpfen, aber wenn ich mich dann bereits in seinem Darmtrakt befinde, hilft mir das wenig. Unter anderem glaube ich auch nicht, dass er, falls er mich denn frisst, damit einverstanden ist, wenn Papa ein Messer nimmt, ihn aufschneidet und mich befreit. Er sieht nicht aus wie jemand, der sich gern aufschneiden lässt. Ich sollte warten, bis ich ein Koloss bin, bevor ich ihn zum Stiefellecker bestimme.
Mangels feinmotorischer Fähigkeiten meinerseits ist der komplette Babybrei in meinem Gesicht verteilt. Eigentlich wollte ich meiner Mutter nur durch ein leichtes Abwinken signalisieren, dass ich satt bin, stattdessen greife ich in den Löffel. Ihr wisst ja gar nicht, wie ich leide. Denn als ich meine Finger ablecken wollte, sind sie statt in meinem Mund an meiner Wange gelandet und von dort aus war es an sich ein Selbstläufer. 100ml feinster, pürierter Matsch in meinem Antlitz. Nach dem ersten im Gesicht verteilten Löffel kann man ja schlecht aufhören. Leo und Max lachen, alle lachen, glücklicherweise nicht einmal die Hälfte aus reiner Schadenfreude. Nun gut, sie wollten scheinbar eine Show. Ich drehe mich zu Mama um und würge ihr die letzte Ladung dessen, was sie Babynahrung nennt, auf die Klamotten. So! Da hast du's! Unterschätze nie die grausame Rache eines humanoiden Kalbs, Welt!
Mama scheint diesmal wirklich ein wenig schockiert zu sein, zugegeben, eine Mischung aus Erbsen, Äpfeln und Kalbsfleisch riecht so schon nicht sehr gut, aber aus dem Magen eines Nicht-Mehr-Ganz-Säuglings nun wirklich nicht. Max ist vom Stuhl gefallen. Er gurgelt, oder lacht, ich glaube er stirbt.
Dieser Organsack hat es tatsächlich geschafft und sich wie ein gehbehinderter Phönix aus der Asche erneut erhoben. Vielleicht lasse ich ihn auch meinen Arsch kratzen. Seine Hände scheinen wie dafür geschaffen. Ich werde das später noch einmal überdenken. Außer Frage steht aber, dass dieses Individuum Teil meines Hofstaates werden muss. Mama und Papa verabschieden sich jetzt von den anderen Beteiligten des Gelages. In einem Anflug von Euphorie darüber, dass ich nun endlich verschwinden darf, möchte ich sämtlichen Beteiligten ein schönes „FICKT EUCH!“ entgegen schreien, leider bleibt es bei einem „Blöööööpfffffffff“. Aber der Standpunkt dürfte gesetzt sein. Weil ich geil bin. Sehr sogar.