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Weihnachten mit Jimmy Stewart (Ist das Leben nicht schön?)
Es ist der Morgen des 24. Dezembers und auch wenn jeder weiß, dass weder auf der Welt noch in den Herzen Frieden herrscht, scheint es einfach zu pathetisch, sich noch wirklich darüber aufzuregen, also spielt man schließlich trotzdem mit und zumindest eines der vielzähligen Rituale, die diesen Tag begleiten, stellt einen einigermaßen ertragbaren heiligen Abend in Aussicht; der ebenso heilige Frühschoppen, der Jung wie Alt dazu veranlasst, das vormittägliche Trinken für plötzlich gar nicht mehr so verachtungswürdig zu halten, erfüllt es doch schließlich den sinnvollen Zweck, es sich ein bisschen warm ums Herz zu machen.
Als wir um zehn Uhr morgens die Straßen der Altstadt betreten, sind diese schon besser gefüllt als an manchen Samstagabenden und als zur Mittagszeit die durch die Reihe gut angetrunkenen älteren Herren widerwillig von den Frauenstimmen in ihrem Kopf nach Hause getrieben werden, sind meine Freunde und ich nicht weniger nüchtern, sehen uns jedoch nicht dazu veranlasst, es ihnen gleichzutun und suchen unsere angestammten Kneipenplätze auf.
Auch hier herrscht Hochbetrieb, die Altersspanne der Besucher ist ungewöhnlich breit, und die Stimmung reicht von wehleidig-melancholisch bis ausgelassen-euphorisch. Gerade die älteren Gäste neigen zu ersterer Gemütslage, würden sie es in den meisten Fällen doch auch gerne ihren zur Familie pilgernden Altersgenossen gleichtun, können dies jedoch aus irgendwelchen Gründen nicht. Die Diskussionen um mich herum sind wie immer, Kneipendiskussionen lassen sich in ihrer Routiniertheit nun mal auch nicht von hoch geschätzten Geburtstagen beeindrucken, und ich sinniere stumm über einem Bier und einem Gimlet darüber nach, wie Philip Marlowe wohl Weihnachten verbringen würde. Ich spüle meine müßigen Gedanken in großen Zügen runter und gehe die Treppe nach unten aufs Klo, das auch heute nicht nach Zimt und Nelken riecht. Als ich wieder zurück nach oben gehe, höre ich angeregtes Durcheinander-Gebrülle und berstendes Glas. Wenn die Menschheit für eine Sache ähnlich viele Gründe aus der Luft zu greifen vermag wie dafür, sich gemeinsam zu betrinken, dann ist es dafür, sich gegenseitig aufs Maul zu hauen, doch ich bin sicherlich nicht der Erste, der das bemerkt. Vorsichtig steige ich die letzten Stufen nach oben und prompt werde ich von einem in meine Richtung gestoßenen Menschenkörper an die Wand gedrückt. Ich schiebe ihn behutsam von mir weg und noch ehe ich mir wirklich Überblick über die Situation verschaffen kann, kommt ein stämmiger Herr wütend auf mich zugestürmt und schlägt mir unvermittelt ins Gesicht, einfach so. Ich falle widerstandslos auf den Boden und sehe, wie einige meiner Freunde auf ihn zustürmen, ihn an den Armen packen und unter Hilfe des Barmannes, der nun auch die Tresenseite gewechselt hat, nach draußen zerren.
Und während die Welt außerhalb an diesem Fest der Liebe sich wahrscheinlich gar nicht so unehrlich mal wieder an Werten wie Güte und Nächstenliebe versuchen will, liege ich nur wenige Zentimeter von dem zersplitterten Glas auf den dreckigen Fliesen einer schäbigen Kleinstadtkneipe, spüre mit meiner Zunge Blut an meinen Lippen und fühle mich ein bisschen wie George Bailey in Martinis Bar.