Was für einen Abend!
Er ahnte, dass etwas schief gelaufen war. Mit knapp wahrnehmbaren Bewegungen begann er sich langsam zurückzuziehen. Man konnte die fernen Schreie hören, aber nichts konnte er machen. Seine Angst war so groß, dass er nicht wusste, was er als Nächstes zu tun hatte. Viele Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf.
Plötzlich ließen sich Schritte hören. Obwohl sie leise und unregelmäßig waren, hallten sie klar in der stillen Nacht wider. Es war ziemlich dunkel in diesem Teil der leeren Straße und der aufsteigende Nebel hilft auch ihm nicht klar zu erkennen, wer ihm entgegenkam. Er versteckte sich schnell unter den Schatten einer Arkade und wartete mit angehaltenem Atem.
„Friedrich!“ schrie die Frau. Sie war allein in der Mitte der Straße. Ihr nachlässiges Aussehen und schwankendes Gehen passten nicht zu der Bestimmheit ihrer Stimme: Sie sah aus, als ob es ihr letztes Ziel in ihrem Leben wäre, den Friedrich zu finden.
Friedrich starrte sie still und zu Tode erschrocken an. „Friedrich“ wiederholte die Frau. „Ich weiß, dass Du mir gerade zuhörst“ fuhr sie fort. Er sah plötzlich, dass sie etwas aus ihrer Tasche entnahm: es war eine Pistole, die sie gefährlich in der Luft schwang.
„Du wusstet, dass ich diese Situation nicht mehr ertragen würde“ heulte sie. „Versteck Dich nicht vor mir. Sei ein Mann und zeig dein Gesicht“ fuhr sie weiter fort.
Sie drehte sich herum und schimpfte und weinte wie verrückt, bis sie sich plötzlich auf den Boden fallen ließ und schrie: „Ich ertrage dies nicht mehr“. Dann zielte sie die Waffe auf ihre Schläfe und sie erschoss sich.
Friedrich konnte nicht glauben, was er gesehen hatte. Es war als ob er just einen Film mit einem traurigen Ende angeschaut hätte und deshalb hoffte er, dass die Lichter dieses unwirklichen Kinos imminent eingeschaltet würden. Allerdings lag da der Körper der Frau. Nur ihr Kleid bewegte sich wegen des kalten Windes, der zu wehen anfing.
Er verließ langsam sein Versteck und näherte sich der Frau. Das Bild war schrecklich: ihre offenen Augen mit dem Blick ins Leere und ihr Kopf auf einer Blutpfütze waren zu viel für ihn. Er drehte sich herum und konnte nicht vermeiden sich zu übergeben.
Anschließend stand er langsam auf, ohne zu wissen, was er tun sollte. Plötzlich erinnerte er sich an etwas und begann sofort in die Richtung zu laufen, von der die Frau gekommen war. Nach zwei Blocks kam Friedrich atemlos an den Ort, wo er sein Auto geparkt hatte. Darin lag auf der Rückbank des Fahrzeuges ohnmächtig ein Mädchen. Sie war mit einem Hanfseil an ihren Händen gefesselt und hatte auch ein breites Klebenband auf ihrem Mund. Trotz der kalten Nacht trug sie ein sehr kurzes und leichtes Kleid aus schwarzem Lycra und Pailletten, das sehr eng anliegend passte. Sowohl ihre Schönheit als auch ihr provokatives Aussehen waren auffallend.
Friedrich öffnete eilig die Hintertür und ohrfeigte sanft ihre dick geschminkte Wange, um sie aufzuwecken. Während sie wieder zu sich kam, versuchte er sie zu entfesseln.
„Mein Gott. Wo ist die Verrückte?“ fragte das Mädchen. Er antwortete nichts. Nachdem sie frei war, sagte Friedrich: „Hier sind 1.000 Euro. Dies ist das Vierfache der Summe, die wir vereinbart hatten. Nimm dies und geh los, ohne Fragen zu stellen, kapiert?“. Das Mädchen nickte während sie das Geld nahm und sie lief weg.
Friedrich stieg dann in das Auto ein und fuhr so schnell los, dass die Reifen quietschten. Er ging nach Zuhause und auf dem Weg klingelte sein Handy. Es war Ludwig, einer seiner besten Freunde, für den Friedrich eine Party an demselben Abend zusammen mit Anderen organisiert hatte als Teil Ludwigs‘ Junggesellenabschieds. „Hallo Friedrich. Was ist los mit der versprochenen Überraschung?“ fragte Ludwig. Friedrich wusste nicht, was zu antworten. So gelang es ihm nur, das Handy aufzulegen. Dann schalte er es aus, um keine erneut ungewünschten Anrufe zu bekommen.
„Wie hat Ingrid erfahren, dass ich mich mit einem Escort-model treffe? Wieso war Ingrid so wahnsinnig eifersüchtig auf mich, dass sie sich umbrachte, obwohl ich ihr wirklich niemals untreu war? Warum war ich so dumm, um mich anzubieten, dieses Escort-model zu finden?“. So fragte sich Friedrich unterwegs.
Als er nach Hause kam, parkte er das Auto und ging sofort hinein. Er ging zum Schlafzimmer. Im Gegensatz zu seiner bisherigen Vorstellung bemerkte er überrascht, dass alles in Ordnung war. Seine Frau Ingrid hatte offensichtlich nicht ihren Zorn an den Dingen des Hauses abreagiert. Stattdessen fand er einen Brief in der Mitte des Bettes. Er war von Ingrid. Mit zitterigen Händen riss er den Umschlag auf und entfaltete ihn. Im Brief stand Folgendes:
„Lieber Friedrich,
wenn Du diesen Brief liest, werde ich schon meine Entscheidung getroffen haben. Ich liebe Dich so sehr, dass es mich schmerzt.
Ich habe außerdem vor zwei Wochen erfahren, dass ich einen tödlichen Bauchspeicheldrüsekrebs bekam. Ich ertrage nicht die Idee, Dich mit jemandem zu teilen, egal ob ich dabei bin oder nicht. Ernsthaft habe ich also gedacht, Dich zu töten aber meine Liebe für Dich ist und wird immer stärker sein.
Also habe ich dazu keine andere Möglichkeit, als dass ich mich von Deinem Leben entferne. Mag ja sein, dass Du zuerst darunter leidest aber am Ende werden wir beiden besser dran sein. Ich bin sicher.
Ich liebe Dich für die Ewigkeit.
Deine Ingrid“
Wegen der Tränen konnte Friedrich kaum den Brief zu Ende lesen. Als er so endete, ließ er sich auf das Bett fallen, starrte auf die Decke und weinte untröstlich.
So lag er, als er etwas Komisches in dem Zimmer wahrnahm. Er wandte sich um und sein Herz sich stoppte: Ingrid, Ludwig und das Mädchen waren dabei. „April April!“ sagten sie ihm zusammen.
Und dies war der Grund von Friedrichs‘ Infarkt und Tod.