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Weihnachtsmann, Osterhase und Co - Knecht Ruprechts Entscheidung
Eines Tages, Ende November, reichte es Knecht Ruprecht. Nach viel zu vielen Jahren hatte er genug von seiner Arbeit. Er klagte dem Christkind sein Leid: „Wisst Ihr, wie sehr es mir in der Seele wehtut, wenn die Kinder zusammenzucken, sobald ich das Haus betrete? Sie haben zu viel Angst vor mir! Ich meine, wie sollen sie mich auch mögen? Mich, mit meinem verfilzten, dreckigen Bart, den ich auch mit noch so viel Mühe einfach nicht sauber bekomme. Und die braune Kleidung tut ihr Übriges. Sie schützt zwar vor Kälte, aber was nützt mir das bei den Kindern?“
Das Christkind lief auf nackten Füßen durch den Schnee auf ihn zu.
„Mein treuer Knecht Ruprecht. Wieso beklagst du dich? Die Kinder fürchten dich vielleicht, aber nur dank dir sind die meisten das ganze Jahr über brav. Und schon seit Jahren hast du deine Rute nicht mehr gebrauchen müssen.“
„Aber Herr Christus, schaut Euch doch an! Ihr, in Eurem weißen Gewand. Die Kinder lieben Euch. Mich fürchten sie, vielleicht achten sie mich auch, aber lieben? Eigentlich liebt mich doch niemand. Wer könnte auch einen Waldgeist wie mich lieben?“
„Ach Ruprecht, ich liebe dich! Aber wenn dir so viel daran liegt, dass die Kinder dich auch lieben, dann werden wir dir ein neues Leben geben. Reise durch die Welt, und überlege wer du seien willst. Überlege, was für Kleidung du tragen willst, überlege dir einen Namen, denn wir werden eine vollkommen neue Person aus dir machen. Dieses Jahr wirst du deine Aufgabe noch wie gewohnt durchführen müssen, doch genau in einem Jahr, werden wir uns hier wieder treffen. Dann musst du wissen, wer du sein willst. Aber bedenke, diese Chance wird einzigartig sein. Hast du dich einmal entschieden jemand anderes zu sein, gibt es kein Zurück mehr!“
Ein Strahlen huschte über Knecht Ruprechts Gesicht.
„Ich danke euch, Herr Christus!“, rief er erfreut. Während Knecht Ruprecht sich in die nächste Stadt aufmachte, flog das Christkind davon.
Zu Beginn des neuen Jahres zog Knecht Ruprecht durch die Welt. Er sah und hörte viele Dinge die ihm gefielen. Und obwohl er sich darauf freute, sein altes Leben endlich hinter sich zu lassen, stahl sich mit jedem Tag mehr Wehmut in sein Herz, denn nicht alles, was er sah bestärkte ihn in seiner Entscheidung.
In einer Stadt warf ein Junge mit einem Stein das Fenster einer Bäckerei ein. Schnell griff er durch das Loch und schnappte sich etwas von dem Gebäck. Er rannte weg, bevor der Bäcker aus seinem Laden herauskommen konnte.
„Herbert!“, schrie der Bäcker. „Du wirst mir die Scheibe ersetzen!“
Der Junge lachte nur und rannte weiter.
„Du weißt, ich kenne deinen Vater!“, schrie der Bäcker dem Jungen noch hinterher, bevor der um eine Ecke außer Sicht verschwand.
„Warum hat er das gemacht?“, fragte Knecht Ruprecht. „Hat er etwa solchen Hunger, dass er stehlen muss?“
„Herbert Ludwig?“, fragte der Bäcker erstaunt. „Mit Sicherheit nicht. Er macht das aus Spaß und um sich den anderen Kindern zu beweisen.“
Knecht Ruprecht begann seine Rute, die er bereits zurückgelassen hatte, zu vermissen. Wie gerne hätte er diesem Jungen ein paar Hiebe verpasst. Er hätte es mit Sicherheit verdient. Sicher er wollte geliebt werden, aber würden nicht noch mehr Kinder wie dieser Junge werden, wenn er seine alte Arbeit aufgab? Was sollte er nur machen? Seine neue Garderobe hatte er sich schon ausgesucht. Er war sicher, dass sie ihm stehen würde, aber sollte er sich wirklich neu erfinden?
Er schlenderte gerade durch ein kleines Dorf, als er ein Kind sagen hörte: „Mama, ich freue mich schon so auf Weihnachten. Kommt das Christkind auch dieses Jahr wieder? Ich war doch das ganze ja über brav.“
„Natürlich, mein Kind. Du weißt doch, wenn du brav bist, belohnt das Christkind dich“, antwortete die Mutter.
Doch was wäre, wenn er nicht mehr da war? Was, wenn es keine Alternative für die frechen Kinder geben würde? Und was für einen Namen sollte er wählen? Er hatte bei seiner Reise so viele Namen gehört, die ihm gefielen. Wie sollte er sich da entscheiden? Und sollte er das Angebot des Christkindes überhaupt annehmen? Knecht Ruprecht war sich einfach nicht sicher, wie er sich entscheiden sollte. Noch nie hatte er eine solche Entscheidung treffen müssen. Er hoffte nur sich bis zum Stichtag entschieden zu haben.
Der Tag war gekommen und das Christkind wartete schon auf ihn.
„Hast du dich entschieden, Ruprecht?“, fragte es ihn.
„Ich bin mir noch nicht ganz sicher, Herr Christus.“
„In welcher Angelegenheit bist du dir unsicher?“
„Nun ja, die Kinder werden bestimmt nicht mehr artig sein, wenn Knecht Ruprecht nicht mehr kommt. Angst ist eventuell auch etwas Gutes!“
Das Christkind hob erstaunt eine Augenbraue. Es überlegte kurz.
„Das sehe ich nicht unbedingt so. Eine andere Art der Bestrafung halte ich für sinnvoller. Mach es einfach so wie ich. Wenn ein Kind sich benommen hat und nicht gemein zu anderen war, bekommt es Geschenke. Die anderen nicht. Das wird auch genug Strafe für sie sein.“
Konnte es wirklich so einfach sein? Würde der Gedanke, keine Geschenke zu bekommen, die Kinder wirklich auf dem rechten Kurs halten? Vermutlich. Immerhin hatten die frechen Kinder weniger über seine Rute gejammert, als vielmehr darüber, keine Geschenke bekommen zu haben.
„Das ist vermutlich richtig, Herr Christus“, stimmte Knecht Ruprecht erleichtert zu.
„Und in den anderen Sachen bist du dir sicher?“
„Was die Kleidung angeht, auf jeden Fall. Aber ein neuer Name … Ich möchte meinen alten nicht vergessen und außerdem habe ich so viele schöne Namen gefunden. Ich kann mich für keinen entscheiden.“
Das Christkind lächelte.
„Ich glaube ich habe eine Lösung für dieses wirklich harmlose Problem. Und um ehrlich zu sein, ich wäre froh, dich weiterhin ab und zu Ruprecht nennen zu dürfen.“
Dankbar, aber etwas verwirrt nickte Knecht Ruprecht.
„Entschuldigt, Herr Christus, aber was für eine Lösung habt ihr denn für mein Problem?“
„Du wirst es gleich erfahren, Ruprecht. Bitte schließ deine Augen und stelle dir vor, wer du sein willst.“
Knecht Ruprecht gehorchte, ohne weitere Fragen zu stellen. Die Chancen eine Antwort zu bekommen, waren einfach zu gering. Er sah sein neues Selbst vor seinem inneren Auge. Die Namen, die er sich überlegt hatte, schossen ihm durch den Kopf. Da brauste Wind um ihn herum auf.
„Lass die Augen zu!“, befahl das Christkind. Seine Stimme ging fast im Heulen des Windes unter.
Knecht Ruprecht wurde in die Höhe gehoben. Starke Finger rissen an ihm. Nach einiger Zeit wurden sie schwächer. Während der Wind immer schwächer wurde, flüsterte er Ruprecht Namen in sein Ohr, so schnell und durcheinander, dass er sie kaum verstehen konnte. Nur einige konnte er aufschnappen: „Pai Natal“, „Joulupukki“, „ Santa Haraboji“, „Sinterklaas“, „Santa Claus“ und „Weihnachtsmann“.
Ruprecht stutzte. Das waren doch die Namen, zwischen denen er sich nicht entscheiden hatte können. Seine Füße berührten wieder den Boden. Er öffnete die Augen und sah das Christkind lächelnd zu ihm hinüber schauen.
„Was war das?“, wollte er wissen.
Das Christkind schaute ihn nur weiter an. Was war denn so besonders? Es war doch alles genauso, wie vor ein paar Minuten. Oder etwa nicht? Er blickte an sich herunter. Was war das? Er trug den roten Mantel mit der roten Hose, die er sich gewünscht hatte. Weißer Pelz verzierte die Ränder. Und schwarze Stiefel. Er tastete auf seinem Kopf. Seine Hand fand eine Mütze. Eine weiche Mütze. Dankbarkeit erfüllte ihn. Aber was war mit all den Namen.
„Nicht in jedem Land werden dich die Menschen gleich nennen. So kannst du all die Namen, die du dir ausgesucht hast, verwenden und bleibst trotzdem derselbe. Verstehst du das, Ruprecht?“
Ja, er verstand. Wieso war er nicht selbst darauf gekommen? Das Christkind reichte ihm ein kleines Büchlein.
„Dieses Buch ist magisch. In jeder Stadt werden die Namen der Kinder darin erscheinen, die das Jahr über artig waren und deshalb Geschenke bekommen. Alle anderen Kinder bekommen nichts oder fallen in meinen Zuständigkeitsbereich.“
Der Weihnachtsmann nahm das Büchlein staunend entgegen. Was für eine wundervolle Gabe.
„Ich danke euch, Herr Christus.“
„Das war noch nicht alles.“
Es zog einen leeren Sack hinter seinem Rücken hervor. Der Weihnachtsmann wusste nicht, woher dieser kam, aber wer war er schon, das Christkind nach so etwas zu fragen?
„Dieser Sack ist für die Geschenke, die die Kinder bekommen werden. Die richtigen Geschenke werden einfach darin erscheinen. Du hast nichts weiter zu tun, als sie herauszuholen und den Kindern zu überreichen.“
„Ist es wirklich so einfach?“, wollte der Weihnachtsmann wissen, als er den Sack entgegennahm.
Das Christkind nickte nur.
„Ich danke Euch vielmals, Herr Christus. Ich habt mich gerade so glücklich gemacht, wie ich schon seit Jahrhunderten nicht mehr war.“
„Jeder muss einmal seine Wünsche erfüllt bekommen“, meinte das Christkind mit einem geheimnisvollen Lächeln.
Dieses Jahr waren sie zu zweit unterwegs, das Christkind und der Weihnachtsmann. Die Kinder waren dem Weihnachtsmann gegenüber zuerst etwas skeptisch, doch schon nach kurzer Zeit akzeptierten sie ihn. In den folgenden Jahren wurde er immer herzlicher willkommen geheißen und schon bald erinnerten nur noch einige alte Geschichten und Gedichte an Knecht Ruprecht.