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Weihnachtshorror
Ein Samstag Nachmittag wie so viele andere. Schummriges Kerzenlicht erleuchtet mein Zimmer während ich mich bereit mache nach Kopenhagen aufzubrechen. Wie immer ist der Himmel wolkenverhangen und obwohl es erst halb vier ist beginnt es schon dunkel zu werden. Ein Blick aus dem Fenster macht das Unvermeidbare offensichtlich - es regnet wieder. Zwar nur leicht aber es regnet. Wie immer. Trotzdem wage ich mich in die Kälte hinaus und radle die paar Meter vom Campsax zum Campusvillage. Die Eiseskälte dringt durch meine Kleidung und ich wundere mich ob ich nicht doch hätte zuhause bleiben sollen. Aber die Karte für das Crazy Christmas Cabaret ist schon bezahlt und Leute warten auf mich. Also setze ich meinen Weg fort. Im Campusvillage angekommen treffe ich Dennis. Er hat gerade sein Auto vor seinen Wohncontainer gefahren. Glücklicherweise werde ich heute von ihm nach Kopenhagen chauffiert und muss weder auf den Zug warten noch mich auf dem Fahrrad abkämpfen. Dennoch macht sich eine schwere Müdigkeit in mir breit. Ob das durch das deprimierende Wetter oder die Erkältung die ich schon einige Tage mit mir herumschleppe bedingt wird kann ich nicht sagen. Auf dem Weg nach Kopenhagen gabeln wir Sofie auf, die am Bahnhof wartet. Als wir schließlich ankommen weiß ich von der Fahrt nicht mehr viel, es war als ob ich wie in Trance aus dem Fenster geblickt hätte und die dunklen Bäume an meinen Augen vorbeiwischten. Die Wortfetzen die aus mir heraussprudelten spielten Heiterkeit vor. Doch was Heiterkeit war hatte ich schon längst vergessen. Am Parkplatz angekommen setzen wir unseren Weg Richtung Vergnügungspark zu Fuß fort. Nun beginnt es wirklich dunkel zu werden und die Straßenlaternen scheinen auf die feuchten Straßen. Sie wirken wie Spiegel auf denen die vorbeirasenden Scheinwerfer der Autos reflektiert werden. Dennoch sehen wir uns selbst nicht darin. Am Haupteingang winken uns kräftige Männer in dicken Windjacken und roten Mützen durch. Wir sind nun drin.
Es war als ob alle vor irgendetwas flüchteten. Hinein in die Scheinrealität von bunten Lichtern, leuchtenden Bäumen, duftenden Fressbuden und roten Zipfelmützen. Es hätte auch eine Massenpanik sein können in der alle versuchen in eine bessere Welt zu flüchten. Wir wurden so ein Teil der Menschenmasse die durch die Gassen aus kleinen Buden pflügte. Auf der Suche nach etwas wovon wir nicht wussten was es war. Immernoch zwei Stunden bis das Theater anfangen sollte. An einer der duftenden Buden machten wir halt und holten uns etwas zu essen und zu trinken wie es von jemandem erwartet wird der eine solche vor Weihnachten triefende Umgebung aufsucht. Es gab Æbleskiver und Glögg. Æbleskiver - klingt nach Äpfeln, hat aber außer der runden Form nichts damit gemein. Trotzdem wohlschmeckend wenn auch nicht befriedigend. Das süße Erdbeermus das dazu serviert wurde - oder war es Kirsche - passte dazu mit seiner roten Farbe. Dieser Farbton war überall zu finden, auf den Zipfelmützen der Weihnachtsmänner, auf den leuchtenden Herzen die an den Bäumen aufgehängt wurden, auch der Glühwein, das Glögg oder Glück wie es hier genannt wird war rot. Blutrot. Dieses Glück läuft wärmend die Kehlen hinunter, man muss nur acht geben, dass man sich nicht an einer der Rosinen oder der Mandelstifte verschluckt. Sonst könnten diese noch wie Gräten im Hals stecken bleiben.
Nachdem unsere Mägen so gewärmt worden waren, reihten wir uns wieder in den großen Wurm ein der sich durch die Massen drängte. So führte uns der Weg zu einem Gebäude wo kleine "Julenisse" dem Betrachter dargeboten wurden. Julenisse sind die kleinen Weihnachtskobolde die dem Weihnachtsmann zur Hand gehen sollten, hier hingen sie aber zappelnd an mit Styropor und Farbe gestalteten Wänden. Eingefangen zwischen Mauern und all den Menschen wurde das monotone Hintergrundgeräusch redender Leute nun von einem undefinierbaren Gewirr von Weihnachtsmelodien abgelöst, die unbeirrbar aus nicht auszumachenden Lautsprechern dröhnten. Klingen von Glocken und Glöckchen und verschiedene nicht aufeinander abgestimmte Melodien drängten den Eindruck auf, sich nicht in einem weihnachtlichen Ort sondern in einer Weihnachtshölle zu befinden. Auch der drei, vier Meter hohe Holzhirsch auf Rädern der vor dem Eingang geparkt gewesen war schien mich nun in meinem geistigen Auge höhnisch auszulachen - hätte er doch ohne das Geweih auch ebensogut als trojanisches Pferd durchgehen können, ein trojanischer Weihnachtshirsch könnte man meinen. All diese Puppen die sich beinahe kopulierend an ihre künstlichen Felsvorsprünge, Äxte und Tannenbäume klammerten, pulsierten monoton zu einem nicht wahrnehmbaren Takt. Ihre kleinen grinsenden Gesichter mit dicken Pausbäckchen schrien förmlich "Habe mich gern, ich bin ein Weihnachtskobold, ein Überbringer des Festes der Liebe!". Aber an ihrem eingefrorenen Grinsen konnte ich nichts wirklich liebevolles erkennen. Gefangen in dieser psychedelischen Welt zwischen ohrenpeinigenden Klängen und den grotesk lächelnden Fratzen merkte ich kaum wie ich immer weiter in die Nähe des Ausganges geschoben wurde. Zuerst nahm ich kaum wahr, das die schrillenden Glöckchen wieder von dem monotonen Gemurmel der Menge abgelöst wurde.
So drehten wir noch ein zwei Runden über das Gelände. An einer Stelle stieg ein besonders intensiver Weihnachtsgeruch in unsere Nase. Eine Mischung aus gebrannten Mandeln, Glühwein und anderem Süßkram. Dieser Duft wurde aber nach zwei Metern schnell von dem einer Fleischerbude abgelöst. Anstelle von Weihnachtsgewürzen drang nun für kurze Zeit der Geruch von totem Tier an meine Nase.
Schließlich kam der Zeitpunkt an dem das Theater stattfinden sollte weswegen ich eigentlich hergekommen war. Mit unseren Eintrittskarten bewaffnet kamen wir an dem rot bemützten Personal vorbei und konnten unsere Plätze in der hintersten Reihe auch sogleich in Beschlag nehmen. Befremdend zu bemerken, dass die Dänen ihre Plätze nicht in Einerschritten durchnummerieren, aber dafür immer einen Nummer auslassen. Auf 45 folgte so 47 und nicht wie gemeinhin angenommen 46. Diese Zahl war für den anderen Block mit den geraden Nummern vorbehalten, dem ein anderer Eingang zugewiesen war. Die Person die eigentlich mein Sitznachbar gewesen wäre werde ich also nie kennenlernen. Ohne lange warten zu müssen begann auch bald die Vorstellung. Da ich selbst in der letzten Reihe saß wurde mir die Möglichkeit zu Teil das ganze Geschehen aus einer gewissen Distanz zu erleben. Das Publikum wurde aufgefordert sich miteinzubringen. So durfte man viele "Hooray"s und "Boos"s schreien wenn jeweils der rechte Augenblick kam. Das "Boo" war allerdings der Hauptdarstellerin und geistigen Mutter des Stückes vorbehalten. Vielleicht würde ein Esoteriker so auch das kleine Malheur erklären, das ihr passierte als sie von ihren Plateaustiefeln fiel, die sie als "großen" Zauberer erscheinen lassen sollten. Zuviel negative Energie. Die bleierne Müdigkeit die sich in mir schon seit längerer Zeit breit gemacht hatte ließ zwar ein gewisses Maß an Frohsinn zu, dennoch fiel ich mich nicht dazu hingerissen mit all den anderen Leuten in eine begeisterte Mitgerissenheit zu verfallen und "Hooray" und "Boo" zu brüllen. Die harten Sitze und die drückende Hitze taten ihr übriges und ließen den Druck in meinem Schädel weiter anschwellen. Eher unbeteiligt stellte ich schließlich fest, dass nach dem ersten Teil der Vorstellung die Pause angebrochen war. Automatisch ging ich nach draußen um was zu tun? Die Hitze wurde von einer Eiseskälte abgewechselt, die Kopfschmerzen wurden zwar besser, dafür verstärkte sich allerdings der Hustenreiz. So war ich also weder froh noch glücklich wieder zurück in das Gebäude zu kommen und auf den Beginn des zweiten Teiles der Vorstellung zu warten. Wenigstens durfte ich einige Male während der Vorstellung lachen. Unter dem obligatorischen großen Applaus verließ die Schauspieltruppe schließlich die Bühne und alle traten ihren Heimweg an. Als Teil des Gewimmels begannen wir uns unseren Weg aus dem Vergnügunspark heraus zu bahnen. Immer näher in Richtung des großen Tores, dem Ausgang. Dann sind wir wieder draußen. Der "Weihnachts"-Traum ist zu Ende. Irgendwie.
Es ist ein Samstag Abend in Kopenhagen. Wir entscheiden uns nach Hause zu fahren. Ein warmes Bett ist jetzt alles was uns interessiert. Die Tatsache, dass es für einen Erasmusstudenten eigentlich eine Sünde ist eine Samstagnacht in Kopenhagen nicht auszunutzen interessiert mich nicht sonderlich. Auf dem Weg zurück zum Parkplatz begegne ich wieder den feucht-spiegelnden Straßen. Doch jetzt blenden nicht nur die Scheinwerfer der Autos, sondern auch noch all die blinkenden überdimensionalen Leuchtwerbungen lassen keinen Fleck übrig an dem sich meine Augen kurz ausruhen könnten. Einige Feuerwehrwägen rauschen unter Sirenengeheul und Blaulicht an uns vorbei. Ein kleiner blau blinkender Hoffnungsschimmer für jemanden der in dieser fröhlichen Weihnachtszeit nach Hilfe sucht. Menschen hetzen über die Straßen wie bei einem Wettrennen. Es ist anstrengend all den Leuten auszuweichen um ja nicht mit ihnen zusammenzustoßen. Je weiter wir vom Zentrum wegkommen um so weniger Leute begegnen uns auf unserem Weg. Am Auto angekommen sind wir wieder unter uns und fahren los, hinein in die Dunkelheit. Doch irgendetwas scheint uns nicht aus der Stadt herauslassen zu wollen. Anstatt nach Norden zu fahren führt uns ein falscher Weg in den Südwesten der Stadt. So brauchen wir einige Zeit bis wir den rechten Weg finden und endlich unseren Zimmern näher kommen. Als ich zuhause ankomme sehe ich das Chaos wieder, dass ich verlassen habe. In einer Ecke entdecke ich die Schale Kiwis die ich vor knapp zwei Wochen gekauft habe. Sie sind immer noch steinhart und sauer. Wieder ein Zeichen dafür wie wenig Sonne es hier zur Weihnachtszeit gibt. Ich wundere mich wie hier überhaupt etwas heranreifen kann. So lege ich mich in mein Bett und warte auf einen neuen Tag.