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Weiße Elefanten beim Ballett

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01.10.2002
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Weiße Elefanten beim Ballett

Wenn sie ein Land wäre, hieße sie Indien. Indien nimmt keine Entwicklungshilfe mehr an. Das las sie zufällig im Internet.

Anna ist wie der weiße Elefant, selten, weich, blass, schön und nutzlos. Nutzlos wie verrostende Busdepots, versumpfende Staudämme. Nutzlos der Unterricht, weil er sie nicht wirklich weiterführen wird. Auch für die Trainerin, weil sie zu viel in Anna investiert. Weil es die anderen Teilnehmer ablenkt, nervös macht. Weil es die anderen in Frage stellt.

Übungen an der Stange. Am Barre. Sich im Spiegel anschauen, ist für Anna schlimmer als Üben. Noch schlimmer die Pausen, das Umziehen, wenn die anderen verstohlen ihren Körper betrachten. Sie ist keine Wiedereinsteigerin, sondern Spätanfängerin.
21 160 - Ein Zahlenpaar, das allem im Wege steht. 21 Jahre, 160 Pfund. Aus der Sicht der Trainerin, die natürlich viel hübscher ist, mit einem optimistischen Pferdeschwanz, ergibt sich ein Weitwinkeleffekt: die zierlichsten Ballettschülerinnen in der Mitte, die Größeren weiter außen, und am Rand, die Breiteren und Schweren, die lieber beim Tanzen allein in den Spiegel schauen. Anna steht schon fast an der Wand, in der Nähe des Ausgangs. Die Trainerin lächelt ihr aufmunternd zu und gibt ihr genauso hoffnungsvolle Korrekturen.

Ein Foto hängt zuhause in Annas Zimmer. Ein Zeitungsausschnitt, eine Ballerina mit ähnlich schwieriger Zahlenkombination. Vielleicht 25 160. Nur nicht Pfund, sondern Kilo. Und dieses schwergewichtige Mädchen gleitet in den Spagat, als täte sie nie etwas anderes, eleganter, müheloser als all ihre Kritiker. Manches schaut aus ihrem Tutu heraus. Eine angesichts der Fleischmassen eher klein geratene, weiche Brust über einem enormen Bauch. Eine Welle schlagende Bauchfalte. Bauchwelle.

Annas Freundin sagte beim Betrachten des Bilds: Beweglichkeit ist etwas Überschätztes. Auch ohne Beweglichkeit kann man eine gute Tänzerin sein.
Das wollte Anna nicht glauben. Sie hätte gern ein „hohes Bein“, würde nicht nur gern Seit-, sondern auch Längs- und Überspagat können, doch fürchtet sie die kleinen Mikroverletzungen in der Muskelstruktur, die Verwandlung in undehnbares Bindegewebe, die noch größere Unflexibilität.

In erster Linie kommt sie wegen des Klaviers zum Unterricht. Und noch mehr als das Klavier, liebt sie das Französischlernen: Port de bras - Tor der Arme. Pas de chat – Katzenschritt.Und ohne Klavier und Katzenschritt würde sie gleich zu Hause bleiben.
Anna fragt sich, warum ihr die Trainerin in grenzenloser Geduld immer wieder hilft. Warum sie es noch gut meint. Anders als ihre Mutter, von der sie den Kurs geschenkt bekommen hat. Ihre Mutter hatte sie nur vor allen blamieren wollen, wie sie es gern am Heiligabend tut und manchmal auch an anderen Tagen, Pfingsten zum Beispiel, wo sie ihr einen Badeanzug Größe 46 mit einem eingenähten 34er-Etikettchen schenkte.

Es liegt in der Familie. Alle sind talentlose Schenker. Die Geschenke ihrer Tante sind stets teuer, immer gebraucht und vermeiden den Schmerz der Entsorgung. Und wie die weißen Elefanten, die der König von Siam an ungeliebte Höflinge weiterreichte, dürfen die wertvollen Dinge aus dem Tantenbestand nicht weiterverschenkt, noch bei Ebay veräußert werden. Doch hat das Deckmäntelchen des Guten etwas Tröstliches, wenn sie an die geschmacklosen Mitbringsel ihrer Schwägerin denkt, die sichtlich nur den Gang zur Mülltonne gespart haben. Anna macht Geschenke lieber auf, wenn keiner zuschaut.

Deine Mutter meint es doch nur gut, meint Annas Freundin und das ist nicht als Trost, sondern als Vorwurf gemeint. Das macht Anna noch trauriger. Sie weiß nicht, worüber sie großzügiger hinweg sehen sollte, über den mühsam getarnten Neid ihrer Freundin, die selbst gern tanzen würde oder die bösen, unbeholfenen mütterlichen Schenkversuche. Lieber sind ihr die Geschenke ihres Bruders. Eine offensichtliche Aufforderung zum Tausch.

Probleme beim Pirouettendrehen. Ein Problem, dass zum Glück nicht nur sie, Anna, hat. Jede sucht sich einen Punkt an der Wand. Doch meist ist der Punkt beweglich, der Pferdeschwanz oder Chignon einer Mittänzerin oder noch lieber die schöne, etwas zu große Nase der Lehrerin. Und mitten im Pirouettenversuch fällt Anna ein, dass ihre Mutter sie mit dem Geschenk vielleicht nur vordergründig ärgern wollte, dass sich hinter dem von ihr so sehr erhofften Lacher in der Kuchenrunde etwas anderes versteckte. Die Lücke. Der weiße Fleck im Wünschespiel. Vielleicht gehörte ihre Mutter zu denen, die anderen, wenn auch unbeabsichtigt, etwas geben, was sie selbst einmal wollten. Und vielleicht war weder Lug, noch Betrug, noch Anmaßung dabei und im Schenken öffneten sich unverhoffte Einblicke. In mütterliche Lücken, gut versteckt und in einem unvermuteten Sinn doch gut gemeint.

 
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Hallo petdays,

obwohl sich die Geschichte gut liest und mich zu Teilen auch anzusprechen vermag, komme ich nicht klar mit ihr.
Für mich bleibt die Frage offen, was sie erzählen will. Anna fühlt sich nutzlos, sie findet die Musik und das Französische schön, die Trainerin meint es gut mit ihr, sie will gelenkig sein, aber auch nicht, wegen der Verletzungen. Okay. Sie will nicht verletzt werden. Wie mit diesen Geschenken, die sie verletzen. Und dennoch geht sie zum Ballett, dennoch stellt sie die Geschenke der Tante nicht bei Ebay ein. Und wenn sie hinter den abscheulichen Geschenken ihrer Mutter was Gutes sehen will - also, da haut es mich völlig aus der Bahn. Was soll denn hinter einem Badeanzug in 46 mit 34 Etikett Gutes stecken? Das ist verletzend. Alle verletzen sie und sie versucht dem etwas Gutes abzugewinnen. Wie dem Ballett. Und wenn es halt die Musik und das Französische ist. Tut mir leid, aber ich bekomme hier kein klares Bild zusammen. Ich verstehe Anna nicht. Sie will geliebt werden, wird es aber nicht. Punkt. Und sie hofft, dass durch die Schmach Liebe ausgedrückt wird. Warum? Warum tut sie das? Die Frage wäre interessant. Wenn das mit in der Geschichte stecken würde ... so aber wirft sie bei mir nur Fragen auf.

Anna ist wie der weiße Elefant, selten, weich, blass, schön und nutzlos.

Ich glaube nicht, dass Annas selten sind.

Weil es die anderen Teilnehmer ablenkt, nervös macht. Weil es die anderen in Frage stellt.

Wieso stellt es die anderen in Frage?

Ein Foto hängt zuhause in Annas Zimmer. Ein Zeitungsausschnitt, eine Ballerina mit ähnlich schwieriger Zahlenkombination. Vielleicht 25 160. Nur nicht Pfund, sondern Kilo. Und dieses schwergewichtige Mädchen gleitet in den Spagat, als täte sie nie etwas anderes, eleganter dabei, müheloser als all ihre Kritiker. So manches schaut aus ihrem Tutu heraus. Eine angesichts der Fleischmassen eher klein geratene, weiche Brust über einem enormen Bauch. Eine Welle schlagende Bauchfalte. Bauchwelle.

Ich mag ja die Beschreibung und dieses Foto. Aber ich sehe keinen Zusammenhang zu Anna. Ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Will sie nun sein wie sie, oder wie die dünnen Mädels in der Mitte der Reihe im Unterricht? Das ist ein Problem für mich in der Geschichte. Ich weiß nicht, was Anna will. Ich bekomme die nicht auf den Schirm, als Charakter, Person, Protagonistin.

Auch ohne Beweglichkeit kann man eine gute Tänzerin sein.

Was? Wie kommt man darauf? Ein ziemlich blöder Trostversuch.
Eigentlich kommt sie in erster Linie wegen dem Klavier zum Unterricht. Und noch mehr als das Klavier, liebt sie das Französischlernen: Port de bras - Tor der Arme. Pas de chat – Katzenschritt.Und ohne Klavier und Katzenschritt würde sie gleich zu Hause bleiben.

Den Absatz mochte ich auch gern. Hie erfahre ich zu mindestens in Bruchstücken irgendetwas über ihre Motivation. Bei den Geschenken, bleibt diese für mich völlig im Dunkeln.

Eigentlich hatte ihre Mutter sie nur vor allen blamieren wollen, wie sie es gern am Heiligabend tut und manchmal auch an anderen Tagen, Pfingsten zum Beispiel, wo sie ihr einen Badeanzug Größe 46 mit einem eingenähten 34er-Etikettchen schenkte.

Warum will Anna hinter all dem was Gutes vermuten? Ich check das nicht.
Deine Mutter meint es doch nur gut, meint Annas Freundin und das ist nicht als Trost, sondern als Vorwurf gemeint.

Tschuldige bitte, aber die Freundin ist nur daneben. Warum hat sie so eine zur Freundin? Was verbindet die beiden? Noch so eine Frage.

Das macht Anna noch trauriger. Sie weiß nicht, worüber sie großzügiger hinweg sehen sollte, über den nur mühsam getarnten Neid ihrer Freundin

Was denn für einen Neid? Worauf ist die Freundin denn neidisch?

... dass sich hinter dem von ihr so sehr erhofften Lacher in der Kuchenrunde etwas anderes versteckte. Die Lücke. Der weiße Fleck im Wünschespiel. Vielleicht gehörte ihre Mutter zu denen, die anderen, wenn auch ungewollt, etwas geben, was sie eigentlich selbst wollen.

Die Mutter möchte ebenfalls geschmacklose, verletzende Geschenke? Was ist die Motivation ihrer Mutter für solche Geschenke? Ihre Tochter vor den anderen in der Runde lächerlich zu machen? Warum will eine Mutter so etwas? Wie sieht die Beziehung der beiden aus? Ich verstehe weder die Freundin noch die Mutter. Anna hat echt komische Leute da um sich rum.

Und es war weder Lug, noch Betrug, noch Anmaßung dabei, sondern ein Einblick in eine von vielen mütterlichen Lücken, gut versteckt und in einem unvermuteten Sinn doch gut gemeint.

Und welcher ist das? Ich sehe da nichts. Gar nichts.

Also, ich habe mich schwer mit der Geschichte. Für mich wirft sie große Lücken auf, die aus dem Text heraus nicht beantworten kann. Das hat einen unbefriedigenden Beigeschmack. Leider.

Hoffe Du kannst damit was anfangen.
Beste Grüße Fliege

 

Hallo Fliege,

Danke für deine ausführliche, differenzierte Textkritik. :) Da sind viele Punkte dabei, die mir bei der Überarbeitung helfen werden.

Zu deinen Fragen. Natürlich mag die Mutter nicht für sich selbst geschmacklose Geschenke, aber sie hat Anna etwas geschenkt (der Ballettunterricht), was sie - in jüngeren Jahren - eigentlich selbst gern gehabt hätte, aber sich selbst nicht gegönnt hat, aus verschiedensten Gründen. Zu Anna. Warum sie das alles erträgt. Es wäre noch unerträglicher für sie, wenn sie ihre Umgebung einfach so nehmen würde, wie sie ist. So versucht sie, die Gründe herauszufinden, warum Menschen "böse" reagieren. Das soll nicht das Schlechte relativieren, aber zumindest ihm neue Aspekte abgewinnen.

viele Grüße petdays

 

Hallo petdays!

Ich finde den Text sehr gut, ob es eine Geschichte ist, steht auf einem anderen Blatt. Eher wirkt es wie der Beginn eines Romanes oder eines anderen längeren Textes.

Die Frage ist ja vorerst, wer erzählt hier eigentlich? Obwohl in der 3. Persom geschrieben, ist es doch klar, dass Anna von sich selbst erzählt, die 3. Person hat sie vielleicht gewählt, weil sie sich selbst in Distanz sehen möchte, in all der Gnadenlosigkeit, mit der sie sich selbst beobachtet. 80 Kilo ist doch gar nicht so viel, da ist man noch nicht wirklich ein Elefant! ;)

Ich weiß nicht, ich lese hier eher davon, dass diese Anna sich selbst nicht liebt ... und daher alle Geschenke nur irgendwo als Beleidigung, Spott oder Missachtung auffassen kann. Also Anna verachtet sich selbst, hasst ihren Körper, hasst ihn vielleicht, weil sie denkt, die anderen finden ihn hässlich, sie selbst vielleicht gar nicht, denn es gibt noch sozusagen Oasen der Hoffnung: "selten" und "schön" - mit diesen Adjektiven bedenkt sie sich: Sie sieht sich doch irgendwo als etwas Besonderes und sie findet sich schön, wenn auch nutzlos.

Und da ist noch die Oase der Mutterliebe, die sie sich so erhofft, die Lücke in der Ablehnung der Mutter, die alle Vorzeichen ändert: Wenn die Mutter ihrer Tochter etwas schenkt, was sie selbst gerne mal gemacht hätte, dann sieht sie vielleicht in der Tochter sich selbst, als Fortsetzung ihrer selbst, dann liebt sie sie vielleicht doch.

Ich mag die ganzen kleinen, treffenden Beobachtungen, der "optimistische Pferdeschwanz" der Tanzlehrerin zum Beispiel, man hat da doch sofort etwas vor Augen. Originell erzählt, anrührend, wahrhaftig, gefällt mir! :)

Gruß
Andrea

 
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Hi petdays,

Andrea hat Recht. Dein Text liest sich gut und ist 'dicht', es steckt drin, was rein muss; nicht mehr, wahrscheinlich weniger. Es ist ein Fragment, in dem das, was Andrea interpretiert hat, auch für mich zu finden ist (nach ihr zu kommentieren ist, was das angeht, bequem :)). Die Formulierungen sind präzise, das ist eine erzählerisch verbrämte Reflexion, ein Gedankengang, der Anna nach dem Ballett oder im Kielwasser eines Besuchs bei der Mutter gekommen ist; das ist Ausdruck einer sensiblen Wahrnehmung, und in dieser Hinsicht habe ich das Ganze gerne gelesen. Kritisch ist in meinen Augen das Fragmentarische, du kannst es 'Slice of life' nennen, du gewinnst einen Einblick in ein fremdes Leben, einen fremden Kopf und dann: das Ausblenden. Die Kunst besteht meiner Meinung nach darin, diese Reflektionen und Beobachtungen in einen größeren Kontext zu bringen - einen für den Leser relevanten Rahmen.

Tschüss.:)
Sam

 

Hallo ihr beiden,

danke fürs Lesen und eure Kritiken. :)
@Andrea. Beim Ballett sind schon 120 Pfund kritisch ... ;) Insofern spiegelt die Ballettwelt nicht die "normale" Gesellschaft, obwohl es tatsächlich auch übergewichtige Ballettänzer gibt. allerdings sind das große Ausnahmen.
@Sam. "Slice of life", interessanter Ausdruck, hab ich noch nie gehört, werde ich mir merken. Dein Hinweis mit dem für den Leser relevanten Rahmen finde ich hilfreich.

schöne Grüße petdays

 

Hallo petdays

Der Titel wirkte mir etwas abschreckend, dennoch das Ballett lockte mich. Über dem Cheminée hängen denn auch ein paar vorn ausgefranste Spitzenschuhe, aus der Zeit, als meine Frau sich noch diesem elfenhaften Tanz hingab.

Du schaffst mit Gleichnissen, die für mein Empfinden hier jedoch nicht greifen, da ihnen nicht die notwendige Ausdruckskraft zukommt. Auch sollte man in einer Geschichte allenfalls nur eines einsetzen, das dafür den Sachverhalt in sich überraschend bildlich umzusetzen vermag.

Von der Idee her ist der Text nicht ausgefallen und hat seine Entsprechung wohl bei so manchen molligen Mädchen und Frauen, die trotz fehlender Elfenfigur, sich diesem ideellen Freizeitvergnügen widmen. Manch eine die vielleicht sogar von der Profiklasse träumt. In der Umsetzung hat es für mich als Leser aber noch zu wenig Substanz, um es am Ende als befriedigend gelesen zu klassieren.
Den Einstiegssatz mit Indien las ich wie einen Fremdkörper, den Wortwitz „Entwicklungshilfe“ eher plump. Zu Beginn will der Leser etwas Ansprechendes, neugierig Machendes oder Spannendes hören. Beispielsweise ein paar Traumgedanken von Anna, wie sie in der Scala als Primaballerina den sterbenden Schwan tanzt, oder etwas das ihrer selbstabwertenden Fantasie eine Balance gibt.
Die Handlung könnte direkter auf eine der Tanzstunden fixiert sein, ein ineinanderfliessen vom Bemühen die Schritte und Figuren hinzukriegen und den abgleitenden Gedanken, die sich im destruktiv wertenden Spiegel aufzwingen.
Am Schluss vermeint sie, die unbewussten Wünsche ihrer Mutter zu durchschauen. Hier hatte ich den Eindruck, dies sei dir ein ganz wesentlicher Aspekt für die Geschichte. Da sollte es aber nicht wie ein Anhängsel aufscheinen, es sollte mehr Raum haben, die Erkenntnis, sich als Verblüffung erschliessen. Auch dieser Aspekt ist ja nicht fernliegend, dass Eltern ihre Wünsche in die Kinder projizieren. Ob diese für diese Rollen dann auch geschaffen sind, verdrängen sie dabei gern.

Ich denke, du könntest da viel mehr herausholen, wenn du den Kern der Geschichte vor Augen, den roten Faden ausrolltest. So einiges würde da wegfallen, die Handlung straffen, dafür könnte es den Leser aber von einem Ah zu Beginn zu einem Oh am Ende führen, wenn du dich zur Überarbeitung getraust. Also viel Glück.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo petdays,
komisch ist das, die Geschichte scheint sehr zu spalten. Mir geht es nämlich wie AndreaH und Sam, mir gefällt sie gut.
Nicht nur, dass ich den Titel klasse fand, ich selbst bin bei Titeln nicht gerade die Übersprudelnde, der hier war außergewöhnlich, weil es so einen eigenartigen Kontrast darstellt.
Ich lese die Geschichte auch anders als einige meine Vorkommentierer. Für mich ist das Mädchen ein sehr einsamer Mensch. Ein Mensch, der sich mit großer Unbarmherzigkeit selbst beobachtet, aber nicht beobachten will, der sich als ungemein hässlich und gleichzeitig eigenartig empfindet. Und diese Beobachtungen und Selbsturteile in distanzierten zum Teil wunderschönen Bildern beschreibt.

Zum Beispiel sowas hier:

Wenn sie ein Land wäre, würde sie Indien sein. Indien nimmt keine Entwicklungshilfe mehr an. Das las sie zufällig im Internet.
Mir gefällt das gerade gut. Klingt, als habe sie sich abgeschottet, sie verzichtet auf die Bemühungen ihrer Umwelt auf die Entwicklungshilfe der Lehrerin, die ihr doch nur ihre eigene Unvollkommenheit vor Augen führt. Klingt auch so, als ob sie alles, nicht nur die mobbenden Mädchen, sondern auch nettere Menschen als beobachtend und herabsetzend erlebt. Sich autark macht.

Oder das hier:

Der weiße Fleck im Wünschespiel.

Dass Anna mitten in der Drehung, (ein starkes Symbol für einen permanenten Wechsel, auch wenn man sich auf einen Punkt fixieren muss, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten), entdeckt, dass die Muttergeschenke ja auch ein unbeholfener Versuch sein könnten, der Tochter etwas zu geben, was man sich selbst gewünscht hat, das ist von der Symbolik her toll. Noch schöner hätte ich es empfunden, wenn du die Symbolik mit einer tatsächlichen weiteren Erfahrung, die sie mit ihrer Mutter macht, gekoppelt hättest.
Nur der Badeanzug der Mutter, das ist zwar herrlich fies, aber es ist superverletzend. Sowas kann nicht als Unbeholfenheit gesehen werden. Beim besten Willen nicht, das ist eindeutig Fiesität und wenn das eine Frau bei einer anderen macht, dann weiß letztere genau, was die Uhr geschlagen hat. Also da müsste ein anderes Geschenk hin, damit Annas Umdenken eine Logik hat.
Ich mag deine Geschichte, diesen kleinen Ausschnitt, es ist, wie wenn man hinter eine Glasscheib gucken würde.
Viele Grüße Novak

 

hallo anakreon, hallo novak,

eure kritiken helfen mir die geschichte etwas deutlicher zu sehen - aus lesersicht. so, wie man sie auch sehen könnte.

@anakreon. ich wollte nicht die hundertste ballettgeschichte verfassen, in dem ein "häßliches" entlein vom schönen schwan träumt...;) das tut anna ganz sicherlich nicht, dafür ist sie viel zu realistisch, darum geht es auch nicht. sie probiert einfach ein - zunächst - ungeliebtes geschenk (der kurs) für sich unvoreingenommen aus. das hätte ich vielleicht genauer schreiben sollen, damit es nicht zu verwechslungen kommt.

Die Handlung könnte direkter auf eine der Tanzstunden fixiert sein, ein ineinanderfliessen vom Bemühen die Schritte und Figuren hinzukriegen und den abgleitenden Gedanken, die sich im destruktiv wertenden Spiegel aufzwingen.
Am Schluss vermeint sie, die unbewussten Wünsche ihrer Mutter zu durchschauen. Hier hatte ich den Eindruck, dies sei dir ein ganz wesentlicher Aspekt für die Geschichte. Da sollte es aber nicht wie ein Anhängsel aufscheinen, es sollte mehr Raum haben, die Erkenntnis, sich als Verblüffung erschliessen. Auch dieser Aspekt ist ja nicht fernliegend, dass Eltern ihre Wünsche in die Kinder projizieren. Ob diese für diese Rollen dann auch geschaffen sind, verdrängen sie dabei gern.
>>>> das sind für mich gute hinweise, danke.

@ novak
ja, die geschichte scheint tatsächlich in zwei lager zu spalten. ;)

der hier war außergewöhnlich, weil es so einen eigenartigen Kontrast darstellt.
>>> genau so hatte ich ihn beabsichtigt, freut mich, dass das bei dir so angekommen ist. auch mit deinen weiteren ausführungen kann ich viel anfangen und sie inspirieren mich, noch weitere aspekte einzubauen, andere stärker plausibel zu machen. :)

schöne grüße petdays

 

Hey petdays,

ich mochte den Text auch sehr, aber mir hat so etwas wie eine Geschichte gefehlt. Die Charakterisierung aller Figuren ist dir sehr gut gelungen, Anna, der weiße Elefant, diese unsichtbare Freundin mit ihren weniger hilfreichen Ratschlägen, diese Spottmutter, aber auch irgendwie dümmlich daneben, dann die reiche, geschmacklose Tante mit den teuren Geschenken. Ich konnte mir die Leute gut vorstellen, auch wie so Kuchenrunden ablaufen könnten.

Was mir aber fehlt ist so eine Entwicklung. Wie Anna von A nach B gelangt.
Sam hats schon gesagt, ich weiß nicht, ob er das meinte, aber für mich würde sich das ganze auch besser lesen, wenn es in einem Rahmen gebettet wird, so ist das alles ja schön zu lesen, aber eine Hürde, die Anna bewältigen muss oder eben nicht bewältigen kann, wäre doch schön. So denke ich mir: Schön, dass du auch das gelesen hast. Stilistisch hat es sich ja gelohnt, schöne Bilder drin und jetzt?

Für mich sind da auch viele Lücken drin, ich würde nämlich gerne wissen, ob Anna schon immer Ballett tanzen wollte - weil ein Gewicht von 70kg, jetzt echt nichts besonderes ist, es sei denn Anna ist 150.

Ihre echte Größe ist aber nicht 46, oder? Also die Mutter will ihr nur zeigen, so fett siehst du aus, aber bild dir ruhig ein, dass du eine 34 Größe tragen kannst.
Wenn sie aber die Größe 46 hat und die Mutter ihr 34 einnäht, ist das doch auch irgendwie nett, zwar unbeholfen, aber damit könnte sie auch sagen, für mich bist du eine 34. Pädagogisch ist das natürlich bullshit, aber deswegen denke ich, die könnte auch so bisschen unbeholfen, dümmlich sein.

Mir wäre das fast lieber als so eine fiese Mutter ... weil die in Geschichten fast überall lauern. Fiese Mütter, Rabenmütter, die dann Rabentöchter produzieren, wobei die hier ja einen Elefanten ... ehm, ja.

Mir hats gefallen, ich hätte es nur besser gefunden, wenn da so etwas wie ein Plot wäre.

JoBlack

 

hallo jo,

dank dir fürs aufmerksame lesen. :) Mit dem Stichwort "Entwicklung" triffst du ins Schwarze, wenn ich die Geschichte weiter ausbaue, wäre dies einer der relevanten Aspekte.
schöne grüße p.

 

Hallo petdays,

wenn man sich eine Geschichte als lebendigen Körper vorstellt, sind Stil und Sprache wie das Fleisch und der Plot wie das Knochengerüst, das die Struktur vorgibt. Ersteres fand ich bei deiner Geschichte sehr gut! Du verwendest originelle Vergleiche, zeigst Dinge, die subtile Hinweise auf Annas Leben geben, z. B. diesen Zeitungsausschnitt, die französischen Worte, die missglückten Geschenke der Tante. Das ist alles großartig und macht die Geschichte lesenswert!

Die Handlung ist einfachst: Du stellst uns Anna vor, ihre Familie und Freunde und ihre Gefühle für das Ballett (alles meisterlich!) und erst ganz im letzten Absatz passiert etwas: Anna hat diesen Gedanken:

Und mitten im Pirouettenversuch fällt Anna ein, dass ihre Mutter sie mit dem Geschenk vielleicht nur vordergründig ärgern wollte, dass sich hinter dem von ihr so sehr erhofften Lacher in der Kuchenrunde etwas anderes versteckte.
Mir kommt das übrigens auch nicht sehr plausibel vor, wie schon ein paar andere Kommentatoren geschrieben haben. Oder eben nur teilweise, sodass in dem Geschenk vielleicht zwei Teile Spott stecken und ein Teil Wohlwollen.

Wenn du etwas verwickeltere Handlungen beschreiben willst, z. B. einen Mordfall oder eine Intrige, den Weg zu einem Erfolg oder Misserfolg (usw.) - wird dir das sicher auch gelingen. In diesem Text ist halt nichts davon zu sehen.

Noch eine grammatikalische Anmerkung: Der erste Satz lautet bei dir:

Wenn sie ein Land wäre, würde sie Indien sein.
Ich bin ziemlich sicher, dass es sich um eine unwirkliche Bedingung handelt, die zweimal den Konjunktiv II verlangt. Also:
Wenn sie ein Land wäre, dann wäre sie Indien.
siehe hier: http://www.udoklinger.de/Deutsch/Grammatik/Konjunktiv.htm

Freundliche Grüße,

Berg

 

hallo Berg,

danke fürs Lesen und deine treffenden Anmerkungen. :) In der Tat ist die Geschichte eher ein Standbild, mehr Fleisch als Knochen. In gewisser Hinsicht ist sie ein Experiment, weil ich normalerweise etwas plotorientierter schreibe. Hier sollte der Fokus mehr auf der Sprache, dem Stilistischen liegen. Aber natürlich ist miteinander verzahnt.

Deinen Hinweis zur Grammatik finde ich interessant. Danke für den link. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob es sich um eine unwirkl. Bedingung oder einen unwirkl. Wunsch handelt....Auch wollte ich die WdH von "wäre" vermeiden. Tja nicht immer einfach.

schöne Grüße Petdays

 

Anna ist wie der weiße Elefant, selten, weich, blass, schön und nutzlos
wird in Indien allemal widerlegt, schon wenn die Geschichte der Welt erzählt wird, wonach auf einer uralten Schildkröte der Elefant stehe, der die ganze Welt trage, was m. E.,

liebe petdays,

das Geheimnis Deiner Geschichte enthalten könnte, die für mich den Kern einer wundersame Variante der Schöpfungsgeschichte enthält, ohne dass ich jetzt wüsste, wie man die Geschichte – wohl gemerkt, Deine Geschichte/Dein Experiment und weniger meine Interpretation, die hier erst mal dahingeworfen ist - ausformulieren könnte.

Eine mögliche Lösung seh ich in Deiner Antwort an Fliege, wenn gefragt wird, wer denn der Erzähler sei und auf die Verschlüsselung hinweist, dass zwar die dritte Person Einzahl von Dir gewählt wurde, aber tatsächlich Anna erzähle.

Du antwortest

Natürlich mag die Mutter nicht für sich selbst geschmacklose Geschenke, aber sie hat Anna etwas geschenkt (de[n] Ballettunterricht), was sie - in jüngeren Jahren - eigentlich selbst gern gehabt hätte, aber sich selbst nicht gegönnt hat, aus verschiedensten Gründen –

Und da fällt mir zugleich die andere, westliche Schöpfungsgeschichte ein, nur auch verschlüsselt, dass sich hier die Erzeuger – oder ganz speziell die Mutter - zum Gott des Kindes aufschwingen, indem sie es nach ihrem Bilde formen in der Ideologie, es solle es einmal besser haben als man selber. Die politische Folge kennen wir: auf Generationen liebt uns und unsere Nachkommen der atomare Schrott im Namen des Fortschritts, der mit der Natur sein feines Tänzchen wagt.

Eltern sollte man verbieten und dafür mehr Freundschaft und Freundlichkeit pflegen!

Und die Pädagogik setzt sich fort im nutzlosen Unterricht

Nutzlos der Unterricht, weil er sie nicht wirklich weiterführen wird,
klingt ein wenig wie Selbstzweifel am eigenen Tun … Mit Recht in dieser Deutung!, wenn ich einen biografischen Hintergrund unterstelle - der ja in anderen Geschichten vorzufinden ist.

Zu Formulierungen

Berg hat zu recht auf den Konjunktiv hingewiesen (warten andere nicht schon darauf, dass ich darauf eingehe?). Nebenbei: Wie wäre, statt der umgangssprachlichen würde-Konstruktion, die Hochsprache im Konjunktiv zu verwenden – und das gleich im Einstieg:

Wenn sie ein Land wäre, würde sie Indien sein.
klänge doch eleganter im
Wenn sie ein Land wäre, [wäre] sie Indien […]
& gehoben als ein erster konsequenter Schritt zur Lösung
Wenn sie ein Land wäre, [hieße] sie Indien […]
Wenn schon ohne aber, so funktionierts auch ohne wenn:
[Wäre] sie ein Land […], [hieße] sie Indien […]
Und fahren direkt fort mit
Indien nimmt keine Entwicklungshilfe mehr an,
indem wir die indirekte Rede, Konjunktiv I verwenden, da es sich um eine bloße Nachricht und nicht die eigene Anschauung handelt
Indien n[ehme] keine Entwicklungshilfe mehr an.
So folgt als Anfang, indem wir’s Internet und die Informationsstelle wegfallen lassen:

„Wäre Anna ein Land, es hieße Indien und nähme keine Entwicklungshilfe mehr an.“

Was wäre mit einer Geschichte -
vollständig im Konjunktiv?

Kafka hat’s mit der kleinen Skizze Wunsch, Indianer zu sein gemacht, Paul Tillich – ein evangelischer Theologe sinnigerweise im Umfeld der (sozialistischen) Frankfurter Schule – hat seine ganze Theologie auf der Dialektik von Potenzialität und Aktualität aufgebaut, dem im Sprachlichen Konjunktiv und Indikativ entsprechen.

Die Kleinkrämerseele muss dafür heute’n bissken hungern:

Ohne Worte

Am Barre.
…, ist für Anna schlimmer als Üben –
Warum das Verb als Substantiv?

Eigentlich kommt sie in erster Linie wegen dem Klavier zum Unterricht.
Du weiß "der Dativ ist dem Genitiv sein Tod" - wie hier ...

So, das soll's dann vor dem England/Frankreich-Spiel sein vom

Friedel

 

vielen dank lieber friedel, dass du dir trotz fussball noch zeit für das geschichtchen genommen hast! :)

schöne grüße petdays

 

Freut mich auch,

liebe petdays,

denn zum fleiß'gen Lieschen passt das Bild vom Elephanten!

Bevor dem gemeinen Mitteleuropäer (und natürlich auch seinen Nachbarn) das im Titel genannte Tier bekannt wurde, kannte man schon seine Stoßzähne im Elfenbein, das im Althochdeutschen bereits Ende des achten Jahrhunderts als helfant bezeichnet wurde. Die Bezeichnung wurde aufs Tier übertragen und die Volksetymologie knüpft es an das Verb helfen an, da der Elefant als hilfreiches Arbeitstier galt. Was aber trotz aller Arbeitswut nicht vergessen werden darf, ist der Hinweis zu

Am Barre.

Die Barre, folglich an der Barre
aber
der Barren, folglich an dem (= am) Barren.

Gruß und schönes Wochenende wünscht der

Friedel

 

lieber friedel,

"helfant", welch schönes wort :)

barre. es heißt tatsächlich barre und meint die ballettstange. :) der barren ist für die kunstturner und doppelläufig.

schöne grüße petdays

 

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