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Weihnachtsgeschichte - eh egal
Auf dem Gehweg liegt ein roter Haufen, genau vor dem Gartentörchen der Hillmeier-Brandts. Ich gehe hin, den Besen noch in der Hand, denn die samstägliche Kehrwoche kennt auch an Heiligabend kein Pardon. Ein paar Blätter treiben im Weihnachtswind ihr Unwesen.
Es ist schon fast dunkel, und ich muss mich beeilen, denn im Ofen braten die Forellen. Vorsichtig stupse ich den Haufen mit dem Fuß an. Wer weiß, was da dran ist. Milben oder so. Der Haufen ist ein Weihnachtsmann-Kostüm. Am weihnachtlich illuminierten Hillmeier-Brandt-Haus öffnet sich die Tür und Frau Hillmeier-Brandt schaut heraus. Um den Eindruck zu vermeiden, ich würde meine alten Weihnachtsmann-Kostüme auf Nachbars Trottoir entsorgen, rufe ich fröhlich: „Da liegt ein Weihnachtsmann-Kostüm.“
Frau Hillmeyer-Brandt blinzelt trübe aus verquollenen Augen.
„Das ist von Ernst-Joachim.“
Ich unterdrücke die Frage, wer Ernst-Joachim ist.
„Was ist denn passiert?", frage ich.
„Ernst-Joachim sollte den Weihnachtsmann spielen für Max und Lara.“
„Ja, und, hat das nicht funktioniert?“
„Max und Lara haben sich unmöglich benommen.“
Frau Hillmeier-Brandt schluchzt jetzt verhalten.
„Mein Mann wollte eine professionelle Weihnachtsmann-Agentur beauftragen. Aber ich habe gesagt, der Ernst-Joachim kann das genauso gut. Und kostenlos. Jetzt habe ich die Bescherung."
Aus dem Hillmeier-Brandt-Haus quellen Weihnachtsmusik und Kindergequengel.
„Das Fest ist ruiniert“, schnieft Frau Hillmeyer-Brandt und ergänzt:
„Die Kinder haben da etwas im Kindergarten aufgeschnappt."
"Was haben sie denn aufgeschnappt?", frage ich mäßig interessiert. Ich denke an die Forellen.
"Dass der Weihnachtsmann eine Erfindung von Coca-Cola ist. Sie haben den Ernst-Joachim ausgelacht.“
Ich schaue teilnahmsvoll.
„ Der Ernst-Joachim ist ein solcher Versager“, schluchzt sie.
Im Hillmeier-Brandt-Haus erklingt jetzt Es ist ein Ros entsprungen.
„Übel“, bemerke ich einfühlsam, „vielleicht geht es auch ohne Weihnachtsmann.“
In Frau Hillmeier-Brandts Augen keimt Hoffnung auf wie Rosen im Dornwald. „Könnten Sie nicht…?“
„Iiiich? Also ich glaube nicht.“
„Sie müssten nur das Kostüm überziehen.“
„Da ist keine Hose dabei“, wende ich ein und stochere lustlos mit dem Besenstiel in dem Kleiderhaufen herum. „Die Mütze fehlt auch.“
„Ich hätte da eine Pelzmütze von meinem Mann“, sagt Frau Hillmeier-Brandt.
„Finden Sie, das sieht nach Weihnachtsmann aus?“, frage ich und schaue an mir herunter auf den bescherungsfeinen schwarzen Rock und die hochhackigen Schuhe.
„Das ist jetzt eh egal“, erwidert sie, und plötzlich wird sie bestimmend:
„Ziehen Sie das Oberteil über, ich hole die Mütze und den Geschenkesack.“
Gehorsam ziehe ich das Weihnachtsmann-Oberteil an, während Frau Hillmeier-Brandt ins Haus eilt.
Der Bart klebt nicht richtig. Vielleicht benutzt Ernst-Joachim eine stark pflegende Gesichtscreme, möglicherweise leidet er aber auch unter fettiger Problemhaut.
Frau Hillmeier-Brandt setzt mir triumphierend eine braune Zentralkommitee-Pelzmütze mit Ohrenklappen auf den Kopf. Die klassische Erich-Honnecker- im-Thüringer-Wald-Mütze.
„Die ist von Fjällräven“, sagt sie.
Ich sage nichts, hätte aber gerne geantwortet, dass das jetzt eh egal ist. „Im Sack sind zwei Geschenke“, gibt mir Frau Hillmeier-Brandt letzte Instruktionen. „Das rosarote ist für die Lara.“
Vor dem Garderobenspiegel der Hillmeier-Brandts rücke ich die Mütze zurecht. Ich bin eine Kombination aus Margot Honnecker und Karl Marx. Nur dass ich nicht im Thüringer Wald bin.
Die Kinder schauen auf dem wandgroßen Heimkino die Simpsons, aber ohne Ton, denn die Beschallungsanlage spielt ein volksmusikalisches Stille Nacht. Am festlich gedeckten Tisch sitzt Herr Hilmeier-Brand und schaut missmutig Bart Simpson zu, wie er den Simpson-Weihnachtsbaum ansägt. Ein lustiger Streich.
Ich versuche, überzeugend „Ho Ho Ho“ zu performen, aber die Kinder schauen nur kurz auf. Der Simpson-Weihnachtsbaum fällt um und trifft Homer empfindlich auf die Fleischmütze.
„Die Unterhaltungselektronik könnten wir jetzt ausstellen“, sage ich streng. Frau Hillmeier-Brandt dreht dem Volksmusik-Duo den Ton ab.
„Ich bin der Weihnachtsmann“, verkünde ich.
„Den Weihnachtsmann gibt’s nicht, der ist nur erfunden“, sagt Max.
„Alles ist mal erfunden worden, auch die Cola“, antworte ich. „Sonst gäbe es die Cola ja nicht.“
Schwachsinn und Tautologien bedürfen einer guten Performance, dann werden sie akzeptiert.
„Ja schon, der Weihnachtsmann hat aber nicht wirklich gelebt“, gibt Lara zu bedenken. Im Heimkino wachsen auf Homer Simpsons Schädel monströse rote Pusteln wegen der mit Weihnachts-Keimen infizierten Weihnachtsbaum-Nadelstichen.
„Nun ja, der Weihnachtsmann ist der Assistent vom Nikolaus", erkläre ich. "Der Nikolaus ist der eigentliche Weihnachtsmann.“
„Wer ist der Nikolaus?“, fragt Lara.
"Ein türkischer Bischof, der armen Kindern Goldbarren über den Gartenzaun geworfen hat“, erkläre ich.
„Einfach so?“
„Ja", sage ich, „Einfach so. "Und weil Weihnachten war.“
Ich verschweige, dass der Nikolaus mit seiner Aktion drei sittsame Jungfrauen vor einer Karriere als Prostituierte bewahren wollte.
„Du bist aber eine Frau“, sagt Max.
„Na und?“, gebe ich zurück. „Auch Frauen können Weihnachtsmann sein. Ich bin chief senior assistant des Nikolauses, damit bin ich Vorgesetzte des Weihnachtsmannes.“
Ich vergesse zu fragen: Wart ihr auch brav?
Stattdessen hole ich das rosa Geschenk aus dem Sack und gebe es dem Jungen. Das Mädchen erhält das blaue Geschenk. Frau Hillmeier-Brandt nestelt nervös am Christbaum herum. Max schält einenPrinzessin-Lillifee-Herd mit farblich passendem Kehrschaufel-Set aus dem Papier. Lara befummelt ein Playmobil-Feuerwehrauto. Herr Hillmeier-Brandt beobachtet missbilligend, wie sein Sohn das Kehrschaufel-Set ausprobiert und wirft mir einen bösen Blick zu. Ich verschanze mich hinter meiner Autorität als Weihnachtsmann.
Homer Simpson tranchiert unterdessen den Truthahn. Eine seiner Weihnachtsbaumnadelpusteln platzt auf und entlässt gelbliche Eiterschlieren, die auf das Großgeflügel tropfen, um sich anschließend in sämiger Harmonie mit dem Bratensaft zu vereinen.
„Bis zum nächsten Jahr“, sage ich munter zu den Kindern.
Als ich die Honnecker-Mütze an den Kleiderständer im Flur hänge, höre ich Herrn Hillmeier-Brandt nörgeln: „Musstest du die Schnepfe anschleppen?“
Stefan Mross trompetet Süßer die Glocken nie klingen.
Zuhause sind die Forellen verbrannt. Wir bescheren trotzdem. Ist jetzt eh egal.
Epilog
Am Weihnachtsmorgen juckt es mich hinter den Ohren. In den nächsten Tagen wird sich ein aggressiver Hautpilz über meinen gesamten Körper verbreiten. Ich werde aussehen wie ein Fliegenpilz, nur umgekehrt, also rote Punkte auf weiß. Ein starkes Antibiotikum wird notwendig werden. Ich denke an Ernst-Joachim. Wie es ihm wohl geht? Ist mir eigentlich egal.