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Was ist mit Alice?
„Mike! Beeil dich!“, schrie mein Vater. „Deine Mutter wartet auf uns.“ Ich zog mir schnell meine Hose an und schnappte mir eines der T-Shirts, die auf meinem Stuhl lagen. Ich roch kurz daran und legte es schnell wieder weg. Ich ging zum Kleiderschrank, nur um festzustellen, dass ich keine sauberen Oberteile mehr hatte. Schließlich nahm ich doch eines der T-Shirts von meinem Stuhl und ging ins Badezimmer. „Mike!“ schrie mein Vater wieder. „Ich komme sofort“, antwortete ich ihm. Im Badezimmer wusch ich schnell mein Gesicht, putzte Zähne und sprühte mein T-Shirt mit Deo ein. Als ich endlich fertig war, ging ich in den Flur, zog meine Schuhe und meine Jacke an und wollte gerade meinen Vater fragen, ob ich fahren darf, da hielt er mir die Schlüssel vom Auto schon hin. „Ich bin zu aufgeregt um zu fahren“, sagte er.
Als wir endlich am Krankenhaus ankamen, war ich so aufgeregt. Es war der Tag, an dem ich meine kleine Schwester das erste Mal sah. Als wir das Zimmer betraten saß meine Mutter auf dem Bett und hielt Alice fest in ihren Armen. Sie sah so glücklich aus. „Hast du die Tasche dabei?“, fragte sie meinen Vater. Mein Vater schaut panisch auf, beruhigte sich dann aber wieder, als ihm einfiel, dass er sie nur im Auto vergessen hatte. Er verschwand mit den Worten: „Bin gleich wieder da“, aus dem Zimmer. Ich ging zum Bett meiner Mutter und setzte mich neben sie. „Willst du sie auch einmal halten?“, fragte sie mich. Sie legte Alice in meine zitternden Arme. Da erst fiel mir auf, dass Alice wach war. Ihre strahlend blauen Augen musterten mein Gesicht. Sie war so schön, wie ein kleiner Engel. ,,Mein Engel“, flüsterte ich. Ich lächelte und sie fing an zu lachen. Ich war vorher noch nie so glücklich gewesen.
In diesem Moment kam mein Vater mit der Tasche wieder ins Zimmer. „Ich habe auch die Jacke mit, die wir zusammen gekauft haben“, sagte er und nahm eine kleine Jacke aus der Tasche. Meine Mutter nickte nur. Ich wollte ihr Alice zurück in die Arme legen, doch sie stand im selben Moment auf, nahm sich die Tasche und verschwand damit im Badezimmer. „Ist sie nicht das hübscheste Mädchen, was du jemals gesehen hast?“, fragte mein Vater stolz. „Ja“, sagte ich. Ein paar Minuten saß ich da noch und habe sie mir ganz genau angeguckt. Dann kam meine Mutter wieder und nahm Alice. Mein Vater streckte ihr die Jacke entgegen, doch sie sagte: „Nicht jetzt. Ich möchte endlich weg hier. Das können wir auch zu Hause machen.“ Mein Vater nickte und nahm meiner Mutter die Tasche ab. Wir verließen das Zimmer.
Als wir beim Auto waren, setzte meine Mutter sich nach hinten und mein Vater legte Alice in die Kinderschale. Mein Vater setzte sich auf den Beifahrersitz und ich durfte wieder fahren. Noch vorsichtiger als sonst fuhr ich die Straße entlang. Meine Mutter machte scheinbar die ganze Zeit lustige Sachen, denn ich hörte wie Alice lachte. Dann fing meine Mutter an zu fluchen. Ich drehte mich um, um zu gucken, was passiert war. Alice hatte die frischen Sachen meiner Mutter vollgespuckt. Ich grinste. Gerade als ich mich wieder nach vorne drehen wollte schrie mein Vater auf. Dann wurde alles schwarz.
Als ich wieder zu mir kam, wusste ich erst nicht, wo ich war. Erst als ich die kühlen weißen Wände sah und den ekelhaften Geruch von Desinfektionsmittel roch, wusste ich, dass ich im Krankenhaus lag. Panisch blickte ich mich um, doch außer mir war niemand in meinem Zimmer. In diesem Moment kam eine Krankenschwester hinein, die scheinbar überrascht war, dass ich wach war. Sie sagte irgendetwas zu mir, doch ich hörte ihr nicht zu. Ich wollte nur wissen wo meine Familie ist. Ich versuchte zu sprechen, doch es kam nichts als ein Krächzen heraus. Ich versuchte es ein zweites Mal. Dieses Mal gelang es mir die Worte: „Mum, Dad, Alice“, hervor zupressen. Die Krankenschwester half mir beim Aufstehen und brachte mich ins Nebenzimmer. Ich sah meine Mutter. Sie lag mit dem Rücken zur Tür gewandt. Ich ging einige Schritte ins Zimmer rein, hatte aber unbewusst Angst weiter zu gehen. Die Krankenschwester schloss die Tür und alles was ich dann noch hören konnte waren die Schritte auf dem Flur die sich langsam entfernten und ein wimmern vom Bett meiner Mutter aus. Ich ging zögernd auf das Bett zu. Meine Mutter drehte sich kurz zu mir, drehte sich dann aber wieder zurück. Ich ging um das Bett herum und sah dass sie gerötete Augen hatte. „Mum, was ist los?“ Ein ungutes Gefühl breitete sich in mir aus. Jetzt erst sah ich, dass meine Mutter die Jacke von Alice, fest umschlossen in den Armen hält. Ihre Stimme zittert, als sie anfing zu sprechen. „Alice und ein Vater“, sie konnte den Satz nicht beenden, denn sie fing wieder an zu weinen. Ein Arzt kam in das Zimmer und brachte mich wieder in mein Zimmer. Er sagte: „Ihre Mutter braucht jetzt Ruhe und Sie auch.“ Er wollte gerade wieder das Zimmer verlassen, da fragte ich: „Was ist mit meinem Dad? Wo ist Alice? Und kann mir mal bitte jemand erklären was überhaupt passiert ist?“ Der Arzt kam wieder zu mir und deutete mir, dass ich mich setzen sollte. Er erzählte mir, dass wir einen Autounfall hatten. Ein Autofahrer kam zu schnell aus einer Einfahrt. Der Autofahrer hat nicht auf andere Autos geachtet und hat uns seitlich gerammt. Trotzdem hatte er mir nicht auf die Frage geantwortet, was mit Alice und meinem Vater passiert ist. Als ich noch einmal fragte senkte er nur den Kopf.
Ich spürte wie in mir die Tränen in die Augen traten. Ich musste dort weg. Weg aus dem Zimmer. Weg aus dem Krankenhaus. Weg aus der Stadt. Ich wollte nicht da bleiben, wo mich alles an meinen Vater und Alice erinnert. Und dann erst viel mir ein, dass es meine Schuld ist. Hätte ich mich während der Fahrt nicht umgedreht, wäre alles anders. Ich hätte den anderen Autofahrer früher gesehen und hätte bremsen oder ausweichen können.
Ich schnappte mir die Jacke, die auf dem Stuhl neben dem Bett lag und rannte los. Ich lief aus dem Zimmer. Ich lief aus dem Krankenhaus raus. Und ich lief. Irgendwann hörte ich auf zu laufen. Ich blieb stehen und lehnte mich gegen einen Baum um Luft zu holen, da hörte ich wie Kinder lachten. Als ich mich umblickte sah ich, wie eine kleine Famile auf der anderen Straßenseite lang ging. Neben den beiden Eltern liefen zwei kleine Kinder. Als ich sah wie glücklich sie waren, brach ich wieder in Tränen aus.