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Weihnachten ist erst am Sonntag
Menschen im Kaffeehaus sitzen an den Tischen und wirken entspannter als die Vorbeieilenden. Sie trinken ihre Kaffees, hantieren mit Einkaufslisten, haken offene Punkte in ihren Weihnachtstodos ab, laufen dann in das nächste Geschäft des Einkaufszentrums. Wegen der Aktionsfrotteesocken für Opa und der weihnachtsrabattierten Baumwollunterwäsche für Oma, hört man sie sagen.
Fritz ist entspannt. Er muss nur seine Mutter beschenken und deren Geschenk ist unter Dach und Fach. Gut, denkt er. Er hat seinen Capuccino ausgetrunken, blickt fragend zu seiner Mutter, die ihm gegenüber sitzt.
„Ist schon gut, heute bist du eingeladen. Es ist ja fast Weihnachten.“, sagt sie und bestellt zwei weitere Capuccinos bei der Bedienung. Als diese die Kaffees serviert schaut Fritz in das Dekoltée der Serviertochter, sie richtet sich auf schüttelt den Kopf. Fritz sagt zu seiner Mutter: „Ich habe so eine Freude mit dem Geschenk für dich, Mutti. Am liebsten möchte ich, dass heute schon Weihnachten ist und ich dir beim Auspacken zusehen kann.“
Er lehnt sich in dem Sessel zurück und schließt die Augen. Er lächelt.
Seit über dreißig Jahren wohnt Fritz in seinem Kinderzimmer in der Wohnung der Eltern. Mittlerweile hat er es für sich hergerichtet, wie er sagt. Die Poster an der Wand, den Computer am Schreibtisch mit immer offenen Fenstern, die leeren Bierdosen und die Pizzaschachteln unter dem Tisch musste seine Mutter nicht sehen. Darum hat sie Zimmerverbot. Auch will er nicht, dass sie aufräumt. Darum hatte er, zur Sicherheit, wie er zu einem Kollegen sagte, das Schloss an der Türe ausgewechselt. Ob sie es bemerkt hat, oder nicht, wusste er nicht. Es war ihm egal.
Die vierhundertfünfzig Franken, die er bei dem Projekt der Caritas verdiente, investiert er, genauso wie die Arbeitslosenunterstützung, an der Börse des kleinen Mannes, so nannte er sein Geschäft: Wetten auf den Lieblingssportclub, auf den besten Skifahrer, auf das perfekte Blatt beim Poker Turnier. Alles online und vom Kinderzimmer aus. So lässt sich Geld verdienen, sagt Fritz. Dass er in der Statistik, notiert auf der Innenseite eines Pizzakartons, zurück liegt, stört ihn nicht. Er ist sicher, er wird alles wieder aufholen.
„Ein momentaner Engpass, lediglich“, sagte er vor ein paar Tagen am Telefon zu seiner Bankberaterin und das sie den Kontorahmen um hundert Franken hinaufsetzen solle. Die Dame von der Bank hatte „ja“ gesagt, es aber bis heute nicht gemacht.
„Jetzt hast Du mich neugierig gemacht, Bub“, so nannte seine Mutter ihn, wenn sie gut auf ihn zu sprechen war, „gib mir einen Tipp.“
„Mutti, nein, es soll eine Überraschung sein.“
„Du sollst nicht immer Geld für mich ausgeben.“, antwortet die Mutter, öffnet das Zuckerpäckchen, rührt ihren Kaffee um, nimmt die Tasse. Ihre Hand zittert. Sie stellt die Tasse, ohne zu trinken, zurück auf den Unterteller.
„Für dich ist mir nichts zu teuer, aber es hat nur hundert Franken gekosten und ich bin sicher, es wird dir gefallen. Ich glaube, dass du dir das schon lange gewünscht hast.“
„Ich hoffe nur, dass du dich nicht übernommen hast und ich wieder, du weißt schon, Fritz, nach vielen Mahnungen, mein Geschenk selber zahle.“
Fritz wirkt, trotz seines Übergewichts und seines großen Schädels, wie ein kleines Kind, er zieht die Lippen zu einem Spitz. Er nimmt seine Tasse, schlürft den Rest seines Kaffees.
„Niemals wieder, das hab ich dir versprochen, Mutti, das Paket wird morgen oder übermorgen kommen, ich habe das Geld.“
Er erinnert den Text, den er auf der Internetseite gelesen hatte. Er war überzeugt das Passende für seine Mutter gefunden zu haben:
„Original Lourdes Madonna, im bestem Zustand, kaum gepraucht, echtes Holzkunststoff, unzerbrächlich, hangefertig bei Korea, Schnäpchen um 100 Franken. Vom Privat.“
Die Rechtschreibfehler sind ihm aufgefallen, es war ihm egal, für die Zahlung hatte er vereinbart, dass die Lieferung per Nachnahme erfolgen wird.
„Aber wenn das Paket morgen oder übermorgen in der Früh kommt, dann werde ich dich nicht wecken, du hast ja diese Woche frei und arbeitest ja immer bis spät in die Nacht am Computer“, sagt die Mutter, nimmt die Tasse mit beiden Händen, beugt sich nach vorne und trinkt.
„Wenn es Dir nichts ausmacht, kannst Du das Paket für mich übernehmen, nachdem ich dir schon gesagt habe, was es kostet, ich geb Dir dann das Geld.“
„Gut, aber dann schon, weil, ich habe nur mehr die hundert Franken für den Weihnachtseinkauf, den Christbaum und den Tannenschmuck für das Grab von Papa.“
„Kein Problem, Geht klar, Mutti.“
„Danke, Bub, ich weiss nicht wann ich dir das letzte Mal gesagt habe, dass, seit mein Ernst, selig, dein Papa, nicht mehr lebt, ich so froh bin, dass du zu Hause wohnst. Freilich würde ich mich über Enkelkinder und eine Schwiegertochter freuen, aber es tut gut dich daheim zu haben.“
Tränen steigen in ihre Augen, sie blickte ihren Sohn an, streichelt seinen haarigen Unterarm.
„Ja, Mutti, und sollte ich, ich meine, nur im Falle des Falles, das Geld erst übermorgen oder am Freitag haben, macht es ja auch nichts, weil Weihnachten ist erst am Sonntag.“