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Da lag er nun, das Gesicht zur Decke. Eine Weile schon. Seit seine Frau vor einer Stunde das Zimmer verlassen hatte. Seine Ex- Frau. Geflüchtet war sie. Vor ihm und dem Elend.
Tränen schossen ihm in die Augen. Die Finger verkrampften sich. Zwei Klauen, die sich in das Laken krallten. „Ich kann das einfach nicht mehr. Ich bin nicht so stark“, hatte sie gesagt. „Aber ich. Ich soll stark sein?“ Er biss sich auf die Unterlippe, um nicht laut aufzuschluchzen. „Mach es mir doch nicht so schwer. Mir tut das mindestens genauso weh.“ Nicht einmal weinen war erlaubt. Was erwartete sie eigentlich von ihm? „Kommt hereingeschneit und beendet mir nichts dir nichts eine zehn Jahres Beziehung.“ Feuchte Strähnen klebten an seiner Wange.
„Mach es mir doch nicht so schwer“, echote es in seinem Kopf. „Wer macht hier bitteschön wem irgendwas schwer?“ Sie und die Kinder waren das Einzige gewesen, was ihm geblieben war. Und jetzt?
„Hast Du jemanden anderen?“ Verlegen hatte sie sich von ihm abgewendet und mit ihrem Fuß endlose Linien auf den Boden gemalt. Schweigen. Eine kleine Ewigkeit. Fast unmerklich hatte sie genickt. In diesem Moment waren alle schönen Erlebnisse vor seinem inneren Auge abgelaufen. Ein Kinofilm. Ohne Happy End und Popcorn:
6. Oktober 1988. Das Kennenlernen. Er und sein Kumpel gingen in ihre Stammkneipe. Viel Lust hatte er nicht. Lieber wäre an diesen Abend früh ins Bett gegangen. Gottseidank hatte sein Freund ihn überredet. Nie wäre er seiner Frau begegnet. Seiner Ex- Frau. Aus dem billigen Lautsprecher an der Theke schepperte Joe Cocker. „Heart dingsdabums...“ hatte er ins Mikrophon gehustet. Vor Stefan stand wie immer ein „kleines Blondes“. Der Tisch wackelte bei jeder Berührung. Bier schwappte über. In der Ecke gammelte ein Halbstarker mit dem ersten Flaum auf der Oberlippe. Und dann kam sie. Einen olivgrünen Strickpullover um die Schultern geschwungen.
Ein halbes Jahr später. Zusammen kochten sie Spaghetti. Alles wollten sie selbst machen. Die Nudelmaschine hatten sie sich von seiner Nachbarin geliehen. Nach zwei Stunden Kampf gegen den widerspenstigen Teig, warfen sie ihn in die Tonne. Waren am Ende dann doch nur Fertignudeln, die sie aßen.
Der erste Urlaub. Sommer ‘89, nach Rimini. Gemeinsam lästerten sie über albernen Sonnenhüte und Bierbäuche. Über Touristen, die abends ihre Socken ausziehen und trotzdem anbehalten.
Oder als sie zusammen...
Schwere Tränen tropften auf das Kissen. Der weiße Bezug färbte sich grau. Grau, die Vorstufe von schwarz. Schrecken und Trauer.
„Nimm‘s nicht so tragisch“, hatte sie gemeint. In einem Ton, als hätte er sich gerade Orangensaft über die Hose gegossen. „Nimm‘s nicht so tragisch. Das geht beim Waschen ganz leicht wieder ‘raus.“ Er hatte nichts erwidert. „Zwischen uns war es doch sowieso aus. Da war doch seit Monaten nichts mehr.“ Pause. „Jedenfalls von meiner Seite nicht“, hatte sie leise hinzugefügt. Wenigstens war sie ehrlich gewesen. Bis zur Erbarmungslosigkeit.
„Mir wurde das schlagartig bewußt, als ich Christoph kennenlernte.“ „Aha. Christoph.“, hatte Stefan gedacht. „so hieß er also.“ „Schau doch, das mußt du doch verstehen. Nichts hält ewig. Auch die Liebe nicht. Man kann sich sowas nicht aussuchen.“ Ja, das hatte er schon gewußt. Nichts, gar nichts konnte man sich aussuchen. Das hatte er inzwischen gelernt.
Hätte Stefan geahnt, was als nächstes kommen sollte, hätte er sich seine Tränen aufgespart. Schmallippig begann sie: „Christoph wohnt in Berlin.“ Berlin, das ist da, wo die Krapfen her kommen, nein? „Nächsten Monat werden die Kinder und ich zu ihm ziehen.“ Das war bereits abgemachte Sache. Kein Betteln, kein Handeln. Sie wischte sich ein Strähne aus der Stirn. Nicht verlegen, sondern angriffsbereit. Die Arme vor der Brust. Falls Gegenwind pfeifen sollte. Stefan hatte sie nicht wiedererkannt.
„Kinder, Berlin, Kinder, Berlin.“ Dazwischen oszillierte sein Verstand. Seine Unterlippe bebte. „Das mag hart für Dich klingen.“ Ach nein, woher denn? Red‘ nur weiter, ich amüsiere mich köstlich! „Aber ich muß anfangen an meine Zukunft zu denken. Ich kann nicht ewig Krankenpflegerin spielen.“ In diesem Augenblick schien sie über ihre eigenen Worte erschrocken. Fühlte sie wirklich so? Ja. Ein selbstbekräftigendes Nicken. Sie mußte anfangen zu leben. Nicht morgen.Heute. Jetzt, sofort, auf der Stelle.
Draußen dämmerte es. Ein silbriger Schleier deckte die Landschaft zu. Gern hätte sich Stefan zusammengerollt. Klein gemacht, wie ein Embryo. Es ging nicht.
An seinem Schlafanzug hatten sich dunkle Ränder gebildet. Bald würden sie getrocknet sein. Nur weiße Salzmuster würden an seinen Sturz erinnern. Er würde es vergessen haben. Verborgen im Schatten des allmächtigen Lichts, des Optimismus. Ein künstliches Licht. Geworfen aus einem überdimensionalen Scheinwerfer, der auf den Säulen des Selbstbetruges ruhte. Standhaft, stark und gewaltig. Zu gewaltig um aufzustehen und dahinterzublicken. Vor allem für jemanden, der ans Bett gefesselt ist.