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Weihnachten 1899
Weihnachten 1899
Also, ich erklär’ Ihnen mal, wie das läuft: Wir Weihnachtsmänner haben es ja nicht leicht. Die ständige Reiserei, immer nur auf die Ärsche von Rentieren gucken und das ewige Geplärre am gar nicht so heiligen Abend, das schlaucht. Und wir wissen alles, können alles, leben ewig und sind absolut unverletzbar. Aus irgendeinem Grund hielt es der Chef wohl für angebracht, uns auch die Fähigkeit zu geben, in die Zukunft schauen zu können. Andauernd muss man aufpassen, was man sagt, um nicht irgendwie in den Lauf der Dinge einzugreifen. Naja…hat nicht geklappt bei mir. Mir ist meine große Fresse ganz schön zum Verhängnis geworden. Jedenfalls möchte ich behaupten, dass ich daran schuld bin, dass die Welt so ist, wie sie ist. Ja ich bin schuld!
Alles hat damit angefangen, dass mich der Chef einer Familie in Österreich zugeteilt hat. Ich bekam also den Wunschzettel, wo in ziemlicher Krakelschrift drauf stand „eine Landkarte von Rußland und 300.000 Zinnsoldaten, Infanterie bitte schön“. Ich also los, durch die Alpen und rumpel, rumpel rein in den Schornstein. Dann stand ich vor einem kleinen Pummelchen mit roten Bäckchen und geschniegeltem Scheitel.
„Sie sind zu spät. Seit fünf Uhr fünfundvierzig ist Bescherung!“ sagte der Zwerg mit tiefer, zackiger Stimme.
„Hör’ zu, du Wicht…ich bin immer noch der Weihnachtsmann und … lässt du mich jetzt mal durch?“
Da versperrt mir doch dieses kleine, bockige Würstchen den Weg. Mit etwas Nachdruck schob ich ihn zur Seite. Der Zwerg viel auf seinen Hintern und fing auch prompt an zu zetern.
„Mutti Mutti, diese Unperson hat mich geschuppt.“
Mit einem Krach flog die Tür auf und das Muttertier stand im Zimmer.
„Aber Dölfchen,... " sprach’s und kniff dem kleinen Dölfchen in die roten Bäckchen „das ist doch der Weihnachtsmann. Nun spiel’ schön mit deinen Geschenken und sei recht brav!“
Kaum war Mutti aus dem Zimmer grabschte sich der Wicht die Geschenke und riss gierig das Geschenkpapier auf.
„Kavallerie? Ich sagte doch Infanterie. Mutti, Mutti, diese Unperson bringt die falschen Geschenke!“
Gerade wollte ich mit meiner Rute die Scheisse aus ihm rausprügeln, da stand Mutter auch schon im Zimmer.
„Dölfchen, nun lass doch den Onkel mal und spiel’ schön!“ Sie kniff Dölfchen wieder in die roten Bäckchen, rüttelte etwas daran und stampfte aus dem Zimmer.
Es klingelte an der Haustür. Die Röhms aus Bayern waren zum Weihnachtsmahl gekommen. Dölfchen lud den jüngsten Spross der Familie Röhm, das kleine Ernstl, zur strategischen Sitzung unter den Weihnachtsbaum ein. Als die beiden Generäle die Russlandkarte ausbreiteten, machte ich mich wieder auf den Weg in Richtung Kamin. Noch im Augenwinkel konnte ich sehen, dass die beiden die 300.000 Kavalleristen um eine Stadt namens Wolgograd postierten. Da rutschte es aus mir raus:
„Also nur mit Pferden kannst du Stalingrad nicht einnehmen, da brauchst du schon Panzer, sonst mähen dich die Sowjets mit ihren MG’s nieder.“ Die Beiden starrten mich an.
„Stalingrad? MG’s? Sowjets? Mutti Mutti, diese Unperson kann noch nicht mal anständig lesen und erzählt wirres Zeug. Und das Ernstl versucht immer, seinen Finger in meinen Po zu stecken … Panzer? Was meinen Sie mit Panzer?“
„Na gepanzerte Fahrzeuge…vergiss es einfach!“
Mutter platzte jetzt endgültig der Kragen und Dölfchen bekam eine Wucht, die sich gewaschen hatte. Das kleine Ernstl stand daneben und fing bitterlich an zu weinen. Die Röhms hielten es dann doch für besser, wieder nach Bayern zurückzukehren. Unter dessen war Mutter immer noch dabei, Dölfchen durchzuwalgen.
„So, jetzt ist Schluss mit dem ganzen Militärquatsch! Nächstes Jahr bekommst Du einen Tuschkasten … wenn überhaupt!“
Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges weigerte ich mich, Dölfchen weiterhin Geschenke zu liefern. Der Chef war echt sauer, denn mein Versprecher aus dem Jahr 1899 hatte fatale Folgen gehabt. Zur Strafe wurde ich nach 1945 einer amerikanischen Familie zugeteilt und sollte zur Abwechslung mal wieder was Gutes tun. Der einzige Sohn der Familie hörte auf den ziemlich dämlichen Namen Elvis.
Eigentlich sollte der kleine Elvis zu Weihnachten eine Giraffe geschenkt bekommen. Da der Wunschzettel aber wie üblich unleserlich war, brachte ich ihm aus Versehen eine Gitarre mit. Die Freude war sehr mäßig und sein Geschrammel grauenhaft.
„Das ist doch kein Rock’n Roll was du da spielst!“
„Was ist denn Rock’n Roll, lieber Weihnachtsmann?“
Uups! Ich hatte es schon wieder getan. Aber egal, der Chef hat mich sowieso schon auf dem Kieker, also was soll’s.
„Komm mal her mein kleiner, der Onkel erklärt dir mal, was Rock’n Roll ist. Also…“