Weihnachtsmarkt der Gefühle
Es ward einmal ein Mann, der war so garstig und unfreundlich, dass niemand etwas mit ihm zu tun haben wollte. Selbst am Fest der Nächstenliebe änderte sich daran nichts.
Am Tage vor Weihnachten besuchte ein einsamer Händler das Dorf, in dem der Mann lebte. Am heiligen Abend errichtete er mitten auf dem Marktplatz seinen Stand.
Als er so seinen Verkaufsstand zusammenzimmerte und schließlich seine Waren präsentierte, wurde der Mann neugierig und näherten sich dem Stand.
„Hei, was verkaufst du dort?“, fragte der Mann.
„Das ist ganz einfach“, fing der Händler an. „Ich nehme das, was ihr nicht braucht und gebe euch das, was euch fehlt.“
„Hier stehen doch nur schwarze und weiße Döschen.“, wunderte sich der Mann und hob eine der Dosen prüfend an.
„Was uns fehlt sind Gold und Silber. Alles andere haben wir im Überfluss.“
„Nein, nein. Ich gebe euch nicht so etwas. Das, was ich von euch nehme und das, was ich euch zurückgebe, kann man nicht anfassen oder damit bezahlen. Was ich habe, ist viel wichtiger als das.“
Der Mann sah den Händler fragend an: „Was kann ich denn nicht anfassen und womit kann ich nicht zahlen?“
„Meine Ware ist tief in euch drin“, sagte der Händler und legte seine Hand auf seine Brust.
„Jetzt sprecht schon! Los! Oder verschwindet!“, brüllte ihn der Mann an.
„Genau dies meine ich. Reicht mir die Hand.“
Der Mann schlug zögernd in die Hand des Händlers ein. Ein Stromschlag durchfuhr den Mann und er versuchte, den Händedruck zu lösen. Es gelang ihm aber nicht.
„Nun weiß ich, wovon ihr zu viel habt und was euch fehlt, mein Freund.“
„So, was fehlt mir denn?“, stammelte der Mann, immer noch an seiner Hand zerrend.
„Ich sage euch, wovon ihr zu viel habt. Ihr seid voll mit Wut und Ernst und Garstigkeit. Gebt mir alles drei und ich werde es einsperren für euch.“
„Was wollt ihr? Mich einsperren?“, schrie der Mann.
„Nein, ich sperre nicht euch ein. Ich sperre eure Wut, euren Ernst und eure Garstigkeit ein.“
„Zu Hilfe! Zu Hilfe! Rettet mich!“, schrie der Mann aus Leibeskräften und ein paar starke Männer kamen ihm zu Hilfe.
Aber auch als sie zu dritt an dem Mann und seiner Hand zerrten, wollte sich der Handschlag nicht lösen.
„Ihr könnt meine Hand nicht eher loslassen, bevor ich euch nicht eure Wut, euren Ernst und eure Garstigkeit eingesperrt habe. Gebt sie mir heraus. Es wird euch nicht schaden. Das verspreche ich.“
„Nehmt…Nehmt mein Gold…mein Haus, meine Kleidung. Nehmt alles. Nur dies bekommt ihr nicht.“
„Ich will euren materiellen Besitz nicht“, sprach der Händler und öffnete eine der schwarzen Döschen.
„Zuerst eure Wut. Nehmt sie und legt sie hinein.“
Und als der Mann schließlich seine Wut nahm und in die Kiste legte, entspannte er sich und seine Schultern fielen herab.
„Sehr schön. Das war doch nicht schwer. Und nun, gebt mir euren Ernst.“
Der Händler öffnete ein weiteres schwarzes Döschen.
Und als der Mann seinen Ernst in die zweite Kiste gelegt hatte, wurde sein Herzschlag langsamer.
„Sehr schön. Und nur gebt mir eure Garstigkeit“, forderte der Händler und öffnete eine dritte Kiste.
Und als der Mann seine Garstigkeit in die Dose gelegt hatte, reckten sich seine Mundwinkel gen Himmel.
„So gefallt ihr mir besser“, sagte der Händler und schlug das dritte Döschen zu.
Er ließ die Hand des Mannes los und holte drei der weißen Döschen aus dem Regal hinter sich hervor.
„Ich habe euch ja gesagt. Ich nehme euch etwas und ihr bekommt etwas dafür von mir zurück. Weg genommen habe ich euch jetzt eure Wut, euren Ernst und eure Garstigkeit. Nun sollt ihr etwas von mir erhalten. Im Tausch sozusagen.“
Er stellte die drei weißen Döschen nebeneinander auf den Tisch und öffnete die erste.
„Dies ist die Entspanntheit. Greift hinein und schluckt sie gänzlich hinunter.“
Als der Mann die Entspanntheit so in seinen Händen hielt zögerte er kurz, verschlang sie dann aber mit Genuss.
„So, nun sollt ihr etwas im Tausche für euren Ernst erhalten. Ich gebe euch dafür Freundlichkeit.“
Der Händler öffnete die zweite Schatulle. Und der Mann tat, was er vormals mit der Entspanntheit getan hatte. Er schlang sie restlos an einem Stück hinunter.
„Wir sind noch nicht fertig“, sagte der Händler und öffnete die dritte Schachtel. „Im Tausch für eure Garstigkeit erhaltet ihr von mir Humor.“
Und als der Mann nun den Humor in den Händen hielt und diesen hastig – wie ein kleines Kind die Schokolade – in sich hineinstopfte und eilig hinunterschluckte, begann er herzlich zu lachen.
„Habt Dank, mein Herr. Habt Dank für alles, was ihr für mich getan habt. Ich werde es nie vergessen.“
„Ich habe nichts gemacht. Das wart ihr selbst. Ich habe euch nur geholfen.“
Und als der einst wütende, ernste und garstige Mann dankbar ging und sich ein Stück von dem Stand entfernt hatte, drehte er sich noch einmal um und der Stand mit den Dosen und dem Mann darin war verschwunden.