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Was nicht passt, wird passend gemacht
Nach mehreren gescheiterten Studienversuchen, habe ich mich dem gewidmet, was jeder mag, viele verfluchen und dem dennoch niemand widerstehen kann - Süßwaren. Meine Freundin und ich werden eine nette, kleine Bäckerei eröffnen. Das „Kleine Süße“. Es soll etwas Märchenhaftes haben, so ungefähr wie bei "Alice im Wunderland". Wir wollen alles in weiß- und cremefarben halten. Der Boden besteht aus ganz alten Eichenholzdielen, die wir um teures Geld schleifen ließen. Da dieses Unterfangen mehr unseres Budget verspeist hat, als wir eigentlich geplant hatten - eines meiner gescheiterten Studien war Finanzplanung, spätestens jetzt weiß ich auch, wieso ich gescheitert bin - müssen wir an anderen Ecken und Enden sparen, also beschließen wir den Rest selbst zu renovieren und zu streichen. Selbst ist die Frau eben.
Ich habe auch schon viel Erfahrung in Wände streichen. So ungefähr mehrere Dutzend. Das kommt davon, dass ich immer, nachdem eine meiner Beziehungen gescheitert war, in den Baumarkt gefahren bin, 3 Kübel Farbe, Pinsel und Malerrollen, Farbschutzfolien, Klebebänder und diese tollen weißen Schutzanzüge, in denen man etwas von einem Teletubbie hat, geholt habe. Kaum zuhause angekommen, ging es auch schon los. Anfangs, als ich noch keine Ahnung von Wandumgestaltungspraktiken hatte, mussten leider auch ein paar meiner schönen edlen Ikea-Do-it-yourself-Möbel daran glauben. So waren manche davon mit Farbkleksen verziert worden. Das gab ihnen den nötigen Charakter. Ikea hält es lieber schlicht.
Und nachdem das mit den Beziehungen nicht so richtig klappen wollte, verbesserten sich meine Ausmalkünste nach und nach. Wie sagt man so schön, jedes Böse bringt sein Gutes. In meinem Fall brachte es immer wieder frisch ausgemalte Wände und farbverzierte „Ikea-braucht-mehr-Charakter“ Möbel. Und da ich eben schon ein Profi darin bin, vertraut mir Nina die Wände unseres gerade neu erworbenen Cafés an.
Also wieder ab zum Baumarkt, wo man mich bereits in ihre Stammkundenkartei aufgenommen hat und schon beim Betreten des Marktes immer mit Vornamen grüßt. Doch diesmal komme ich nicht völlig verheult und niedergeschlagen in Jogginganzug und großer dunkler Sonnenbrille an, nein, diesmal als stolze Cafébesitzerin. Ich bin nun Unternehmerin und so will ich mich auch präsentieren. Also lässig raus aus dem Auto, gerade gehen, Brust raus, Kopf hoch und auf in die Farbabteilung. Dort angekommen kommt auch schon Milosz, der Abteilungsleiter, auf mich zu um mich zu begrüßen. „Oh, da sind Sie ja wieder! Was darf es denn diesmal sein? Vielleicht ein schöner Fliederton und dazu passend ein dunkler Blauton?“, fragt er mich freundlich mit einem bedauernden Blick. „Nein, diesmal pures Weiß. Für rund 45m2.“ „Oh, also etwas mehr als sonst? Möchten Sie auch gleich den Rest der Wohnung streichen?“, klingt es von Milosz noch mitleidiger. Jetzt denkt er wohl, ich sei in eine völlige Krise gestürzt und stünde kurz vor meinem ersten Suizid. „Nein, nein,“ höre ich mich fröhlich sagen, „ich eröffne ein Café. Das heißt, meine Freundin und ich, wir eröffnen zusammen eine Bäckerei mit Café und möchten bei der Renovierung etwas selbst Handanlegen.“ Und schon strahlt mich Milosz an und beglückwünscht mich, zu diesem mutigem Unterfangen. Wo es denn sei und wann wir eröffnen würden, will er sofort wissen, er würde nämlich bestimmt mit seiner Frau mal vorbeikommen. Aha, sehr gut, da haben wir also schon mal die ersten Kunden. Gut so, denke ich, bei all dem vielen Zeug, das ich hier schon gekauft und so viel Geld, wie ich hier schon gelassen habe, sollte die ganze Baumarktbelegschaft zumindest die nächsten 5 Jahre bei mir einkaufen.
„Ah, das wird wohl noch gute vier Wochen dauern, bis es soweit ist. Wir haben gerade erst den Boden schleifen lassen und jetzt sind die Wände dran. Und dann brauchen wir noch die gesamte Einrichtung, den Tresen die Backöfen usw. Sie können sich das sicher gut vorstellen.“ „Aber ja, natürlich. Ist viel Arbeit. Ich habe bei uns zuhause auch alles selbst gemacht. Und meine Frau, sie hat da genaue Vorstellungen, wie sie was haben möchte, und wenn was nicht passt, dann muss es passend gemacht werden. Da ist es umso praktischer, dass ich hier in diesem Baumarkt arbeite. Da bekomme ich zumindest Prozente und kann mir alle Maschinen auch günstig ausleihen“, lächelt mich Milosz an und bei seinem breiten Grinsen kommen seine Goldzähne zum Vorschein. Eigentlich ein sehr lieber Kerl. „Also falls Sie Hilfe brauchen, eventuell könnte ich Ihnen etwas behilflich sein. Ohne Rechnung versteht sich. Für eine schöne Tasse Tee und einen guten Topfenstrudel.“ Ein wirklich sehr lieber Kerl. „Vielen Dank, Milosz, das ist sehr freundlich, aber ich hoffe, dass wir das auch alleine hinkriegen. Sie wissen schon, selbst ist die Frau.“, zwinkere ich ihm noch zu, bevor ich mehrere Farbrollen, Pinsel und Teletubbieanzüge in meinen Einkaufswagen verstaue. Milosz hievt 4 Kübel weißer Farbe noch dazu und wir verabschieden uns. Er wünscht mir viel Erfolg bei meinem Unterfangen und ich verspreche ihm, ihn und seine Frau zur Eröffnung einzuladen.
An der Kasse lasse ich mir eine Mehrwertsteuerrechnung geben, so wie Caro es mir befohlen hatte. Caro ist eine meiner ältesten Freundinnen und arbeitet in einer riesigen Steuerberatungskanzlei. Und da sie genau weiß, dass ich keine Ahnung von Finanzen und Budgetierung und Soll- und Habenrechnungen habe - wie gesagt, das Wirtschaftsstudium war auch nur ein Reinfall - hat sie, als sie von Ninas und meinem Vorhaben selbständig zu werden gehört hatte, sich sofort dazu bereit erklärt unsere Buchhaltung und Steuererklärung zu übernehmen. Meine Aufgabe ist es dabei, mir für alles, was ich für das Café ausgebe, Rechnungen geben zu lassen und ihr mit Ende der Woche zu übergeben. Jawohl, Ma’am. Wird gemacht.
Im Café angekommen, finde ich Nina hinten in unserer Backstube, wo sie gerade mit einem Küchenausstatter über die Einrichtung diskutiert. Der versucht ihr nämlich gerade die italienischen Steinplatten als Arbeitsfläche einzureden. Die wären sehr stabil und würden natürlich sehr edel wirken. Allerdings wäre das natürlich eine Sonderanfertigung und würde somit ein bisschen mehr kosten.
Da klingelt es bei mir. Die Worte „mehr kosten“ gefallen mir schon mal gar nicht. Oh nein, mein lieber, so nicht. Da muss ich sofort einschreiten. Aber Nina und der Küchenfutzi reden beide gleichzeitig auf mich ein und versuchen mir zu erklären wie toll sich solche massiven Steinplatten in unserem schlichten Café präsentieren würden und und und. Den Rest überhöre ich.
Total erschöpft von all dem Denken und Entscheiden stimme ich letztendlich zu. Das werde ich morgen sicher wieder bereuen, aber im Moment ist mir nicht nach Diskutieren und Verhandeln und Neukalkulieren, also nicke ich einfach und winke ein „Ja ja, von mir aus.“
Es ist schon spät und draußen haben Sonne und Mond gerade abgeklatscht. Es wird dunkel und im Café kommen unsere russischen Leuchten zum Einsatz. Morgen müssen wir unbedingt die Lampen bestellen.
Ich träume gerade davon, mich auf den Heimweg zu machen, auf dem Weg noch schnell etwas vom Asiaten zu holen und zuhause mit meinem Liebsten den Abend ausklingen zu lassen, mit einem schönen Glas Wein und gebratenen Nudeln.
Aber dann fällt mir wieder ein, dass Paul ja verreist ist und vor Donnerstag nicht zurück sein wird. Also drei Tage alleine schlafen.
Gerade als ich mich schon von Nina verabschieden möchte, steht sie schon in ihrem Teletubbie-Outfit und selbst gebasteltem Papierschiffsmützchen da und will anfangen auszumalen. Nein, nein, nein. Doch nicht heute noch, das kann ja wohl noch bis morgen warten. „Na was meinst Du? Steht mir doch super! Soll ich Dir auch ein Schiffshüttchen machen?“ „Hä? Willst Du das wirklich noch heute machen? Es ist spät und außerdem ziemlich dunkel hier, da erkennen wir doch gar nicht ob wir keine Striemen rein machen.“ „Ach was, das geht doch ganz schnell. Ein zwei Stunden und wir sind fertig. Vor allem mit deiner Erfahrung“, Nina grinst mich an und streckt mir die Zunge frech aus. Adieu gebratene Nudeln, hallo stinkende Wandfarbe.
Gerade als ich mich umziehen gehen möchte, höre ich Nina plötzlich laut aufschreien, „verdammte Scheiße noch einmal.“ „Was ist denn da passiert? Nina was zum Kuckuck hast Du gemacht??“ „Ich wollte nur den Farbeimer heben und dabei ist mir der Griff abgebrochen und die Farbe etwas ausgeronnen.“ „Etwas ausgeronnen? Mist, das Zeug verteilt sich gerade auf unserem heiligen Boden! Los, wir müssen das schnell aufwischen bevor es ins Holz reingeht.“ Eine gute Stunde später sitzen wir auf dem Boden, der jetzt wieder recht versifft aussieht. „Naja,“ sage ich, „ein weißer Holzboden würde hier auch ganz gut rein passen.“
Wir sehen uns an und fangen laut an zu lachen. Das Ausmalen verschieben wir dann besser doch auf morgen.