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Serie Weg, dort, nach Hause und wieder zurück

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23.08.2013
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Weg, dort, nach Hause und wieder zurück

I. Weg​

Schon seit dreißig Stunden tuckert unser Zug in Richtung Westen. Wie eine Blindschleiche windet er sich Kilometer für Kilometer zwischen den durstigen Feldern. In den Städten hinter uns brodelt nach dem Knall das Chaos. Auf dem Land ist es ruhig. Hier sagen die Leute noch immer: "Russland ist groß und der Zar ist weit."
Entlang der Strecke starren mich verkrüppelte Häuser mit stummen Fenstern an. Hinter ihnen könnte alles stecken. Aber da ist nichts. Hier existiert nur die Zeit. Sie spielt Harmonika und singt Lieder über staubige Wege, wie sich das Eis der Winter auf ihre Haut legt.
Die Sonne knallt heute ohne Erbarmen auf die Erde. Der Zug verlässt die Felder, überquert Flüsse, taucht ein in den Schummer der Wälder und taucht auf inmitten wilder Wiesen.
Mein Onkel sagt, wenn wir uns bewegen, haben wir eine Zukunft. Er ist Physiker, das wird schon stimmen.

Im Zugrestaurant riecht die Luft nach Bratkartoffeln und Sehnsucht. In der Karte steht was von Hering, aber in der Küche ist der Hering alle. Der Kellner grinst; ja, wo ist denn bloß der ganze Hering?
Dafür serviert er Tee, der zwar schwarz aussieht, aber bloß nach Wasser schmeckt. Die kupfernen Glashalter gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. „Ich habe vier Stück aufgeschrieben“, raunt der Kellner durch seinen Schnurrbart.
Der Waggon ist voll. Die ledernen Sitze sind durch tausende Hosen und Röcke bis in ihre Eingeweide hinein abgerieben. Es sieht unanständig aus, aber niemand schämt sich. Es ist nicht unanständig, wenn niemand sich schämt.
Mein Vater sitzt mir gegenüber und streichelt seinen Bart. Er hat ihn lang und buschig gezüchtet, wie einen Bonsai. Jahrelange Mühen stecken in diesen krausen Haaren.
Meine Mutter sagt: „Mit diesem Spaten im Gesicht siehst du aus wie ein Hausmeister.“ Und lacht.
Ich finde, sie hat Recht. Vor allem wenn sich in dem Bart Krümel verfangen, erinnert er mich an Onkel Sidor, wie er den Hof vom Herbstlaub frei kehrt.
Mein Vater sieht das anders. Er meint, er würde Rasputin ähneln oder einem Burgherrn. Das findet meine Mutter lustig. In Russland gäbe es keine Burgherren und jüdische Burgherren schon gar nicht. Mehr sagt sie nicht, sie ist eine kluge Frau.
Mein Vater schweigt. Insgeheim hofft er, sich in Deutschland eine Burg zu bauen. Einmal Burgherr sein. Dass sich der Bart ziemt.

Mein Vater raucht. Mein Vater klopft mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte. Dreht an dem Ehering. Denkt an die Burg. Zurück lässt er zwei Zimmer. Spielt mit der Tischdecke. Ihre Muster sind mit Löchern unaufmerksamer Asche übersät. Achter Stock unterm Dach. Der Balkon weiß von Taubenscheiße. Roter Lada in Sichtweite vor der Tür mit einer kaputten Alarmanlage. Der Lada von Onkel Sidor ist weiß. Onkel Sidor hat keine Alarmanlage.
Die Fenster im Waggon sind weit geöffnet und wir hören Geröll, wie es tosend an uns vorbeirauscht.
Neben mir sitzt eine feine Babuschka. Nach ihrem Gesicht könnte man Kameen gravieren. Es sieht aus wie ein Kunstwerk aus Schatten und Spitzen. Graue Haare mit einem Schuss Schwarz wellen sich auf ihren Schultern.
Sie stellt sich vor. Sie heißt Maria Evgenievna. Pensionärin aus Moskau. Zurück lässt sie drei Zimmer und Geranien auf dem Balkon. Die Nachbarin habe versprochen, sie zu gießen, aber wahrscheinlich habe sie gelogen. Mein Vater meint, schade. Maria Evgenievna meint, ja, aber sie könne das verstehen. Wenigstens sei die Katze in guten Händen.
Mit ihr ist ein Junge. Kostja. Er ist jünger als ich und schmaler. Sommersprossen drängen aus seiner blassen Haut gegen das Licht. Kostja schweigt und schaut nach draußen. Schaut mich nicht an, beobachtet das Geröll, sieht in die stummen Fenster hinein, hört zu, wie die Zeit Harmonika spielt.
Maria Evgenievna fängt an, Gedichte zu lesen. Sie murmelt die Strophen vor sich hin und streichelt dabei den weißen Arm von Kostja. Ich lausche dem Klang, die Worte sind in meinem Kopf vernebelt.
Es sind Gedichte aus der Zeit vor der Revolution. Gedichte aus vergangenen Jahrhunderten. Keiner liest mehr solche Gedichte. Gedichte, die nur noch Geist sind. Ein Geist, so groß, dass er nicht in den Bauch passt, einer der sich von Heimweh nährt, dem Heimweh nach Zeiten, die man selbst nicht erlebt hat.
Von unendlichen Weiten erzählen die Gedichte, von Holzhütten, von Ruhe und von Moos, von Tau und von Wehmut. In ihren Zeilen blüht der Mai, zwischen den Buchstaben knistert der Januar. Ich höre Pferde wiehern und rieche den Duft von Tannen. Als wäre das für immer. Als wäre es da für die Ewigkeit. Als wäre die Zukunft eine Lüge.
Meine Oma kennt diese Gedichte auch. Als ich klein gewesen bin, nahm sie mich mit in den Park. Ich trat nach dem Laub, wirbelte seine bunten Berge auf, packte sein Gelb, sein Grün und sein Rot und zerstreute diese Haufen über ihrem Kopf. Sie tat das Gleiche.
Und dann sagte meine Oma Gedichte auf. Sie las von den Bergen des Kaukasus und von alten Tauben. Eigentlich handelten sie alle von Leid und Liebe.
Diese Zeit ist Vergangenheit. Ich kenne diese Gedichte nicht mehr. Kostja kennt diese Gedichte nicht mehr. Sie klingen noch und rühren uns, aber wir merken die Worte nicht mehr. Die Gegenwart legt sich wie nasses Laub Schicht für Schicht über sie, Laub das niemand mehr aufwirbelt.
Ich sehe durstige Felder. Ich sehe verkrüppelte Häuser. Ich sehe stumme Fenster.

Nachdem Maria Evgenievna schweigt, bestellt mein Vater mehr Tee. Er will was aus unserem Leben erzählen. Wieso wir im Zug sitzen, was wir zurückgelassen haben. Als bedürfe es einer Rechtfertigung, dass wir uns bewegen.
Er streichelt seinen Bart, er klopft mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte, er dreht an seinem Ehering, er legt seine Hände um die kupfernen Glashalter.
Wo fängt er an?
Wenn Sie schon so fragen, Maria Evgenievna ...

Eine Emigrantengeschichte ist eine Emigrantengeschichte ist eine Emigrantengeschichte. Es sind immer die gleichen Bausteine. Unsere setzt mein Vater gerade für Maria Evgenievna zusammen.
Ich habe das alles schon gehört. Ich weiß wie es angefangen hat. Ich sehe meinen klugen Onkel in unserem Wohnzimmer, Arme und Beine zu einer Kordel gewunden, im Sessel zusammengekauert, den Kopf zwischen den Schultern versenkt.
Ein Schneesturm tobt vor dem Fenster, das Radio rauscht auf der Kommode. Es prophezeit den Untergang. Mein Onkel stimmt mit ein. Er sagt, wir müssen in die Zukunft. Uns bewegen. Die Chimäre der Gegenwart sei gerade dabei zu zerfallen. Er habe seinen Lohn schon seit Monaten nicht gesehen. Er habe die Vase unserer Urgroßmutter an einen Georgier verkauft, der jetzt in seinem Restaurant rote Rosen in sie stecke. Millionen und Abermillionen roter Rosen stecke er in das Gedenken an fremde Kindheit.
Mein Onkel steckt immer noch in der Vergangenheit. Er hat uns versprochen nachzukommen.
Ich lehne meinen Kopf gegen die Fensterscheibe. Mein Gesicht brennt und ich erhoffe mir von dem Glas Linderung, aber es ist nicht kühl. Draußen wird das Gelb der Sonne milder. Das versöhnliche Rot des Abends fließt jetzt durch ihre Adern.

Ich schließe die Augen und sehe Panzer über die Straßen rollen. Sie belagern das Parlament und den Fernsehturm. Sie wollen zurück in die Ewigkeit.
Meine kleine Schwester spielt auf dem Teppich im Wohnzimmer. Sie baut meine alten Zinnsoldaten vor sich auf und fragt, warum wir alle so besorgt schauen.
Die Stadt ist in Aufruhr. Ich will auf die Straße, ich will dabei sein, ich will die Geschichte anpacken, aber meine Mutter legt sich vor die Tür. "Nur über meine Leiche", sagt sie ruhig. Es ist kein Scherz.
Männer sterben in dieser Nacht. Sie werden Helden. Es geht weiter.
Ich höre Schüsse auf der Straße, in der Zeitung steht: "Eine Auseinandersetzung krimineller Gruppierungen endet mit drei Toten." Es waren die Leute aus Solnzewo. Sie bewegen sich in ihre eigene Zukunft.
Ich sehe Taschen voll mit Scheinen, die mein Vater nach Hause bringt. Grüne Scheine mit weißhaarigen Präsidenten, die alle schon tot sind, sind die einzig wertvollen. Valuta, frei konvertierbar. Geld für die Zukunft. Geld, das sich bewegt. Mein Vater lacht, es wachse diese Tage auf den Bäumen.
Das Staatseigentum steckt nun in kleinen Papierchen. Es ist nominal zerstückelt und unter die Leute verteilt. Jeder ist jetzt Eigentümer. Ich bin jetzt Eigentümer. Für eine kurze Zeit gehört jedem eine Nichtigkeit vom Ganzen.
Ich höre Männer gegen unsere Tür hämmern. Sie haben Glatzen und Sportanzüge. In ihren Gesichtern sind sie Vieh. Ich sehe meinen Vater zwischen ihnen stehen. Seine kleinen Gaunereien sind nicht aufgegangen. Er entschuldigt sich. Er gibt ihnen die toten Präsidenten. Sein Rücken ist gekrümmt, seine Augen flüchten. Die Männer zupfen an seinem Bart und gehen. Kein Burgherr.

Ich höre ihn sagen: "Ich bin kein mutiger Mann." Ich sehe Maria Evgenievna nicken.
"Ich habe es halt auch versucht", er schaut aus dem Fenster.
"Krieg", sagt meine Mutter. "Armee", sagt meine Mutter. "Wir können unseren Jungen nicht in diese Berge lassen, damit sie ihn dort abschlachten, wie einen Hammel." Wie einen Hammel, sagt sie. Zusammen mit anderen Hammeln, sagt sie.

Mein Vater schaut mich an. Die feine Babuschka schaut mich an. Ihr Kameenprofil weiß, was mein Vater meint. Sie haben auch einen Jungen. Sie haben auch was gewagt.
Wir Jungs sind still. Wir bewegen uns in die Zukunft.

Maria Evgenievna erzählt. Ihre Geschichte ist Vorvergangenheit. Sie handelt von Krieg, von Kommunalwohnungen,von Defizit und von Vertrauen. Ich höre nicht mehr zu, sondern lasse mich wieder von dem Klang treiben. Auch ihre Geschichte ist in mir drin, aber ich kann sie nicht packen.
Kostja spielt mit den Fransen der Tischdecke. Ich frage ihn, ob er mit mir durch den Zug laufen will, aber er schüttelt mit dem Kopf. Seine Sommersprossen wackeln dabei.
Er sei schüchtern, sagt Maria Evgenievna und tätschelt ihren Enkel an der Schulter.
Dann will er doch mitkommen. Wir gehen. Der Zug wackelt, wir halten uns manchmal an den Wänden fest. Einmal packt Kostja mich fest am Arm. Ich lächele ihm zu.
Wir gehen vorbei an den Abteilen. Familien sitzen auf ihren Taschen wie brütende Hennen. Sie schauen aus dem Fenster, sie lesen, sie spielen Karten. Wir sehen Männer mit haarigen Schultern in weißen Unterhemden, wir sehen Frauen in geblümten Kleidern und mit lackierten Zehennägeln.
Wir sind am Ende des Zuges angekommen und beobachten lange die Schienen, wie sie sich entfernen, enger und enger aneinander rücken, bis sie irgendwann zu einem Strich zusammenschmelzen.
Ich frage Kostja, ob er sich freut. Er weiß es nicht. Ich frage ihn, ob er etwas vermissen wird. Kostja denkt nach.
Er sagt, er wird seine Schule nicht vermissen. Er erzählt mir von seinem Klassenbuch, davon, dass er es einmal versteckt hat, davon, dass hinten eine Seite ist, auf der die Nationalitäten der Schüler eingetragen sind, davon, dass neben seinem Namen, "Jude" steht, davon, dass er nicht wollte, dass es die anderen wissen, davon, dass sie es trotzdem erfahren haben und davon, dass die Lehrerin meinte, es wäre doch nicht schlimm.
Ich nicke. Ich kenne auch so ein Klassenbuch. Es ist nicht nur das Klassenbuch, würde mein Vater jetzt sagen.
Kostja fragt, ob ich etwas vermissen werde. Ja, ich werde etwas vermissen. Ich werde Lena vermissen. Mir werden ihre glühenden Wangen fehlen und der süße Geruch von ihrem Hals, wenn sie ihn wie eine Trauerweide auf meine Schulter legt. Aber wir werden einander schreiben und sie kommt mich besuchen, sobald wir eine Wohnung haben. Sobald mein Vater eine Burg gebaut hat. Wir haben es einander versprochen.
Wir beobachten weiter die Schienen. Dann gehen wir wieder zurück.
Der Zug hält in einer kleinen Stadt mit dem Namen Pinsk. Wir sind jetzt in Weißrussland. Maria Evgenievna erzählt, früher hätten in der Stadt fast nur Juden gelebt. Nach dem Krieg hätte die Stadt praktisch keine Bewohner mehr gehabt. Wir sagen nichts.
Es ist der vorletzte Stopp vor der Grenze. Der letzte Stopp ist Brest, eine Heldenstadt des großen vaterländischen Krieges. Maria Evgenievna meint, dass eine Stadt kein Held sein kann. Und sie fragt sich, wie es sein kann, dass die Helden von damals heute in den Mülltonnen nach Essen suchen.
Der Schaffner gibt uns zwanzig Minuten.
Maria Evgenievna verabschiedet sich. Sie notiert unsere Adresse und verspricht zu schreiben. Mein Vater verspricht, sich über ihre Briefe zu freuen. Ich verspreche nichts und sage Kostja tschüss.
Auf dem Bahnsteig werden die Reisenden von einer Traube Babuschkas empfangen. Keine Kameenbabuschkas. Diese sehen aus wie buntscheckige Kannenwärmer. Sie verkaufen Coca-Cola und Pirogi. Kleine und große, gefüllt mit Fleisch, Kartoffeln oder mit extra Teig. Mit wimmernden Stimmen buhlen sie um Kundschaft. Ich kaufe mir einen mit Fleisch und sage dem Kannenwärmer, sie könne das Wechselgeld behalten. Es sei nicht frei konvertierbar. In der Zukunft habe ich dafür keine Verwendung. Babuschka freut sich und schenkt mir noch einen mit Kartoffeln dazu. Den bewahre ich für Nina auf. Ich sehe ihren kleinen Kopf aus dem Fenster des Abteils hinausluren.
Ich steige wieder ein und schüttele ein weiteres Stückchen Vergangenheit ab.

Ich bin müde und folge meinem Vater in unseren Waggon. Meine Mutter, meine Oma und Nina nesteln an unseren Taschen herum. Sie räumen die Sachen raus, um, ein, wieder raus und weg. Sie haben viel Essen eingepackt. Es riecht nach gebratenem Hühnchen, Salzgurken und Fleischwurst. Nina raschelt mit der Alufolie. Ich gebe ihr den Pirog mit Kartoffeln und sie gibt mir dafür ein kleines Küsschen. Nina gibt mir immer kleine Küsschen. Ich rieche an ihren Haaren. Ich rieche immer an ihren Haaren.
"Wo ist die grüne Decke?", zetert meine Mutter.
"Welche grüne Decke?", erkundigt sich mein Vater.
Meine Mutter vergisst zu antworten. Es ist eine warme Decke. Wir können sie heute sowieso nicht gebrauchen.
Der Zug gleitet langsam in die Dunkelheit. Wir essen zu Abend. Niemand spricht. Omas eingelegte Tomaten sind die besten. Sie macht aus dem Rezept ein Geheimnis, verspricht aber, es nicht mit ins Grab zu nehmen.
Mein Vater kramt ein kleines Radio aus der Tasche und holt die Abendnachrichten ins Abteil. Wir erfahren, dass in Bergkarabach wieder die Erde brennt. Meine Eltern nicken einander anerkennend zu. Ihr Junge wird sich nicht wie ein Hammel in fremden Bergen abschlachten lassen. Zum Glück gibt es in Russland noch genug andere Hammel.
Nina ist eingeschlafen. Wir beobachten, wie ihr Arm im blau-geblümten Schlafanzug im Rhythmus des Zuges vom Bett hinunter baumelt. Die Pendelbewegung beruhigt mich.
Mein Vater geht noch einmal raus auf den Gang, um eine Zigarette zu rauchen. Er lehnt sich aus dem Fenster und lässt den Wind seinen Bart durchpeitschen.
Dann machen wir das Licht aus. Die Nacht erleuchtet das Abteil. Von meinem Bett sehe ich die Sterne. Ich weiß, dass sie sich auch bewegen. Sie durchqueren ihre Unendlichkeit und ich durchquere meine.
Ich schließe die Augen und höre, wie meine Mutter unruhig atmet.
Während der Zug abfährt, sehe ich ihr ins Gesicht. Sie presst die Lippen zusammen und starrt auf den Bahnsteig. Mit aufgerissenen Augen steht dort Marina. Stehen dreißig Jahre Tür an Tür, steht die Schule, steht der Park, steht schwarzer Tee, kein Wasser, stehen Schwangerschaften, stehen Kinder, stehen Geburtstagsfeiern, das neue Jahr, noch ein neues Jahr, stehen alte Jahre, stehen Tränen, steht die Wut, steht der Vorwurf des Verrats, steht die stumme Hoffnung, steht der Stillstand. Sie steht da wie ein Kartoffelsack und ihr Mann hält sie an den Schultern, damit sie nicht auf die Erde plumpst.
Wir bewegen uns in die Zukunft. Ich sehe wieder nach den Sternen.

Um fünf Uhr morgens wache ich auf. Auf dem Gang vor der Tür höre ich lahme Füße über den Boden schlurfen. Es klopft. Laut und fordernd. Ich schweige. Wer so klopft, braucht keine Aufforderung.
Der Schaffner steckt seinen Kopf hinein. Seine rechte Wange ist zerknittert wie eine Papierrose. Er riecht nach Schweiß und Alkohol und muss in seiner Uniform geschlafen haben. Er legt den Lichtschalter um und verkündet heiser: „Zollkontrolle! Papiere bereithalten.“ Dann zieht er die Nase hoch und verschwindet. Die Füße schlurfen weiter. Der Zug wird immer langsamer. Er rollt ein in die Heldenstadt Brest. Draußen vor den Fenstern liegt Nebel über dem Gleisbett.
Der Raum zwischen den Betten füllt sich mit nackten Füßen. Nina sieht sich nicht in der Pflicht und kriecht tief unter die Decke.
Wir schweigen. Wir warten. Meine Mutter hat einen vorrevolutionären Ring in dem Radio versteckt und hat Angst. Sie schaut meinen Vater an und fragt: „Vielleicht sollen wir ihn doch deklarieren?“ Mein Vater gähnt und schüttelt mit dem Kopf: „Sei nicht dumm.“ Meine Mutter will nicht dumm sein und beißt sich auf die Lippen.
Wir warten. Wir schweigen. Dann kommen sie.
Schwere Stiefel stampfen auf dem Gang. Die Uniformen riechen nach Speck, Metall und Willkür.
Sie sind zu zweit. Die Haare sind kurz, die Schuhe frisch gewichst, die Augen grau wie Stahl. Der eine ist wuchtig, der andere sieht aus wie Dserschinski, als der junge Felix noch nicht der Eiserne war. Um ihre Schultern hängen blank polierte Kalaschnikows. Sie lächeln sehr fein und sagen kein Wort.
Mein Vater begrüßt sie und reicht Dserschinski die Pässe. Wir murmeln etwas Freundliches vor uns hin und heften unsere Blicke auf den Boden. Meine Mutter setzt sich zu Nina und drückt meine Schwester an sich.
Der Wuchtige sieht sich in dem Abteil um, stützt die Ellbogen auf das Gewehr und sagt: „Sie haben viel Gepäck.“
Ja, wir haben viel Gepäck. Das wissen wir. Pack Jahrzehnte deines Lebens zusammen, nimm dazu dein Land mit und du hast auch viel Gepäck.
Es sind Bücher, Klamotten, Bücher, noch mehr Bücher, Decken, Küchenutensilien, ein Radio, deine ganzen Erinnerungen, Schallplatten, deine Fotos, deine Briefe, deine Kindheit, noch mehr Bücher, Porzellan, deine Vergangenheit, eingelegte Tomaten, deine Ewigkeit, alles woran du dich festhältst, alles was du verlässt.
Ja, wir haben viel Gepäck. Wir haben nichts zu deklarieren. Wir haben kein Übergewicht. Wir sind brave Bürger, die ihr Land verlassen. Für eine Zeit nur. Bis es ruhiger wird. Bis die Kinder groß geworden sind und in Europa zuhause. Sie verstehen, der Junge. Der Krieg, die Armee. Er ist kein Hammel. Wir haben noch eine Wohnung in Moskau. Zwei Zimmer, achter Stock unterm Dach. Der Balkon ist leider voll mit Taubenscheiße, aber da kann man nichts machen.
„Es sammelt sich so einiges an über die Jahre“, lächelt mein Vater und streichelt seinen Bart.
Jetzt spricht Dserschinski. Er spricht von Schmuggelware, von Kulturgütern, von Generalverdacht. „Wir müssen Ihr Gepäck untersuchen“, sagt er. Sein Lächeln ist so fein, als hätte er es sich heute Morgen mit dem Messer eingeritzt. „Schaffen Sie Ihre Sachen auf den Bahnsteig.“ Seine Zähne sind gelb. „Der Zug fährt in zwanzig Minuten weiter.“ Es passiert mit euch oder ohne euch, das versteht ihr doch. „Besser Sie beeilen sich.“ Ihr habt keine Chance.
Wir schweigen.
„Sie beeilen sich besser.“
Macht euch keine Illusionen. Das ist jetzt euer letztes Problem. Es ist alles wie früher. Ihr wisst, die Zukunft ist nicht umsonst. Jede Bewegung trifft auf Hindernisse. Selbst die Sterne fliegen nicht ungehindert durchs Weltall. Passt auf die Kometen auf, nimmt euch in Acht vor Asteroiden, die schwarzen Löcher können euch gefährlich werden. Ihr seid in der Heldenstadt Brest, dort wo die Helden in den Mülltonnen wühlen, dort wo die Vergangenheit brodelt und wir alle wissen, wie viel es euch Wert ist, diesen Ort zu verlassen.
Es ist uns viel Wert. Mein Vater grummelt in seinen Bart, schaut sich um nach meiner Mutter. Sie schaut sich um nach mir. Ich schau mich um nach meiner Oma. Nina fragt, warum wir alle so besorgt schauen.
Die Grenzschützer warten. Es sind wohlhabende Leute. Manche von ihnen sind Millionäre. Ein Jahr auf diesem Posten reicht, damit man nie wieder arbeiten muss. Wie lange wird das noch dauern? Keiner weiß das. Also beeilt man sich besser. Man ist hart. Man nimmt so viel es geht.
Mein Vater bittet die Herren auf den Gang. Es seien noch Formalitäten zu besprechen. Sie verhandeln nicht lange. Mein Vater ist kein guter Geschäftsmann. Mein Vater hat auch keine guten Argumente. Er kommt nochmal rein, nimmt die kleine schwarze Tasche, schüttelt mit dem Kopf und geht, ohne jemanden von uns anzusehen, wieder hinaus.
Zwei Minuten später kommt er zurück, setzt sich auf das Bett und schweigt.
Wir schweigen auch. Wir warten. Ich schaue mir den Nebel vor den Fenstern an und versuche dahinter die Umrisse des Bahnsteigs zu erkennen. Ich höre die Stiefel auf dem Gang stampfen. Sie werden leiser. Langsam fährt der Zug wieder los.
Meine Mutter ist eine kluge Frau, aber abergläubisch. Sie will sicher gehen, dass der Zug nicht mehr anhält. Als sie denkt, wir hätten die Grenze überschritten fragt sie: „Wie viel?“
„Alles“, sagt mein Vater und streichelt seinen Bart. Kein Burgherr. Er lächelt.
Wenigstens sind wir jetzt in der Zukunft.

 

Hallo randundband,

der Anfang hat so eine schöne Melancholie, aber dann geht das so weiter und der Ton ändert sich nicht und diese melancholische Stimmung wird ziemlich depressiv und wirkt deprimierend auf mich, das zieht einen so richtig runter. Ich mochte den Text bis zu dem kursiven Teil, da merkt man, diese Menschen sind machtlos - in jeder Hinsicht - der einzige Lichtblick ist, dass sie aus dem Land fliehen, die Zukunft haben sie in der Hand, aber auch nur, wenn sie auf den klugen Physiker Onkel hören, der rät sich zu bewegen.

Ich kann allgemein wenig mit Geschichten anfangen, wenn da Individuen gegen ein unbestimmtes System kämpfen, ein abstraktes System, das alles verschluckt. Das System wird dann auf die zwei Zollbeamten reduziert und das finde ich dann gut, da spürt man dann noch einmal die Ungerechtigkeit - davor ist das alles zu abstrakt mit Krieg, Chaos und Unordnung und wie es im Land wütet und Hammel werden geschlachtet - wobei das Bild sehr stark ist.

Ich finde den Stil sehr gut, da sind einige Sätze drin, die lassen mein Herz höher schlagen.

Entlang der Strecke starren dich verkrüppelte Häuser mit stummen Fenstern an. Hinter ihnen könnte alles stecken. Aber da ist nichts. Hier existiert nur die Zeit. Sie spielt Harmonika und singt Lieder über staubige Wege, wie sich das Eis der Winter auf ihre Haut legt.
Es klingt teilweise wie ein Gedicht.

Aber dann hast du auch sowas drin:

Die Sonne knallt heute ohne Erbarmen auf die Erde.
Du verlässt die durstigen Felder, überquerst Flüsse, tauchst ein in die Kühle der Wälder und tauchst auf inmitten wilder Wiesen.
durstige Felder und wilde Wiesen gefällt mir gut, die Kühle klingt dann wieder nichtssagend.
Mein Onkel sagt, wenn du dich bewegst, hast du eine Zukunft. Er ist Physiker, das wird schon stimmen
Gefällt.
Im Zugrestaurant riecht die Luft nach Sehnsucht und Bratkartoffeln.
Es müsste eigentlich erst Bratkartoffeln kommen und dann Sehnsucht.
Dafür serviert er dir Tee, der zwar schwarz aussieht, aber bloß nach Wasser schmeckt.
Es ist bestimmt persönlicher Geschmack, wobei ich bis jetzt auch niemanden getroffen habe, der das mag - diese direkten Ansprachen an den Leser. Das ist halt - gerade wenn man viel liest - merkt man natürlich zu sehr, wie versucht wird, den Leser in die Geschichte reinzuziehen und ihn zu involvieren - aber eine Geschichte ist eben keine politische Rede und so verpufft die Wirkung bei mir.
Ich würde da ein neutrales "man" oder "einem" oder einfach nur "mich" begrüßen. Es lenkt zu sehr ab, es bewirkt das Gegenteil, ich bin dann jedesmal raus, weil ich mich überhaupt nicht mit den Menschen da identifizieren kann. Ich will eine Geschichte lesen, ich will da nicht mitspielen. Vielleicht wirkt das bei Leuten, denen genau dieses Schicksal wiederfahren ist.

Aber die sonstigen Bilder und Einfälle sind grandios, das muss ich auch mal an dieser Stelle betonen: Der Vater mit seinem Bonsai Bart, die kluge aber abergläubische Mutter, die Babuschka mit dem Kameengesicht und mein absolutes Lieblingsbild - die Sommersproßen, die gegen das Licht strahlen und sich im Gesicht bewegen und das geschnitzte Lächeln des Offiziers.

Graue Haare mit einem Schuss Schwarz wellen sich auf ihren Schultern.

„Wie viel?“
„Alles“, sagt mein Vater und streichelt seinen Bart. Kein Burgherr. Er lächelt.
Wenigstens sind wir jetzt in der Zukunft.
Sehr gut. Also schön, dass da wenigstens noch die Hoffnung besteht, wenigstens sind sie aus dem Chaos raus.

Das ist eine sehr gute Geschichte, ich habe trotzdem so meine Bedenken, es ist halt unglaublich trist und trist und es wird noch trister. Das einzige, was mich bei der Stange gehalten hat, war dein Stil, ansonsten ist das so eine alte Geschcihte, die ich nicht lesen will - von Krieg und Ungerechtigkeit und Diskriminierung und ach, was für ein Leid. Was auch noch einmal die Geschichte rettet, ist, dass Gott sei dank die Familie im Mittelpunkt steht und das alles nicht zu sehr in diese allgemeine Anklage mündet. Die Angst der Leute ist spürbar, vor allem die Mutter, wenn sie dem Sohn verbietet rauszugehen und wie ein Hammel abgeschlachtet zu werden und der Vater, wenn er sagt, dass er nicht mutig ist. Ich mag total die Widersprüche in den Charakteren. Wenn der Vater da eigentlich vom System profitiert, dann kommen ein paar, die über ihm stehen und nehmen ihm das weg, er leistet auch gar keinen Widerstand.

Insgesamt hat es mir doch gefallen, es ist dann nur halt so eine passive Geschichte und das zieht einen mit runter und vielleicht tue ich deiner Geschichte unrecht und bin einfach gerade nicht in Stimmung dafür, aber ich finde du kannst sehr gut schreiben, hast einen extrem selbstsicheren Stil und verwendest da ungewöhnliche Bilder, die lange im Kopf bleiben. Ich bin sehr gespannt auf deine Serie.

JoBlack

 
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Hallo randunband,

ich finde den Text nicht deprimierend, sondern realistisch und authentisch; er wuchert natürlich ganz gehörig mit den Pfund des Exotischen, im Endeffekt muss der unbedarfte Leser alles so annehmen, er muss dir bzw dem Text glauben. Ich glaube dir.

Der Text ist gut, dein bester bis jetzt, finde ich, aber er ist sehr voll, übervoll. Mag vielleicht daran liegen, dass ich ein sehr großer Freund des Minimalistischen bin, aber diese ganzen Bilder, diese "Wie"-Bilder, diese Poesie - auf mich wirkt das (zu) schwerfällig und verklärend, du veruneindeutigst da den Text, so empfinde ich das. Es bleibt mir wenig Raum als Leser, du fährst da die volle Breitseite, und für mich bleibt nichts mehr; das ist alles kompakt und so final, da kann ich keine Stimmung empfinden, die Atmosphäre ist gesetzt, ich kann nichts tun, keine Empathie. Vielleicht ist dies dein Stil, und du möchtest so schreiben, oder ich bin stur und bevorzuge einfach einen anderen Schreibstil, kann alles sein, sind nur meine fünf Cent.

Das Bild, was im Hintergrund der Geschichte entsteht, ist eine Tragödie; Krieg, Flucht, Ungerechtigkeit, Korruption, ein anderes 'Schweinesystem', alles passiert so unverhohlen, ist so unwürdig. Es steckt auch ein klein wenig Nihilismus in der Geschichte, in der Not breitet sich das Schlechteste im Menschen erst so richtig aus, auf dem Rücken all dessen wird Profit gemacht - eine Geschichte, die zeigt, wie es ist, nicht wie es sein sollte. Das sind wichtige Themen, die man literarisch verarbeiten sollte, auch wenn es sicherlich nicht die erste und letzte Geschichte dieser Art ist. Für mich stellt sich das als ein zäher Alptraum dar, den ich nicht nachvollziehen kann, ein Neubeginn, aber erzwungenermaßen, und man kann nicht dagegen aufbegehren, das Individuum hat erstmal verloren und geht auch verloren, ist machtlos und ohnmächtig.

Doch, ich habe es gerne gelesen, mir fällt nur die Sprache etwas schwer, ich empfinde sie als überfrachtet, aber ist auch sicherlich Geschmackssache.

Gruss, Jimmy

 
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Hallo JoBlack,
erstmal vielen Dank für deinen Kommentar.

das so eine alte Geschcihte
Ja, ich hab mir schon gedacht, dass es nichts für die Jugend-Challenge ist.
die ich nicht lesen will
Verstehe ich. Mir ist es bewusst, dass der Text nicht gerade den Nerv der Zeit und auch nicht von KG.de trifft. Obwohl hier ja wirklich thematisch eine unglaublich breite Palette zuhause ist. Außerdem brauche ich das für den Anfang der Serie.
Es ist interessant. Du sprichst drei Aspekte an, die bei mir selbst etwas Unbehagen auslösen.
es ist halt unglaublich trist und trist und es wird noch trister.
Das ist schlecht.
Es ist eine traurige Geschichte. Abschied ist halt traurig. Das Leben in einem solchen System ist es auch. Mich ärgert das einerseits, aber ich kaufe mir selbst keine Bücher über Bürgerkriege oder Völkermord, auch nichts wo Leute dann an Krebs sterben und auch keine Mißbrauchsgeschichten. Da ist natürlich einerseits die Frage, was man von Literatur erwartet. Ist auch die Frage, wie grad so die Phase von einem ist. Hab früher jedenfalls viel so Zeugs gelesen. Viel von den alten Russen natürlich. Die waren ja alle recht depri drauf. Hat mich natürlich schon geprägt, auch so wie ich über die Inalte von Literatur denke.
Und es ist auch andererseits eine Sache, die mich gerade beschäftigt. Ich will halt über Transformation, über den Wandel schreiben, das ist etwas worüber ich nachdenke, Integration, wenn man so sagen will und die damit zusammenhängende Charakterentwicklung, Leben zwischen mehreren Welten, ich weiß nicht, das sind halt Dinge, von denen ich meine etwas sagen zu können und sie fangen an in der Vergangenheit. Ich brauche dieses Fundament, für das was ich in der Serie erzählen will.
Und damit es alles im Kurzgeschichtenformat bleiben kann, nehme ich auch das Motiv der Bewegung als roten Faden. So kann ich Zäsuren machen und jede Geschichte kann für sich alleine stehen. Das hoffe ich jedenfalls.
Ist natürlich auch berechtigt hier zu sagen, mach das mal ein bisschen heller. Jammer nicht, ja, Jammern will ich auf keinen Fall. Daher denke ich schon, dass der Text ein paar Lichtblicke bekommen sollte. Ich wollte dieses Element über die Liebe in der Familie reinbringen, aber das ist ja auch alles so mit Wehmut getränkt. Der Text kann sicher etwas Galgenhumor vertragen, vielleicht ein paar banalere Dinge zum Ausruhen, die nicht alle in Nostalgie getunkt sind.
Muss Abstand dazu gewinnen. Habe das im Rausch an einem Tag runtergeschrieben und das war ein echter Trip und man merkt dann schon mit dem Abstand die Stimmung. Ja, das ist mir natürlich ein Anliegen, danke, ich werde darüber nachdenken.
Die nächsten Teile haben dann aber weniger von dieser Stimmung. Ich plane sie jedenfalls so. Dann ist ja auch etwas Neues, etwas Frisches da. Es soll dann schon einen Kontrast geben.
Ich kann allgemein wenig mit Geschichten anfangen, wenn da Individuen gegen ein unbestimmtes System kämpfen, ein abstraktes System, das alles verschluckt. Das System wird dann auf die zwei Zollbeamten reduziert und das finde ich dann gut,
Auch hier wieder JoBlack, da triffst du einen Aspekt, mit dem ich hadere. Ich bin grundsätzlich auch der Ansicht, dass man gesellschaftliche Zustände personifizieren sollte, dass sie besser greifbar werden. Die gute Literatur macht das jedenfalls. Jetzt hatte ich mir ursprünglich noch zwei andere Figuren aus der Vergangenheit überlegt, die stellvertretend, einer für Politik und Krieg und der andere für Wirtschaft stehen sollten. Dann wollte ich sie aber nicht auch noch in den Zug packen und bin dann in diese Flashbackschiene abgerutscht. Ich bin jetzt auch nicht mehr sehr glücklich mit. Werde mir überlegen, wie ich es besser verpacke.
Es ist bestimmt persönlicher Geschmack, wobei ich bis jetzt auch niemanden getroffen habe, der das mag - diese direkten Ansprachen an den Leser. Das ist halt - gerade wenn man viel liest - merkt man natürlich zu sehr, wie versucht wird, den Leser in die Geschichte reinzuziehen und ihn zu involvieren
Schließlich das. Hab mich auch gefragt, ob das jetzt nicht so ein billiger Trick wäre. Je nach Buch, funktioniert er bei mir schon. Ich erinnere mich noch an Fight Club, da hat es mich total gepackt. Ich denke auch, dass es stark vom Thema abhängt, wie nah man dem ist, aber das sagst du ja auch. Hier bin ich noch unschlüssig, aber lasse auf jeden Fall mit mir reden. Wäre schön, wenn sich jemand dazu noch äußern würde, wenn er Lust hat, die Geschichte zu kommentieren.
Für das Lob an dem Stil danke ich dir sehr. Freut mich natürlich total. Schreibe erst seit paar Monaten und probiere noch Sachen aus. Es ist gut, dass es bei dir ankommt. Ich werde darauf aber später noch bei Jimmy eingehen, weil er dort mehr bemängelt.
JoBlack, vielen Dank für deinen klugen Kommentar. Hat mir sehr viel zu denken gegeben.

Hallo Jimmy,
schön, dass du wieder einen Text von mir kommentierst. Und es freut mich sehr, dass du dem Thema gegenüber Anerkennung zeigst. Am liebsten hätte ich den positiven Teil deines Kommentars mit dem positiven Teil von JoBlack kombiniert, aber du hast leider ein Problem mit der Sprache.
Ich tue mich schwer hier zu sagen, ob das jetzt eine Geschmacksfrage ist oder ob der Text tatsächlich überfrachtet ist. Ich habe hier versucht aus dem Inneren heraus zu schreiben, so viel wie möglich von dem reinzubringen, wie mein Blick auf die Dinge ist. Vielleicht auch, weil ich dieses Thema sehr persönlich nehme, kommen da so viele Bilder rein, weil ich diese Bilder halt so sehe.

die Atmosphäre ist gesetzt
Und das lässt sich dann irgendwie nicht vermeiden. Das ganze ist für einen Deutschen natürlich total exotisch, das habe ich im Hinterkopf und ich habe dann natürlich das Bedürfnis, es so zu zeigen, wie ich es fühle. Es ist natürlich immer eine Frage, wie weit sich der Leser auf etwas einlassen will. Ich meine, dass gerade bei Themen, die dem Leser fremd sind, es schon ein Stück gesetzter Atmosphäre bedarf, weil er sich ansonsten gar nicht vorstellen kann, wie es ist.
Vielleicht ist dies dein Stil, und du möchtest so schreiben
Ich weiß es, ehrlich gesagt, noch nicht. Ich suche noch danach. Aber mir schwebt schon vor, eine poetische Sprache, mit etwas Derbem und Schonungslosem zu kombinieren. Ich habe das hier versucht, ich weiß nicht genau, ob das funktioniert hat.
Thematisch soll es etwas entspannter und vertrauter zugehen. Im "dort" gibt es dann für den Leser nicht mehr so viel Exotik. Im "nach Hause" dann wieder schon. Aber dann spielt es in der heutigen Zeit. Das sind ja hier alles frühe Neunziger, wo ich selbst noch ein Kind war.
Auf jeden Fall auch dir einen riesigen Dank für deine Anmerkungen. Ich denke schon, dass sie mir stark bei der Balancierung des Sprachlichen helfen. Vielleicht werde ich tatsächlich ein paar Bilder zurückfahren.

Nochmal vielen Dank euch beiden
lg, randundband

 

Hallo randundband,

ich war bereits nach wenigen Zeilen begeistert: Die Russen sind seit jeher gern mein Thema, ich habe das Land bereist und dabei sowohl nette als auch gefährliche Menschen kennengelernt.
Jedenfalls der Zug. Da dampft in meinem Kopf die Transsibirische Eisenbahn und ich steige ein, überquere die Grenze zwischen Europa und Asien, passiere den Baikalsee und die Flüsse Wolga und Irtysch, Jenissei und Amur. Reise durch die Taiga, rolle ganz sanft durch eine sagenhafte, gefrorene Landschaft in Richtung japanisches Meer, alles nachzulesen in meiner „Gruppe Russen“ – und ich würde es wirklich gerne mal tun.
Deine abgewetzten Leder und die angeschlagenen Samoware in den Gängen sehe ich wie im Film vor mir.

„In der Karte steht was von Hering, aber in der Küche ist der Hering alle.“ – Damit hast Du dieses große Land in einem Satz beschrieben. Genauso gut hätte es in der DDR heißen können: „Zündkerzen haben wir das ganze Jahr noch keine reinbekommen, aber warst Du nicht der Typ mit dem Gewächshaus und den Gurken drin?“

„Es sieht unanständig aus, aber niemand schämt sich. Es ist nicht unanständig, wenn niemand sich schämt.“ – Ist sehr, sehr – sehr, sehr gut.
„Familien sitzen auf ihren Taschen wie brütende Hennen“ gefällt mir auch.
Einige Vergleiche passen meiner Meinung nach nicht völlig ins Bild und könnten vielleicht Besseren Platz machen: Die Klapperschlange bringt mich von Russland genauso weit weg wie der Bonsai.

Deine Geschichte ist keineswegs trist und hat mich gut unterhalten, vielen Dank,
nastro.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo randundband,

ich bin sehr beeindruckt! Was du geschrieben hast, und wie du es geschrieben hast, das empfinde ich schon als literarisch sehr ansprechend und hochwertig. Du schreibst sehr atmosphärisch und hast stellenweise wunderbare Metaphern, die in meinem Kopf zu stimmungsvollen Bildern und Szenen werden - das ist ... ja, echte Kunst, wirklich. Deine Geschichte ist entschleunigt, sie nimmt sich angemessen Zeit für ihre Figuren und ihr tragisches Thema. Rhythmus und Stil passen wunderbar. So muss das sein, wenn man sich an solche Stoffe heranwagt.

Dein Thema ist ernst, ernsthaft und natürlich geschichtsträchtig, es beschreibt politische Zustände aus Sicht der Menschen, denen es nicht um Politik geht, sondern ums Überleben. Deine Figuren sind mit Liebe und Sorgfalt gestaltet und so ganz nebenbei erfährt man auch viel über Zustände, Umgebung und Leidensgenossen. Die Beschreibung der Zollkontrolle ist großartig. Du bist ein guter Beobachter, der in vielen Beschreibungen mit wenig Worten viel zeigt.

Ich finde ich den Text nicht deprimierend und ich finde ihn atmosphärisch stimmig aufgebaut, alles wirkt echt, authentisch und nachvollziehbar menschlich.

Das liest sich reif, und klug und wirklich gut. Mit solchen Stoffen und dem, was du literarisch daraus machst, solltest du dich ruhig mal an Verlage herantrauen, das meine ich ganz ernst.

Mir hat das außerordentlich gut gefallen!

Rick

 

Hallo randundband

Ich finde, du hast diese Wehmut, die sich beim Verlassen der Heimat einstellt, sehr gut eingefangen, und auch wie du das Motiv der Bewegung verwendest in deiner Geschichte gefällt mir.

Mein Onkel sagt, wenn du dich bewegst, hast du eine Zukunft. Er ist Physiker, das wird schon stimmen.

Es stimmt, und es stimmt auch wieder nicht. Natürlich muss man sich bewegen, um eine Zukunft zu haben, aber es verklärt auch den Zustand der Familie, weil es - so formuliert - eine Freiwilligkeit impliziert, die es in Wahrheit nicht gibt. Das sind keine Auswanderer, die sich für ein anderes Land entschieden haben, aus welchen Gründen auch immer - die sind auf der Flucht, weil man ihnen in ihrer Heimat jede Zukunft genommen hat.

Die Hoffnung auf das Neue ist ein Gedanke, und dem stellst du immer wieder die Traurigkeit über den Verlust gegenüber. Nicht nur der Verlust der Heimat, der Wohnung, sondern auch Angst vor dem Verlust der eigenen Wurzeln, der Kultur, der Identität. Sehr schön fand ich das Bild mit den Gedichten und dem Laub, das der Erzähler als Kind durch die Gegend gewirbelt hat - mittlerweile hat er diese Gedichte aber vergessen, und dann schreibst du:

Die Gegenwart legt sich wie nasses Laub Schicht für Schicht über sie, Laub das du nicht mehr aufwirbelst.

An solchen Stellen wird dann deutlich, dass mit dieser Flucht mehr als nur der Besitz aufgegeben wird. Das fand ich sehr gut.

Auch finde ich schön, wie konsequent du deine Figuren charakterisierst. Die Oma hat zwar nicht so viele Szenen, aber sie wird immer in Verbindung mit Bestehendem genannt, das gut war - seien es nun die Gedichte oder Rezepte. Das ist so das traditionelle, das Gute, an dem man gerne festhalten möchte. Der Vater ist ein Opfer des Systems, ihm bleibt nichts anderes übrig als die Kapitulation - sei es, indem er flüchten muss, oder später, indem er die Zöllner bestechen muss mit allem, was sie noch hatten. Und der Erzähler hat noch die meiste Hoffnung - dass der Vater eine Burg baut, dass sie in eine verheissungsvolle Zukunft unterwegs sind.

Eine kritische Anmerkung habe ich:

Du siehst durstige Felder. Du siehst verkrüppelte Häuser. Du siehst stumme Fenster.

Mir gefällt der Mix zwischen den Perspektiven hier nicht. Das hast du in deiner letzten Geschichte auch gemacht, da hab ich es noch gelobt, aber da hat es auch besser gepasst fand ich oder war besser eingearbeitet. Hier fand ich es störend, es sind immer nur einzelne Sätze, ich würde das ändern und konsequent in der 3. Person erzählen hier.

Sonst noch direkte Anmerkungen zum Text:

Du verlässt die durstigen Felder, überquerst Flüsse, tauchst ein in die Kühle der Wälder und tauchst auf inmitten wilder Wiesen.

"durstig" würde ich hier streichen, die "durstigen Felder" hast du kurz zuvor schon einmal

Vor allem wenn sich in dem Bart Krümmel verheddern,

Meinst du hier Krümel? Aber die verheddern sich nicht, oder?

Von unendlichen Weiten erzählen die Gedichte, von Holzhütten, von Ruhe und von Moos, von Tau und von Wehmut. In ihren Zeilen blüht der Mai, zwischen den Buchstaben knistert der Januar. Du hörst Pferde wiehern und riechst den Duft von Tannen. Als wäre das für immer. Als wäre es da für die Ewigkeit. Als wäre die Zukunft eine Lüge.

Ist schon wehmütig, aber es passt zur Stimmung. Fand ich einen guten Absatz.

stützt die Ellbogen auf das Gewähr und sagt

Gewehr

Ja, wir haben viel Gepäck. Das wissen wir. Pack Jahrzehnte deines Lebens zusammen, nimm dazu dein Land mit und du hast auch viel Gepäck.

Fand ich auch gut.

Stellenweise hab ich es auch überfrachtet gefunden, aber ich kann jetzt nicht einzelne Stellen rauspicken und sagen, an der und der hat es gelegen. Ich habe auch überlegt, ob man vielleicht den einen oder anderen zusätzlichen Hoffnungsschimmer in den Text packen kann - die Bilder sind schon sehr "grau", ganz schlimm (im positiven Sinn) fand ich auch die Erwähnung der Helden von gestern, die heute in Abfällen wühlen. Aber es würde dem Thema und dem Text vermutlich nicht gerecht werden, insofern bist du da konsequent.

Auf jeden Fall finde ich das handwerklich toll gemacht, gut geschrieben (wirklich an einem Tag? Dafür echt Hut ab!). Ich bin ebenfalls gespannt, wie sich die Serie entwickelt.

Grüsse,
Schwups

 

Hallo nastro,
schön, dass dir die Geschichte gefallen hat. Dieser atmosphärische Teil war mir natürlich sehr wichtig. Ich sehe das Land sehr differenziert, beschäftige mich ziemlich viel damit und diese Züge verkörpern meiner Meinung nach einen wichtigen Aspekt davon. Ich bin auch ein großer Fan von Zugfahren, ich finde, da wird die Ferne greifbar und da Ferne, also Sinne von Größe, ein wichtiges Identitätsmerkmal von Russland ist, finde ich Züge eben sehr atmosphärisch.

ich habe das Land bereist und dabei sowohl nette als auch gefährliche Menschen kennengelernt.
Ja, das Land ist voller Widersprüche, was ich eben so faszinierend daran finde, die Menschen dort sind häufig nicht berechenbar, da ich schon sehr lange in Deutschland lebe, ist mir das auch schon sehr fremd geworden.
Auch freut es mich natürlich, dass du mit den Charakterisierungen der Zustände etwas anfangen konntest, das freut mich, dass ich die richtigen Sätze bzw. Metaphern finden konnte.
Einige Vergleiche passen meiner Meinung nach nicht völlig ins Bild und könnten vielleicht Besseren Platz machen: Die Klapperschlange bringt mich von Russland genauso weit weg wie der Bonsai.
Ja, die Klapperschlange fliegt raus. Ich glaube, ich mache eine Blindschleiche daraus. Den Bonsai mag ich zu sehr. Aber werde auf jeden Fall noch mal drüberschauen, ob da nicht noch paar Sachen treffender werden könnten.
Deine Geschichte mit den Russen werde ich mir auf jeden Fall zu Gemüte führen.
Danke für deinen Besuch und das Lob. Freut mich sehr.

Hallo Rick,
oioioi, du hast mich sehr glücklich gemacht gestern. Ich strahle immer noch. Es ist natürlich mein Wunsch gewesen, dass die Geschichte so ankommt, wie sie das bei dir tat.
Mich reizt das Thema halt ungemein, weil es so vielschichtig ist und für mich eine große Bedeutung hat und ich dem emotional auch so nahe stehe. Es ist natürlich ein Traum von mir, etwas längeres in diesem Bereich zu schreiben, das von Qualität ist. Ich denke dann immer an die Literatur die ich so lese und merke, dass mir die Dinge im Kopf bleiben, die das Zwischenmenschliche mit dem Gesellschaftlichen verbinden. Ja, der Mensch im System, das Thema finde ich faszinierend. Und da hängt auch so viel Entwicklung dran, das hat so viele Facetten, ich bin da absolut begeistert. Jetzt habe ich mich hier für ein System bzw. den Ausbruch aus einem System entschieden, das ich halt kenne bzw. mit dem ich mich sehr intensiv beschäftigt habe, da ich als Kind nach Deutschland gekommen bin und mich kaum richtig n Russland erinnere. Ich frage mich dann natürlich immer, wie viel Interesse bei den Deutschen für dieses Thema besteht, ob es die Leute kümmert, wie so eine Integration sich abspielt. Ich hoffe, das tut es. Zumal natürlich in den Mittelpunkt die Protogonisten rücken und das Zwischenmenschliche ist ja universell.
Ich habe vor einem Jahr von Hans Fallada "Jeder stirbt für sich allein" gelesen. Also das ist ein Lehrstück darüber, wie man das Dritte Reich, ein Thema, das ja wirklich schon sehr breit befahren wurde, auf eine Art und Weise zeigt, dass man Lust bekommt, sich aufs Neue damit zu beschäftigen. Und da sind natürlich Menschen im Mittelpunkt, auch wenn da so viel Politisches drin steckt.
Wie Deutschland auch mit Ausländeraugen gesehen wird, darauf will ich in den weiteren Teilen der Serie eingehen. Und dazu ist ja natürlich eine Menge schon geschrieben worden, das wird natürlich sehr interessant sein, einen neuen Blickwinkel zu finden, nicht die plumpen Kontraste aufzufahren. Aber gut, das ist alles Zukunftsmusik.
Es hat mich so unglaublich gefreut zu lesen, ich könne mich mit den Sachen an Verlage rantrauen. Danke für diese großzügige Einschätzung, aber das wird noch sicher eine Zeit dauern, weil ich merke, wie viel es noch zu lernen gibt. Und dafür ist dieses Forum hier einfach eine Goldgrube. Habe hier schon so viel kluges Zeug gelesen. Also ich bin ein Fan. Okay, ich werde jetzt noch richtig überschwenglich, so sehr hat mich dein Kommentar euphorisiert.
Rick, ich danke dir sehr für dein Lob und deine so ermutigenden Worte. Wir sehen uns ganz sicher bald wieder.
lg an euch beide, randundband

Lieber Schwups, ich versuche noch heute abend auf deinen Kommentar einzugehen, muss jetzt leider dringend los.

 
Zuletzt bearbeitet:

Salü randundband,

damals fuhr ich durch die Nacht von Petersburg nach Moskau. Draussen lag Schnee und drinnen an den Türen quollen Eispolster. Ich lag wach und dachte an die Deportierten, die Richtung Sibirien unterwegs waren. Hin und wieder tauchte eine funzelige Laterne auf. Gegen Morgen standen ein paar vermummte Menschen auf den Bahnsteigen – und alles war trist, grau und schwer. Das fiel mir wieder ein, als ich deinen Text las.
Heimat verlassen, Wohnungen aufgeben, sich in eine Zukunft bewegen, die ungewiss ist, unendlich viele kleine Tode sterben. Das ist traurig, sehr traurig und es ist gar nicht möglich, dies anders zu schreiben, als mit dem ratadam, ratadam, ratadam der Zugsfahrt. Das ist dir in deiner Sprache sehr eindringlich gelungen. Sie hat viele Bilder in mir geweckt und hat mich teilnehmen lassen am Schicksal der Familie. Sehr gut auch die Gedanken des Jungen, der irgendwie versteht und irgendwie auch nicht. Das kommt bei mir gut an.
Wo ich Mühe habe: die persönliche Ansprache, das du! Damit hab ich immer so Maleschen. Ich kann mich retten, indem ich es so lese, dass der Junge zu seinem Spiegelbild im Zugfenster spricht, aber das steht halt nicht da. Ich finde keinen Grund für diese direkte Ansprache, sie katapultiert mich immer wieder raus, weil ich ja "nur“ die Lesende bin, aber mich nicht als körperlich dabei anwesend fühle. Gleich zu Beginn:

Entlang der Strecke starren dich verkrüppelte Häuser mit stummen Fenstern an.
Was ändert sich, wenn du schreibst: Entlang der Strecke starren mich verkrüppelte Häuser mit stummen Fenstern an. ? Gar nichts, ausser für mich, weil ich im Lesefluss bei dem Jungen bleiben kann.

Und hier noch ein wenig Kleinkram:

wenn sich in dem Bart Krümmel verheddern,
wenn im Bart Krümel hängen,
Ihre Muster sind mit Löchern unaufmerksamer Asche übersät.
Die Asche kann nicht unaufmerksam sein, höchstens heiss
Achter Stock unterm Dach. Der Balkon weiß vor Taubenscheiße.
weiss von Taubenscheiße.
und mit lackierten Zehnägeln.
und mit lackierten Zehennägeln.
Es ist nicht nur das Klassenbuch, sagt immer mein Vater.
sagt mein Vater immer.
Nina raschelt mit der Allufolie.
Alufolie
stützt die Ellbogen auf das Gewähr
Gewehr
als hätte er es sich heute morgen mit dem Messer eingeritzt.
er es sich heute Morgen

Atmosphärisch dichte Sätze, die mir gefallen:

Von meinem Bett sehe ich die Sterne. Du weißt, dass sie sich auch bewegen. Sie durchqueren ihre Unendlichkeit und du durchquerst deine.
Aber ohne du: Von meinem Bett sehe ich die Sterne. Ich weiß, dass sie sich auch bewegen. Sie durchqueren ihre Unendlichkeit und ich durchquere meine.
Du schweigst. Du wartest. Dann kommen sie.
Schwere Stiefel stampfen auf dem Gang. Die Uniformen riechen nach Speck, Metall und Willkür.
Ohne du: Wir schweigen. Wir warten. Dann kommen sie.
Schwere Stiefel stampfen auf dem Gang. Die Uniformen riechen nach Speck, Metall und Willkür.

In diesem Sinne!
Lieben Gruss,
Gisanne

Zitat von randundband:

Ich frage mich dann natürlich immer, wie viel Interesse bei den Deutschen für dieses Thema besteht, ob es die Leute kümmert, wie so eine Integration sich abspielt.
In der gegenwärtigen Zeit werden wir Europäer uns interessieren und kümmern müssen. Hoffentlich in der angemessenen Weise. Deine Serie kann dazu beitragen!

 

Hallo Schwups,
ich habe mich sehr über deinen Kommentar gefreut. Du hast mit deiner Analyse viele Dinge auf den Punkt gebracht, um die es mir ging. Dieses Motiv der Bewegung und ihrer Freiwilligkeit/Unfreiwilligkeit ist natürlich für diesen Teil zentral.

Es stimmt, und es stimmt auch wieder nicht.
Die Geschichte würde auch nicht funktionieren, wenn das eindeutig wäre. Diese innere Zerrissenheit, Angst und Hoffnung, Trauer und Aufregung, dieses unglaubliche Gewicht, dass den Menschen, die ihre Heimat verlassen und die sie trotz allem lieben, auf den Schultern liegt, diese schreckliche Ungewissheit und Hilflosigkeit, das sind Dinge, die ich von meinen Eltern mitbekommen habe und von denen ich erst im Erwachsenenalter das Gefühl habe, sie richtig packen zu können.
Nicht nur der Verlust der Heimat, der Wohnung, sondern auch Angst vor dem Verlust der eigenen Wurzeln, der Kultur, der Identität.
Auch absolut zentral für mich. Natürlich ein Riesenthema im Zusammenhang mit der Integration. Identitätssuche ist, wie ich finde, auch literarisch ein sehr fruchtbares Thema und diesen Generationenkonflikt, der sich zwangsläufig in diesem Zusammenhang in einer Familie ergibt, finde ich sehr spannend.
Ja, ich habe schon geschrieben, dass mir das Thema sehr nahe geht. Es kann deswegen gut sein, dass diese vielen Bilder, die für deinen Geschmack den Text etwas überfrachten, dieser Emotionalität geschuldet sind. Da habe ich mich reingesteigert und einfach durchgeschrieben und am Ende stand der Text so dar. Hab vllt noch eine Seite weggestrichen. Da waren aber noch mehr Bilder, also nichts, was du jetzt wahrscheinlich vermissen würdest. Ich habe ja bei deinen Texten, dieses Schlichte, dieses sprachlich Unaufgeregte beobachtet und ich finde so etwas grundsätzlich auch gut, aber hier war das Ganze so zu sagen in einem Sturm entstanden, deswegen ist es vllt auch so üppig. Ich habe das auch schon zu Jimmy geschrieben, dass ich versuchen werde, die Bilder zurückzufahren. Sobald ich ein bisschen mehr Zeit habe, werde ich den Text einer Korrektur unterziehen und dort schauen, wo ich etwas weniger machen kann.
Vielen Dank auch auf deine Anmerkung mit dem Perspektivwechsel. Nachdem JoBlack das angekreidet hatte, habe ich schon ein bisschen auch auf deinen Kommentar gehofft, weil du das beim Gummiplatz gelobt hast. Nachdem nun auch Gisanne das als störend empfindet, werde ich das bei der Überarbeitung berücksichtigen. An der Stelle mit dem Gepäck aber lassen, weil ich finde, dass sie dort passt. Schön übrigens, dass du sie mochtest. Ist meine persönliche Lieblingsstelle.
wirklich an einem Tag?
Schon, aber ich habe dafür fast seine gesamten Stunden verbraucht. Und natürlich davor viel darüber nachgedacht. Habe so mittlerweile rausgefunden, dass ich am Stück schreiben muss, dann habe ich den Flow. Würd mich mal interessieren, wie andere Leute das so machen. Bestimmt gibt es hier irgendwo einen Thread dazu.
Ansonsten vielen Dank für dein Lob. Geht mir sehr nahe und freut mich total.

Hallo Gisanne,

Heimat verlassen, Wohnungen aufgeben, sich in eine Zukunft bewegen, die ungewiss ist, unendlich viele kleine Tode sterben. Das ist traurig, sehr traurig und es ist gar nicht möglich, dies anders zu schreiben, als mit dem ratadam, ratadam, ratadam der Zugsfahrt.
Das trifft es. Viele kleine Tode sterben. Die Franzosen sagen das doch über den Abschied, oder? Ich finde den Ausdruck sehr passend. Ich finde die Bewegung des Zuges ist auch etwas total Magisches und Hypnotisierendes. Ich würde vllt schon gerne noch ein paar Lichtblicke einführen, nicht solche, die die Schwere der Situation verwässern, aber doch eine Möglichkeit geben, sich ein bisschen auszuruhen. Muss mal schauen, ob das geht. Hoffentlich finde ich bald Zeit für eine kritische Überarbeitung. Die Rechtschreibfehler werde ich sofort ausmerzen. Das ist natürlich unangenehm. Vielen Dank für das Raussuchen.
Und ja, deine Anmerkung zu der persönlichen Ansprache war der letzte Nagel zu ihrem Sarg. Werde mich die Tage nochmal dransetzen.
Vielen Dank für deinen Besuch und ich hoffe, dass
In der gegenwärtigen Zeit werden wir Europäer uns interessieren und kümmern müssen. Hoffentlich in der angemessenen Weise. Deine Serie kann dazu beitragen!
das der Fall sein wird.
lg an euch beide, randundband

Lieber Rick,
ich danke dir sehr für deine Empfehlung. Ich fühle mich richtig geehrt. Das meine ich sehr ernst.
lg, randundband

 

Hallo randundband!

Mensch, mir hat die Geschichte jetzt beim zweiten Mal noch besser gefallen. Wie schade, dass es nicht direkt weiter ging. Hoffentlich kommt der nächste Teil bald. Der Stoff gibt echt was her. Der Aufbruch in ein fremdes Land, mit Sack und Pack, auf unbestimmte Zeit. Zwar hatten es Kontingentflüchtlinge Anfang der 90er im Zug nach Westen bestimmt einfacher als die afrikanischen Bootsflüchtlinge im Moment und wahrscheinlich wurden sie auch freundlicher empfangen. Trotzdem muss es sehr schwer sein, diese Entscheidung: Bleiben oder gehen? Israel, USA oder Deutschland? zu fällen und auch durchzuziehen. Dann das Zeugs zu packen, die Blumen und die Katze in fremde Hände zu geben. Auch wenn die Gründe so triftig sind, wie den Sohn vor dem Einzug in die russische Armee und dem Krieg zu bewahren. Dieses Weggehen verändert alle Lebensbereiche radikal.

Auch sprachlich fand ich den Text toll, die gewellten Haare, die brütenden Hennen, die buntscheckigen Kannenwärmer, das durstige Land, so poetisch an vielen Stellen.

Sein Lächeln ist so fein, als hätte er es sich heute Morgen mit dem Messer eingeritzt.
Da musste ich gleich an das gar nicht feine Grinsen des Jokers in Batman denken. Wirklich gut.

Gut auch, dass die direkte Ansprache weniger geworden ist, das hatte mich arg gestört und teils in eine Abwehrhaltung versetzt. Gerade bei dieser zentralen Stelle "Land einpacken" fiel mir das jetzt trotzdem noch auf.

Ja, wir haben viel Gepäck. Das wissen wir. Pack Jahrzehnte deines Lebens zusammen, nimm dazu dein Land mit und du hast auch viel Gepäck.

Ich kann mit dem Begriff dein Land gar nicht viel anfangen. Und ist das die Art wie ein Jugendlicher denkt? Der Erzähler ist doch so um die 13-14, oder? Sonst würde die Mutter sich nicht vor der Rekrutierung fürchten. Spricht so jemand schon von den vergangenen Jahrzehnte eines Lebens? Von der Ewigkeit? Gerade an der Stelle wirkt der Erzähler älter und distanzierter als im restlichen Text. War so mein Eindruck.

Ansonsten bin ich gespannt auf was noch kommt. Wie wird es wohl für die Eltern, wenn die eigenen Kinder am neuen Ort in einer fremden Sprache denken, träumen und reden. Überhaupt wie kann man diesen Übergang sprachlich einfangen. Im Film wäre der erste Teil auf Russisch mit Untertitel gelaufen und später wärs dann immer Deutscher geworden. Und was wohl aus der Nina und ihrem Bruder wird? Verbringen die in Zukunft ihre Zeit auf einem Gummiplatz?

Ich fand die Geschichte übrigens gar nicht trist und düster. Ihre Eindringlichkeit und ihre schöner Klang haben mich gepackt und weggetragen.

Gruß
Coti

 

Hallo coti,
vielen Dank für deine netten Worte. Habe mich sehr gefreut. Von Lob kriegt man ja irgendwie nie genug. Ich war ja am Anfang ein bisschen unsicher, ob die Geschichte hier ankommt, sie ist ja schon ein wenig fremdartig, aber die vielen sehr netten Reaktionen haben meine Sorgen natürlich zerstreut.

Wie schade, dass es nicht direkt weiter ging. Hoffentlich kommt der nächste Teil bald.
Leider wird es mindestens noch zwei Monate dauern. Habe mir eine Schreibpause verordnet, da ich mich gerade unbedingt auf eine andere Sache konzentrieren muss und der Schreibprozess bringt mich einfach total raus. Das Vordenken und das Nachdenken beansprucht mich zu sehr, auch wenn das Schreiben selbst relativ schnell ging. Also werde ich mich die nächste Zeit nur auf das Kommentieren beschränken.
Ich finde auch, dass der Stoff einiges hergibt und ich hoffe es alles so umwandeln zu können, wie ich mir das vorstelle. Es soll auch nicht mehr so vergangenheitslastig werden und weniger exotisch.
Gerade bei dieser zentralen Stelle "Land einpacken" fiel mir das jetzt trotzdem noch auf.
Also das musste ich einfach lassen. Das ist auch eine indirekte Erwiderung auf die Worte des Zöllners und deswegen finde ich, dass es an dieser Stelle noch klargeht. Ansonsten meine ich, es überall gestrichen zu haben.
Und ist das die Art wie ein Jugendlicher denkt? Der Erzähler ist doch so um die 13-14, oder? Sonst würde die Mutter sich nicht vor der Rekrutierung fürchten.
Also ich habe mir den Erzähler als einen 16-17jährigen vorgestellt, da ist man schon mehr zu Reflektionen fähig. EIngezogen wird man ja erst mit 18. Außerdem glaube ich, dass die Geschwindigkeit des persönlichen Reifeprozesses stark von den äußeren Umständen abhängt, in denen man aufwächst. Wenn man in der Jugend mit vielen schweren und belastenden Dingen konfrontiert wird, dann wird man doch auch schneller erwachsen. So hatte ich mir das jedenfalls vorgestellt. Habe mal vor langer Zeit eine Doku gesehen über Kinderheime in der Ukraine glaube ich. Da haben die 14jährige gezeigt, die haben da so tiefgreifende Erkenntnisse von sich gegeben, da war ich schon erstaunt. Die haben Dinge durchschaut, da ist mir ein Schauer über den Rücken gelaufen, als ich mir vorgestellt habe, wie so ganz junge Leute mit sowas im Kopf überhaupt ihr Leben ertragen können. Na ja, hier der Junge kennt natürlich bessere Verhältnisse, aber schon auch eine Menge Sorgen. Daher vllt diese Art zu reflektieren.
Überhaupt wie kann man diesen Übergang sprachlich einfangen. Im Film wäre der erste Teil auf Russisch mit Untertitel gelaufen und später wärs dann immer Deutscher geworden.
Ja, das müsste wohl so sein. Vielleicht auch noch in s/w und mit ganz viel Harmonikamusik unterlegt. Ich glaube auch, dass der sprachliche Übergang eine ziemliche Herausforderung sein wird. Da wird schon eine ziemliche Anpassung an die Stimmung erforderlich sein. Mal schauen, wie ich da rangehe.
Und was wohl aus der Nina und ihrem Bruder wird?
Lass dich überraschen.
Coti, vielen Dank für deinen Besuch, die interessanten Anmerkungen und das Lob.
lg, randundband

 

Meine Mutter hat einen vorrevolutionären Ring in dem Radio versteckt und hat Angst. Sie schaut meinen Vater an und fragt: „Vielleicht sollen wir ihn doch deklarieren?“
Alles schon gesagt?

Nee!,ne?

Nun ist buchstäblich der Zug aus den unermesslichen Weiten des Ostens mit neuen Stimmen (Petrowskaja, Alexejewitsch) im Westen und spätestens jetzt auch hierorts angekommen –

& damit erst einmal herzlich willkommen hierselbst,

lieber randundband,

und wie der bisher bekannte Titel der Katja Petrowskaja, Vielleicht Esther mehrdeutig ist, so ist es auch der dieser Geschichte hier, denn die an prominenter Stelle gesetzten drei Buchstaben w – e – g haben die Großschreibung vielleicht nur „weg“en ihrer Führungsrolle erhalten, dass ich mir nicht sicher bin, ob dort nicht weniger der Weg als das Adverb weg steht, was durchs nachfolgende „dort“ eher noch gesteigert wird: Nur weg hier!* Wenn einer wo ankommt, muss er woanders weggegangen sein (oder er läuft im Kreis) - und wär's per Bahn.

Ich hab die Geschichte wie einen modernen Western gelesen (was natürlich durch die Fahrtrichtung bestimmt ist) mit dem französischen Brest als weit emtfernte Utopie (Lennon hat mal aus Wortspielerei den Begriff Newtopia geschaffen) und dem weißrussischen als dem nahen Hort der Raubritter – verkleidet als Zollbeamte (was natürlich unterm westlichen Horizont ziviler vor sich ginge, Maffia-mäßig, um auch da einen Wehmutstropfen in die Utopie zu setzen). Gleichwohl fährt hier einer keines“wegs“ „außer“ Rand und Band, sondern ein sprachlich disziplinierter randundband, der weniger durch die deutsche Sprache beherrscht wird, als dass er sie selber beherrscht.

Du kannst mit Sprache umgehen. Wo andere sie zu umgehen suchen (daher der Ausdruck: Umgangssprache), spielst Du mit feiner Ironie mit ihr (was Umgangssprache nicht ausschließt). Nur ein Beispiel direkt zu Anfang

Mein Onkel sagt, wenn wir uns bewegen, haben wir eine Zukunft.
Zeit macht sich in Veränderung bemerkbar, bekommt überall schon der Lehrling/Auszubildende in Physik und Chemie beigebracht, auch ohne Abitur oder Studium – und wie zur Bestätigung (als bedürfe es des Expertenwissens) schließt der Satz an
Er ist Physiker, das wird schon stimmen
Auf dass der wissenschaftliche den religiösen Glaubenssatz ersetze …

Das beherrschende Mittel ist eine (gelegentlich melancholisch anmutende) poetische Stimme. (Da will unsereiner demnächst auch mal'n paar Verse entdecken ...)

Diese Zeit ist Vergangenheit. Ich kenne diese Gedichte nicht mehr. Kostja kennt diese Gedichte nicht mehr. Sie klingen noch und rühren uns, aber wir merken die Worte nicht mehr. Die Gegenwart legt sich wie nasses Laub Schicht für Schicht über sie, Laub das niemand mehr aufwirbelt.
Im darauffolgenden Satz würd ich freilich meinen, dass Fenster nicht so sehr stumm sind (sind sie's nicht immer, wenn sie nicht gerade knarren oder zugeschmissen werden, was beim Knallen dann die Verwandtschaft zum Knarren zeigt), als vielnehr blind ...?

Dazu willst Du wohl meinen Wortschatz erweitern (kann ja nix schaden, jetzt Nr. 301 und 302 im Inventar zu haben):

Ich sehe ihren kleinen Kopf aus dem Fenster des Abteils hinausluren.
Luren? (Sind das nicht die bronzezeitlichen riesigen Blasinstrumente? Oder Pirog?
… den Pirog mit Kartoffeln …

Keine bange, nix schlimmes, aber bei den zusammengestzten „Zehen + Nägeln“
…, wir sehen Frauen in geblümten Kleidern und mit lackierten Zehennägeln
genügt zur Pluralbildung der Nägel ein Zeh: Zehnägel.

Passt auf die Kometen auf, nimmt euch in Acht vor Asteroiden, die schwarzen Löcher können euch gefährlich werden.
Besser: „nehmt euch in Acht …“

Hier wäre ein Komma nachzutragen:

Als sie denkt, wir hätten die Grenze überschritten[,] fragt sie: „Wie viel?“

Einmal vermisse ich förmlich ein Wechselspiel zwischen Indikativ und Konjunktiv,
Ich frage Kostja, ob er sich freut. Er weiß es nicht. Ich frage ihn, ob er etwas vermissen wird. Kostja denkt nach.
Er sagt, er wird seine Schule nicht vermissen. Er erzählt mir von seinem Klassenbuch, davon, dass er es einmal versteckt hat, davon, dass hinten eine Seite ist, auf der die Nationalitäten der Schüler eingetragen sind, davon, dass neben seinem Namen, "Jude" steht, davon, dass er nicht wollte, dass es die anderen wissen, davon, dass sie es trotzdem erfahren haben und davon, dass die Lehrerin meinte, es wäre doch nicht schlimm.

Was eben die Rede der Lehrerin relativierte. Etwa so - es ist aber nur ein Vorschlag, denn es ist und bleibt Deine Geschichte
Ich frage Kostja, ob er sich freu[e]. Er weiß es nicht. Ich frage ihn, ob er etwas vermissen w[erde]. Kostja denkt nach. Er sagt, er w[ürde] seine Schule nicht vermissen. Er erzählt mir von seinem Klassenbuch, davon, dass er es einmal versteckt [habe/besser vllt. sogar: hätte], davon, dass hinten eine Seite [sei], auf der die Nationalitäten der Schüler eingetragen [wären], ...
und wieder zurück in den Indikativ mit dem Eintrag der Religion ...

So viel oder wenig für heute vom

Friedel,
der noch darauf hinweist, dass
* weg wie Weg vom Verb bewegen abstammen

 

Hallo Friedel,
ich danke dir für deinen Besuch und deine Anmerkungen. Dass du die Sprache lobst, jedenfalls verstehe ich das so, auch dafür vielen Dank. Bei einigen deiner Gedanken bzw. Assoziationen komme ich leider nicht so richtig mit, aber gefreut habe ich mich trotzdem.
Katja Petrowskaja kenn ich leider nicht. Auch hätte ich nicht gedacht, dass man die Geschichte als einen Western lesen kann. Aber zum Glück sind die Interpretationsmöglichkeiten bzw. Lesarten bei Texten so vielseitig.

ob dort nicht weniger der Weg als das Adverb weg steht
Das soll natürlich ein Adverb sein.
Im darauffolgenden Satz würd ich freilich meinen, dass Fenster nicht so sehr stumm sind (sind sie's nicht immer, wenn sie nicht gerade knarren oder zugeschmissen werden, was beim Knallen dann die Verwandtschaft zum Knarren zeigt), als vielnehr blind ...?
Ja, die Logik sagt mir auch, dass es blind sein müsste, aber ich habe mir sie trotzdem irgendwie stumm vorgestellt. Kann sein, dass es etwas schief ist, aber mein Gefühl sträubt sich gegen eine Veränderung hier.
Luren? (Sind das nicht die bronzezeitlichen riesigen Blasinstrumente? Oder Pirog?
Ich glaube, "luren" habe ich in München aufgeschnappt, aber dann auch in Köln ein paar Mal gehört. Ich hab das mal gegoogelt grade. http://www.mitmachwoerterbuch.lvr.de/detailansicht.php?Artikel=luren&Eintrag1=2292
"Pirog" ist eine russische Teigtasche, in der Regel gefüllt mit irgendwas. Die Polen essen das auch. Ist ganz lecker.
Danke auch für das Raussuchen von Fehlern. Wird auf jeden Fall alles bald korrigiert.
Danke nochmal für das Lesen und Kommentieren.
lg, randundband

 

O mannomann,

da is' man 'ne rheinische Frohnatur und merkte't nich':

"luure" (kölsch) = schauen, gucken (nhd.).

Friedel

 

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