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Weißer Griff

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15.07.2013
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Weißer Griff

Herr Schmidt wachte von einem unsanften Klopfen auf. „Ja“, sagte er nur und schaute durch das große Fenster nach draußen, wo er ein paar graue Dächer und genauso grauen Novemberhimmel sah. Die Tür ging rasch auf und Pflegerin Melanie mit gefärbten, roten Haaren lief ins kleine Zimmer herein.

„Guten Morgen, Herr Schmidt! Na, wie geht es Ihnen denn heute? Haben Sie gut geschlafen?“, fragte sie laut und lächelte ihr gelerntes Lächeln. Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte sie sich um und machte das Fenster auf.
„Das Frühstück ist fertig. Sie können runter kommen, Herr Schmidt“, sagte sie, mit dem Rücken zu ihm stehend. Es war Zeit zu gehen, das wusste Herr Schmidt.

Auf dem Weg in den Speisesaal dachte er noch darüber nach, was heute in seinem Leben geschehen könnte: Besuche? Nein, wer wird schon kommen. Arzt? Auch nicht. Vielleicht, spazieren gehen? Er sah nach draußen, es regnete.

Unten angekommen, nahm er ein Tablett und stellte sich wie alle anderen in eine Menschenkette. Als erstes waren die Brötchen da. Herr Schmidt hielt kurz an, um eins auszuwählen, als er auf der Theke ein Messer sah. Es war ein ganz normales Küchenmesser, nur der Griff war nicht schwarz wie gewöhnlich, sondern weiß. Weiß wie... und Herr Schmidt begann sich zu erinnern:

„Michi! Steh auf Michi! Die Sonne scheint schon so lange und du schläfst!“, weckte ihn eine sanfte Stimme. Michi schlug die Augen auf und musste sie gleich zusammenkneifen, so hell war es im Zimmer! Im warmen Sonnenlicht sah er eine weiche Gestalt, die am Rande seines Bettes saß:
„Mama!“, sagte Michi, „Mama!“, wiederholte er, sprang auf und umarmte sie. „Ach, Michi! mein Langschläfer“, streichelte sie ihn zärtlich und lächelte, „na, lauf schon nach unten. Das Frühstück ist fertig!“ Und, Michi lief! Er war ein Kind, er war frei und die Sonne, schien am Himmel noch heller als gestern.

Während Michi schnell die frische Milch trank überlegte er, was er denn heute so machen könnte: Indianer spielen? Nein, das hat er schon gestern. Tier spielen? Aber welches? Plötzlich fiel ihm ein, dass er vor kurzem ein Buch über Mongolen und ihren Anführer Dschingis Khan gelesen hatte. So werde ich heute der große Khan, dachte er mit Vergnügen. Aber ich brauche ein Schwert. Ein Schwert? Wo nehme ich das denn her? Michi überlegte. Da fiel sein Blick auf das große Küchenmesser, das direkt vor ihm auf dem Tisch lag.

Das wird mein Schwert sein! Damit erobere ich die ganze Welt! Er nahm das Messer mit dem weißen Griff, prüfte es ganz genau und streckte siegreich seine Hand in die Höhe. Sonnenstrahlen fielen auf die blankpolierte Klinge und ein heller Blitz durchzuckte das ganze Zimmer. „Ich bin der große Dschingis Khan! Der Herrscher der Welt!“, rief Michi aus, sprang auf und lief nach draußen. In eine Welt, wo nur er allein der Herrscher war.

„Ah, da ist es“, brummte ein Koch als er sein Messer fand. Diese Stimme holte Herr Schmidt wieder zurück. „Bitte, kann ich Ihr Messer haben?“, fragte er plötzlich beherzt.
„Das Messer wollen Sie haben?“, der Koch starrte ihn irritiert an. „Wozu brauchen Sie es denn? Ist doch nur ein ganz normales Küchenmesser?“
Herr Schmidt sah sich um, aber in den müden Augen der Menschenkette fand er nur Fragen und Entsetzen.

„Ach ja, richtig, ist ja nur ein Messer“, stammelte Herr Schmidt, wie zu sich selbst „Wozu brauche ich das? Entschuldigen Sie mich bitte.“ Mit diesen Worten drehte es sich um und ging raus, ohne sein Tablett mitzunehmen. Er wusste, dass es draußen regnete, aber er musste raus.
„Herr Schmidt! Sie haben hier was vergessen. Bitte nehmen Sie ihr Tablett mit! Sie behindern damit die anderen!“, rief die Pflegerin Melanie ihm noch nach.

 

Hallo Ruess,

da ist diese Erinnerung, an das Glück in der Kindheit, verbunden mit einem Messer. Der Wunsch, dieses Messer zu haben, eine Möglichkeit, in Nostalgie zu schweben - aber sie wird verwehrt. Verwehrt, von Unverständnis.

Unverständnis, nicht böse, vermutlich sogar unvermeidbar. Und doch, was wenn er widersprochen hätte? Wenn er seinen wunsch ausgedrückt hätte, statt nachzugeben, wie sein ganzes Leben lang?

Dieses Aufbegehren, du reißt es an, aber es fehlt.

Schön geschrieben, Fehler sind mir keine aufgefallen, aber die Tiefe, die in den letzten Absätzen durchkommt, wo geht sie hin?
Du sprichst gleich mehrere Probleme an, aber sie bleiben grau und schwammig, zu schwammig wie mir scheint.

Ich hoffe, du kannst etwas damit anfangen.
Nachdenklich stimmt mich dein Text jedenfalls.

Gruß
Niklas

 

Hallo Ruess

Willkommen hier im Forum.

Amüsiert hat sie mich, deine Geschichte, zugleich aber etwas zwiespältig zurückgelassen. Die Erzählstimme war mir angenehm, doch zwang mich das eine oder andere beim Lesen zu zögern, mir die Situation real vorstellend. Auch fehlte mir eine klare Tönung, die in meinem Verständnis einen philosophischen Touch ausmacht. Doch vielleicht ist meine Sichtweise in Letzterem etwas eng.

Die Tür ging rasch auf und Pflegerin Melanie mit gefärbten, roten Haaren lief ins kleine Zimmer herein.

Das rasch ist mir ein Füllsel ohne nennenswerte Bedeutung für die Geschichte. Auch könnte man die Szene etwas eleganter darstellen. Der alte Herr registriert doch immerhin, dass sie die Haare gefärbt hat. Nur als Beispiel: Die Tür ging auf und Pflegerin Melanie trat ins kleine Zimmer. Mit ihren rot gefärbten Haaren war sie ein Blickfang.

Haben Sie gut geschlafen?“, fragte sie laut und lächelte ihr gelerntes Lächeln.

Das doppelte Lächeln nimmt mir der Szene etwas seinen Gehalt. Hier würde mir ein: fragte sie laut und zeigte ihr einstudiertes Lächeln, das Unpersönliche hervorheben.

Unten angekommen, nahm er ein Tablett und stellte sich wie alle anderen in eine Menschenkette.

Das Komma nach angekommen bräuchte es nicht. Doch stutzte ich da mehr wegen der Szene. Herr Schmidt dürfte sich in einer Altersresidenz aufhalten, da werden die tatterigen Bewohner in der Regel doch bedient? Ihnen zuzumuten, ein Tablett mit Geschirr zu halten, wäre wohl von zahlreichen Fiaskos begleitet. Vielleicht schaute er auch nur nach einem bestimmten Brötchen oder dergleichen?

Weiß wie... und Herr Schmidt[KOMMA] begann sich zu erinnern:

Nach wie ein Leerschlag, dann die Auslassungszeichen.

„Ach, Michi! mein Langschläfer“,

Nach dem Ausrufezeichen ein Komma oder das Mein gross schreiben.

Plötzlich fiel ihm ein, dass er vor kurzem ein Buch über Mongolen und ihren Anführer Dschingis Khan gelesen hatte.

Was spricht dagegen, vor Kurzem gross zu schreiben?

„Ah, da ist es“, brummte ein Koch[KOMMA] als er sein Messer fand.

Herr Schmidt sah sich um, aber in den müden Augen der Menschenkette fand er nur Fragen und Entsetzen.

Eine Menschenkette – sie wurde bereits einmal erwähnt - klingt mir ebenso überzeichnet wie das allgemeine Entsetzen. Real wäre mir die Szene denkbar, wenn er beim Umsehen: … aber in den müden Augen der Mitbewohner fand er nur Fragen und meinte gar vereinzelt Entsetzen wahrzunehmen.

Bitte nehmen Sie ihr Tablett mit! Sie behindern damit die anderen!“, rief die Pflegerin Melanie ihm noch nach.

Auch hier das Tablett …

Das Ende löst sich ohne wesentliche Gegebenheit auf, eine Episode im Leben eines alten liebenswürdigen Herrn. Vielleicht liesse sich da noch eine kleine Überraschung finden, eine Pointe?

Ich bin gespannt, ob es dir gelingt, noch einen Dreh reinzubringen, der mich aufhorchen lässt. Lass dich auf jeden Fall nicht verdriessen, wenn es nicht auf Anhieb gleich nur Anklang findet. Das Thema war gut, aber noch ausbaufähig. :)

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Ruess,

eigentlich verirre ich mich eher selten indiese Rubrik. Ich habe auch erst nach dem Lesen gesehen, dass dein Text unter Philo gepostet wurde. Also, warum das hier gestrandet ist, das versteh ich nicht. Im Prinzip zeigst du doch eine recht klassische Alltagsszene. Da mag wer einen philosophischen Gedanken reinweben, aber ...
Zum Text selbst:
Ich denke, all das, was der Text eigentlich hat, das zeigst du nicht. Für mich sind das jetzt keine Leerstellen, die ich als williger Leser gerne fülle, weil ich hier reingesogen werde - dafür ist mir das alles dann doch ein bisschen zu beliebig.
Irgendwer erinnert sich irgendwo an irgendwas. Das unvermeidliche Aufwachen - Flucht. Originell ist das eh nicht, aber es könnte wenigstens spannend sein, weil man mit der Person mitfühlt. Das sperrst du aber aus. Du magst sagen, dass es eben irgendwer ist, deswegen auch der Name Schmidt, aber das würde für mich nur ziehen, wenn du den Prot auch wirklich als Allewelt-Schmidt darstellst. Der Name und das Unterschlagen eines Bildes, damit erreicht man das nicht. Zumindet nicht bei einer Hauptfigur.
Die Idee mit dem Messer, das fand ich gar keinen schlechten Ansatz. Da könnte glatt Spannung aufkommen, ist ja immerhin ein gefährliches Werkzeug, aber die Szene(n) werde einfach nicht entsprechend gefärbt. Die Farbe weiß (als Unsschuldsfaktor) ist ein schöner Kontrast. Aber wie gesagt, er wird nicht ausgespielt.

Insgesamt solltest du dir über Füllsel Gedanken machen, deine Sätze mehr schleifen. Adjektive/Adverbien, schlag das mal nach. Lernt man zwar in der Schule, dass die Dinger einem Text gut tun, aber das entspricht weniger der gängigen literarischen Meinung ;)
Hier mal ur der erste Absatz (der allerdings der wichtigste ist, weil hier der Leser entscheidet, ob er weiterliest oder weiterklickt)

Herr Schmidt wachte von einem unsanften Klopfen auf. „Ja“, sagte er nur und schaute durch das große Fenster nach draußen, wo er ein paar graue Dächer und genauso grauen Novemberhimmel sah. Die Tür ging rasch auf und Pflegerin Melanie mit gefärbten, roten Haaren lief ins kleine Zimmer herein.
das ist ein sogenannter overkill. Was braucht es davon wirklich?

grüßlichst
weltenläufer

 

Hej Ruess,

Es war Zeit zu gehen, das wusste Herr Schmidt.
Hab ich irgendwie als leicht deplatzierte Information über seinen Willen zu sterben gelesen.

Auf dem Weg in den Speisesaal dachte er noch darüber nach, was heute in seinem Leben geschehen könnte: Besuche? Nein, wer wird schon kommen. Arzt? Auch nicht. Vielleicht, spazieren gehen? Er sah nach draußen, es regnete.
Nichts davon braucht er wirklich bedenken: Wenn er z.B. sehr viele Leute kennen würde, könnte er vielleicht darüber nachdenken, wer ihn möglicherweise besuchen kommt.
Willst Du Missmust zeigen?

Michi schlug die Augen auf
Warum nennt er sich jetzt selbst "Michi"? Damit entsteht eine merkwürdige Distanz, die von Dir nicht gewollt sein kann.

Während Michi schnell die frische Milch trank überlegte er, was er denn heute so machen könnte: Indianer spielen? Nein, das hat er schon gestern. Tier spielen? Aber welches? Plötzlich fiel ihm ein, dass er vor kurzem ein Buch über Mongolen und ihren Anführer Dschingis Khan gelesen hatte. So werde ich heute der große Khan, dachte er mit Vergnügen. Aber ich brauche ein Schwert. Ein Schwert? Wo nehme ich das denn her? Michi überlegte. Da fiel sein Blick auf das große Küchenmesser, das direkt vor ihm auf dem Tisch lag.
Das wirkt sehr hölzern. Wenig kindlich und verspielt. Diese Fragen wirken wie Bremsklötze und warum muss er überlegen, anstatt in der Küche zu suchen.

„Wozu brauchen Sie es denn? Ist doch nur ein ganz normales Küchenmesser?“
Was für ein netter Koch! Anstatt dass er genauso entsetzt guckt, wie alle anderen oder gleich "Verrückt geworden" raushaut, fragt er nach. Herr Schmidt antwortet leider nicht.

Auf mich wirkt das wie der ungefähre Versuch, eine leichte Depression darzustellen. Philosophisches kann ich darin nicht wirklich entdecken.

LG und noch viel Spaß hier,
Ane

 
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Hallo,

zuallererst möchte ich mich bei Ihnen allen ganz herzlich bedanken! "Weißer Griff" ist meine erste Geschichte und es war natürlich sehr lehrreich für mich Ihre Kommentare zu lesen. Nochmals Danke!

Jetzt muss ich noch versuchen, mich Stückchen für Stückchen zu verbessern.

Vielen, was meine Kritiker monieren, kann ich nur zustimmen. Allerdings bin ich nicht damit einverstanden, wenn behauptet wird, die Geschichte habe keine Aussage, keine Philosophie.

Erlauben Sie mir dazu ein Zitat, das mich zu diesem Versuch, eine Geschichte zu schreiben, inspiriert hatte: "Nur dort, in der Kindheit war etwas, etwas wirklich Schönes, womit man wahrlich leben könnte, wenn es nur zurückgekehrt wäre." (Lev Tolstoj, "Tod des Iwan Illjitsch")

Beste Grüße,
Ruess

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ruess!

Tolstojs Satz: "Nur dort, in der Kindheit war etwas, etwas wirklich Schönes, womit man wahrlich leben könnte, wenn es nur zurückgekehrt wäre."

Ja, das ist noch keine Philosophie, für mich. Das müsste man weiter verarbeiten, komprimieren und verallgemeinern. Vielleicht so: Gute Momente sind immer auch einzigartig und nicht zu wiederholen.

Das könnte man noch weiter verallgemeinern und sagen: Wir steigen in denselben Fluss und doch nicht in denselben, wir sind es und wir sind es nicht .. Dann wäre man bei Heraklit.

Und noch eine Stufe weiter komprimieren: Alles fließt.

Aber um das herauszulesen, aus deiner Geschichte, müsste der Koch gestrichen werden, meine ich.
Somit könnte Schmidt selbst die Erfahrung machen, dass das Messer nur ein Messer ist, weil er eben nicht mehr Michi ist usw.

Hmm … mehr kann ich dazu nicht sagen.

Gruß

Asterix

 
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Hallo Asterix,

ich glaube, zwischen deinen Zitaten und meinem liegt ein entscheidender Unterschied: Was du ansprichst ist der Ist-Zustand und was ich durch Tolstois Zitat und meine Geschichte ausdrücken wollte ist der Soll-Zustand.

Haben wir nicht alle unsere großen Kindheitsträume verraten und vergessen?
(Vorausgesetzt natürlich, man hatte überhaupt welche.) Haben wir uns nicht in den Strom des Naja-so-ist-das Leben-halt bereitwillig eingefügt? Wie wäre es denn, wenn wir zumindest versuchen würden wie Kinder, das heißt, aus sich selbst rollende Räder zu sein?

Beste Grüße,
Ruess

 

Hallo Ruess!

Was du ansprichst ist der Ist-Zustand
Selbstverständlich, denn Philosophie beschäftigt sich mit dem Ist-Zustand (eventuell gibt es Ausnahmen in Randgebieten wie zum Beispiel in der Moral- und Rechtsphilosophie).
Auch das Tolstoj Zitat sagt, wenn auch träumerisch verbrämt, den Ist-Zustand aus.

Das Ändern eines Ist-Zustandes in einen Soll-Zustand, möglichst verbunden mit Widerständen, welche durch Handeln beseitigt werden, ist das Grundgerüst einer interessanten Geschichte.
Was deine Geschichte zeigt, ist der Versuch des Herrn Schmidt, eben diesen Weg, weg vom Ist, hin zum Soll, zu beschreiten.
Nun, er hat einen Plan, will etwas aus seiner Kindheit zurück in die Gegenwart holen. Die erste Hürde jedoch, der Koch und die Blicke der anderen, lässt ihn verzagen.
Genau genommen werden hier zwei Situationen gegenübergestellt:
Michi, der, von seiner Mutter ungehindert, Dschingis Khan spielen kann.
Herr Schmidt, dem gleiches Ansinnen nicht gelingt, weil ein Koch ihm diesen Spaß verdirbt.

Nur, welche philosophische Erkenntnis kann man daraus ableiten? Etwa: Selbst der beste Koch kann eine Mutter nicht ersetzen?
Denn es sind ja nur „spezielle“ äußere Umstände (die an einem anderen Ort durchaus anders ausfallen oder gar gänzlich fehlen können), die Herrn Schmidt hindern. Dann ist die Geschichte zu Ende. Das ist für eine Alltagsgeschichte soweit auch in Ordnung.

Haben wir nicht alle unsere großen Kindheitsträume verraten und vergessen?
Das stimmt auch nur zum Teil. Viel öfter ist es so, dass dem Kind nicht die Bedingungen bekannt sind, welche zum Realisieren des Traumes nötig sind.

wie Kinder, das heißt, aus sich selbst rollende Räder
Da sollte man sich fragen, und ich beziehe mich auf das „Spielen“ in der Geschichte: Wer bestimmt für das Wort „Spielen“ Inhalt und Wertung? Ganz sicher nicht Kinder.
Und dann sollte man sich fragen, was wollen Kinder wirklich, wenn sie „spielen“.
Zunächst tun sie es, weil es Spaß macht. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Kinder geben sich beim Spielen auch ernsthaft Mühe, weil ihnen natürlich das Spiel gelingen soll und weil ein besonders guter Spieler (egal, ob beim Verstecken, Fußballspielen oder Gummi-Twist) einen höheren Rang in der Gruppe erreicht. Das bringt dann Vorteile, die auch ein Kind sehr schnell erkennt.

Auch mit der, selbstverständlich wieder von Erwachsenen gepriesenen, „Freiheit“ des Kindes ist es in der Wirklichkeit eines Kindes nicht weit her.

Ein weiteres Beispiel:
Mütter haben uns, als wir Kinder waren, Schutz und Trost gespendet. Das ist in der Erinnerung als eine feine Sache hängen geblieben, und es war auch eine gute Sache, ohne Zweifel.
Jedoch: Was waren die Anlässe zu Schutz und Trost? Was war da auf der anderen Seite? Freiheit und Spaß sicherlich nicht und gewiss auch nicht Tolstojs „wirklich Schöne“. Vielleicht waren da Kinder, die den Michi, der mit einem Zwiebelmesser in der Hand im Garten steht und ruft: „Ich bin der große Dschingis Khan! Der Herrscher der Welt!“, ausgelacht haben. Und vielleicht hat eines dieser Kinder später den Beruf des Kochs ergriffen.


Gruß

Asterix

 

Hallo Ruess,

diese kleine Geschichte hat mir vom Stil her sehr gut gefallen, bis auf Kleinigkeiten wie das "stehend" im folgenden Satz:

„Das Frühstück ist fertig. Sie können runter kommen, Herr Schmidt“, sagte sie, mit dem Rücken zu ihm stehend. Es war Zeit zu gehen, das wusste Herr Schmidt.
Das Verwenden des Verbs im Partizip wirkt etwas künstlich.

Schön fand ich die Erinnerung an die Szene aus der Kindheit, die sich anbahnt, weil er das Messer mit dem weißen Griff sieht. Erinnerungen die an der Form von Gegenständen hängen. Berühmtestes Beispiel dafür ist wohl Prousts Madeleine.

Die Szene aus der Vergangenheit wird sozusagen schärfer:

Im warmen Sonnenlicht sah er eine weiche Gestalt, die am Rande seines Bettes saß:

Das wird mein Schwert sein! Damit erobere ich die ganze Welt! Er nahm das Messer mit dem weißen Griff, prüfte es ganz genau und streckte siegreich seine Hand in die Höhe. Sonnenstrahlen fielen auf die blankpolierte Klinge und ein heller Blitz durchzuckte das ganze Zimmer. „Ich bin der große Dschingis Khan! Der Herrscher der Welt!“, rief Michi aus, sprang auf und lief nach draußen. In eine Welt, wo nur er allein der Herrscher war.
Das ist beinahe kitschig und Manga-haft. Ich fand das hübsch in der Überzeichnung und habe mich gefragt, wie alt Michi ist. Das ist alles so idealisiert.

Die interessante Frage in dem Text kommt am Ende. Michi ist wieder Herr Schmidt und fragt sich wohl nach der Bedeutung dieser Erinnerung, die ihn so heftig getroffen hat und tut, als ob seine Reaktion ein irrationales kleines Versehen sei, um den gewohnten Ablauf der Essensausgabe nicht zu stören:

„Ach ja, richtig, ist ja nur ein Messer“, stammelte Herr Schmidt, wie zu sich selbst „Wozu brauche ich das? Entschuldigen Sie mich bitte.“ Mit diesen Worten drehte es sich um und ging raus, ohne sein Tablett mitzunehmen. Er wusste, dass es draußen regnete, aber er musste raus.

Du beschreibst eine starke gefühlsmäßige Reaktion und nicht die Fragen, die sie aufwirft und die Gedanken, die sie auslöst: Wo liegt die Bedeutung solcher Ereignisse, die längst vergangen sind und die Menschen betroffen haben, die schon verschwunden sind oder bald nicht mehr da sein werden? Werden die Szenen mit Mutti und dem Messer mit weißem Griff völlig gelöscht sein, so als wären sie nie passiert, wenn Herr Schmidt nicht mehr da ist? Und haben sie sich wirklich so abgespielt, oder handelt es sich um ein idealisiertes Abbild der Vergangenheit, das Herr Schmidt vielleicht unwillkürlich im Laufe der Jahrzehnte aufgebaut hat? Der Widerspruch, dass das was uns lieb und nahe ist (möglicherweise) völlig verschwindet und irgendwann sein wird, als hätte es nie existiert, und für uns trotzdem von allergrößter Bedeutung ist: Hier wird es interessant, in wilde Spekulationen über den Sinn von allem zu verfallen. ;)

Die Situationen in deinem Text lösen solche Gedanken aus, aber du beschreibst sie nicht. Demgemäß fehlt dem Text ein wichtiges Element, das ihn philosophisch machen würde. ;)

Freundliche Grüße,

Berg

 

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