Nothlia:
Und ist Nichtverstehen etwa kein vernünftiger Grund? Wenn ich keine Ahnung habe, was der Autor von mir will, ist das ein sehr guter Grund, die Geschichte langweilig / schlecht zu finden.
Vielleicht ist es hier ratsam, sich erst mal die Epoche genauer anzuschauen, damit man das Werk und die Problematik, die es behandelt, zeitlich einordnen kann. Nichtverstehen hängt oft damit zusammen, daß man mit den Zeitumständen nicht zurecht kommt.
Wir betrachten die "Klassiker" oft NUR von unserem heutigen Standpunkt aus, was tödlich für das jeweilige Werk sein kann. Wir suchen zu wenig Parallelen. Wenn wir aber genauer hinschauen, sehen wir sie ganz eindeutig, auch, wenn sie in eine andere Problematik oder einen anderen Kontext gebunden sind. Z.B. die Epoche des Expressionismus: Das Aufkommen der Großstädte, in denen der Mensch an seiner Einsamkeit zugrunde geht ist ein hochaktuelles Thema und immer noch brisant.
Bei "Romeo und Julia": Es gibt heutzutage nach wie vor Differenzen zwischen Kulturen und Religionen. Um ein Beispiel zu nennen; ich hab erst kürzlich wieder gelesen, daß ein muslimisches Mädchen mit einem Deutschen zusammen war und der Deutsche daraufhin massiv von der Familie des Mädchens bedroht wurde. Da hätten wir die klassische "Romeo und Julia"-Situation in veränderter Form wieder.
"Effi Briest" langweilig?
Das gehört zu den großen Verführungsromanen, zu denen auch "Anna Karenina" (Mensch Leute, wenn ich mir anschaue, welche Bücher Ihr so als langweilig bezeichnet, muß ich sagen: LEST NIEMALS RUSSISCHE LITERATUR! Ich glaube, da würdet Ihr das große K... kriegen...
) und "Madame Bovary" gehören... Meilensteine der Weltliteratur, wenn Ihr mich fragt!
Außerdem: Gute Literatur kann ruhig "langweilig" sein. Sie muß Stimmungen erzeugen können, in die Seelen blicken können, ein Gesellschaftsbild zeichnen können. Natürlich passieren da in der Regel keine Massenmorde (bei den Verführungsromanen kommt nur ein Protagonist am Ende um und zwar in ALLEN Werken: die Ehebrecherin), aber das darf es auch nicht, weil es nicht passen würde. Action gibt es nicht, weil es "Alltagsgeschichten" sind, sozialkritische Zeitdokumente. Außerdem spiegeln Literatur immer ihre Epoche wieder, was man auch nicht außer Acht lassen darf. Und es ist hochspannend, die Werke zu interpretieren (ok, da spricht der Literaturwissenschaftler in mir, verzeiht mir!
) Was glaubt Ihr, was man aus "Effi Briest" alles herausholen kann? Bei weitem mehr als das, was man in der Schule drüber lernt.
Und so muß Literatur meiner Meinung nach sein; sie muß viel Raum für Interpretationen liefern. "Effi Briest" liefert sogar zwei völlig gegensätzliche Interpretationsansätze, genau wie die anderen Verführungsromane. Zeigt mir mal ein zeitgenössisches Werk, das dem auch nur ansatzweise gerecht wird.