Was in mir Leiden schafft
Sie erwartete mich bereits, als ich die Tore zu ihrem Palast aufriss. Mit Donnerschritt und einer Wut im Herzen, die mit einer entsetzlichen Gier durch meine Adern tobte.Alle hier wussten bereits, dass ich kommen würde. Mit ungerührte Mine, wie sie sie stets zu tragen pflegten, ließen mich ihre Wächter durch die Hallen rauschen. Die Diener wichen verlegen zur Seite.
Sie saß in ihrem Garten. Anreizend glänzte ihr schneeweißer Leib in der Mittagssonne. Vor mir pflegte sie sich stets,in ihrer bloßen Schönheit zu offenbaren. Ich weiß nicht, wie viele diesen Anblick vor mir genießen durften, wie viele es mit mir durften und ohne mich dürfen werden – es sind etliche. Doch das ist es nicht, was meine Herz berührt, denn sie ist nichts, was man allein besitzen kann, man sollte es nicht einmal – so viel ist sicher.
Ihre Schönheit scheint mir grenzenlos. Man kann sich nicht satt sehen an ihr. Stets entdeckt man sie neu. Bei jedem neuen Blick sieht sie ganz anders aus. Sie funkelt wie ein Kaleidoskop, das ständig in Bewegung ist. Nicht immer habe ich sie gleich erkannt. Doch stets habe ich dieses Verlangen gespürt, mich ihr in die Arme zu werfen.
Bei ihrem Anblick donnerte mein Schritt nicht mehr. Vielmehr stolperte ich unter klopfenden Herzen unbeholfen in ihre Nähe. Jeder Schritt trieb mir einmal mehr den Schweiß aus den Poren. Meine Nasenflügel bebten im Rhythmus der Panik, mit der meine Lunge versuchte, Energie und Stärke in meinen Körper zu pumpen. Mein Herz suchte hysterisch nach dem Mut und der Entschlossenheit, mit der ich noch vor wenigen Sekunden die Tore aufgerissen hatte. Die Hysterie übertrug sich wie eine Kettenreaktion auf die Fußsoldaten meines Körpers – die Muskeln kontrahierten wahllos und unkoordiniert durcheinander – keiner achtete mehr auf den anderen – keiner hatte ein konkretes Ziel – die Gelenke ließen sich von dieser Massenpanik mitreißen – die Zellen bebten gefällig im Sturm dieser Erregung. Nach außen muss ich ein komisches Bild abgegeben haben. Zittrig, wacklig, von unrhythmischen Zuckungen geschüttelt, schweißgebadet – meinen Körper nicht mehr unter Kontrolle, mein Wille geflohen, unter dem hysterischem Gekeife meines Herzens - so näherte ich mich meiner Geliebten.
Ich war vielleicht zwölf – ein kleines Mädchen noch- als ich sie das erste Mal sah. Nur ein altes, verblichenes Bild habe ich von ihr gesehen, aus den 20 iger Jahren, da war sie selbst noch ein Kind - aber nicht minder faszinierend. Zittrig hatten meine kleinen Finger an diesem Bild geklebt und das junge Herz wusste genau, dass es nichts anderes mehr wird begehren können.
Als mich nur noch wenige Meter von ihr trennten, übermannte mich die Scham. Es stieg ein Gefühl der Unwürde in mir hoch. Ich konnte ihr nicht wiederstehen. Hatte jedoch nichts zu bieten. War nicht einmal fähig sie anzuschauen – geschweige denn, sie zu berühren. Die Ahnung von ihrem mysteriösem Wesen und dies brennende Verlangen ihr ein wenig näher zu sein, einen kleinen Teil von ihr erfassen zu können, begreifen zu können, brach über mich hernieder und damit eine unbändige Verzweiflung, die mich ihr vor die Füße warf, als das was ich war – ein Haufen Fleisch Mensch. Tränen sprangen mir in die Augen. Ich senkte den Blick und stürmte los – ein Weinen , ein Flehen, ein Rotzen, ein Klagen, ein Schrein, ein Kotzen, ein Keifen, ein Zetern, ein Motzen. Ich stürmte weiter - ich schluchzte, ich zitterte, ich jammerte, ich winselte. Ich fand kein Ende, keine Wand. Ich heulte weiter, heulte ferner, heulte immer höher – bis ich nicht einmal mehr wusste, was ich war oder was ich eigentlich wollte.
Ich erschrak als ihre Hand sanft meinen Kopf berührte. Allein die Idee ihrer Berührung versetzte mich in eine Erregung, die so durch meinen Körper explodierte, dass alles in mir nach außen zu weichen bereit war, um ihrer Gewalt Platz zu machen. Kein Gedanke mehr - jetzt war ich nur noch ein Reflex, der nicht meinen Nervenbahnen, sondern ihr gehorchte. Sie durchdrang mich mit fordernder Macht. Blutgefäße platzen. Zeichneten ein wirres, rot gepinseltes Muster über meinen Körper. Meine Augen quollen aus ihrer Hölle hervor, als wollten sie jeden Moment fliehen. Alle Luft preschte aus meiner Lunge, die sich nicht mehr zu füllen in der Lage sah. Ich röchelte, rang nach Atem. Als eine unaufhaltsame Lawine brach mein Mageninhalt aus mir heraus und schien alles mit sich fortreißen zu wollen. Nicht mal den Darm war ich noch fähig zu kontrollieren. Ich wollte schreien, doch hatte meine Lunge keine Luft, die den Ton hätte tragen können.
Als die Welt mir kaum mehr vor Augen schwamm und ich drohte in die Besinnungslosigkeit zu kippen, ließ sie endlich ab von mir. Ich keuchte, ich schnaubte, ich prustete. Ich röchelte, ich japste, ich hustete.
Mir blieb nichts mehr, als mich zu entspannen, denn sie hatte jede Energie hinausgetrieben, die ich zur Verfügung hatte. Mein Gehirn, das Rückenmark, das ganze Nervensystem sackte in sich zusammen und mit ihm schwiegen alle anderen Ebenen – bis hin zur klitzekleinsten Zelle. Jeder Winkel meines Körpers, pendelte zur Ruhe. Wir alle schwiegen andächtig, in einer Trance der absoluten Entspannung. Wie in Kükenfedern gebettet, lag ich jetzt vor ihren Füßen. Mit Engelsflügel bedeckt. Sommerregen prasselte auf mich nieder und flüsterte mir das Lied vom Frieden in den Leib. Wie unentwegte Kinderträume rauschte es lachend durch meine Adern, betäubte meine Sinne - ein bisschen wie der Tod. Ich wog mich in diesem Todesrausch.
Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis ich wieder fähig war, mich zu bewegen, bis ihr Nebel von mir wich und ich wieder zu einem klaren Gedanken fähig war, doch als ich mich wieder rühren konnte und zaghaft zu ihr hoch blinzelte, lächelte sie mich an. Nein – sie grinste vielmehr - mit Unschuldsmine - dieses Missstück! Sie hatte es wiedergetan! Jedes mal wenn ich mich einpaar Meter von ihr entferne, zieht sie mich wieder zu ihr zurück. Sie quält mich, sie wiegt mich – nur um mich erneut zu quälen. Ich bin süchtig nach dem Leid, das sie mir bereitet. Ich bin entsetzt von mir selber.
Was immer für einen chemischen Wunderstoff mir mein Hormonsystem nun wieder in die Adern trieb, es wirkte, so viel ist sicher, denn in mir begann eine Wut zu kochen, dass man beinahe das Brodeln hätte hören können. Aufregung schlich vom Gehirn durch meinen Körper und brüllte die Einheiten hell wach. Alles sammelte sich, alles spannte sich – es kribbelte schon in meinen Fingern. Einen Moment lang hielt ich es zurück, einen Moment lang versuchte ich mich zu wehren. Doch dann brach sie nur um so gewaltiger aus - all die Energie - die der Arme, die der kleinsten Zehe, jeder einzelnen Pore meines Körpers - bündelte sich in meiner Kehle zu einer gewaltigen Macht, um nur noch dem einen Ziel zu dienen. Ich brüllte in solch einer gigantischen Lautstärke, dass die Gräser zitterten, der Boden vibrierte. Die Blumen fegte es einfach hinfort. Die Bäume ringsum zerbarsten unter meiner Wut. Man sollte mich hören.! Jeder einzelne Mensch, jedes Tier, jede Pflanze, jede nur erdenkliche Lebensformen – ja das kleinste Molekül dieser Erde sollten sie spüren – meine Wut.
So entbrannt, völlig von Sinnen packte ich sie bei der Kehle. Schmetterte sie gegen den nächsten Baum. Kraft, die ich nie besessen hatte pulsierte durch meinen Körper. Völlig schmerzresistent machte mich diese Wut. Meine Faust ballte sich. Nichts wollte ich in diesem Moment mehr, als diesem Weib die Fresse so zu polieren, dass sie nie wieder grinsen könnte. Ich sah schon, wie das Blut unter meiner Hand aus ihr heraus spritze. Sah wie ihr Gesicht zu einer hässlichen Grimasse anschwoll. Wie sie keuchte und hustete. Sich an ihrem Blut verschluckte. Wie Fetzen ihres breiigen Gewebes an meinen Fingern klebte. Wie sie benommen unverständliche Worte daher sabberte, winselte...Doch plötzlich schmetterte mich eine Einsicht wieder auf den harten Beton der Realität. Denn einer Idee kann man mit körperlicher Gewalt nicht nahe treten. Einer Lehre oder wie sich meine Geliebte gern selbst zu bezeichnen pflegt, einer Wissenschaft, erst recht nicht. So lockerte sich mein Griff, ließ sie zu Boden sinken. Ich packte meine Wut, diese Energie und hoffte sie würde ausreichen, mich weit genug fort von ihr zu tragen. Ich lief, ich rannte, floh. Ich musste fort von hier. Fort aus dem Palast. Fort von dieser Welt. Meine Beine bewegten sich wie von selbst. Mein Brustkorb bebte in stürmischen Zügen auf und nieder. Der Schweiß rann mir über den Körper. Mein Herz trommelte in meinem Fieberwahn. Ich donnerte von dannen. Lauter als ich gekommen war, entschlossener, als ich es je wieder seien könnte.
Ich kam erst zum Stillstand, als mir ein gigantischer Fluss den Weg versperrte. Ich sank an sein Ufer und fühlte mich erbärmlich. Ich war nun völlig besudelt von ihr. Diesen Dreck musste ich los werden. Ich sprang in den Fluss und schrubbte mich. Versuchte sie von mir zu waschen. Ich rubbelte, ich kratzte, ich scharpte an meiner Haut bis sie von blutigen Rissen und Schrammen übersäht war. Doch noch immer spürte ich meine Geliebte in jeder meiner Bewegungen. Noch immer saß sie neben jedem meiner Gedanken. Ihre Spuren saßen tief. An der Oberfläche war sie nicht zu entfernen. Je mehr ich tat, um mich von ihr zu säubern, desto zwingender wurde der Drang, alles – jedes kleinste bisschen von ihr zu entfernen.
Ich nahm einen schweren grauen Stein. Schlug ihn mit Wucht auf meinen kleinen Finger. Dieser zermatschte und spritze teilweise in die Wiese des Ufers, teilweise blieb er am Grau des Steines kleben und ein letzter Rest blieb auch einfach nur unförmig an meiner Hand hängen. Doch es half nichts – im kleinen Finger saß sie nicht. Ich suchte mir einen spitzen Stock und bohrte mir einpaar saftige Fleischstücke aus dem Körper, dort wo ich meinte, sie am drängendsten zu spüren. Einen guten Brocken popelte ich aus meinem Nacken – was nicht so leicht war, denn ich musste ja blind arbeiten, hatte ich ja keine Augen hinten. So wunderte es mich nicht, dass ich sie dort nicht traf. Wesentlich leichter wurde die Angelegenheit in der Brustkorbgegend. Nach unten schielender Weise war es mir hier möglich, ein wenig präziser zu arbeiten. Wobei das Blut, das nur so spritzte , nicht nur mein Tätigkeitsfeld ins Chaos stürzte, sondern mir auch noch rotzfrech in die Augen spritze, wenn ich versuchte, mein Manöver genau im Blick zu behalten. Doch als letztendlich auch dem Brustkorb ein ordentlich, triefender Klumpen entnommen war, ahnte ich, dass sie auch so nicht fortzureißen war. Als letztes versuchte ich noch, sie durch ein beharrliches Stochern mittels meines neuen Freundes, dem Stock, im Hals und Rachenraum zu erwischen, doch auch hier bewirkte ich nichts als ein wiederholtes Erbrechen von gelblichen Schleim, der gemischt mit dem Blut, das aus dem wunden Hals sickerte, fast schon ein frühlingsfrisches Orange ergab. Ich sah ein, dass sie in mir war – durch und durch. In jedem Körperteil, jeder Zelle, jeder Faser. Sie war nicht fortzutreiben. Ich versuchte sie zu ignorieren. Doch als ich dachte, dass ich nicht an sie denke, dachte ich dennoch an sie, denn sie blieb ja auch in ihrer Negation Gegenstand meiner Gedanken. Also versuchte ich nicht mehr, nicht an sie zu denken. In diesem Paradoxon dreht man sich gekonnt im Kreis.
Wenn ich doch nur die menschlichen Gedanken verstehen könnte! Wenn ich doch wenigsten das einfachste ihres Tun erklären könnte! Den Ursprung eines ihrer winzigsten Gefühle fassen könnte! Mit diesem sich mir aufdrängenden Wunsch, als mir mein Handeln, mein Fühlen im Rückblick betrachtet, als zu tiefst bedenklich, vorkommen musste, lag ich ihr wieder zu Füßen – meiner geliebten Psychologie.
Ihre Schönheit scheint mir grenzenlos. Man kann sich nicht satt sehen an ihr. Stets entdeckt man sie neu. Bei jedem neuen Blick sieht sie ganz anders aus. Sie funkelt wie ein Kaleidoskop, das ständig in Bewegung ist. Es bleibt die Gewissheit, mich ihr in die Arme werfen zu müssen.