Was ist neu

Weihnachten das ganze Jahr

Mitglied
Beitritt
13.09.2007
Beiträge
302
Zuletzt bearbeitet:

Weihnachten das ganze Jahr

Starr sitzt Alfred auf der Bank vorm Kaufhaus. Unsere Lebkuchen lässt er unberührt. Den Plastikbecher voll Weihnachtspunsch hält er in der Hand, ohne zu trinken. Ein Glimmen stiehlt sich in seine, die Umgebung scannenden Augen, und seine Wangen röten sich, während er Susi und mir von sich erzählt. Schmallippig stößt er die Worte aus, es scheint, als würde er mit jeder freigelassenen Silbe, Platz in seinem Inneren schaffen für so etwas wie Behaglichkeit. Diese Behaglichkeit breitet sich um uns aus wie eine Haut, polstert das harte Holz der Bank, erwärmt die Kälte, lindert den Lärm, macht die in und aus dem Kaufhaus hastenden Menschen unsichtbar.
„Damals war ich wer, habe in einer Bank gearbeitet, mit Anzug und Krawatte, eine Frau hatte ich, sie war schön, eine rassige Frau, da hat mich mancher drum beneidet. Zwei Kinder, Korbinian und Annegret. Ein schönes Leben war das, mit Urlaub in Österreich, in der Schweiz und auf Teneriffa. Dann ist sie fremdgegangen, meine Frau, hat sich scheiden lassen, und ich musste aus dem Haus und zahlen. Da habe ich einen Fehler gemacht, leider habe ich mit dem Alkohol angefangen. Gut, dass der Punsch ohne Alkohol ist.“, er nimmt einen Schluck, „Da musst du aufpassen, im Winter, da trinke ich abends nichts Hochprozentiges mehr, sonst kannst du erfrieren. So wachst du alle zwei Stunden auf und machst dich warm.“
„Gott zum Gruß, darf ich mich vorstellen?“, tritt ein junger Mann an uns heran. „Ich bin John und das ist Maria“, weist er auf ein Mädchen in dickem Parka und einer Jeans, aus deren zerrissenen Quadraten Gänsehaut herausbeult. Johns Winterjacke steht offen, der Reißverschluss ist kaputt. Wo er sich eine neue kaufen kann, fragt er, ich weise auf das Kaufhaus hinter uns.
„Wir sind Studenten der Bibelschule München, darf ich euch segnen?“
John segnet uns und erzählt, wie verdorben er war.
Bevor Jesus in sein Leben trat, wäre er sogar drogenabhängig gewesen.
„Heroin?“, fragt Susi schaudernd.
Nein, er hat gekifft.
Die Bibelstudentin Maria setzt sich neben Alfred, versenkt sich nassen Blickes in seine Augen, um ihm zuzuhören, während John uns in Beschlag nimmt.
Schließlich wollen wir weiter, zu den anderen Obdachlosen. Alfred versucht, uns zurückzuhalten. Die seien gefährlich, und dreckig, sie stehlen. Einer darunter, Freddy, war bei der Fremdenlegion, sagt Alfred.
„Ein brutaler Hund, der sticht dich ab, eiskalt! Der hat eine Freundin, die ist Millionärin, will ihm eine Wohnung schenken, aber der lacht sie nur aus, der will auf der Straße leben, nicht wie ich, mir bleibt ja nichts Anderes übrig.“
John gibt ihm einen Flyer für eine christliche Unterkunft.
„Hm, solche wie mich wollen die nicht, ich habe da leider ein Problem mit dem Alkohol“, Alfred schaut auf seine Schuhe.
Wir reden ihm gut zu, verabschieden uns und ziehen weiter.
Als wir uns zu Freddy auf das Lager in der Mauernische des Kaufhauses setzen, ist Alfred wieder da. Er schmeißt den Flyer des Bibelstudenten in die Ecke seines Schlafplatzes neben Kumpel Freddy. Die zwei haben drei Wände und ein Dach über dem Kopf. Ein luxuriöser Unterschlupf, wenn man Platte macht, so nennen sie das Leben auf der Straße.
„Jetzt kommt der Paul, der ist verrückt, aber harmlos“, kündigt Alfred einen Besucher an. Paul begrüßt uns freundlich, rastlos läuft er auf und ab, hat einen großen Hund im Schlepptau, den er liebevoll umsorgt.
Freddy beherrscht das Gespräch, an ihm ist ein Philosoph verloren gegangen. Persönliches gibt er nicht preis.
Passanten bleiben stehen, schauen uns an mit einer Mischung aus Abscheu und Interesse.
Nach Stunden verabschieden wir uns. Alfred schenkt uns Schnapspralinen aus einem Adventskalender, mit dem er beschert wurde.
Wir gehen ins U-Bahn Sperrengeschoss und geben dem Bissverkäufer den restlichen Punsch. Meine Schnapspraline vermache ich einem knienden Mann, der wohl von der Bettelmafia ausgebeutet wird. Durchgefroren gehen wir nach Hause, jede in eine andere Richtung. Was für ein Glück, ein Zuhause zu haben.

Dieser skurrile Nachmittag geht mir nicht aus dem Sinn. Ich schreibe darüber in den sozialen Netzwerken: viele Likes, viel Lob, aber keine Bereitschaft, sich uns bei einem weiteren Besuch anzuschließen. In mir wächst die Idee eine Tragikomödie zu entwickeln, um der Parallelwelt der Obdachlosigkeit eine Bühne zu geben.
Meine Theatergruppe ist interessiert. Heimatlos, so wird das Stück heißen.
Am nächsten Tag gehe ich mit zwei Frauen aus der Theatergruppe zum Kaufhaus. Alfred sitzt nicht auf seiner Bank. Wir suchen Freddy auf. Er erzählt uns, das Alfred Schwierigkeiten bekommen habe und nun in einer Unterkunft lebe.
„Er hat sich nicht an die Gesetze der Straße gehalten.“, sagt Freddy. „Auf der Straße kannst du nicht zu jemanden sagen: „Ich hau dir aufs Maul!“, und es dann nicht machen. Wenn du das nicht machen willst, darfst du das auch nicht sagen.“
Der Obdachlose, der auf Alfreds Platz sitzt, ist nicht gesprächig. Ein Passant bleibt stehen, begrüßt Freddy freundschaftlich. Kurze Zeit später gesellt sich eine Frau zu uns. Sie ist Vermieterin, vermutlich Freddys besagte Freundin. Wie eine Millionärin sieht sie jedoch nicht aus. Besorgt mustert sie Freddy, er scheint Erfrierungen im Gesicht zu haben. Sie fasst an seine Fußknöchel, stellt Wassereinlagerungen im Gewebe fest, gießt den beiden Obdachlosen Brennnesseltee auf unseren Punsch, der soll entwässernd wirken. Freddy holt eine Rotweinflasche hervor, um den Tee-Punsch aufzuwerten.
Dieser Nachmittag ist vergnüglicher, als es die Umstände vermuten lassen, eine Tragikomödie des Lebens.

Zu Hause lese ich in der Abendzeitung von vorgestern, dass sich Obdachlose vorm Kaufhaus geprügelt haben. Einer ist verletzt, seiner Sachen beraubt und von seinem Schlafplatz vertrieben worden. Die Polizei hat ihn in ein Notquartier gebracht.
Ich denke an Alfred und hoffe, es geht ihm gut.

 

Das vorweg, dass Du schon allein wegen der gelungenen Genitiv-Konstruktion

Maria setzt sich neben Alfred, versenkt sich nassen Blickes in seine Augen, um ihm zuzuhören, während John uns in Beschlag nimmt.
'nen Stein bei mir im Brett hast (weiße doch, ne?), obwohl ich mich kurz darauf hier
Sind diese Frauen auch obdachlos oder anders abartig?
ob der Abartigkeit (ein vieldeutiges Wort, das aber immer den schalen Geschmack der Abwertung hat) wundere ...

Hoppela,

liebste Damaris weit und breit,,

die Geschichte könnte auch in einer Straßenzeitung wie BISS (München), DRAUSSENSEITER (Köln) oder hier bei uns im Pott und am Niederrhein fifty-fifty stehen (was nix negatives bedeutet), denn das eigentlich Beschämende ist ja, dass es kein Recht auf Obdach gibt und wenn man sich so umsieht, eher ein Recht auf Garage, zumindest einen Parkplatz und wenn‘s der halbe „Bürger“steig ist.

Nun, ich weiß ja, dass Du Theater spielst – ich vielleicht auch ab Montag wieder, Theater machen konnt ich schon ganz gut als kleiner Rotzbengel … - und glaubte, der olle Kleist hätte Dich vereinnahmt wegen der Zeichensetzung, wie gleich hier

Ein Glimmen stiehlt sich in seine, die Umgebung scannenden[…] Augen, und seine Wangen röten sich, …
oder hier
Schmallippig stößt er die Worte aus, es scheint, als würde er mit jeder freigelassenen Silbe[...] Platz in seinem Inneren schaffen …
hier gesellt sich Flüchtigkeit dazu
Gut, dass der Punsch ohne Alkohol ist[...]“, er nimmt …
„Er hat sich nicht an die Gesetze der Straße gehalten[...]“, sagt Sam.

Hier
Wo er sich eine neue kaufen kann, fragt er, …
ist an sich indirekte Rede, Konj. I angesagt, wobei es schon kurios ist, dass „können“ im Indikativ wie im Konjunktiv in binärer Wertigkeit auftritt – entweder man kann etwas oder man kann es eben nicht

Er erzählt uns, das Alfred Schwierigkeiten bekommen habe und nun in einer Unterkunft lebt.
Warum Konj. I und dann inkonsequent Inidikativ?

Gelegentlich schnappt die Fälle-Falle zu (wobei ich von Flüchtigkeit ausgehe)

Meine Schnapspraline vermache ich eine[m] knienden Mann, der wohl …
„Auf der Straße kannst du nicht zu jemande[m] sagen:

Jetzt könnte behauptet werden, dass Du der identifikationshalber die Geschichte mit größerer Emotion darstellen sollest, wogegen ich den nüchternen, fast schon nur berichtenden Ton bevorzuge, denn nur mit der Distanz zwischen dem Schlechtergehn der Lebenden und dem Wohlergehen der Dreckschleudern wird sich die Haltung ändern lassen. Ob es allerdings angemessen ist zu sagen, die Erzählung"gerne" gelesen zu haben hätte auch einen schalen Beigeschmack.

Wie dem auch sei,
nicht ungerne gelesen vom

Friedel

 

Hallöle @Damaris

generell habe ich Problem mit Geschichten über Obdachlose, da die sehr oft in dieselbe Kerbe schlagen: Wir gute Obdachlose versus der böse, kosumierende Rest der Bevölkerung. Ich finde, du machst das schon richtig und hast auch einige schöne Momente in deinem Text, aber der Pathos ist leider trotzdem da. :) Ich hab da persönlich irgendwie ein Problem mit, vielleicht ist das aber auch einfach eine Geschmackssache.

es scheint, als würde er mit jeder freigelassenen Silbe, Platz in seinem Inneren schaffen für so etwas wie Behaglichkeit.

Das fand ich ganz gut eigentlich, Platz schaffen für Behaglichkeit.

macht die in und aus dem Kaufhaus hastenden Menschen unsichtbar.

Spätestens hier ist klar, dass es sich um einen Obdachlosen handelt. ;) Das meine ich, der Blick auf die Bevölkerung ist immer gleich. Hastend, konsumierend, seelenlos. Ist nicht unbedingt falsch, aber eben auch eine Verallgemeinerung.

„Heroin?“, fragt Johanna mit leichtem Schauder.
Nein, er hat gekifft.

Das fand ich witzig. :D

Passanten bleiben stehen, schauen uns an mit einer Mischung aus Abscheu und Interesse.

Hier auch wieder: fiese Menschen. Ist Abscheu wirklich das vorherrschende Gefühl, wenn Passanten Obdachlose sehen? Ich glaube, den meisten geht es eher wie mir: schlechtes Gewissen. Naja, hier oder da mal einen Euro ins Kästchen werfen aber wissen, dass man leider nicht besonders viel tun kann. Daher huscht man schnell vorbei, das Gesicht der Armut tut halt weh.

Alfred schenkt uns Schnapspralinen aus einem Adventskalender, mit dem er beschert wurde.

Hahaha, welcher grausame Mensch schenkt einem alkoholkranken Obdachlosen Schnapspralinen zu Weihnachten? ;)

viele Likes, viel Lob, aber keine Bereitschaft, sich uns bei einem Besuch anzuschließen.

Naja, es ist sicher richtig, dass sich online nicht viel tut.

Hmmmh, generell finde ich, dass du gut schreibst. Das Thema an sich ist auch nicht unbedingt das Problem, sondern eher die Wertung, wie Friedel bereits angemerkt hat. In solchen Fällen ist die harte, nüchterne und schnörkellose Betrachtungsweise eher die richtige. Keine Wertung, nur Beobachtung. Ich finde, dann bekommt die Story auch mehr Wucht. ;)

Danke dir und viele liebe Grüße, PP

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Damaris

Dieser skurrile Nachmittag geht mir nicht aus dem Sinn. Ich schreibe darüber in den sozialen Netzwerken: viele Likes, viel Lob, aber keine Bereitschaft, sich uns bei einem Besuch anzuschließen. In mir wächst die Idee für eine Tragikomödie über diese Thematik. Beim Treffen meiner Theatergruppe bringe ich dieses Vorhaben auf die Tagesordnung.

Ich weiss nicht, welche Absichten du mit der Geschichte verfolgst, aber das ist für mich leider der Kern des Textes, die Geschichte sagt in meinen Augen implizit sehr viel mehr über die Erzählerin aus als über die Obdachlosen, die mit den üblichen Attributen und Geschichten versehen werden, sodass sich mir diesbezüglich keine neue Einsicht eröffnet hat. Zum Beispiel:
habe in einer Bank gearbeitet, mit Anzug und Krawatte, eine Frau hatte ich, sie war schön, eine rassige Frau, da hat mich mancher drum beneidet. Zwei Kinder, Korbinian und Annegret.

Die Namen der Kinder ragen in dieser Passage bezüglich Originalität deutlich heraus.

Wie gesagt, die Erzählerin hat mich mehr beschäftigt. Bezeichnend:

Zu Hause lese ich in der Abendzeitung von vorgestern, dass sich Obdachlose vorm Kaufhaus geprügelt haben. Einer ist schwer verletzt, seiner Sachen beraubt und von seinem Schlafplatz vertrieben worden. Die Polizei hat ihn in ein Notquartier gebracht. Ich denke an Alfred und hoffe, es geht ihm gut.
Echte Sorge sieht anders aus. Aber Alfred hat ja seine Aufgabe als Inspirationsquelle bereits erfüllt, da muss man nicht nachschauen gehen, wie es ihm geht. Warum eigentlich Notquartier, wenn er "schwer verletzt" ist? Wäre da nicht ein Krankenhaus angebracht?

Ich springe vielleicht etwas hart um mit der Erzählerin. Ich sehe das Interesse und das ist ja schon einiges im Vergleich. Und natürlich ist es eine gute Sache, mittels eines Theaterstücks auf die Situation der Obdachlosen aufmerksam machen zu wollen. Aber wie gesagt, ich spüre da keine echte Auseinandersetzung, wie das vielleicht der Fall wäre, wenn ich tatsächlich und aus erster Hand etwas über das Leben auf der Strasse erfahren würde.

Also, das könnte ja nun ein guter Ausgangspunkt für eine Geschichte sein, diesen Blick der Erzählerin zu thematisieren. Wenn du aber dieses Spannungsverhältnis aufarbeiten möchtest, das zwischen einerseits der behaglichen Perspektive einer Person, "die das Glück hat, ein Zuhause zu haben" und die eine Begegenung mit Obdachlosen als "tragischkomisch" und "vergnüglich" empfindet, und andererseits der Perspektive der Obdachlosen selbst besteht, dann müsstest du das meines Erachtens noch etwas ausarbeiten.
In der vorliegenden Form liest sich die Geschichte für mich eher wie ein Text über einen Besuch im Zoo. Ich sehe die wohlwollende Neugierde der Erzählerin, mehr aber nicht. Vielleicht würde es helfen, wenn du deutlich machst, weshalb sie und die anderen Frauen sich zu den Obdachlosen setzen, das ist mir nicht klar geworden und erscheint wie eine spontane Idee, die dann am Ende als Aufhänger für ein Theaterstück vermarktet wird.

Zwei, drei Stellen aus dem ersten Abschnitt, die mir aufgefallen sind:

als würde er mit jeder freigelassenen Silbe, Platz in seinem Inneren schaffen für so etwas wie Behaglichkeit. Diese Behaglichkeit breitet sich um uns aus

Das klingt für mich etwas schief, weil die Behaglichkeit zunächst in Alfred reinschlüpft, dann aber sich sogleich wieder nach draussen begibt, um sich auszubreiten.

Diese Behaglichkeit breitet sich um uns aus wie eine Haut, polstert das harte Holz der Bank

Das ergibt in meinem Kopf eine eher eklige Assoziation.

erwärmt die Kälte

"erwärmt die Luft" würde in meinen Augen mehr Sinn machen.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo lieber Friedel, PP, Peeperkorn

Vielen Dank für eure Zeilen.
Friedel, was würde aus meinen Geschichten nur ohne Doktor Wort :herz:werden, bei baldiger Gelegenheit gehe ich nochmal drüber, Recht hast du, danke dir! Schön, dass dir die Geschichte gefallen hat.

PP, da die Geschichte vom Ich erzählt wird, fließt zwangsläufig seine Beobachtung / Wertung ein. Und natürlich hasten die Menschen in der Vorweihnachtszeit in Kaufhausnähe, besonders dann, alles andere wäre unrealistisch. Die dargestellten Leute ergeben einen bunten Haufen, wie im wirklichen Leben, von den beiden freundlichen Passanten am Ende der Geschichte bis zu diesen abgestoßenen Passanten am Anfang, dazwischen jede Menge Ambivalenz, hart an der Realität. Die Wucht suche ich hier nicht, ich möchte auf offene Türen hinweisen, die wir oft übersehen. Es ist für uns selbst und für einsame Menschen, wie Obdachlose, gut, wenn man miteinander spricht, ein bisschen Kleingeld und was man sonst gern geben möchte, schenkt. Mehr will ich nicht, denn das ist schon sehr viel.

Peeperkorn, was war zuerst: Henne oder Ei? Hier eindeutig die Begegnung, dadurch die Idee zur künstlerischen Aufarbeitung.
Echte Sorge sieht anders aus? Natürlich könnte die Protagonistin in der Stadt alle Leute anquatschen, ob sie Alfred gesehen haben, ja einen Privatdetektiv engagieren, um einen Menschen ohne Wohnsitz und Bindungen zu suchen, von dem sie nur den Vornamen weiß, und der ziemlich sicher auch nicht gefunden werden möchte. Merkst du selber? Das ist kein Märchen!
Mit dem "schwerverletzt" hast du Recht, werde ich ändern.
In dieser Geschichte soll Alfred im Mittelpunkt stehen, deshalb werde ich nicht weiter auf die anderen Personen eingehen. Die Motivation liegt bereits im Namen der Geschichte offen: sie verteilen Plätzchen und Punsch, ist das für dich so seltsam, zur Weihnachtszeit?
Mit der Behaglichkeit ist das wie mit der Liebe: nur wenn sie in dir ist, kann, ja, muss sie, auch raus zu deinen Mitmenschen.
Erwärmt die Kälte mach Sinn, weil ich die Doppelbedeutung gesucht habe (soziale Kälte).

Herzliche Grüße Damaris :thumbsup:

 

Hallo @Damaris
Die Darstellung der Erzählerfigur, ihre Gedanken, ihre Handlungen stoßen mich ab. Eine zur Schau gestellte Samariterhaftigkeit, die zu keinem Zeitpunkt die entscheidende Frage stellt. Die Unterschicht wird betrachtet, wie Affen im Zoo – und je weiter ich den Text verfolge, desto klarer wird, dass die Obdachlosen genau das für die Erzählerin sind. Zu allen Zeiten gab es diese vollgefressenen Vertreter der bürgerlichen Schicht, die mit Almosen und Plattitüden um sich werfen, um die Phasen-weise aufblitzende Erkenntnis zu verdrängen, dass die Welt nicht so gedacht sein kann, wie sie ist. So versichern sie sich und ihresgleichen des tief empfundenen Mitleids für die Armen, während sie gleichzeitig hinterfotzig durchschimmern lassen, dass diese doch selbst für ihr Schicksal verantwortlich seien. Alkohol und Drogen funktionieren in diesem Zusammenhang immer wieder gut, als Rechtfertigung, dass man das derzeitige System der ungleichen Chancen gar nicht erst in Frage stellt. Das Wachstum der linksbürgerlichen Mittelschicht führte zur Erweiterung des Phrasen-Repertoires um "Bildungsferne".

„Er hat sich nicht an die Gesetze der Straße gehalten.“, sagt Sam. „Auf der Straße kannst du nicht zu jemanden sagen: „Ich hau dir aufs Maul!“, und es dann nicht machen. Wenn du das nicht machen willst, darfst du das auch nicht sagen.“

So ein Quatsch!
Wenn die Erzählerin mehr Zeit, als ihren obligatorischen Slum-Besuch in dieser Szene verbracht hätte, wüsste sie, dass die Alkis sich alle paar Minuten Dresche anbieten und nix passiert. Okay, die Erzählerin hat das auch gar nicht gesagt. Aber ich will jetzt nicht den eigentlichen Urheber des Textes anpissen. Eine wunderschöne Idee, das gemeinschaftliche Besuchen von Obdachlosen und Füttern mit Schnapspralinen. Noch schöner, das Konzept einer Tragikkomödie über Obdachlose. Hoffentlich wird das auf der Straße aufgeführt, denn für die meisten Theatervorstellungen können sich weder Obdachlose, noch Hartzis, noch Minilohnverdiener die Karten leisten.
Aber, und diese Erkenntnis nehme ich aus dem Text mit, irgendwie sind die auch selbst schuld daran, dass sie nichts haben.

Schöne Grüße
Kellerkind

 

Hallo Damaris

Peeperkorn, was war zuerst: Henne oder Ei?
Merkst du selber? Das ist kein Märchen!

Wie aalglatt du jeweils auf Kritik reagierst, hatte ich völlig vergessen. Dieses Mal auch noch leicht überheblich. Den grundsätzlichen Einwand, dass sich der Text wie ein Bericht über einen Zoobesuch liest, ignorierst du. Schade. Vielleicht hätte ich ihn weniger vorsichtig formulieren sollen.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Kellerkind, hallo Damaris,

ich habe irgendwie das Bedürfnis, der Autorin ein wenig beizustehen.
Die Schelte der Erzählerin geht mir zu weit, zielt in meinen Augen sehr auf die Moral der Erzählerin als auf die Geschichte und ihre Mängel selbst. Da wird es dann für die Autorin schwierig, sich ernsthaft und frei mit der möglichen Schwäche oder Lückenhaftigkeit der Erzählung auseinanderzusetzen, die Kritik ernst zu nehmen, weil sie (die Befürchtung habe ich halt) die Erzählerin vor dem Vorwurf der Heuchelei etc. schützen will.

Als Beispiel zitiere ich mal aus deinem Kommentar, Kellerkind, und hoffe, du nimmst mir das nicht übel, es ist einfach so, dass ich die Diskussion, die hier entstanden ist, einerseits wichtig und interessant finde, aber dass sie eben auch in die schiefe Richtung geht. Ich bin der Meinung, dass du die Wirkung, die der Text aufgrund einer gewissen Schwäche hat, mit den Motiven der Erzählerin übereins bringst, und das merkt man deiner Argumentation an.

Eine zur Schau gestellte Samariterhaftigkeit, die zu keinem Zeitpunkt die entscheidende Frage stellt. Die Unterschicht wird betrachtet, wie Affen im Zoo – und je weiter ich den Text verfolge, desto klarer wird, dass die Obdachlosen genau das für die Erzählerin sind. Zu allen Zeiten gab es diese vollgefressenen Vertreter der bürgerlichen Schicht, die mit Almosen und Plattitüden um sich werfen, um die Phasen-weise aufblitzende Erkenntnis zu verdrängen, dass die Welt nicht so gedacht sein kann, wie sie ist. So versichern sie sich und ihresgleichen des tief empfundenen Mitleids für die Armen, während sie gleichzeitig hinterfotzig durchschimmern lassen, dass diese doch selbst für ihr Schicksal verantwortlich seien.
Ich hake einfach mal nach:
Wo genau wird hier Samariterhaftigkeit zur Schau gestellt? Da gehen zwei Frauen raus, unterhalten sich mit Obdachlosen und geben ihnen Tee und Plätzchen.
Wo betrachten sie sie wie Affen? Oder mehr noch, wo sind sie für sie Affen?
Wo im Text steht, dass die beiden Frauen vollgefressene Vetreter der bürgerlichen Schicht sind? Über ihre Berufe lese ich gar nichts. Vielleicht verdienen sie ihr Geld als Altenpflegerinnen oder Kindergärtnerinnen? 2600 Euro brutto im Monat? In Frankfurt reicht das nicht, um sich vollzufressen, da reicht das grad mal so für die Miete in den Außenbezirken, wenn man die Steuern abzieht.
Wo genau wirft die Erzählerin mit Platitüden um sich?
Wo wirft die Erzählerin mit Almosen um sich? Ja, Tee und Plätzchen sind Almosen. Das sind die Geldstücke oder Sachwerte, die man einem Obdachlosen schenkt, immer. Aber um sich werfen sieht anders aus.
Und auch hierzu noch eine Frage:
Aber, und diese Erkenntnis nehme ich aus dem Text mit, irgendwie sind die auch selbst schuld daran, dass sie nichts haben.
Woher nimmst du das? Wo genau steht das in dem Text?

Also ich lese da lediglich einen Text über zwei Fragen, die Obdachlosen bisschen Tee und Kekse schenken und für die Erzählerin der Geschichte geht der Nachmittag noch etwas weiter. Sie thematisiert ihn für sich selbst, will den Blick der Öffentlichkeit suchen. Aber:
Dein Text, Damaris, hat auch in meinen Augen Schwächen, und die liegen in der Anekdotenhaftigkeit der Erzählung. Das bleibt zu sehr an der Oberfläche, erzählt einfach runter, der Blick auf Alfred oder Sam ist keine wirkliche Auseinandersetzung mit der Weise, in der sie leben müssen oder wollen. Und es ist auch keine tiefer gehende Auseinandersetzung mit den Motiven der beiden Frauen, wenn sie sich selbst in dem Spannungsfeld zwischen Öffentlichkeit, Obdachlosen und ihrer Person betrachten.
Ich sehe das also ähnlich wie @Peeperkorn , wenn er fragt, warum und wozu du diesen Text geschrieben hast.
Wenn du Bezeichnungen gebrauchst, wie tragikomisch oder vergnüglich, ohne das Vergnügliche dieser Situation oder das Tragische und Komische wirklich herauszuarbeiten, dann klingen diese Bezeichnungen eben nur wie Wertungen oder Behauptungen, die sich auf eine eigentlich traurige, also überhaupt nicht komische Sache beziehen. Und durch das Unausgearbeitete kommt dann dieser gewisse voyeuristische Effekt zustande, den Kellerkind und Peeperkorn angreifen. Ich glaube dir das ja sogar, dass sich Komisches oder Skurriles entwickeln kann an so einem Nachmittag, aber das besteht doch nicht einfach in der weihnachtlichen Hilfsaktion selbst oder in dem, was Alfred und Sam da erzählen. Oder darin, dass sie Konkurrenz von den beiden anderen erhalten, deren Blick auf Alfred dann ein wenig ironisiert wird.
Solche Wertungen kriegen dann einen komischen Beigeschmack, den du sicherlich nicht erzeugen wolltest. Eben etwas Voyeuristisches. Der Blick der Erzählerin auf sich selbst ist, nicht gebrochen genug. Ein bisschen was spüre ich, wenn die beiden Frauen die Blicke der Passanten auf sich ruhen fühlen und ihre Gedanken loswandern, ob sie jetzt etwa auch für obdachlose Frauen gehalten werden. Da würde ich weitermachen. Einem Obdachlosen zu helfen, das erzeugt in all denen, die das tun, so habe ich das zumindest immer gehört und selbst erlebt, ziemlich viele widerstreitende Gefühle. Und was der Obdachlose über den Spendenden denkt, ich weiß das nicht. Ich denke mir was dazu, aber stimmt das überhaupt? Also all die Zweifel, die man haben mag, die Hilflosigikeit, die man vielleicht auch fühlt, der Antrieb, der einen zu dieser Aktion veranlasst, all das gehört aus meiner Sicht zu einer solchen Geschichte dazu, muss in sie einfließen, will sie nicht nur an der Oberfläche kratzen und so leider auch ein klischeehaftes Bild zeichnet. Aber das müsste ja nicht sein.

Viele Grüße von Novak

 

Hallo Kellerkind

Danke fürs Lesen, deine Meinungsäußerung und deine Zeit!

Hallo Novak

Danke, dass du für die Ich-Erzählerin, für mich, in die Presche springst. Vor allem aber danke ich dir für deine konstruktive Kritik. Du legst den Finger deutlich und wertschätzend auf die wunden Stellen dieser Geschichte, die ich, wohl auch wegen meiner emotionalen Nähe zur KG, ohne Hilfe nicht sehen konnte. Damit kann ich sehr viel anfangen. So wie ich Zeit habe, werde ich deine Kritik in die Überarbeitung einfließen lassen.

Lieben Dank!
Damaris

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom