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Weihnachten ist erst am Sonntag

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17.10.2016
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Weihnachten ist erst am Sonntag

Menschen im Kaffeehaus sitzen an den Tischen und wirken entspannter als die Vorbeieilenden. Sie trinken ihre Kaffees, hantieren mit Einkaufslisten, haken offene Punkte in ihren Weihnachtstodos ab, laufen dann in das nächste Geschäft des Einkaufszentrums. Wegen der Aktionsfrotteesocken für Opa und der weihnachtsrabattierten Baumwollunterwäsche für Oma, hört man sie sagen.

Fritz ist entspannt. Er muss nur seine Mutter beschenken und deren Geschenk ist unter Dach und Fach. Gut, denkt er. Er hat seinen Capuccino ausgetrunken, blickt fragend zu seiner Mutter, die ihm gegenüber sitzt.
„Ist schon gut, heute bist du eingeladen. Es ist ja fast Weihnachten.“, sagt sie und bestellt zwei weitere Capuccinos bei der Bedienung. Als diese die Kaffees serviert schaut Fritz in das Dekoltée der Serviertochter, sie richtet sich auf schüttelt den Kopf. Fritz sagt zu seiner Mutter: „Ich habe so eine Freude mit dem Geschenk für dich, Mutti. Am liebsten möchte ich, dass heute schon Weihnachten ist und ich dir beim Auspacken zusehen kann.“
Er lehnt sich in dem Sessel zurück und schließt die Augen. Er lächelt.

Seit über dreißig Jahren wohnt Fritz in seinem Kinderzimmer in der Wohnung der Eltern. Mittlerweile hat er es für sich hergerichtet, wie er sagt. Die Poster an der Wand, den Computer am Schreibtisch mit immer offenen Fenstern, die leeren Bierdosen und die Pizzaschachteln unter dem Tisch musste seine Mutter nicht sehen. Darum hat sie Zimmerverbot. Auch will er nicht, dass sie aufräumt. Darum hatte er, zur Sicherheit, wie er zu einem Kollegen sagte, das Schloss an der Türe ausgewechselt. Ob sie es bemerkt hat, oder nicht, wusste er nicht. Es war ihm egal.
Die vierhundertfünfzig Franken, die er bei dem Projekt der Caritas verdiente, investiert er, genauso wie die Arbeitslosenunterstützung, an der Börse des kleinen Mannes, so nannte er sein Geschäft: Wetten auf den Lieblingssportclub, auf den besten Skifahrer, auf das perfekte Blatt beim Poker Turnier. Alles online und vom Kinderzimmer aus. So lässt sich Geld verdienen, sagt Fritz. Dass er in der Statistik, notiert auf der Innenseite eines Pizzakartons, zurück liegt, stört ihn nicht. Er ist sicher, er wird alles wieder aufholen.

„Ein momentaner Engpass, lediglich“, sagte er vor ein paar Tagen am Telefon zu seiner Bankberaterin und das sie den Kontorahmen um hundert Franken hinaufsetzen solle. Die Dame von der Bank hatte „ja“ gesagt, es aber bis heute nicht gemacht.

„Jetzt hast Du mich neugierig gemacht, Bub“, so nannte seine Mutter ihn, wenn sie gut auf ihn zu sprechen war, „gib mir einen Tipp.“
„Mutti, nein, es soll eine Überraschung sein.“
„Du sollst nicht immer Geld für mich ausgeben.“, antwortet die Mutter, öffnet das Zuckerpäckchen, rührt ihren Kaffee um, nimmt die Tasse. Ihre Hand zittert. Sie stellt die Tasse, ohne zu trinken, zurück auf den Unterteller.
„Für dich ist mir nichts zu teuer, aber es hat nur hundert Franken gekosten und ich bin sicher, es wird dir gefallen. Ich glaube, dass du dir das schon lange gewünscht hast.“
„Ich hoffe nur, dass du dich nicht übernommen hast und ich wieder, du weißt schon, Fritz, nach vielen Mahnungen, mein Geschenk selber zahle.“
Fritz wirkt, trotz seines Übergewichts und seines großen Schädels, wie ein kleines Kind, er zieht die Lippen zu einem Spitz. Er nimmt seine Tasse, schlürft den Rest seines Kaffees.
„Niemals wieder, das hab ich dir versprochen, Mutti, das Paket wird morgen oder übermorgen kommen, ich habe das Geld.“

Er erinnert den Text, den er auf der Internetseite gelesen hatte. Er war überzeugt das Passende für seine Mutter gefunden zu haben:
„Original Lourdes Madonna, im bestem Zustand, kaum gepraucht, echtes Holzkunststoff, unzerbrächlich, hangefertig bei Korea, Schnäpchen um 100 Franken. Vom Privat.“
Die Rechtschreibfehler sind ihm aufgefallen, es war ihm egal, für die Zahlung hatte er vereinbart, dass die Lieferung per Nachnahme erfolgen wird.

„Aber wenn das Paket morgen oder übermorgen in der Früh kommt, dann werde ich dich nicht wecken, du hast ja diese Woche frei und arbeitest ja immer bis spät in die Nacht am Computer“, sagt die Mutter, nimmt die Tasse mit beiden Händen, beugt sich nach vorne und trinkt.
„Wenn es Dir nichts ausmacht, kannst Du das Paket für mich übernehmen, nachdem ich dir schon gesagt habe, was es kostet, ich geb Dir dann das Geld.“
„Gut, aber dann schon, weil, ich habe nur mehr die hundert Franken für den Weihnachtseinkauf, den Christbaum und den Tannenschmuck für das Grab von Papa.“
„Kein Problem, Geht klar, Mutti.“
„Danke, Bub, ich weiss nicht wann ich dir das letzte Mal gesagt habe, dass, seit mein Ernst, selig, dein Papa, nicht mehr lebt, ich so froh bin, dass du zu Hause wohnst. Freilich würde ich mich über Enkelkinder und eine Schwiegertochter freuen, aber es tut gut dich daheim zu haben.“
Tränen steigen in ihre Augen, sie blickte ihren Sohn an, streichelt seinen haarigen Unterarm.
„Ja, Mutti, und sollte ich, ich meine, nur im Falle des Falles, das Geld erst übermorgen oder am Freitag haben, macht es ja auch nichts, weil Weihnachten ist erst am Sonntag.“

 

Hallo Taugi,

du bist wahrschen's schon Willkommen geheißen worden, aber ich mache es hiermit trotzdem nochmal!

Und ich steige gleich ein:

Das Treiben in dem Einkaufscenter ist hektisch.
Das ist (meiner Meinung nach) kein schöner erster Satz. Zum einen, weil ich über die Formulierung "in dem..." stolpere und andererseits (und wahrscheinleich eher nebensächlich und pingelig), weil ich mich frage, ob es dann auch ein nicht hektisches Treiben gibt...?!

Fritz ist entspannt. Er hat nur seine Mutter zu beschenken und deren Geschenk war unter Dach und Fach, denkt er.
Das klingt ein wenig sehr gezwungen, finde ich. Fast schon, als muss er seine Mutter beschenken. Ist ein Geschenk nicht eine Sache, die man freiwillig übergibt, oder die man aus Freude und Dankbarkeit einer anderen Person zukommen lässt? Für mich ist das jedenfalls so. Im zweiten Teil des Satzes stimmt die Zeitform nicht ganz überein. Müsste es da nicht eher "und deren Geschenk ist unter Dach und Fach, dachte er" heißen? Zumal es auch hier so klingt, als wäre es für ihn ein großer Schmerz, seiner Mutter etwas zu schenken. Vielleicht könntest du aus dem passiven Teil etwas Aktives machen. Bis zu dieser Stelle erzählt dein Protagonist nur; ich fände es interessant was passieren würde, wenn du ihn die ganzen geschilderten Dinge erleben lässt: Zeige dem Leser, was passiert, oder lass es den Prota vielleicht erlebt haben (nur als kleiner Impuls).

Ein bisschen verwirrt worden bin ich durch die so unterschiedlichen Sichtweisen von Fritz. Während er mir hier

„Ich habe so eine Freude mit dem Geschenk für dich, Mutti. Am liebsten möchte ich, dass heute schon Weihnachten ist und ich dir beim Auspacken zusehen kann.“
wie ein kleines Kind vorkam, scheint er hier fast schon erwachsen zu sein:
Vor dem Bestellen des zweiten Latte macchiatto blickt er fragend seine Mutter an, die ihm gegenüber sitzt.
Oder bestellt seine Mutter den Latte macchiatto?
Seit über dreißig Jahren wohnt Fritz in seinem Kinderzimmer in der Wohnung seiner Eltern.
Aha!

„Ein momentaner Engpass, lediglich“, sagte er vor ein paar Tagen am Telefon zu seiner Bankberaterin und dass sie den Rahmen doch um fünfzig Franken hinaufsetzen soll. Sie hat „ja“ gesagt, es aber nicht gemacht.
„Jetzt hast Du mich neugierig gemacht, Bub“, so nennt sie ihn, wenn sie gut auf ihn zu sprechen ist, „gib mir einen Tipp.“
Hier habe ich erst verstanden, dass das auch die Frau von der Bank sagt. Vielleicht könntest du noch ein bisschen in einen Übergang investieren, der das ausblendet. Bist ja der Schriftsteller, da fällt dir sicher noch etwas ein ;)

Ich hoffe nur, dass du dich nicht übernommen hast und ich wieder, du weißt schon [Komma] Fritz, nach vielen Mahnungen, mein Geschenk selber zahle.“
Wuhu, das ist ja ein Knaller!

„Gut, aber dann schon, weil, ich habe nur mehr die hundert Franken für den Weihnachtseinkauf, den Christbaum und den Tannenschmuck am Grab vom Papa [>hier hat sich der Punkt nach draußen verkrümelt, aber vor der Tür ist's doch kalt!]“.
„Kein Problem, Geht klar, Mutti“.

Ich finde, deine Geschichte hat schon ziemlich viel. Durch die Dialog-Einschübe bringst du die Situation auch in einen näheren Zusammenhang zur Gegenwart, oder zumindest jüngsten Vergangenheit. Vor allem aber die Mutter bleibt meiner Meinung nach noch ein wenig blass, vielleicht kannst du versuchen, ihr noch ein wenig mehr Leben einzuhauchen. Das Gleiche gilt bei Fritz. Beim Lesen erfahre ich von ihm nur etwas aus seiner Vergangenheit und auf der Gegenseite sehr wenig Gegenwärtiges, was ihn möglicherweise zu einer ein wenig lebendigeren Person machen würde.
Soweit von mir!


liebe vorweihnachtliche Grüße,
SCFuchs

 

Lieber Fuchs, SC.

Wahrlich schlau das Feedback. Füchsisch. Quasi.

No, Scherz beiseite: Danke für die Anmerkungen, welche ich sehr konstruktiv finde. Vor allem auch der Hinweis auf die Gegenwart und dem Belichten derselben ist äusserst hilfreich. Und, den Einstieg werde ich auf jeden Fall ändern und frage mich gerade warum mir das nicht nicht schon selbst aufgefallen ist. Der ist echt schlecht.

Nochmal. Herzlichen Dank und ebenfalls Grüße aus der Vor-Vorweihnacht.

Taugi

 

Hallo Kohno.

Ja, zusätzlich zu den oben angeführten Dingen werde ich mich der Ausdünnung der Dialoge befassen.

Interessant ist auch Deine Anmerkung hinsichtlich Geschichte generell. Es ging mir darum eine Weihnachtsgeschichte zu erzählen, welche möglichst wenig an Klischees bedient. Die "heil(ige)" Welt ausspart. Wenn es dann ein wenig zum Nachdenken anregt (warum lebt der mit 30 in dieser Form noch in der elterlichen Wohnung) oder zum Schmunzeln (wo man am Ende erkennt, dass er das Geld natürlich wieder nicht bereit hat) dann freue ich mich.

Lg
Taugi

 

Hallo taugi!

Ich habe auch ein paar generelle Anmerkungen, speziell zum Ende. Ich las die Geschichte nämlich bis zum Ende und dachte: Hey, wo ist der Rest?
Mir fehlt also etwas. Was wollte ich wissen? Was es mit dem Schnäppchen auf sich hat. Es wird ja kaum eine "Original Lourdes Madonna" ankommen, oder?

Dein bisheriges Ende: "wo man am Ende erkennt, dass er das Geld natürlich wieder nicht bereit hat" befriedigt mich nicht. Auch weil schon lange vor dem Ende klar ist, dass er das Geld wahrscheinlich nicht hat. Wenn du es nur auf diese Erkenntnis anlegst, bräuchte der Text nur halb so lang sein, denn ab etwa Mittes des Textes kommt ja eigentlich nichts Neues mehr.

Grüße,
Chris


PS: Noch kurz zur Rechtschreibung, da du dir ja selbst nicht einig bist: „Wenn es Dir nichts ausmacht, kannst Du das Paket für mich übernehmen, nachdem ich dir schon gesagt habe, was es kostet, ich geb Dir dann das Geld.“
=> Nur das Anrede-Sie wird in literarischen Texten groß geschrieben (wegen der Verwechslungsgefahr), das Anrede-Du aber nicht. Das kannst du in Briefen machen, musst du aber nicht.

 

Hallo Chris.

Danke für die konstruktive Rückmeldung.

Das mit dem Du und Sie hat damit zu tun, dass ich in einer Zeit groß geworden bin, wo man teilweise auch noch die Großeltern mit Sie angesprochen hat und ich mir bis heute nicht sicher bin, ob damit der Plural oder die Höflichkeitsform gemeint ist. Werde das natürlich ändern und die Regeln kenne ich. Danke für den Hinweis.

Wegen der Geschichte als solche: Ja, ich verstehe was Du meinst, aber ich dachte, dass es zuviel wird, wenn jetzt noch so ein verkratze, hässliches Teil ankommt. Kürzen - und da bin ich völlig Deiner Meinung - täte dem Text sehr gut. Wenn nicht eh jedem.

Auf jeden Fall herzlichen Dank und schöne Grüße.


Robert

 

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