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Weiße Karaffe
Das "Cafe Wunderbar" hatte eine unscheinbare gräuliche Steinfassade, ein ganzheitlich weißtapeziertes Innenleben; war klein, gemütlich und es roch förmlich nach Dorfidylle. Es gab nur ein paar wenige Tische in der mickrigen Lobby; eine kleine Theke mit einer bescheidenen Auslage und ein aufgekratztes Huhn, das man als weibliche Bedienung verzweckt hatte. Sie drückte sich zwischen den Tischen entlang; wischte, sprühte und hatte so einen nervösen, kleinen Blick in den Augen. Abwechselnd huschte sie dann wieder zurück nach hinten in den abgeschotteten Mitarbeiterbereich nur um wenige Augenblicke später wieder nach vorne zu eilen. Die ganze Zeit ging das so: Immer dieses hastige Hin und her und das einige Minuten lang. Im Allgemeinen schien sie sehr beschäftigt und ausgelastet zu sein, obwohl eigentlich ja gar nichts los war. Ich fing an mich zu fragen was das Ganze sollte, aber dachte mir dann auch nicht mehr dabei. Hm, lag vielleicht auch daran, dass sie wenig anziehend auf mich wirkte mit ihren aschblonden, mittelangen Haaren über dem aufgedunsenen Gesicht mit dem zu blässlichen Teint. Dazu diese kurzen Beinchen in der schnöden Verkäuferkluft zusätzlich zu dem sichtbaren Bauchansatz, der die weiße Schürze spannte und ihre Uniform in Bauchnabelhöhe traurig nach unten hängen ließ.
Naja, jedenfalls, der Laden war mit einer Art Bäckerei gekreuzt, in der es grundlegende Brotsachen und etwas an Süßspeisen gab. Gelegentlich watschelten alte tattrige Weiber heran und kauften sich Frühstücksbrötchen, Bretzeln, weich-gelben Eierlikörkuchen, Nuss- und Zimtschnecken und lauter so Zeugs eben, die das träge Gebiss noch zu verdauen vermochte.
Im Cafebereich hockte außer mir nur ein alter Mann ein paar Meter neben der Theke auf einer Art Plastikbarhocker vor einem hohen schmalen Holztisch. Seine Zeitung lag ausgebreitet vor ihm, seine Kaffeetasse war leer getrunken und stand auf einem Tellerchen mit ein paar wenigen Krümeln am Rand. Ich beobachtete ihn, während ich auf einem Stuhl direkt neben dem Seitenfenster saß und gerade einen Schluck Kaffee nahm: Er war regelrecht eraltert mit seinen unschönen tiefen Falten die sich durch sein Gesicht zogen. Das graumelierte Haupthaar war spärlich und kurz, währenddessen sich seine weiß-schlafe kompakte Körperlichkeit im Bauchbereich aufblähte. Außerdem hatte er ständig so einen grässlich lüsternen Blick übers ganze Gesicht gezogen, das bereit war sich auf den neuesten Klatsch und Tratsch des Dorfes zu stürzen; es war darauf geeicht jede noch so mickrig wirkende Unregelmäßigkeit die ihr vor die gespannte Flinte lief aufzugreifen und zu dramatisieren. Alles schien aufregend und sensationstragend in der Luft zu hängen. Wenn sich das vertrocknete Fleisch wieder in die Hütte drängte, folgten Fragen wie: Wo geht`s dieses Jahr hin? Korsika; Malediven; Gardasee? Oder doch wieder in eure Herberge im Zillertal? Dann so spannende Dinge wie: Du hast dir einen Rollator zugelegt? Wie sieht`s aus, wann heiratete endlich deine Kleine? Wie geht`s deinen Mann, den Enkeln? Gefärbt? Und übrigens: Schickes Hüftgelenk Schätzchen,- ist das neu? Heh, heh.
"Hey!", bellte er dann einfach so durch meine gedankengetränkte Stille in Richtung der Bedienung.
"Hey! Lisa!", die Bedienung hieß Lisa und war gerade wieder nach hinten gegangen.
"Ja-ha, ich bin ja da", sie kam nach vorne geeilt und wirkte auf mich etwas unaufgeräumt mit den dünnen Haaren, die ihr jetzt über die Stirn fielen und der leicht nach rechts verschobenen Schürze. Sie richtete rasch ihr Äußeres und nahm dann die weiße Karaffe von der Theke um den letzten Rest der lauwarmen schwärzlichen Brühe in den Ausguss zu schütten.
"Na", dachte ich mir als ich ihr so zu zuschaute, " da hat wohl jemand vergessen sich die Händchen zu waschen." Ich nahm leicht schmunzelnd einen Schluck aus der kleinen Porzellantasse.
„Na, bringst mir noch nen Kaffe, Lisa, hm?", fragte sie der alte Sack.
"Ja, aber freilich Sepp."
Dabei zwinkerte sie ihm zu und ich denke, sogar ein leicht kokettes Lächeln gesehen zu haben.
Dann räumte sie das gebrauchte Gedeck vom Tisch, nahm eine gewaschene Tassse, stellte sie drunter und betätigte brav die Maschine. Sepp sah ihr dabei mit einem glückseligen Ausrduck zu, der sein altes, vergriffenes Geischt förmlich durchsetzte und auf mich ziemlich merkwürdig wirkte.
Kurz darauf kam Lisa dann zu mir: "Darf`s noch was sein?", sie versuchte mich verbindlich anzulächeln, aber aus der Nähe zeugten ihre verbrauchten Gesichtszüge von Stress und hinterhältiger Dummheit.
"Nein, danke."
Ich bezahlte, stellte die Tasse auf Tablett und schenkte ihr ebenfalls ein kleines freundliches Lächeln. Sepp der vorher durch den ganzen Raum dieses blöde, fast schon schauderhaft Grinsen geworfen hatte, sah jetzt missmutig und gedrückt in meine Richtung.
Seiner Souveränität schien jetzt Unsicherheit und Nachdenklichkeit gewichen zu sein. Stirnfalten überlagerten sich und in seinen Augen flackerte nun kein neugieriges aufgewecktes Glitzern mehr. Ich bemerkte auf einmal seine Altersflecken auf seinen Fingerknöcheln und im Gesicht und die kränkliche fahlen Farbe darauf. Er hatte buschige, drahtige Augenbrauen, die ihm in die Pupillen zu fallen drohten, und sein Körper hatte jedwede Spannung verloren. Es war ein deprimierendes und beschlauchtes Abbild.
Da bekam ich etwas Mitleid und dachte kurz daran, dass es vielleicht meine Schuld gewesen war. Ich schüttelte mich und schaute aufs Handy. Es war an der Zeit. Ich richtete mich langsam auf und zog meinen Mantel an um zu gehen.