Wegweiser
Noch heute erinnere ich mich genau an jenen Tag, der mein Leben und meinen Blick auf mich selbst auf Ewig wandelte. Es war genau in der Mitte des Monats Mai. Die Sonne stand hoch und hell am Zenit und wärmte die Atmosphäre unter sich zu wieder angenehmen Temperaturen. Ich weiß nicht genau wie viele Jahre das Ereignis nun vergangen ist, doch ich war noch recht jung und befand mich an der Schwelle zu einem erwachsenen Mann, dem jegliche Wege noch offen standen. Wie fast jeden Tag fand ich mich auf einer dem Hause nahe gelegenen Wiese ein und setzte mich auf einen Findling. Ich saß dort und sann darüber nach, welchen Lebensweg ich wohl als nächstes erforschen solle, welche Abzweigungen sich dabei für mich auftun würden und ob ich, nach dem Einschlagen des Weges, jemals wieder davon zurück weichen könnte. Es bedeutete viel für mich eine Entscheidung zu treffen, denn ich war jung und unerschlossen und viel zu sehr damit beschäftigt die Szenarien in meinem Kopf auszumalen, als sie tatsächlich umzusetzen. So saß ich dort und beobachtete die Welt um mich herum. Ich sah Grashalme, die sich leicht im Wind bogen, Wolken die in den kuriosesten Formen über meinen Kopf hinweg schwebten und hörte dem Laub der Bäume beim rauschen zu, als der Wind durch sie fuhr. Warme Sonnenstrahlen streichelten meine Wangen und mit einem wohlig warmen Gefühl auf der Haut, schloss ich die Augen und legte mich nieder in das Gras neben dem Findling. Ich habe keine Ahnung wie lange ich dort lag und schlief. An diesem Tag schlief ich so fest wie bereits seit langem nicht mehr. Als ich erwachte, wurden die Sonnenstrahlen bereits etwas schwächer. Ich richtete mich auf und schaute in die Gegend. Ganz entfernt am Horizont erschien auf einmal ein Gesicht. Langsam, schwerfälligen Schritt für Schritt, schob es sich vor die Sonne und verdunkelte die Wiese. Es war ein guten Stück von mir entfernt, doch es schien widernatürlich groß. Ich schirmte meine Augen vor dem wenigen Licht, dass mich noch zu blenden versuchte, um die Gestalt besser sehen zu können. Als sie näher und näher an mich herantrat, wurde sie immer größer und gewaltiger. Es war die Gestalt eines älteren Mannes. Nun da er näher war, konnte ich seine Größe auf gute fünf Meter schätzen. Ein Riese. Man müsste meinen, dass Panik angebracht wäre, doch ich blieb erstaunlich ruhig. Von dem Riesen ging eine gewaltige Präsenz aus, doch sie war weder beängstigend noch fremd. Ganz im Gegenteil, er kam mir seltsam bekannt vor und seine Anwesenheit stimmte mich friedlich. Er blickte zu mir hinab und kniff dabei die Augen zusammen, als fiele es ihm schwer, etwas erkennen zu können. Fast als wäre ich noch einige Distanzen von ihm entfernt, wobei ich direkt vor ihm im Gras kniete. Er beugte sich über mich, lief um mich herum und betrachtete mich von allen Seiten. Ich lies ihn gewähren und es verging einige Zeit der Musterung bis er sich neben mich setzte. Er atmete schwerfällig und ich beobachtete ihn wie er müde in die untergehende Sonne blinzelte. Es schien, als wolle er nachdenken und ich entschied, aus Rücksicht und Respekt heraus, ihn mit seinen Gedanken alleine der Natur zu überlassen. Er bemerkte nicht wie ich ruhig aufstand und ging. Mein Kopf war leer, denn ich wusste nicht wie ich über das Ereignis denken sollte.
Am nächsten Tag kehrte ich zur Wiese zurück. Ich erwartete nicht den Riesen wieder zu sehen, da ich dies bereits als Tagträumerei abgetan hatte. Doch ich wurde überrascht, als ich ihn bereits von weitem liegend im Gras ausmachen konnte. Er schien einem äußerst tiefen Schlaf verfallen zu sein und ich setzte mich zunächst wie am Tage zuvor auf den Findling neben ihn. Allmählich wurde bei der Betrachtung des großen Körpers meine Neugierde geweckt. Er in seinem Schlaf atmete kaum merklich oder atmete er überhaupt? Ich beugte mich über ihn, um dies zu überprüfen, jedoch etwas zu leichtsinnig, womit ich auf seine Brust fiel. Er war fest wie ein Fels. Ich drehte mich schnell auf alle Vier und blickte zu seinem Gesicht, in der inständigen Hoffnung ihn nicht geweckt und verärgert zu haben. Doch da öffnete er erschrocken seine Augen. Seine bernsteinfarbenen weit aufgerissenen Augen starrten mich direkt an und ich sah in sie hinein. Ein seltsamer Sog erfasste mich, während ich mich fühlt, als wenn ich in ein anderen Universum blickte. Als wäre ich ein Boot im Sturm, das durch einen Strudel in den Abgrund erfasst wurde, zog es mich in die Welt des Riesen hinein. Die Wiese um mich herum verwand ich stand im Dunkeln. Meine Augen wollten sich nicht öffnen und was mir blieb war ein Gefühl. Ein Gefühl aus meinem tiefsten Innersten heraus, das mir den Weg vor mir wies. Ich spürte die Abzweigungen, die ich ganz von selbst nahm. Ich entdeckte eine Intuition die mir inne wohnte und die mich ganz leicht durch meine Pfade trug. Mit jeder Gabelung, an der ich mich entschied, jeden Schritt, den ich vorwärts tat spürte ich wie ich an dem Fortschritt wuchs. Alles erschien mir so leicht. Immer schneller bahnte ich mir meinen Weg nach vorn und wuchs. Ich wurde größer, weiser und mächtiger. Letztendlich spürte ich vor mir ein großes Feld und in dessen Mitte ein gelblich schimmerndes, angenehmes Licht. Ich bin nie geradeaus gelaufen, kam es mir in den Sinn. Ich bin durch einen Irrgarten gewandert, dessen Mitte ich nun gefunden hatte. Mit Neugierde trat ich an das Licht heran. Es strahlte wärme aus und je näher ich heran trat, desto mehr erkannte ich, von einer Welt die sich hinter dem Licht auftat. Die Strahlen des Lichts erfüllten mich mit einer angenehmen Wärme und je näher ich an diese neue Welt im Licht herantrat, desto mehr erkannte und hörte ich. Ich sah erkannte Grashalme, die sich leicht im Wind bogen, Wolken die in den kuriosesten Formen am Himmel hinweg schwebten und in der Ferne hörte ich das Laub in den Bäumen rauschen. Ich trat durch das Licht hindurch und stand auf einer Wiese. Es war das andere Ende eben jener Wiese, auf der ich so viel Zeit verbracht hatte. Die Gegend war noch leicht verschwommen und ich fühlte mich schläfrig. Schweren Schrittes ging ich voran bis ich in der Ferne zwei Punkte erblickte. Den einen konnte ich als den Findling ausmachen, den anderen konnte ich kaum erkennen. Wie durch ein Kaleidoskop erschien mir ein sehr winziger junger Mann, der mir im Gras sitzend entgegen blickte. Ich trat an ihn heran und musterte ihn genau, doch wirklich erkennen konnte ich nicht. Er kam mir nur seltsam bekannt vor. Allmählich wurde es immer anstrengender für mich zu sehen. Ich fühlte mich überwältigt von all den Eindrücken und ein wenig schwach. So legte ich mich neben den Winzling ins Gras und schloss die Augen. Ich spürte wie ich einem tiefen Schlaf verfiel. So tief wie ich ihm schon lange nicht mehr verfallen war.
Ich könnte nicht genau benennen wie lange ich geschlafen habe, doch die Strahlen der Sonne wurden allmählich schwächer. Ein seltsam bewusstes Gefühl überkam mich und ich wusste genau welche Wege ich gehen musste.