Wayne W. Fox - Die Mondstadt
Wer wusste schon in diesen Tagen des Jahres 2121, dass an jenem 31.3. Geschichte geschrieben würde? Die Sicherheitsvorkehrungen für den Flug Erde-Mond mit dem Passagierschiff „Silence“ waren enorm gewesen und waren der Grund dafür, dass ich mich an Bord befand. Richard Wagner, der Chef des American Space Security Services, kratzte sich an seinem Kinn, ein Zeichen dafür, dass er schwer am überlegen war. Wagner und ich waren zwei von insgesamt sechs Sicherheitsleuten an Bord der „Silence“. Uns diente ein spärlich ausgestatter Ruheraum der Erholung, der allerdings immer nur von zwei Beamten genutzt wurde, da die anderen vier zeitgleich die Sicherheit an Bord der „Silence“ sorgen mussten. Sie patrollierten in regelmäßigen Abständen jegliche Aufenthaltsbereiche und holten sich einmal in der Stunde das „okay“ des Commanders ab. Commander des Schiffes war Ian Richard Giggs, in Irland geboren und seit seinem vierten Lebensjahr Amerikaner. Er war der erfahrenste Commander, den die NASA zur Verfügung hatte und zugleich war es für ihn wohl die letzte Fahrt in den Weltraum.
„Die ersten Bewohner der Stadt auf dem Mond werden noch mit allerlei Problemen zu kämpfen haben!“, hatte Giggs mir vor dem Flug gesagt, da wir uns über eine gemeinsame Bekannte flüchtig kannten.
„Ich dachte, die Sicherheitsvorkehrungen auf dem Mond wären auf dem neuesten Stand!“, hatte ich erwidert.
Die Mondstadt befand sich unter einer riesigen Kuppel, in der sich erdähnliche Luft befand. Sechszehn Jahre hatte die NASA an der Verwirklichung des Mondprojekts gearbeitet und dieser Flug, der die ersten Bewohner zu ihrer neuen Heimat beförderte, stellte das Ergebnis einer jahrelangen, knochenharten Arbeit dar. Die Kuppel selbst bestand aus einer undurchlässigen Schicht eines künstlich hergestellten Stoffes, der es vermied, dass die kostbare Luft aus der Kuppel in den Weltraum entwich und zugleich verhinderte, dass die Strahlung des Weltraums in die Mondstadt eindrang.
In ihren ersten Tagen des Jahres 2121 verfügte die Stadt über Häuser für 662 Einwohner, die sich allesamt an Bord der „Silence“ befanden. Hohe Erwartungen hatten die Hauseigentümer, unter denen sich hauptsächlich Prominiente befanden, da sich der normale Mensch ein Haus auf dem Mond nicht leisten konnte. Obwohl die Stadt von der amerikanischen Regierung, mit Unterstützung von diversen europäischen Staaten, subventioniert wurde, kostete ein Haus trotzdem 5.000.000 US-$. Den Lebensunterhalt für ein Jahr schätzte die New York Times damals auf 15.000.000 $, wobei der Staat diese Summe durch eine Subvention von 80% deutlich zu verkleinern wusste.
„Kommen Sie, Fox. Wir sind dran!“ Wagner streckte mir die Hand entgegen und half mir beim Aufstehen aus dem gemütlichen Bett, auf dem ich kurz versucht hatte, ein kleines Nickerchen zu machen. Mike Hammer und Dan Stein, unsere beiden Kollegen, machten es sich in unserem Ruheraum bequem und würden nach einem kurzen Imbiß wohl ebenfalls versuchen, eine Mütze voll Schlaf zu bekommen.
Nichts auf der Welt hätte uns auf die drohende Gefahr hinweisen können. Sechs Securitymen waren an Bord, um etwaige Gefahren an Bord des Schiffes zu verhindern, ähnlich wie es Anfang des 21. Jahrhunderts in Amerika eingeführt wurde: Flugbegleitungen, um zu verhindern, dass ein terroristischer Anschlag verübt werden könnte.
Die Gefahr, die sich uns näherte, kam von außen: ein Raumschiff, dass der NASA vor knapp zwei Jahren als gestohlen gemeldet worden war, erschien an den Fenstern und brachte sichtlich Unruhe in die Menschenmenge. Wagner und ich eilten auf die Brücke um dort einen völlig verzweifelten Commander vorzufinden. Gerade erfuhren wir live über Funk, was der Stand der Dinge war.
„...bitte ich die „Silence“ beizudrehen und zehn Mann meiner Crew aufzunehmen. Desweiteren erbitte ich mir, dass sich der an Bord befindende Security Service in unsere Gefangenschaft begibt und auf Waffengewalt verzichtet. Sollte einer meiner Männer der Gewalt einer Waffe ausgesetzt sein, eröffne ich sofort das Feuer!“
Navigator Mario Pasanen deutete dem Commander, dass die Durchsage vorbei sei.
„Es handelt sich um die „Alpha X“, beeilte sich Commander Giggs uns aufzuklären, „ein Kampfschiff der alten Alpha-Serie. Dennoch nicht zu unterschätzen, zumal wir unbewaffnet sind!“
Dass die amerikanische Regierung auch Kampfschiffe bauen gelassen hatte, hatte der Prevention dienen sollen. Auch andere Länder hatten den Weltraum für ihre Zwecke entdeckt und zuerst waren die Chinesen aufgefallen, wie sie Waffen im Weltraum erprobt hatten.
Da China den USA gegenüber eher feindlich gesinnt war, hatte daraufhin eine Art Wettrüsten begonnen, das aber aufgrund der wirtschaftlichen Depression Chinas mit Beginn des Jahres 2115 ein schnelles Ende gefunden hatte. Trotzdem hatte die amerikanische Regierung mit einem kleinen Budget weiterhin Entwicklungen im Kampfbereich der Raumfahrt finanziert, bis zu jenem tragischen Tage, wo das „Alpha X“- Schiff von unbekannten Terroristen am hellichten Tage entführt worden war. Sechs Mitglieder der NASA waren unter den Entführern gewesen, von denen zwei bereits mehrfachen Urlaub in China gemacht hatten. Das Außenministerium hatte mit dem schlimmsten gerechnet, bevor mehrere amerikanische Spione beweisen konnten, dass China mit der Entführung rein gar nichts am Hut hatte. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Terrorzelle, die der etwas paranoide Präsident Mitch Jackson dennoch in Asien sah.
„Meine Männer werden bereit stehen und die Terroristen in Empfang nehmen!“, sagte Wagner, „Es sei denn, dass Sie sich dem Befehl des fremden Commanders unterwerfen wollen!“
Commander Giggs starrte mit leeren Augen vor sich hin.
„Tun Sie, was Sie denken, dass das Beste ist!“, sagte Giggs und entledigte sich damit einer eigenständigen Entscheidung.
Alle sechs Security Men standen mit schussbereiten Waffen vor der Schleuse. Durch die Fenster sahen wir die Astronauten des uns feindlich gesannten Raumschiffes, aus denen sich zehn Mann mit raketenartigem Antrieb unserem Schiff näherten. Der besonders moderne und schnelle Raketenantriebssatz war von den Chinesen entwickelt worden und bis jetzt noch nicht von den Amerikanern kopiert worden können.
„Sind es doch die Schlitzaugen?“, fragte Mike Hammer nervös. Auch er war über die Entführung der Alpha X ausführlichst informiert.
„Ich denke nicht. Und beachten Sie Ihre Ausdrucksweise!“, antwortete Wagner leicht säuerlich. Die Schleuse öffnete sich. Wir hatten uns hinter einem Stapel Werkzeug versteckt und waren nicht zu sehen. Die fremden Astronauten entledigten sich ihren Kombinationen und Wagner gab den Begriff zum Angriff, sofort nachdem sich die Schleuse wieder geschlossen hatte.
Das Feuergefecht dauerte wenige Minuten. Wie sich wenig später herausstellte, verloren die Terroristen sechs Mann, wohingegen wir drei Mann einbüßten. Auch Dan Stein hatte den Feuerwaffen des Gegners nicht mehr ausweichen können und außer Mike Hammer waren nur noch Wagner und ich am Leben, wobei Wagner schwer verletzt war. Die anderen vier Terroristen hatten keine Waffen mehr in ihrer Nähe und ergaben sich Hammers und meinem Gewehr. Wir führten sie ab und sperrten sie zu viert in den kleinen Ruheraum des Security Services, nachdem wir kurzfristig auf den Flur umgezogen waren. Unsere Bettwäsche und unser Hab und Gut war dort überall verstreut und Commander Giggs sprach von einer nicht dauerhaft dasein könnenden Behinderung.
Etwa zwanzig Minuten nach dem Feuergefecht meldete sich die Alpha X und verlangte einen seiner Leute namens Geoffrey Hanks zu sprechen. Der farbige Afroamerikaner war unter den Überlenden und Hammer zwang Hanks mit Waffengewalt von dem Feuergefecht nichts zu erzählen.
„Hanks, Sie und O’Hara kommen bitte zurück und begleiten Tim Smith und mich an Bord der „Silence“!“
Wir hatten Glück. Auch O’Hara war noch unter den Lebenden. Hanks beendete das Gespräch und Hammer und ich schlüpften in die Kombinationen der Terroristen.
Die mangelnde Erfahrung mit dem Raketenantrieb wäre Hammer fast zum Verhängnis geworden, da er anfangs drohte, an der Bordwand der Alpha X zu zerschellen, bevor er seinen Kurs korrigieren konnte. Der Raketenantrieb war wirklich schnell und gut zu handhaben und auf jeden Fall waren uns die Chinesen hier um einiges im Voraus.
Die Schleuse der Alpha X öffnete sich. Wir stiegen aus und unsere Waffen beendeten den Raumzwischenfall. Wie wir schon von Hanks unter Druck erfahren hatten, bestand die Besatzung der Alpha X genau aus ihrem Limit: zwölf Mann. Daher war es zu einem 2-2 Duell gekommen, wobei das Überraschungsmoment auf der Seite von Hammer und mir gestanden hatte. Kein Schuss war gefallen und wütend hatten sich Tim Smith und Ron Mercier, der Commander von Alpha X, in unseren Gewahrsam begeben müssen.
Heute muss ich nicht mehr verschweigen, dass damals der Feind mit Foltermethoden zum Reden gebracht wurde. Daher erfuhren wir auch wenig später, dass Mercier und seine Männer ursprünglich vorhatten, unser Schiff lediglich zu überfallen. Die Angst, dass es sich um einen kriegerischen Akt der Chiensen gehandelt hatte, bewies sich als unbegründet.
Des weiteren bekannten sich Mercier und seine Leute zu einer Terrorzelle namens „Nahkampf“, von der niemand bisher gehört hatte, auf deren Konto allerdings laut Mercier auch die Entführung der Alpha X ging.
„Commander, ich habe gerade der Erde gefunkt, dass wir den Anflug auf den Mond jetzt fortsetzen können!“, sagte Commander Giggs und schüttelte Hammer, dem verletzten Wagner und mir erneut die Hände, wobei mein Chef bereits über den Berg war. Der Schiffarzt hatte die Wunden wenn nicht perfekt, dann doch sehr ordentlich versorgen können und die abschließende Behandlung konnte noch einige Zeit auf sich warten lassen.
Hammer und ich verließen die Kommandobrücke und gingen wieder unsere Runde. Zwar war der Security Service stark geschwächt worden, jedoch bestand große Hoffnung darauf, dass sich ein solcher Zwischenfall nicht wiederholen würde.
Commander Giggs würde jetzt noch mit der NASA zu regeln haben, was mit der Alpha X geschieht, doch das interessierte mich nicht. Zusammen mit Mike Hammer gingen wir in den Gästeruheraum, vorbei an den Passagieren, die wir vor einer großen Gefahr bewahrt hatten.
Dort lagen sie, unsere gefallenden Kameraden und leise sprach Hammer ein kurzes Gebet.
In diesem Ruheraum würde wohl lange kein Wort mehr gesprochen werden.