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Was ist schon Glück?

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05.06.2004
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Was ist schon Glück?

„Und, was machst du in den Sommerferien?“ Die Frage prallte an Linda ab, scheinbar ohne Bedeutung. Ihre Ohren schenkten ihm keine Beachtung. „Hey, Linda, was ist los?“ Judith, Lindas Freundin schien verwirrt. „Hörst du mir überhaupt zu? Hallo?“ Judith wedelte mit ihrer Hand vor Lindas Gesicht herum. „Linda, du Träumerin, wach auf!“ Doch Linda zeigte keinerlei Reaktion. Sie starrte auf einen Punkt, nein, eher auf eine Person, einen Jungen, Sebastian. Seine dunkelgrünen Augen. Sie schwamm in ihnen, ließ sich von ihnen in eine andere Welt treiben, die niemand sonst auch nur erahnen konnte. Wenn sie ihn ansah, war ihre Welt vollkommen in Ordnung. Doch das durfte niemand wissen. Das war ihr Geheimnis. Schon seit drei Jahren. Niemand wusste davon. Keiner ahnte, dass sie Sebastian liebte. Er selbst am allerwenigsten. Und das war perfekt so. Perfekt.
Schon als sie ihn am ersten Schultag in der neuen Schule gesehen hatte, hatte sie sich vom Fleck weg in ihn verliebt. In sein Lächeln, sein Lachen, seine lustige Art und vor allem in seine schwermütigen Augen. Wenn sein Blick sie zufällig streifte, verschlug es ihr regelmäßig den Atem. Ihm gegenüber fühlte sie sich wie das typische hässliche Entlein. Denn er war der strahlende Prinz, von dem sie sich sehnlichst wünschte, endlich gerettet zu werden. Und beschützt zu werden. Beschützt vor ihrem Leben, der Realität und der Grausamkeit der Welt. Leider holte sie im Moment die Wirklichkeit auf miese Weise wieder ein. Sie wurde von Judith in die Realität zurück gezerrt, erwachte aus ihrem tranceähnlichen Zustand.
„Was – Was ist?“, nuschelte sie. Judith war wütend. „Wenn du mal wieder eine deiner ‚ich bin zu beschäftigt mit Nachdenken, als dass ich mich um sonst jemanden scheren könnte‘ Phase hast, dann ist es wohl besser, wenn ich dich den Rest des Tages in Ruhe lasse.“
„Nein, nein. Tut mir echt leid“, beeilte sich Linda zu versichern. „Bin zur Zeit halt nur ein bisschen durcheinander. Ferien und so. Wollte dich nicht fertig machen.“
Judith lächelte. „Ist schon in Ordnung. Also, was machst du in den Ferien? Ich fahr drei Wochen nach Spanien.“
Linda seufzte traurig. „Ich bleibe zuhause. Wird ja wohl echt spannend werden.“

Die nächsten paar Tage verstrichen. Die Ferien begannen. Um ihre endlose Langeweile zu bekämpfen, fuhr Linda regelmäßig zum See, der am Stadtrand lag. Sie lag auf ihrem Badetuch auf dem Rücken, blinzelte in die Sonne oder beobachtete die Mücken, die über der Wasseroberfläche hin und her surrten.
Doch sonst schien sich niemand her zutrauen. Bis sie auf einmal eines Tages, als sie gerade ankam, ein Mädchen ihres Alters am Ufer entdeckte. „Hallo“, rief sie etwas schüchtern, aber entschlossen, endlich nach Gesellschaft zu suchen. „Hey“, antwortete das Mädchen und kam auf sie zu. „Ich bin Julia. Und du?“
„Linda“, erwiderte Linda knapp. „Was tust du hier?“
„Mich langweilen“, sagte Julia. „Sommerferien können so öde sein.“
„Das ist wahr“, stimmte Linda ihr zu.
Die beiden kamen ins Gespräch. Die folgenden Tage trafen sie sich immer wieder mal am See oder gingen zusammen ins Kino oder Eis essen. Die Langeweile schien nie existiert zu haben.
Linda hatte in den vergangenen Wochen kaum mehr an Sebastian gedacht. Er war ein Traum, der nach dem Beginn eines neuen Tages fast vergessen war, nur noch irgendwo im Unterbewusstsein weiter lebt. Doch wie jeder tiefergehende Traum konnte er anhand eines Wortes, eines Gedankens oder einer Erinnerung wieder heraufbeschworen werden. So kam es, dass Linda und Julia eines milden, gedämpften Abends auf der Terrasse vor Lindas Haus saßen und sich unterhielten. Die Hitze des Tages hatte die beiden müde gemacht, deshalb waren sie froh, im sanften Dämmerungslicht auf zwei Liegen entspannen zu können.
Julia fragte: „Na, jetzt musst du mir aber mal erzählen, auf wen du stehst. Ich meine, es ist Sommer, es ist warm, die Sonne scheint wie bescheuert, überall gute Laune. Die beste Zeit überhaupt für die große Liebe. Na komm, sag schon, wie ist sein Name?“
Das war der Augenblick, in dem sich ein furchtbar beklemmendes Gefühl in Lindas Magengegend rammte. Sebastian. Verdrängt, aber nie vergessen.
Vielleicht ist es an der Zeit... vielleicht ist es wirklich an der Zeit, dachte sie. Sie atmete schnell und zupfte Gras von der Wiese.
„Na ja, weißt du, das ist alles nicht so einfach“, begann sie. Julia hörte ihr aufmerksam zu. „Ich liebe einen Jungen. Schon viele Jahre. Ich liebe ihn wahnsinnig. Allerdings heimlich. Niemand weiß davon, niemand außer mir und nun dir. Er ist alles für mich. Mein Leben, meine Luft zum Atmen, mein Grund, morgens aufzustehen, mein Grund, mich im Leben um irgendetwas zu bemühen. Er ist derjenige, der dem Unsinn einen Sinn gibt, der Ordnung ins Chaos bringt, der die Schmerzen heilt, der die Dunkelheit erhellt. Er ist alles, wofür ich lebe oder je gelebt habe.“ Sie stieß die Worte heftig und stockend hervor. Dann lächelte sie gequält. „Dramatische Ansprache, ich weiß. Aber es ist, wie es ist. Er gibt meinem Leben den Sinn. Ich wollte es lange nicht wahrhaben, aber es ist so. Aber ich habe keinerlei Anspruch auf ihn, das weiß ich auch und es macht mich fertig.“ Sie schwieg einen Augenblick. „Bisher konnte ich noch nie mit jemandem so offen darüber reden, aber vielleicht war das einfach mal nötig.“ Jetzt lächelte sie wirklich.
Julia dachte einen Moment nach, dann sagte sie: „Wow, weißt du... von so einer Liebe hört man täglich irgendwo, liest etwas darüber oder sieht einen Film darüber. Und ich war bis jetzt immer beeindruckt von so einer Liebe, weil ich nie geglaubt hab, dass es so etwas wirklich gibt. Einen Menschen, der nur lebt, weil es einen anderen Menschen gibt. Aber jetzt, wo ich dich jetzt so davon erzählen höre, kann ich nur sagen...“ Sie stand langsam auf, drehte Linda bedächtig den Rücken zu und schlenderte ein wenig vor ihr hin und her. Dann drehte sie sich abrupt um, packte Linda an den Schultern und schrie ihr ins Gesicht: „Verdammt noch mal, lös dich von diesem Kerl. Er liebt dich nicht und wird es niemals tun. Also zerstör dich nicht selbst, in dem du bis an dein Lebensende dem Irrglauben anhängst, du seist ohne ihn kein lebendiger, kompletter Mensch. Lös dich von ihm, vergiss ihn, verachte ihn, wenn du ihn siehst. Krieg ihn aus deinem Kopf, schmeiß ihn aus deinen Gedanken raus. Sei wieder Herr über dich selbst. Mach dich nicht zu seinem unwillkommenen Anhängsel!“
Sie ließ Linda los und tigerte unruhig vor ihr hin und her. Linda schwieg. Lange. Nach einer Ewigkeit sagte sie: „Es ist verrückt. Aber ich glaube du hast recht. Ja, du hast bestimmt recht. Ich bin ein echter Vollidiot. Ich kann, ich muss, ich werde ihn vergessen.“ Sie lächelte Julia an und Julia blickte stolz zurück.
Die restlichen Ferienwochen verbrachten die beiden natürlich immer noch zusammen und Linda stellte mit immer größerer Freude fest, dass sie kaum noch an Sebastian dachte, dass sie nie, selbst bei Erwähnung seines Namens, direkt an ihn erinnert wurde und dass sie nachts nicht mehr von ihm träumte. Sie war glücklich. Die Zeit mit Julia tat ihr gut und zeigte ihr, wie viele andere wundervolle Sachen es auf der Welt gab, die einem viel mehr Glück schenken konnten, als die unglückliche Liebe zu Sebastian. Sie würde nie wieder so dumm sein. Nein, diese Zeiten waren vorbei.
Der erste Schultag nach den Ferien kam. Und mit ihm doch eine leichte Panik. Sie betrat das Schulgebäude. Am Treppenabsatz atmete sie noch einmal tief durch. Sie würde gewappnet sein. Dann betrat sie den Klassenraum, bereit, gestärkt, selbstbewusst. Sie ging zu ihrem Platz, begrüßte all ihre Freundinnen und wurde gleich in ein Gespräch über die Ferien verwickelt.
Doch sie hörte kaum zu. Sie versuchte, ihre etwas durcheinander geratenen Gedanken in ihrem Kopf zu ordnen. Danach blickte sie auf, mitten in sein Gesicht. Ihr Herz schmolz dahin, ihre Gedanken flogen davon, die Worte ihrer Freundin waren nicht existent. Sie ertrank in seinen Augen. Und war irgendwie doch glücklich.

 

Hallo Liuri!

Erst einmal herzlich willkommen auf kg.de! :)

Der Einstieg in Deine Geschichte hat mir recht gut gefallen, da schaffst Du es, ein Bild der Protagonistin zu zeichnen, sie ein bisschen zu charakterisieren. Aber ab da, wo die beiden Mädchen auf der Terrasse saßen, hatte ich das Gefühl, Du wolltest der Geschichte beim Schreiben davonlaufen.
Ich finde, Du solltest die Geschichte noch um viele viele Absätze ausbauen, in denen Du ein bisschen detailreicher und tiefgehender auf die Gespräche von Julia und Linda eingehst, die offenbar recht tiefgehend waren, sonst könnte Julia Linda nicht in so kurzer Zeit so gut kennen, denke ich. Und diese Gespräche streifst Du eigentlich nur erzählend, als Leserin fehlen sie mir aber, um die Aussage Julias, …

„Verdammt noch mal, lös dich von diesem Kerl. Er liebt dich nicht und wird es niemals tun. Also zerstör dich nicht selbst, in dem du bis an dein Lebensende dem Irrglauben anhängst, du seist ohne ihn kein lebendiger, kompletter Mensch. Lös dich von ihm, vergiss ihn, verachte ihn, wenn du ihn siehst. Krieg ihn aus deinem Kopf, schmeiß ihn aus deinen Gedanken raus. Sei wieder Herr über dich selbst. Mach dich nicht zu seinem unwillkommenen Anhängsel!“
…nachvollziehen zu können, da der Inhalt der Aussage mehr nach langer tiefer Freundschaft klingt, gerade auch durch das „Verdammt nochmal“, das irgendwie nach zahlreichen fehlgeschlagenen Versuchen, Linda das klar zu machen, klingt, was aber nicht sein kann, da ja alles innerhalb dieser Ferien spielt. Daher würde es meiner Meinung nach wesentlich glaubwürdiger rüberkommen, wenn Du der Geschichte mehr Tiefe gibst. Sie könnte dabei ruhig auch um zwei Seiten länger werden, das schadet nicht. ;)

Ein paar Kleinigkeiten hab ich noch gefunden:

»Tut mir echt leid«
Leid

»Doch sonst schien sich niemand her zutrauen.«
– „her zu trauen“

»Doch wie jeder tiefergehende Traum konnte er anhand eines Wortes, eines Gedankens oder einer Erinnerung wieder heraufbeschworen werden. So kam es, dass Linda und Julia eines milden, gedämpften Abends auf der Terrasse vor Lindas Haus saßen und«
– eines Gedanken
– würde „So kam es“ weglassen und den Satz umformulieren

»deshalb waren sie froh, im sanften Dämmerungslicht auf zwei Liegen entspannen zu können.«
– Dämmerlicht

»Aber es ist, wie es ist. Er gibt meinem Leben den Sinn. Ich wollte es lange nicht wahrhaben, aber es ist so. Aber ich habe keinerlei Anspruch auf ihn, das weiß ich auch und es macht mich fertig.“ Sie schwieg einen Augenblick. „Bisher konnte ich noch nie mit jemandem so offen darüber reden, aber vielleicht …«
– Hier sind etwas viele „aber“ versammelt

»Aber jetzt, wo ich dich jetzt so davon erzählen höre,«
– zweimal „jetzt“

»du hast recht. Ja, du hast bestimmt recht.«
Recht


Liebe Grüße,
Susi :)

 

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