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Weihnachten 2034

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21.06.2006
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Weihnachten 2034

Weihnachten 2034

1. Teil - Begegnungen

April, 2034

Krieg!

Nein, eigentlich war der Krieg vorbei. Seit 2 Jahren schon.
Lange hat er nicht gedauert.
Bomben fielen, die Menschheit, ihre Städte, ihr Leben, alles wurde weitgehend ausgelöscht.
Es war wie mit den Dominosteinen. Einer wurde gekippt und setzte so die hässlichste Kettenreaktion in Gang, die die Menschheit je erlebt hat.
Der Krieg, der jetzt herrschte, war nur jener um das eigene Überleben.
Es ging darum, Essen zu finden und einen sicheren Schlafplatz, meist für den Tag. Denn In der Nacht herrschte im Krieg Hochkonjunktur. Für Frauen ging es auch darum, nicht vergewaltigt zu werden.
Es gab keine Regierung mehr. Keine Polizei. Keinen Richter.
Wer ermordet wurde, der hatte eben Pech.

Marie-Ann kauerte hinter einem zerfallenen Haus, dort, wo früher einmal
Berlin gewesen ist. Sie hatte, neben ein paar Konservenbüchsen, die ihr Etikett verloren hatten, einige Stangen Zigaretten erobern können. Zigaretten waren in jenen Zeiten fast so wertvoll, wie früher einmal Gold, welches selber nun wertlos war wie Staub. Sie würde sie gegen viel Essen tauschen können, sobald ihr angehäufter Vorrat verbraucht wäre.
Geholfen dabei hatte ihr ihr Revolver.
Feuerwaffen waren selten geworden. Was nicht zerstört wurde, wurde verbraucht. Waffen gab es zwar viele, doch nichts mehr, womit man sie füttern konnte.
Marie-Ann hatte ihn beim Durchsuchen eines alten Hauses zufällig gefunden. Zusammen mit etwa 500 Schuss. Sie musste sparsam damit umgehen, jeder Schuss könnte zum Überleben wichtig sein.
Sie raffte ein paar alte Bretter zusammen und stapelte sie auf, um ein Feuer zu machen. Dann zog sie ihre Streichhölzer hervor. Auch ein seltener Schatz. Gemessen an der Zeit in der sie lebte, war Marie-Ann eine "reiche" Frau. Sie zündete ein Feuer an. Mit einem Messer hebelte sie eine Konservendose auf. Bohneneintopf.
Jedes Mal eine Überraschung.
Da hörte sie Schritte. Langsam und stetig kamen sie näher.
Sie hielt den Atem an, griff nach dem Revolver und brachte sich in Schussposition. Wahrscheinlich ein Schlucker, der das Essen gerochen
hatte. Nun, den würde sie schon verscheuchen.
Jetzt waren die Schritte ganz nah. Jeden Moment würde er um die Ecke biegen, und dann...
"Halte ein, Marie-Ann, ich komme in friedlicher Absicht."
Er kannte ihren Namen?
Marie-Ann ließ sich nichts anmerken. "Bleib stehen! Was willst du?"
"Hab keine Angst." Er blieb 2 Meter vor ihr stehen und holte einen Beutel unter seinem langen, weißen Mantel hervor. Daraus zog er eine längliche Kanne. Eine Thermoskanne. Marie-Ann hatte so etwas, vor dem Krieg, bei ihrer Mutter immer gesehen.
Er setzte sich auf den Boden und sah sie mit freundlichen Augen an. "Du kannst ruhig versuchen, mich zu erschießen, wenn du deine Kugeln verschwenden möchtest. Wenn du das nicht möchtest, lade ich dich gerne auf Kaffee und Kuchen ein. Du weißt doch, was das ist?"
Marie-Ann überlegte. Wie lange war es her, dass sie Kaffee und Kuchen bekommen hatte? 5 Jahre? 10? Zeit war so unecht geworden, so wackelig, sie konnte sich nicht festlegen.
Wer war dieser Fremde? Wo kam er her? Woher kannte er ihren Namen? Und
woher hatte er in Zeiten wie diesen etwas so seltenes wie Kaffee? Und den noch selteneren Kuchen?
So viele Fragen, die ihr Misstrauen weckten.
Aber dieser Fremde strahlte eine gewisse Sicherheit aus. Eine Art Freude. Eine Art Licht.
"Ja, ich weiß, was es ist. Aber ich glaube, ich habe vergessen, wie es schmeckt."
Der Fremde lächelte. "Nun, dann sollten wir deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Setz dich. Aber richte nicht mehr dieses Ding auf mich. Es ist ein Werkzeug des Teufels."
Dieses Lächeln schien Marie-Ann jegliche Willenskraft zu nehmen. Der Fremde wollte ihr nichts Böses. Das spürte sie.
"Setzen wir uns lieber ans Feuer", sagte sie, steckte den Revolver in ihre Tasche und setzte sich ans Feuer. Der Fremde tat es ihr gleich. Dann zog er zwei Becher hervor, und goss wohlig riechenden, heißen Kaffee hinein. Er reichte ihn ihr und sagte: "Warum fragst du nicht nach meinem Namen? Ich spüre doch, dass du dir diese Frage stellst."
"Ich, ich bin etwas verwirrt grade."
"Das kann ich gut verstehen. Aber das wird sich wieder geben. Mein Name
ist Gabriel."
Marie-Ann schlürfte an ihrem Kaffee. Er schmeckte einfach großartig.
Aber sie antwortete nichts.
Sie hätte nicht gewusst was sie antworten sollte.
"Sag, Marie-Ann, glaubst du an Gott?"
Was für eine dämliche Frage.
"Schau dich um, Gabriel. Die Welt liegt in Schutt und Asche. Ich habe wichtigeres zu tun, als mich an alte, überholte Ideale zu klammern."
Gabriel holte eine Dose hervor. Tupperware. Dass es so etwas noch gab. Er öffnete sie und ein süßer Duft wehte Marie-Ann in die Nase. Das war Christstollen. Ihre Mutter hatte ihn immer zu Weihnachten... ihre Mutter. Der Gedanke an sie tat weh. Besser nicht daran denken jetzt.
"Du denkst an deine Mutter, richtig?"
Marie-Ann erschrak. Langsam wurde ihr die Sache unheimlich. Aber so sehr sie auch versuchte, misstrauisch zu sein, es gelang ihr einfach nicht.
Sie nickte nur. Und versuchte, eine Träne herunter zu schlucken.
"Sie ist für dich gestorben, nicht wahr?"
Wieder zuckte Marie-Ann zusammen.
"Woher..."
"Psst, stelle keine Fragen jetzt. Hör mir einfach zu.
Deine Mutter ist noch stets in deinem Herzen, richtig?"
Marie-Ann nickte.
"Und so ist sie immer bei dir. Ich weiß nicht, wie viel die Menschen noch vom Sohn und seiner Zeit wissen. Aber er war wie deine Mutter. Er ist gestorben, damit seine Kinder überleben konnten. Und nun sieh dich um.
Die Kinder haben ihr Heim verloren. Ihren Glauben verloren. Ihren Sinn verloren. Nun ist es an der Zeit, dass er wiederkehrt."
"Er wiederkehrt?"
"Ja, er wird zurückkommen. Und er wird durch dich wiederkommen. In 9 Monaten wirst du ein Kind gebären. Den Namen darfst du selbst erwählen. Und hab keine Angst. Der Vater wird seine Hand über dich halten."
"Aber ich kann keine Kinder bekommen."
"Doch, du kannst. Und nun rede nicht mehr. Iss den Kuchen. Unsere Zeit
ist bald vorbei."
Marie-Ann wollte reden. Aber sie bekam kein Wort heraus.
Sie aß ihr Stück Kuchen. Schweigend.
Gabriel lächelte sie an.
"Es wird Zeit. Ich verlasse dich nun. Bleib stark. Und gebrauche dein Teufelswerkzeug nur, wenn du es musst. Am Tag der Geburt, wird dir Hilfe zur Seite stehen. Leb wohl."
Er stand auf und war verschwunden. Die Becher waren verschwunden. Der
Kuchen warverschwunden.
Hatte sie geträumt?
Sie konnte es nicht sagen.

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2. Teil – Wiederkehr

Juli, 2034

Die Nacht war für eine Julinacht ungewöhnlich kalt.
Aber das wunderte niemanden mehr. Seit dem großen Krieg spielte das Wetter ständig verrückt.
Im letzten Dezember gab es einen Tag, der ganze 25 Grad aufs Thermometer zauberte. Dafür hatte es heute nur etwa 10 Grad.
José und Claudius standen an einer alten Tonne, in der sie ein Feuer angezündet hatten.
„Meinst du, es war eine geplante Nebenwirkung, das Wetter so durcheinander zu bringen?“ Claudius musste lächeln, dann sah er José in die Augen.
„Ich glaube, es war zumindest geduldet.“
José nickte. Claudius wusste immer irgendwie das Richtige zu sagen. José musste daran denken, wie er Claudius kennen gelernt hatte.

Das war vor 2 Jahren gewesen. Als die Kämpfe aufgehört hatten, nachdem es nichts mehr gab, worum man hätte kämpfen können, war José nach Berlin zurückgekehrt. Der Weg war weit und anstrengend gewesen. Zweimal wäre er fast erschossen worden. Als er dann weinend vor den Überresten des Hauses kniete, in dem er mit seiner Freundin gewohnt hatte, stand Claudius plötzlich hinter ihm und klopfte ihm auf die Schultern.
„Wen hast du verloren, Bruder?“
„Marie-Ann.“
„Und du hast sie geliebt, nicht wahr?“
„Mehr als alles andere.“
„Ich hab meine Julia verloren. Dort hinten, zwei Straßen weiter.“
José stand auf und wischte sich eine Träne fort.
„Das tut mir leid.“
„Da kannst du genauso wenig etwas dafür, wie ich. Komm. Ich habe noch eine Flasche Jack Daniels in einem Schutthaufen gefunden. Lass uns gemeinsam trauern.“

Das hatten sie getan. Und seither schlugen sie sich zusammen durch das, was sie früher einmal Leben genannt hatten.
Sie hörten nicht den fremden Mann, der sich langsam näherte.
„Habt ihr noch einen Platz für einen frierenden Bruder?“
Leicht erschrocken sahen die beiden sich um, und blickten auf den Mann im langen weißen Mantel. Er hatte ein Allerweltsgesicht und doch war es, als sähen sie zum ersten Mal einen Menschen.
„Wenn du uns nichts tun willst, Bruder.“, entgegnete Claudius, wobei er ‚Bruder’ sehr skeptisch aussprach.
„Nichts läge mir ferner“, sagte er und stellte sich dazu.
„Wo kommst du her, ich hab dich hier noch nie gesehen?“, versuchte José ein Gespräch anzufangen. Der Fremde schaute nur ins Feuer. „Ich bin schon eine ganze Weile hier. Aber ich halte mich meistens im Hintergrund. Ich tue nur Dinge, die ich tun muss.“
„Entschuldigt mich eben. Ich muss mal kurz austreten.“, sagte Claudius und verschwand hinter die Bäume.
Da blickte der Fremde auf.
“Rede jetzt nicht, und höre mir zu. Wir haben wenig Zeit, José!“
„Woher kennst du…?“
„Nicht reden, nur zuhören. Sie lebt.
Ich weiß, du glaubst dass sie von dir gegangen ist. Aber das stimmt nicht.
Auch sie denkt, dass du von uns gegangen bist.
Nun hat sie eine große Aufgabe übernommen. Sie braucht dich.
Mach dich auf. Suche sie. Dein Freund wird dir helfen. Und auch er wird seine Liebe wiederfinden.“
José schaute den Fremden nur entgeistert an. Wer war das? Woher kannte er seinen Namen?
„Wer bist du?“
„Man nennt mich Gabriel.“
„Und woher soll ich wissen, dass du mir keinen Mist erzählst? Ich kenne dich schließlich nicht.“
Da kam Claudius wieder hervor. „Wie? Mist erzählst? Hey, Fremder, du hast gesagt, du willst keinen Ärger machen.“
„Mein lieber Claudius, du bist ein treuer Gefährte. José tut gut an deiner Freundschaft. Ihr werdet losziehen und euch nach den Sternen richten. Dann findet ihr euren Weg. Und ihr werdet beide eure Liebe wiederfinden. So oder so.“
Claudius legte seinen Kopf schief und sah Gabriel skeptisch an. „Bruder? Laufen da alle Schaltkreise richtig? Ich glaub, da gibt’s einen Kurzschluss in deinem Hirn.“
Gabriel lächelte.
„In ein paar Minuten wirst du dich das selbst fragen. Und gleich darauf wirst du dich fragen, woher ich weiß, dass Julia dich immer Puffel genannt hat. Und José wird sich fragen, woher ich weiß, dass er Marie-Ann schon seit der Schule kennt.
Ich muss euch nun verlassen.
Haltet euch an die Sterne.
Und Gott sei mit euch.“
Dann verschwand er. Sein weißer Mantel war schnell im Dunkel verschwunden. Und er behielt Recht.
Keiner von beiden hätte beschwören können, dass das eben passiert war.
Sie schwiegen.
Fast wie peinlich berührt.

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3. Teil – Drei

August, 2034


Wie konnte das nur passieren?
Die letzten Monate und Jahre hatte sie immer aufgepasst, ihre Sinne hatten sich geschärft und ihr Instinkt war ausgezeichnet geworden.
Nun hatte sie sich so plump übertölpeln lassen, dass das fast mehr wehtat, als der Schlag, der sie hart am Kopf getroffen hatte.
Der Revolver lag einige Meter entfernt in ihrer alten Tasche. Und sie? Sie lag auf dem Boden, der Kopf tat weh und die Schultern wurden von einem der beiden Kerle auf den Boden gedrückt.
„Besser, du wehrst dich nicht.“
Der zweite Kerl stand direkt vor ihr und grinste sie mit hässlichen Zähnen an.
Marie-Ann biss sich auf die Zunge. Sie wollte nichts sagen. Sie wollte sich auch nicht die Blöße geben zu weinen. Aber das war schwer. Sehr schwer.
Schon hatte der widerliche Kerl die Hose auf und riss sie herunter.
Marie-Ann wehrte sich nicht. Das hätte es wahrscheinlich nur noch schlimmer gemacht. Sie alleine hatte keine Chance gegen die beiden. Sie schloss die Augen.
„Hey ihr! Was macht ihr da?“
Das war eine fremde Stimme. Marie-Ann fasste wieder Hoffung. Sie riss die Augen auf und schrie: „HILFE!“. Ihr Mund wurde sofort zugehalten.
„Verschwinde, Bübchen, das hier geht dich nichts an!“
„Oh, das glaube ich nicht, Bruder. Lass sie los. Aber schnell!“
Der Kerl, der schon vor Marie-Ann gekniet hatte, machte seine Hose zu und stand auf. Langsam ging er auf den Fremden zu. Er zog ein Messer und hielt es vor sich.
„Ich gebe dir 10 Sekunden zu verschwinden. Ansonsten schlitz ich dir deine Kehle auf!“
„Warum holt ihr euch nicht einfach einen runter und lasst das Mädchen in Ruhe?“
„Ich sagte du sollst verschwinden.“
„Schön. Und ich sage: lasst sie in Ruhe!“
Der Kerl mit dem Messer stürzte auf Claudius zu. Doch dieser drehte sich geschickt zur Seite, packte ihn am Arm, und schon lag der Kerl auf dem Boden, das Messer war ihm aus der Hand gefallen und Claudius saß auf seinem Rücken und drehte seinen Arm nach oben.
Er beugte sich vor und flüsterte: „Bruder, ich hab im Krieg gelernt, auch ohne Waffen zu töten. Und ich sage dir, wenn ich es tun muss, werde ich es tun.“
„Ich würde machen, was er sagt. Ich selbst habe gesehen, wie er jemandem, ohne mit der Wimper zu zucken, das Genick gebrochen hat.“
Wieder eine fremde Stimme. Marie-Ann kam sie aber seltsam bekannt vor. Doch das konnte nicht sein.
„Hey, du da hinten. Lass sie los, oder dein Kumpel stirbt!“
Zögernd ließ der andere Kerl sie los und hob die Arme.
„Ich wollte das nicht. Er hat mich gezwungen!“
„Das kannst du deiner Oma erzählen. Du...“
Auf einmal hielt er inne.
„Marie?“
Er rannte auf sie zu.
Marie-Ann setzte sich auf und zog ihre Hose nach oben. Dann erst blickte sie auf.
Plötzlich sprang sie auf die Beine.
„Jo...“
Sie fielen sich in die Arme. Tränen rollten über beider Wangen.
„Ich dachte, du wärst tot!“
„Das dachte ich auch.“
Die Freude wich für einen Augenblick, als José klar wurde, was hier gerade passiert war.
„Einen kleinen Moment noch.“
Er ließ sie los und ging auf den Kerl zu, der sie festgehalten hatte.
„So, du wolltest sie vergewaltigen, was?“
Die Wut stieg unaufhaltsam in ihm auf. Er spürte förmlich das Adrenalin, das ihm durch den Körper schoss.
Schon hatte er den Kerl. Er riss ihn zu Boden und schlug wie wild auf ihn ein.
„José! Nein, nicht!“
Claudius ließ den anderen Kerl los und rannte auf José zu.
„Hör auf. Das bringt doch nichts.“ Er packte ihn an den Schultern und wollte ihn wegziehen.
Marie-Ann schrie plötzlich: „VORSICHT!“
Doch zu spät. Das Messer steckte schon in Claudius’ Rücken.
Claudius’ Griff lockerte sich.
„Shit auch.“ Dann sackte er zusammen.
José realisierte zunächst gar nichts. Erst nach einigen Sekunden drehte er sich um und sah das Blut, das sich langsam ausbreitete.
„NEIN! Claudius…“
Die beiden anderen nutzten den Augenblick und rannten davon.
José beugte sich über Claudius. Seine Augen waren zu.
„Hey, Bruder. Kannst du mich hören?“
Langsam öffnete dieser die Augen. Er sah José und lächelte.
„Ich hab dir doch gesagt, dass der Kerl im Mantel Recht hatte.“
Es war mehr ein Flüstern.
„Red nicht solchen Quatsch. Er hat auch gesagt, dass du deine Julia wiederfindest. Wenn du jetzt abkratzt, bin ich dir echt böse!“
„Er hatte Recht. Ich kann sie hören. Ich glaub, sie ist ganz in der Nähe.“
„Nein! Hör auf, Mann.“
Claudius blickte zu Marie-Ann, die sich neben José gekniet hatte.
„Pass gut auf ihn auf, hörst du? Er ist manchmal etwas vorschnell.“
Ihre Augen tränten schon wieder.
„Okay“, sagte sie nur knapp.
„Ich werde Julia von dir grüßen. Sie hätte dich sehr gemocht!“
Auch José konnte seine Tränen nicht länger zurückhalten.
„Hör auf damit. Bitte.“
„Es war mir eine Ehre, Bruder.“
Dann schloss er die Augen.

José und Marie-Ann knieten noch etwa 5 Minuten da, ohne ein Wort zu sagen.
Dann nahm Marie-Ann seine Hand und sah ihm in die Augen.
„Danke!“
José nahm sie in die Arme. Er weinte.
Marie-Ann flüsterte: „Ich muss dir etwas sagen“
José atmete tief ein, schluckte seine Tränen herunter und nickte. Irgendwie wusste er schon, was sie ihm sagen wollte.
„Ich bin schwanger...“


Oktober, 2034
(Dort, wo einmal München gewesen ist)

Benzin war ein richtiger Schatz geworden.
Nicht für jeden. Bei weitem nicht für jeden. Die meisten hatten nicht vor, schnell von A nach B zu kommen. Wozu auch?
Autos gab es überall. Sie standen herrenlos herum. Ohne Benzin hatten sie alle ihren Wert verloren. Es war unglaublich. Ein Liter Benzin war mehr wert, als ein Ferrari.
Christian wusste das. Und er hatte Glück. Früher hatte er einmal eine Tankstelle betrieben. Sein Speicher war groß. Er besaß mehrere 10000 Liter Benzin, von denen er in den letzten 5 Jahren (oder waren es 10?) nicht einmal ein Drittel getauscht hatte.
Dies war seine verdammte Lebensversicherung. Für 10 Liter konnte er für gut zwei Wochen Essen bekommen.
Er war vielleicht ein wenig übergeschnappt. Aber manchmal fühlte er sich wie ein König.
Er konnte es sich sogar leisten, einige Leute für sich arbeiten zu lassen. Er hatte 10 Helfer, die meisten davon abgestellt zur Bewachung. Er traute ihnen nicht sonderlich, man konnte ja fast niemandem mehr trauen. Aber es musste sein. Er allein konnte sein Benzin nicht bewachen. Seine einzige Sicherheit war die geschützte, verschlossene Halle, zu der nur er Zugang hatte.
Hier wohnte er auch. Zusammen mit seinem alten Freund Ben.
Ben war vor dem Krieg Priester gewesen.
Viele, sogar fast alle, hatten nach dem großen Krieg ihren Glauben verloren. Ben hatte ihn nie verloren. Er hatte sogar noch Messen abgehalten. Jeden Sonntag. Aber nachdem immer und immer weniger Leute gekommen waren und sein Zeitgefühl so taub geworden war, dass er nicht mehr sagen konnte, wann eigentlich Sonntag war, hatte er es aufgegeben. Aber nicht für sich selbst. Er betete stets weiter und hütete seine alte Bibel wie seinen Augapfel.

Ben lag noch auf seiner Matratze, als Christian in den spärlich eingerichteten Raum kam.
„Hey, Ben. Los, steh auf. Wir haben zu tun!“
Ben öffnete die Augen.
„Ich bin schon wach.“
,,Gut, dann komm runter. Michael hat sich angekündigt. Wir müssen abfüllen.“
Ben sprang auf. Michael. Das bedeutete frisches Essen. Brot, Tomaten, Gurken, Äpfel.

Michael war ihr bester Tauschpartner.
Er besaß noch einige funktionierende Generatoren. Dadurch hatte er Strom. Damit hatte er Licht. Und Wärme. Er betrieb damit einige Gewächshäuser, in denen er viele Arten von Gemüse und Früchten anbaute. Sein wertvollster Schatz war aber die Anlage, um die Lebensmittel zu konservieren. Sie hatte viel Mühe, viel Zeit und viel Arbeit gekostet, aber es hatte sich gelohnt. Sogar Tiere konnte er sein Eigen nennen. Einige Kühe und Schweine.
Das hatte ihn zu einem gefragten Mann gemacht. Gleichzeitig aber auch zu einem sehr gefährdeten Mann. Ein Schuss in die Schulter hatte seinen linken Arm gelähmt.
Seither war er stets mit mindestens 3 bewaffneten Leibwächtern unterwegs.

Ben zog das große Tor nach oben und der alte schwarze VW-Bus fuhr langsam in die Halle. Sofort ließ er das Tor wieder nach unten. Es war gefährlich, es offen stehen zu lassen.
Dann rannte Ben wie ein kleines Kind hinterher, um zu sehen, was Michael dieses Mal mitgebracht hatte. Er schaute vorsichtig in das Fenster und konnte Kisten mit Brot, Früchten, Gemüse und selbstgebranntem Fusel sehen. Dieses Mal war sogar Fleisch dabei.
Es war Monate her, dass sie Fleisch gegessen hatten. Michael ließ nur ganz selten einige seiner Tiere schlachten. Die Züchtung war schließlich sehr schwierig. Dementsprechend war der Preis für Fleisch auch sehr hoch.
Die Schiebetür öffnete sich und 3 hochgewachsene Männer stiegen aus. Sie sahen sich kurz um und nickten. Dann öffneten sie die Vordertür und Michael stieg aus.
Christian lief auf ihn zu und schüttelte Michaels Hand.
„Ich grüße dich, Christian.“ Michael lächelte freundlich.
„Ich grüße dich auch.“
„Wie viel hast du mir abgefüllt, dieses Mal?“
„Knapp 200 Liter. Damit wirst du erstmal eine Weile auskommen.“
„Gut, das ist annehmbar.“
Er drehte sich zu seinen Leibwächtern: „Ihr könnt abladen, Jungs.“
Die drei Männer steckten ihre Waffen ein und machten sich daran, den Bus auszuladen.
Keiner bemerkte den Mann im weißen Mantel, der in der hinteren Ecke stand und gespannt das Treiben beobachtete. Er lächelte. Dann bewegte er sich langsam auf Christian und Michael zu.
„Ich grüße euch, neue Könige.“
Die drei Leibwächter stellten schnell die Kisten ab und griffen zu ihren Waffen.
Der Fremde hob die Hand.
„Na los. Erschießt mich.“
Einer wollte abdrücken, doch seine Hand gehorchte nicht.
„Ihr müsst keine Angst haben. Ich komme in friedlicher Absicht.“
Die Leibwächter ließen die Waffen sinken. Sie konnten nicht anders.
„Wer bist du? Wie bist du hier reingekommen?“, wollte Christian wissen.
Der Fremde lächelte.
„Ist das denn wichtig? Mein Name ist Gabriel. Und es gibt mehr Türen, als jene, die ihr kennt.“
„Und was willst du?“
„Nur, dass ihr mich anhört. Du, Michael, und Ben.“
„Woher kennst du unsere Namen?“, wollte Ben wissen. Doch Gabriel hob wieder die Hand.
„Nicht reden. Nur zuhören. Ihr drei seid führende Persönlichkeiten. Jeder auf seine eigene Art. Euch wird eine große Aufgabe zuteil. Welche, wird sich zeigen, wenn es soweit ist.
Seid wachsam und beobachtet die Sterne. Sie werden euch den Weg weisen, wenn die Zeit gekommen ist. Nehmt genug Proviant und Benzin mit. Es wird eine lange Reise werden.
Und Ben, ich weiß, du würdest sie eh nicht hier lassen. Aber denk an deine Bibel. Auch sie wird dir den Weg weisen.
Ihr mögt noch an meinen Worten zweifeln.
Aber der Vater wird euch auf den richtigen Weg bringen.
Nun muss ich euch schon wieder verlassen. Meine Zeit ist knapp.
Haltet euch an die Sterne. Und Gott sei mit euch.“
Dann war er verschwunden. So plötzlich, wie er gekommen war.
Keiner sagte ein Wort.
War das eben passiert?

Ben hatte ein sehr flaues Gefühl im Magen.
Gabriel, Sterne, Vater.
Er kannte die Geschichte Jesu. Aber das war einfach zu verrückt.
Er würde das lieber für sich behalten.


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Teil 4 – Der Stern

„Da wurde mitten in der Nacht ein Kind geboren.
Da war mit einem Mal der Himmel nicht mehr fern.
Da sang ein Engelschor: ‚Die Welt ist nicht verloren.’
Und über allen strahlte hell der Weihnachtsstern.“
(R.Z. - Mitten in der Nacht)


Dezember, 2034
Weihnachten

„Jo, bitte halt mal an. Ich brauche eine Pause.“
Marie-Ann hielt sich an Josés Schulter fest.
„Ich kann bald nicht mehr. Ich glaube...“, sie stockte und hielt sich den Bauch.
„Ich glaube, es geht bald los.“
José dachte angestrengt nach. Er musste einen Ort finden, an dem sie ihr Kind bekommen könnte.
Es war einfach zu kalt heute Nacht. Sie konnten nicht im Freien bleiben. Was hätte er jetzt für einen warmen Raum gegeben.
Er musste sich etwas einfallen lassen, sie konnten nicht mehr weit gehen.
José kramte in der alten Tasche und holte den Revolver heraus.
„Nimm ihn und benutze ihn, wenn du es musst. Ich bin gleich wieder bei dir.“
Marie-Ann nickte. Sie nahm den Revolver und setzte sich auf den Boden.
José blickte sich um.
Es war nichts zu sehen, was als Unterschlupf hätte dienen können. Er lief ein gutes Stück, doch nichts war zu finden.
Mehr unbewusst flüsterte er: „Oh Gott. Bitte hilf mir“.
Er schloss seine Augen und rieb sich die Schläfen.
„Nachdenken. Denk nach, José“. Dann machte er die Augen wieder auf, und sein Blick fiel auf den Himmel.
Die Nacht war sternenklar.
Doch ein Stern kam ihm seltsam unbekannt vor. Er war ungewöhnlich hell.
War das der Nordstern?
Nein, da konnte nicht Norden sein.
José starrte gebannt in den Himmel. Ihm war, als würde der Stern immer heller werden.
(„Folge ihm.“)
Dieser Gedanke kam aus dem Nichts.
(„Folge ihm.“)
Das war verrückt, das war...
(„Folge ihm.“)
José schüttelte den Kopf. Sei´s drum. Vielleicht hatte er jetzt den Verstand verloren. Aber einen Weg musste er schließlich gehen.
(„Folge ihm.“)
Er machte kehrt und rannte zu Marie-Ann.
„Komm, mein Schatz. Ich weiß einen Weg.“


Auf dem, was früher einmal eine Autobahn gewesen ist, fuhr ein alter schwarzer VW-Bus in die Richtung, wo früher einmal Berlin gewesen ist.

„Ben, bist du dir wirklich sicher, dass wir hier lang müssen?“
Christian war immer noch skeptisch.
„Aber natürlich. Ihr seht den Stern doch auch. Das ist...“ – er machte eine Pause und sah sich den hellen Stern an – „Das kann kein Zufall sein!“.
Michael, der die letzte Zeit nur schweigsam auf der Rückbank des alten VW-Busses gesessen hatte, klopfte Christian auf die Schulter.
„Ich glaube, dass er Recht hat.“
Christian drehte sich um.
„Ach, und woher willst du das wissen?“
„Ich weiß nicht. Das ist so ein Gefühl. Ich kann es nicht beschreiben, aber irgendwas in meinem Urin sagt mir, dass wir genau das Richtige tun.“
Christian schüttelte den Kopf.
„Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass wirklich Jesus wiedergeboren wird. Das ist doch Irrsinn. In welcher Zeit lebt ihr eigentlich?“
„Wenn ihr mich fragt, genau in der Zeit, wo wir’s am Nötigsten haben.“, warf Ben ein und brachte Christian damit für kurze Zeit zum Schweigen.
„Ich glaub das trotzdem nicht.“, sagte er schließlich, doch nun ein wenig verunsichert.
Und doch fiel es ihm immer schwerer, seine Zweifel aufrecht zu erhalten.
Er lehnte seinen Kopf an das Fenster und schaute den Stern an.
Das war kein normaler Stern. Vielleicht eine Art Komet oder so etwas wie ein Wetterleuchten.
Er schüttelte den Kopf. Nicht mal er selbst kaufte sich diese Erklärung ab.

José hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, da standen sie vor einem alten Bauernhof.
Er wusste nicht ganz, wo sie waren, aber das hier musste der Stadtrand gewesen sein.
Marie-Ann atmete schwer.
José sah sie ein paar Sekunden intensiv an.
Wie tapfer sie doch war. Er musste lächeln. Wenn er sie nicht schon geliebt hätte, dann hätte er sich jetzt in sie verliebt.
„Was schaust du mich so an?“, sogar jetzt noch, konnte sie ihm ein Lächeln schenken.
„Ach, nichts...“ sagte er und streichelte ihr zärtlich über die Wange.
„Komm, wir haben’s gleich geschafft.“
Er schaute in den Himmel. Der Stern stand jetzt genau über dem, was wohl einmal ein Stall gewesen war.
'Danke, Gott.'
Er stützte Marie-Ann und sie betraten den alten Stall.
„Setz dich kurz hin, ich bau dir schnell etwas, wo du dich hinlegen kannst.“
Hier und dort lag noch etwas Stroh.
José trug alles zusammen und breitete eine Decke darüber aus. Dann half er Marie-Ann auf.
„Hier, leg dich hin. Es ist kein Himmelbett, aber wenn du die Augen zumachst, kannst du dir vielleicht vorstellen, dass es eins ist.“
Marie-Ann lächelte und drückte seine Hand.
„Ich liebe dich.“
„Ich lieb dich auch. Nun leg dich hin, ich werde irgendwie ein Feuer machen, damit du nicht frierst.“
Er fand eine alte Tonne und warf ein bisschen Stroh und ein paar Holzstücke hinein. Gerade wollte er es anzünden.
„Jo?“
„Ja?“
„Es geht los...“


Auf dem Dach eines alten Plattenbaus, einem der wenigen, die noch standen, standen zwei Männer und schauten nach unten. „Gib mir noch einen Schluck, Alex. Das sieht immer noch verdammt hoch aus.“
Alex nahm einen großen Schluck aus der Flasche, und reichte sie dann Daniel. Sie wussten nicht einmal, was die da tranken. Es schmeckte widerlich. Alex musste an Spiritus denken, wenn er nur daran roch. Aber es tötete die Kälte ab und auch die Angst, die nun doch langsam an ihm zu nagen begann.
Nachdem Daniel seinen Schluck getan hatte, stellte der die Flasche neben sich und schaute zu den Sternen auf.
„Die Nacht ist wie gemacht dafür. Schade nur, dass wir keine Zuschauer haben. Jemand der: 'Spring! Spring!' ruft, würde mich doch sehr motivieren.“
Sie kannten sich seit dem Kindergarten.
Sie waren zusammen in die Schule gegangen.
Sie hatten zusammen in der gleichen Firma gelernt und lange gearbeitet.
Sie waren zusammen in den Krieg gezogen und hatten sich mehr als einmal gegenseitig den Arsch gerettet.
Sie waren zusammen wiedergekommen und hatten seitdem alles geteilt und sich gemeinsam durch das Leben gekämpft.
Und nun würden sie zusammen den letzten Weg gehen.
Es hatte keinen Sinn mehr. Wofür noch weiterleben?
Um tagtäglich um Essen kämpfen zu müssen?
Um zu frieren?
Um immer zusammen, und doch einsam zu sein?

Der Mutmacher war ausgetrunken.
„Wie machen wir das? Halten wir uns an den Händen und springen mit lauten Schreien?“
Daniel musste darüber lachen. Nicht mal jetzt verlor Alex seinen Humor.
„Ich glaub, wir springen einfach.“
„Das solltet ihr nicht tun.“
Eine fremde Stimme. Beide drehten sich um.
„Nein, solltet ihr wirklich nicht. Zumindest nicht heute.“
Der Mann hatte einen weißen Mantel an und schien aus dem Nichts gekommen zu sein.
Alex ging auf ihn zu.
„Was bist´n du für´n Vogel?“
Der Fremde lächelte.
„Nur ein Freund.“
Daniel kam nun auch näher.
„Schön und gut, und jetzt lass uns bitte allein. Wir brauchen keine Moralapostel.“
„Warum wollt ihr gehen, wenn es gerade wieder aufwärts geht?“
Alex musste lachen.
„Wo geht’s denn aufwärts? Wir sind doch schon ziemlich weit oben. Das müsste doch reichen.“
Der Fremde lächelte immer noch.
„Ach, Alex, wo ist nur deine Lebenslust geblieben? Du hast einmal gesagt, dass es niemals einen Grund gäbe, aufzugeben. Verrätst du nun deinen eigenen Plan vom Glück?“
Alex wollte etwas erwidern. Doch er brachte kein Wort heraus.
„Nun, wie auch immer. Heute wird sich alles ändern. Es geht wieder bergauf. Und ihr könnt euch selbst davon überzeugen.
Ich weiß, dass keiner von euch jemals zum Vater gefunden hat. Aber es ist noch nicht zu spät. Er hat niemanden vergessen. Und ich bin hier, um euch daran zu erinnern.
Gebt euren Plan auf und seht in die Sterne.
Dann werdet ihr dem Vater begegnen.“
Beide drehten sich um und sahen in den Himmel.
Da war ein Stern. Heller als alle anderen. Beide hätten beschwören können, dass er vorher nicht da gewesen war.
„Wer bist du?“, fragte Daniel und drehte sich um.
Doch der Fremde war verschwunden.
Beide sahen sich ein paar Sekunden an.
War das passiert?


Der schwarze VW-Bus bremste vor einem alten Bauernhof und kam zum Stehen.
Ben schaute noch einmal nach dem Stern.
„Wir sind da!“
Die nächsten Minuten sagte keiner ein Wort.
Michael war es, der das Schweigen brach.
„Und was machen wir jetzt?“
Ben nahm seine Bibel in die Hand.
„Ich glaube, wir steigen aus und nehmen unseren Platz ein.“
Michael nickte und schaute auf Christian.
Der überlegte kurz, dann lächelte er.
„Nun denn, nehmen wir unseren Platz ein.“
Ben lächelte. „Dann lasst uns losgehen.“
Sie stiegen aus und liefen schweigend auf den alten Stall zu.


Es war vorbei, sie hatten es geschafft.
Marie-Ann war eingeschlafen und José hielt das Baby auf dem Arm.
Er schaute es an und lächelte.
„Du bist es also.
Ich gebe zu, ich habe etwas gezweifelt.
Aber jetzt, wo ich dich halte...“
Er hielt inne und eine Träne lief ihm die Wange herab.
„Du hast dir eine gute Mutter ausgesucht. Doch, wirklich. Sie ist einzigartig.“
Mit der freien Hand zog er eine alte Futterkrippe heran.
Er nahm seine Decke und polsterte damit die Krippe aus. Dann legte er das Baby dort hinein und er fühlte sich plötzlich, zum ersten Mal seit Jahren, wieder richtig wohl.
Da hörte er Schritte.
Flink griff er nach dem Revolver und hielt ihn nach oben.
„Wer ist da?“
Drei Männer kamen näher. Der in der Mitte, der eine Bibel vor seine Brust hielt, hob kurz die Hand. „Wir wollen nichts böses. Wir kommen im Auftrag Gabriels, um das Baby zu sehen.“ Dann senkte er den Kopf und ging auf die Knie.
Die beiden anderen taten es ihm gleich.
José ließ den Revolver sinken.
„Gabriel? Ein Kerl mit langem weißem Mantel?“
Ben nickte.
„Nun, dann kommt näher und seht es euch an. Aber vorher, verratet mir eure Namen.“
Die Drei standen auf und Ben stellte sie vor:
„Das hier ist Michael. Er will dem Kind Nahrung schenken. So viel, wie es braucht, um heranzuwachsen. Dies hier ist Christian. Er möchte dem Kind ein Gefährt schenken und Benzin, damit die Nachricht auf der ganzen Welt verbreitet werden kann. Und ich, ich bin Ben. Ich möchte dem Kind meine Bibel schenken und ihm alles beibringen, was ich kann.
Wir alle zusammen möchten euch in unsere Obhut nehmen, damit ihr geschützt leben könnt, und nicht mehr ziellos durch die Welt ziehen müsst.“
José reichte jedem die Hand.
„Und ich bin José. Nun folgt mir. Aber seid leise.“

Sie kamen an die Krippe und sahen das schlafende Baby minutenlang an, ohne ein Wort zu sagen. Ben tat sich schwer, Freudentränen zurückzuhalten. Dann senkte er wieder seinen Kopf und ging auf die Knie.
Christian lächelte.
„Der Kleine ist niedlich. Wie heißt er?“
José lächelte.
„Nun, der Kleine ist eine Sie und sie hat noch keinen Namen...“
„Ihr Name ist Jessica.“
Sie erschraken. Marie-Ann stand plötzlich hinter ihnen.
„Ich hab es im Traum gesehen. Sie soll Jessica heißen.“
„Marie, du musst dich doch ausruhen. Leg dich bitte wieder hin.“
„Wo sind denn deine Manieren geblieben?“, sie schenkte ihm ein wunderschönes Lächeln. „Wir haben schließlich Gäste.“

Wieder näherten sich Schritte.
José sah Ben an.
„Habt ihr noch jemanden dabei?“, flüsterte er.
Ben schüttelte den Kopf.
José nahm den Revolver und ging wieder auf den Eingang zu.
Dann hörte er Stimmen.
„Ich hab dir doch gesagt, dass wir uns den Kerl eingebildet haben. Wer hat denn heute noch einen weißen Mantel? Lass uns abhauen.“
„Wir beide, gleichzeitig? Das glaubst du doch selbst nicht. Da hinten ist doch wer.“
José ließ den Revolver sinken. Gabriel schickte sie. Das wusste er. Irgendwie.
Er ging auf sie zu.
„Kommt ihr, um das Baby zu sehen?“
Alex erschrak etwas.
„Das wissen wir nicht so genau. Es mag verrückt klingen, aber wir sind einem Stern gefolgt, der uns hier her gebracht hat.“
José lächelte.
„Das klingt überhaupt nicht verrückt. Kommt nur näher.“


Durch ein kleines Fenster auf der anderen Seite des Stalls, beobachteten zwei Männer in weißen Mänteln das Geschehen.
„Jetzt sind alle da. Es wird Zeit für uns. Wir müssen gehen.“
„Werden sie es diesmal schaffen, Bruder?“
Gabriel lächelte.
„Ich weiß es nicht. Aber ich hoffe es, mein lieber Claudius. Ich hoffe es wirklich.“

Ende

 

Nachwort

Zur Geschichte.
Als ich mich hinsetzte, und dachte: „Alex, jetzt schreibst du mal eine Weihnachtsgeschichte“ hab ich erst an Dickens gedacht, und an die klassische Weihachtnachtsgeschichte. Doch nach längeren überlegen dachte ich mir, dass das schon viel zu ausgelutscht ist. Also entschied ich mich, über etwas zu schreiben, dass ich so noch nie gelesen habe.
Zuerst hatte ich vor, die Geschichte in der heutigen Zeit spielen zu lassen.
Aber auch das erschien mir falsch.
Ich musste einen Weg finden, die Menschheit und an einen Nullpunkt zu versetzen. Also bin ich in die Zukunft gegangen.


Ich hab mich weitgehend an die volkstümliche Vorlage gehalten.
Das aus dem einfachen Grund, weil die Geschichte die bekannteste ist.
Die Bibel selbst gibt da nicht gar so viel her.
Von Jesu Geburt wissen wir nicht allzu viel, weder über das Datum noch über die genaueren Umstände.
So haben wir den Stall, die drei Könige, und, auf eine verdrehte Art und Weise auch die Hirten, die die Nachricht verbreiten sollen.

Meine Lieblingsfigur war Gabriel.
Der Mann im weißen Mantel hat es mir sehr angetan. Seine Art, sein Auftreten, seine geheimnisvollen Worte. Am liebsten hätte ich ihm noch mehr Platz in der Geschichte gegeben.

Das Geschlecht des Baby´s ist ein kleiner Gruß an die, manchmal doch noch sehr männliche, Kirche.
Augen auf!

Der Name Jessica bedeutet: Gott schaut zu.
Deswegen wurde er ausgewählt.

Und noch kurz, zu meiner Auffassung der Geschichte.

Wir wissen nicht, ob der Jesus, der damals geboren wurde, und wegen dem wir heute Weihnachten feiern, wirklich Gottes Sohn war / ist.
Aber ob er es war oder nicht, so hat er den Menschen etwas sehr großes geschenkt.
Hoffnung.
Deswegen feiern wir Weihnachten.
Weil in dieser Nacht für viele Menschen Hoffnung geboren wurde.
So auch, in meiner Geschichte.

Das ist mein Sinn von Weihnachten.

Und mit diesen Worten, schließe ich nun ab.


Allen Lesern:
Danke für euer Interesse.
Frohe Weihnachten euch allen!

 

Hallo Der-Pan,

ein ehrgeiziges Projekt, bei dem du nach meinem Gefühl leider gescheitert bist.
Das liegt vor allem daran, dass du aus dem historischen Stoff eine SF-Geschichte machst.
Nun mag es in der Gedankenspielerei durchaus legitim sein, zu fragen, wie würden wir Jesus oder Jessica heute oder auch in Zukunft begegnen. Deine Geschichte spielt aber nach der Apokalypse, biblisch gesehen nach der Offenbarung des Johannes, deren Schreckensberschreibungen erst in der Kenntnis von Kernwaffen so richtig vorstellbar werden. Und für diese Apokalypse ist die christliche Weissagung eine andere.
Das zweite Scheitern liegt darin, die Originalgeschichte unverändert in ein anderes Setting zu legen. Dadurch wird die Botschaft wiederholt, nicht aber erneuert. Maria (oder Marie-Ann) darf zwar mit einem geladenen Colt in der Gegend fuchteln, Josef jähzornig einen Mann verprügeln, aber grundlegend war die Botschaft schon immer, dass Gott die Sünder liebt.
Das alles hätte ich vielleicht noch spannend gefunden, wenn die Geschichte mich sprachlich mitgerissen hätte. Die allerdings kann man fast als restringierten Code bezeichnen. Der verwendete Wortschatz ist gering, die verwendete Satzmodulation leider mehr als simpel.
Die apokalyptische Atmosphäre ist dir gelungen, die Nachkriegsbeschreibung ist vorstellbar.
Ein paar Anregungen und Fehler sowie weitere Details findest du im angehängten Worddokument.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Sim,

Deine Geschichte spielt aber nach der Apokalypse, biblisch gesehen nach der Offenbarung des Johannes, deren Schreckensberschreibungen erst in der Kenntnis von Kernwaffen so richtig vorstellbar werden. Und für diese Apokalypse ist die christliche Weissagung eine andere.

ich möchte dir wirklich nicht zu nahe treten, aber wo hast du bitte die Apokalypse gesehen?
In dem vorangegangen Krieg?
Das würd ich nicht sagen.
Warum auch?
Ein menschlicher Krieg ist kein göttlicher.
Solche Prophezeiungen sind immer sehr wackelig, da sie immer sehr viel Spielraum in der Interpretation lassen.
So hat eine Religionsgemeinschaft zum Beispiel die Apokalypse für das Jahr 1914 vorausgesagt. :)
Aber eigentlich ist das völlig egal.
Denn für mich für mich hat der religiöse Aspekt in der Geschichte eine, wenn überhaupt, zweitrangige Rolle gespielt.
Ich hatte weder vor irgendwelche Prophezeiungen zu deuten oder zu verarbeiten, noch eine wirkliche Wiederkehr von Jesu andeuten.

Es war einfach eine Interpretation einer alten Geschichte.
Nicht mehr und nicht weniger :)

Ich wollte einfach nur eine alte Geschichte in die neue Zeit portieren.
Ich hätte alternativ z.B. Jesu Geburt ganz aus der Geschichten streichen können, so dass die Geburt in der Zukunft die einzige gewesen wäre.

Wäre vielleicht die richtigere Version gewesen.

Auch hab ich überlegt die letzten Sätze anders zu schreiben.
So hätte Claudius Gabriel gefragt:

"Und du glaubst wirklich, dass das funktioniert?"
"Naja, wir haben uns sehr viel Mühe gegeben. Wir können nur hoffen"

Dann hätte die Geschichte einen ganz anderen Touch bekommen.


Aber alles Denken, Tiefsinnige, Religiöse war mir relativ egal.

Es sollte einfach eine Weihnachtsgeschichte werden, die unterhalten und ein wenig weihnachtlichen Geist vermitteln sollte.
:)

 

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