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Weißes Tuch

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25.06.2016
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Weißes Tuch

Fest umklammere ich den Lauf meines Sturmgewehrs. Die unebene Kiesstraße lässt den Truck hin und her wackeln. Erster Einsatz. Wenn ich Glück habe, stoßen wir auf keine Feinde. Ich wollte nie Menschen töten, hatte nie das Verlangen danach gehabt. Und dennoch bin ich jetzt hier. „Hier ist Endstation.“, erklärt der Fahrer und hält an. Ab hier zu Fuß. Mein Kamerad klopft mir auf die Schulter. „Ist nur eine Streife.“, meint er voller Zuversicht, doch seine Augen sagen etwas Anderes. Wir sind alle gut durchtrainiert. Einen Zweikampf könnte ich gewinnen. Doch im Lager war es nur Training, hier kann es dir das Leben retten. Alles nur um zu beweisen, dass ich ein Mann bin. Alles nur wegen meinem Ego. So sehr habe ich gehofft, gebetet, dass ich nicht hier her versetzt werde. Alles umsonst. Ich marschiere den Anderen hinterher. Man verlernt beim Training irgendwann auf den Protest der Füße zu hören oder wie sehr einem der Rücken schmerzt. Bitte, bitte, lass uns keinem begegnen! Der schlammige Boden schmatzt unter meinen Sohlen. Wir sind angespannt. Keiner sagt etwas, bei jedem Knacken fahren wir kurz herum. Überall könnte jemand sein, in diesem Wald. Ich sehne mich nach den Liedern der Vögel. Stille. Wir bleiben kurz stehen, zögern, sehen uns um. Vor uns ein Weizenfeld. Wir haben keine andere Wahl, müssen da durch. Vielleicht ist da ja auch gar nichts und das Schicksal spielt uns nur einen Streich in den hohen Gräsern. Ich halte mein Gewehr fester.

Ein Schuss, ein Knallen, haarscharf an mir vorbei. Ich lasse mich zu Boden fallen, halte die Hände über den Kopf. Für einen Augenblick sehe ich einen Hasen in einer Mulde kauern. Jemand zieht mich am Arm wieder herauf. „Renn!“, schreit er und drückt mich vorwärts, „Renn!“ Ich versuche den Spuren meiner Kameraden vor mir zu folgen. Endlich, eine Lichtung. Ich lasse mich in einen kleinen Graben fallen. Wo sind die Anderen? Ich blicke mich um, sehe sie nicht. Ein Gedanke so schwarz wie der Tod brennt sich in meinen Kopf. Ich lege an. Kann niemanden erkennen. Ich zittere, finde keine ruhige Haltung. Da! Jemand kommt aus dem Feld. Ich denke nicht. Mein Körper, meine Angst reagieren zuerst. Ich schieße. Er fällt zu Boden. Mit einem erlegten Hasen und einem Jagdgewehr in der Hand.

 

Her Ayaka,

gut, dass du hier bist. :)

Deine Geschichte habe ich sehr gerne gelesen. Innerhalb ihrer Kürze enthält sie viel Spannung, einige Information und ich bin neugierig.
Auch dein Sprachgebrauch ist vielversprechend.
Was mir fehlt, um mich zurechtzufinden, ist ein Rahmen. Ich kann nicht wirklich mitempfinden, wenn ich keine Ahnung habe, wo ich mich mit wem und warum befinde. Sicher ist Krieg, irgendwo. Doch um mich (Leser) bei Laune zu halten, hätte ich gerne mehr gewusst.

Die Zeit vergeht wie ein Hase auf der Flucht vor dem Fuchs.

Vergeht die Zeit tatsächlich schnell in dieser Situation?

Überall könnte jemand sein, in diesem Wald. Ich sehne mich nach den Liedern der Vögel. Stille.

Diese Passage mag ich sehr gerne.

Das Ende ist gut gewählt, aber vorhersehbar, was aber auch nicht stört.

Du wirst hier, in diesem Forum sicher sehr viel lernen können, wenn du willst.

Freundlicher Gruß, Kanji

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ayaka,

ein knappe, aber trotzdem spannungsreiche Geschichte. Sie liest sich sehr flüssig, die kurzen Sätze und dein Schreibstil im Allgemeinen sind hier sehr passend.

Hier einige Kleinigkeiten, die mir aufgefallen sind oder die für mich nicht ganz verständlich waren:

Doch im Lager war es nur Training, hier kann es dir das Leben retten. So sehr habe ich gehofft, gebetet, dass ich nicht hier her versetzt werde. Alles umsonst. Alles nur um zu beweisen, dass ich ein Mann bin. Alles nur wegen meinem Ego.
Hier bezieht sich das "Alles umsonst" doch auf das Hoffen und Beten. Die folgenden zwei Sätze beziehen sich aber wieder auf das Training im Lager, oder? Diese würde ich in dem Fall vorziehen. Sonst lässt sich das mit dem Ego für mich nicht zuordnen, besonders nicht in Verbindung mit Hoffen und Beten.

Man verlernt beim Training irgendwann auf den Schmerz der Füße zu hören oder wie sehr einem der Rücken schmerzt.
Schmerz, schmerzt. Wortwiederholung, vielleicht gibt es da noch etwas anderes? :)

Die Zeit vergeht wie ein Hase auf der Flucht vor dem Fuchs.
Inhaltlich: Vergeht die Zeit in solch einer Situation wirklich so schnell?
Stilistisch: Da fehlt ein Verb im Vergleich, oder? Die Zeit vergeht, wie ein Hase auf der Flucht vor dem Fuchs läuft/ wie ein Hase vor dem Fuchs flüchtet. Sonst hieße es ja: Die Zeit vergeht, wie ein Hase auf der Flucht vor dem Fuchs vergeht. :)

Ein Gedanke so schwarz wie der Tod brennt sich in meinen Kopf.
Gefällt mir gut, klasse Formulierung.

Mit dem Ende habe ich so gar nicht gerechnet. Dass er tötet, ja, aber keinen Unschuldigen. Eine gelungene Überraschung!

Die Überschrift der Geschichte wird mir nicht ganz schlüssig, aber vielleicht übersehe ich ja auch was ganz offensichtliches. Weiß wegen Unschuld, würde ich jetzt mal interpretieren, aber Tuch? Vielleicht lässt sich eine Erklärung ja noch im Text unterbringen.

Liebe Grüße, Anna

 

AnnaB

Danke für deine Kritik, das Weiße Tuch sollte sich zum einen auf die Unschuld des Mannes beziehen, aber es war auch als Metapher gedacht. Wenn man aufgibt, hisst man bekanntlicher Weise eine weiße Fahne. Aber man kann es interpretieren, wie es einem beliebt. In meinen Augen, ist das interpretieren einer Geschichte das wichtigste.

LG Ayaka

 
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Hallo Ayaka,
Kurz aber spannend ist deine Geschichte. Der Schreibstil flott. Gefällt mir!
Gestolpert bin ich über den Satz mit der Zeit, dem flüchtenden Hasen vor dem Fuchs. Das passte überhaupt nicht. In solch einer Situation vergeht die Zeit doch eigentlich wie in Zeitlupe, da so viele Eindrücke aufgenommen werden und Emotionen (z.B. Angst) bewältigt werden müssen.
Aber ich verstehe, dass der Hase schon vor dem Ende einmal auftauchen muss, um die Verbindung zum Jäger zu schaffen. Vielleicht gibt's da ja eine andere Lösung, den Hasen zu erwähnen. Er könnte sich ja dicht neben deiner Hauptfigur, als die sich zu Boden wirft, in eine Mulde drücken. Dann wären die beiden "Angsthasen" Auge in Auge. Aber das ist nur eine Idee...

Viel Spaß hier bei den Wortkriegern!

Grüße
Lind

 

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