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Was die Fernbedienung von der Liebe übrig ließ

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26.09.2006
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Was die Fernbedienung von der Liebe übrig ließ

Daniela stellte die neutral aussehende Stofftasche mit dem Kästchen aus dem Fundbüro ab, hängte den Mantel an den Haken und zog die Schuhe aus.
»Wollen wir doch mal sehen, was Du für ein Ding bist«, murmelte sie dann in die Tasche hinein.
Der Gegenstand lag schwer in ihren Händen. Er war aus Metall gefertigt und auf seiner Oberseite mit zwei Tasten ausgestattet. Sie drückte die Eine. Nichts geschah.
Sie drückte die Andere.

Vor ihren Augen blitzte ein Licht auf. Dann herrschte für einen Wimpernschlag Dunkelheit und Stille. Wieder blitzte das Licht auf. Blauer Himmel, der Gesang von Vögeln, gefolgt von dem Blitzen wie gerade schon. Eine felsige Landschaft, fast wie auf dem Mars. Der Blitz. Eine Stadt. Fremdartig, furchtbarer Lärm. Wieder ein Blitz, diesmal abgelöst von einem Strand. Dann endlich fiel Daniela ein, die Taste wieder loszulassen. Sie setzte sich in den weichen Sand.
»Was ist das denn?«, fragte sie laut in das Rauschen des Meeres hinaus.
Dann drückte sie die andere Taste. Wieder blitzte es. Ihr Zimmer. Daniela war verwirrt und erschrocken. Sie beäugte das wunderliche Kästchen argwöhnisch. Dann fasste sie sich ein Herz, atmete tief durch und tippte kurz auf die Taste. Irgendwie fühlte sie sich an eine Fernbedienung erinnert und noch während sie diesen Gedanken dachte, flammte der Blitz.

Strömender Regen in einer hügeligen Landschaft, über und über mit hüfthohen Gräsern bewachsen. Fasziniert strich Daniela darüber, prüfte nach, ob die Wiese real war, denn, konnte man sie anfassen, war sie auch keine Illusion. Alles fühlte sich echt an. Sie riss eines der Blätter ab, Beweise konnten nie schaden, und kehrte von einer Mischung aus Freude und Entsetzen begleitet in ihr Zimmer zurück, den Grashalm in ihren Händen. Trotzdem war das ganze ausgesprochen suspekt. Warum war sie nicht klatschnass vom Regen?
Danielas Herz klopfte. Sie war etwas seltsamem auf der Spur und obwohl sie schon ein durchaus überzeugendes Beweismittel zur Verfügung hatte, fürchtete sie, verrückt geworden zu sein. Nachdenklich spielte sie mit den Haaren hinter ihrem rechten Ohr, die ihr eindeutig trocken vorkamen. Daniela zog die Videotasche unter dem Sofa hervor. Vielleicht ließ sich das Experiment für eines ihrer Videoprojekte verwenden.
Der Akku war nicht mehr ganz voll, aber für einen kurzen Test sollte das reichen. Sie stellte die Kamera ins Regal an der gegenüberliegenden Wand und startete die Aufnahme. Vor dem Spiegel richtete Daniela ihre Haare und huschte dann geschäftig zurück zum Schlafsofa, auf dem sie sich mit wichtiger Miene in Pose warf.
»Hallo. Heute Nachmittag ist im Fundbüro ein Gegenstand abgegeben worden. Wirklich ein komisches Ding.«
Daniela hielt das Kästchen in die Kamera.
»Auf dem Apparat finden sich zwei Knöpfe von denen mich einer zurück bringt. Ich weiß, es klingt total bescheuert, aber sobald ich die Taste drücke, ändert sich meine Umgebung. Diesen Grashalm habe ich mitgebracht. Ich war an einem anderen Ort, hat ungefähr so ausgesehen wie in dem Film >Der schmale Grat<. Ist ja auch egal.«
Sie legte den Grashalm auf den Tisch, zielte mit dem Kästchen auf die Kamera und drückte den Knopf.
Der Blitz flammte auf.

Daniela stand auf der Lichtung eines Waldes dürrer Bäume, an deren Ästen asymmetrische Blätter von der größe eines Handtellers hingen. Das Gras unter ihren Füßen leuchtete rot. Die Sonne strahlte nicht sonderlich hell, obwohl der Himmel kaum von Wolken bedeckt war. Eine schwache Brise zauste Danielas Haare. In ihren Ohren rollte ein Donner, erst leise, doch mit der Zeit schwoll er zu einem betäubenden Tosen heran, das keine Richtung zu haben schien. Im Unterholz vor ihr raschelte das Gestrüpp, Zweige brachen, Äste knackten und mit großen Augen sah Daniela ein hageres Reh auf sich zustürzen. Wie vom Blitz gerührt blieb es stehen und auch Daniela ging es nicht anders. Auge in Auge standen sich die beiden gegenüber, betrachteten einander und schätzten ab, ob vielleicht eine irgendwie geartete Gefahr vom anderen ausginge. Nur ein Muskelzucken später war das Tier verschwunden und Daniela umgeben von grollender Ungewissheit. Dennoch war sie überwältigt. Das Wesen war so anders, so ungewohnt und doch ein Anblick nie gesehener Schönheit smaragdener Augen, graziler Bewegungen und schillerndsten Federkleides. Ein Wolpertinger! Und weil das Getöse nicht leiser werden wollte, eilte sie schnurstracks ins Unterholz, die Fernbedienung fest im Griff, sich zu verstecken und Schutz hinter einen Baum zu suchen. Gerade zur richtigen Zeit, musste sie schließlich feststellen, denn aus allen Richtungen galoppierten kleine Pelztiere auf die Lichtung zu, Waschbären, vielleicht auch etwas zu groß geratene Hasen.
Auf der Lichtung schließlich blieben sie alle stehen, glotzten mit dem Gesichtsausdruck überalterter Dackel in der Gegend herum und schienen auf etwas zu warten. So süß, sowas von süß, dachte Daniela entzückt und all ihre Vorsicht hatte sich in Luft aufgelöst, ihre sonst so deutlichen Vorbehalte und Ängste, alles war fort, nichts konnte sie mehr zur Vernunft ermuntern und sie stolperte aus ihrem Versteck hervor, hin zu der tierisch plappernden Masse possierlicher Fellknäuel, von denen sie doch so gern eines mitnehmen wollte. Danielas Verzückung kannte keine Grenzen mehr. Sie umfasste den Körper eines der Tierchen in herrlich schimmerndem Pelz. Von dunkelblauer bis leuchtend purpurner Farbe war der schwarze Zottel umhaucht, doch zu Danielas Missfallen fasste sich das Fell struppig und stumpf an, außerdem schnappte das Wesen nach ihrer Hand. Gerade noch rechtzeitig ließ sie los.
»Du kleines Mistvieh!«, schimpfte Daniela. Zum Glück hatte das Tier sie verfehlt.
Da erstarb jedes Geräusch aus dem Kreis all der Tiere, was Daniela bald unheimlich wurde und sie begab sich wieder zu ihrem alten Versteck. Sie hörte ein Singen, eines, das sie in ihrem Leben nie vorher gehört hatte, ein Singen, wie aus Kindermund, hell und klar, durch die schiere Zahl der Sänger ein wenig dissonant geworden, aber nichtsdestotrotz von betörender Melancholie, dass Danielas Augen feucht wurden. Minutenlang schwebte diese Melodie, doch dann brach der Chor jäh ab. Wie auf Kommando fielen die Geschöpfe blindlings übereinander her. Offenen Mundes stand Daniela hinter ihrem Baum und starrte auf das Schauspiel, das vom Rührstück eine Wandlung hin zur blutigen Tragödie genommen hatte.
Danielas Finger lag schon auf der Taste, die sie in ihr Wohnzimmer bringen würde, doch sie war wie gelähmt, konnte sich von dem Anblick nicht lösen. Die Erde erbebte. Noch ehe sie sich's versah, tat sich der Boden unter der Lichtung auf und ein beängstigend muskulöser Arm, vielleicht war es auch eine Zunge, durchstieß das Zentrum des Schlachtfelds und räumte es mit einer kreisförmigen Bewegung in den Schlund, aus dem er gekommen war. Nicht auszudenken, sie wäre bei den Tieren geblieben, es wäre einfach um sie geschehen gewesen.

Die Ruhe des Abends legte sich auf die leere Lichtung, nur die stellenweise aufgerissene Erde erinnerte noch an das seltsame Geschehen. Manch totes Fellknäuel lag regungslos am Rande des kreisrunden Fleckchens Erde und allerlei kleines Getier besang mit seltsamen Tönen die Überreste der Schlacht. Daniela drückte die Taste zur Rückkehr.

Sie legte die Fernbedienung beiseite. Während sie das Band zurück spulte, nestelte sie mit der Locke hinter ihrem Ohr. Sie betätigte die Wiedergabetaste. Womit hatte sie schon gerechnet? Irgend etwas hatte sie zu der völlig abstrusen Annahme verleitet, auf dem Band die Aufzeichnung ihres Erlebnisses sehen zu können. Das war natürlich unmöglich, aber trotzdem stimmte hier etwas nicht. Daniela startete den Suchlauf. War die Aufzeichnung verschwunden? Wie konnte das sein? Sie wartete geduldig. Endlich, nachdem etwa achteinhalb Minuten überbrückt worden waren, wurde ihr missglückter Versuch, eine legendäre Plastiktütenszene nachzuäffen. Endlich wurde es interessant. Dort wo eigentlich der Grashalm zwischen ihren Fingern hätte baumeln sollen, war nichts. Irritiert huschte ihr Blick durch das Zimmer. Wie seltsam, der Halm lag dort auf dem Tisch. Sie sah sich mit dem Kästchen auf die Kamera zeigen, erkannte auch den Moment des Tastendrucks, doch nach weniger als einer Sekunde verschneiten Bildes stand die gefilmte Daniela vom Sofa auf und ging auf die Kamera zu. Danach das verwackelte Bild einer Hofeinfahrt in der sich eine Plastiktüte nicht ums verrecken bewegen wollte.
Dass die Kamera ausgerechnet jetzt kaputtgehen musste. Fieberhaft dachte Daniela über Alternativen nach, zum Beispiel sich von der Uni eine andere Kamera auszuleihen, aber Freitag abend war kein guter Zeitpunkt für solche Aktionen. Vielleicht könnte sie Sara anrufen. Nein, das gäbe nur Ärger. Sie ging gedanklich eine ganze Reihe von Kommilitonen durch, aber von denen besaß keiner eine eigene Kamera. Nach einer Weile haarzwirbelnden Überlegens schnappte sie sich das Telefon und wählte die Nummer.
»Ja?«, ächzte eine schlaftrunkene Stimme.
»Ach Herrje, Sara, habe ich dich geweckt? Tut mir leid.«
»Was? Wie spät ... Ach so, ja. Was willst du?«
»Sorry, ist nicht so wichtig, schlaf weiter. Ich kann auch nachher anrufen.« Am liebsten hätte Daniela direkt aufgelegt.
»Stell dich nicht so an, jetzt ist es auch schon egal.«
»Du meine Güte, heute ist ja Mittwoch.« Wie konnte sie das nur vergessen haben, Sara hatte dienstags immer Nachtschicht.
»Was Du nicht sagst, ja, es ist Mittwoch und für den Fall, dass Du es schon wieder vergessen hast, unsere Abmachung haste mal eben ausgeblendet.« Sara war angriffslustig – so weit, so gewöhnlich.
»Ich weiß, ich weiß, wir wollten sechs Wochen Sendepause machen, es tut mir ja auch leid, aber meine Kamera ist kaputtgegangen ...« Das klang so erbärmlich.
»Ist doch immer das gleiche mit Dir! Vor zwei Tagen erst sind wir uns einig geworden, dass uns vielleicht eine Auszeit gut tun könnte, und heute rufst Du an, als sei nichts gewesen. Abgesehen davon, dass meine Kamera in Reparatur ist, wie Du eigentlich wissen müsstest. Du wirst also noch fünfeinhalb Wochen warten, dann kannst Du auch meine Kamera haben.« Damit legte Sara auf.
Danielas Finger zitterten, als aus dem Hörer nur noch ein Tuten zu hören war. Ihr einziger Rückhalt in der großen Stadt wollte tatsächlich nichts von ihr wissen. Sie legte das Telefon weg und ließ sich auf dem Sofa nach hinten fallen. Deprimiert starrte sie an die Decke. Sie liebte Sara. Manchmal schmerzte das schon und sie wusste, für niemand sonst würde sie je solche Liebe verspüren können. Nach einer ganzen Weile des geistigen Stillstandes streckte sich Daniela nach dem Kästchen und drückte müßig den Knopf.

Sie stand in orangenem Dreck. Herbstliche Kühle umhüllte sie. In weiter Ferne sah sie eine Karawane durch die Nebelschwaden des Tals ziehen.
»Hallo!«, brüllte sie aus voller Kehle, doch niemand schien sie zu hören.
Sie lief den matschigen Abhang hinunter ins Tal, vorbei an kniehohen Gewächsen. Über sich sah sie Vögel kreisen. Ansonsten gab es nichts ungewöhnliches zu sehen. Sie eilte immer weiter, und erst als sie endlich die Spuren der Karawane gefunden hatte und vor lauter Seitenstechen kaum noch atmen konnte, blieb sie stehen. Auf die Knie gestützt schnappte sie nach Luft. Schweißperlen bahnten sich den Weg über ihre Stirn. Der matschige Boden wies tiefe Furchen auf, neben denen eindeutig Fußspuren zu erkennen waren. Dort, wo der Boden nicht aus aufgewühltem Matsch bestand, war er von gelblich grünen Flechten und Moosen bewachsen. Die Karawane war längst in der Ferne verschwunden und Daniela fragte sich, ob diese Verfolgungsjagd überhaupt noch einen Sinn hatte. Ein paar Haare um den Zeigefinger gewickelt betrachtete sie das Kästchen in ihrer Hand. Sie wollte wenigstens noch herausfinden, wie diese Nomaden, oder was auch immer sie waren, aussahen. Also setzte sie sich in Bewegung.
Die Karawane war nur noch knappe hundert Meter entfernt. Auch der Vogelschwarm war dem schweigenden Treck gefolgt.
Einer der Nomaden schien Daniela bemerkt zu haben. Er wandte sich einem seiner Gefährten zu und deutete in ihre Richtung, doch die Gestik zeugte von wenig Interesse. Der Andere schienen erleichtert und wandte ihr wieder den Rücken zu. Offenbar fürchtete er um den Anschluss an die Gruppe.

Plötzlich ging alles sehr schnell. Die Karawane löste sich im Geschrei einer chaotischen Flucht auf; einige flüchteten querfeldein, andere stürmten in Danielas Richtung und wiederum andere blieben an Ort und Stelle stehen. Eigenartig. Daniela konnte nicht sagen, worauf sich die unvermittelte Flucht bezog. Sie konnte keine anderen, vielleicht feindlich gesinnten Nomaden entdecken und auch von wilden Tieren war weit und breit nichts zu sehen. Wer weiß, was jetzt kommt, dachte sie und suchte nach Deckung hinter einem Busch. Dort erschrak sie zu Tode. Der Busch war eindeutig um einige Zentimeter auf sie zugekommen. Mit größter Vorsicht und so leise als möglich ging sie rückwärts, ließ das Gewächs dabei nicht aus den Augen. Ihr Herz raste. Fassungslos beobachtete sie, wie der Busch erst langsam, bald aber immer schneller in die Höhe wuchs. Schon war er mannshoch, doch er wuchs weiter, weiter, bis er sie um gute drei Meter überragte. Mit einem fast hämisch anmutenden Zischen tat sich im oberen Drittel des Ungetüms ein fleischiger Schlund auf. An seinem oberen Ende saß ein stoßzahnähnliches Horn, das wie der Zeigefinger der bösen Hexe eines Kinderbuches »komm nur her, komm nur her« zu sagen suchte. Schon sah sich Daniela gänzlich von lebendigem Gestrüpp umgeben.
Das reicht, dachte sie, und ihr fiel auf, dass das Kästchen nicht mehr in ihrer Hand war. Alles versaut, jetzt würde sie die gerechte Strafe für ihr unablässiges Stalking erhalten. Es war fast lustig, dass sie wieder anderen gefolgt war, zwar nicht Sara, aber Danielas Verfolgung der Nomaden stimmte ihr Karma offensichtlich nicht minder erbost. Panisch stemmte sie sich gegen die Wände ihres fremdartigen Gefängnisses, doch bis auf einige abgebrochene Zweige richtete sie nichts aus. Vielmehr wickelten sich bei dieser Gelegenheit an Gräser erinnernde Tentakeln um ihre Hand- und Fußgelenke. Anfangs vermochte sie sich noch loszureißen, doch der stachelige Schlund näherte sich unerbittlich, drohte sie aufzuspießen und das dumpfe Odeur vergammelten Allerleis dampfte ihr entgegen. Immer enger zogen sich die Wände ihres baldigen Todes. In der Not höchster Verzweiflung wischte sie mit den Armen ein letztes Mal über den Boden, denn vielleicht gab es hier wenigstens einen guten Geist oder eine simple Fügung des Schicksals, dass sie das Kästchen unter ihren Händen spüren würde und tatsächlich hatte sie Glück. In letzter Sekunde gelang ihr die Flucht zurück ins heimische Wohnzimmer.

Die Füße auf dem Sofa, den Kopf unbequem an ein Tischbein gelehnt, lag Daniela in abwehrender Pose. Es dauerte ein Weilchen, bis sie sich wieder fassen und hochrappeln konnte. Ihre Gedanken fanden kein Halten. Zu deutlich sah sie noch immer das Ungetüm vor sich, hatte in den Ohren das hysterische Geschrei der Vögel, die wohl auf die Überreste der Metzelei spekuliert hatten.
Das Klingeln an der Tür beendete jede weitere Grübelei. Benommen schlurfte Daniela zur Tür, sortierte das Haar an ihren Schläfen. Vielleicht Sara, hoffte sie kläglich, aber es war nur Frau Kramer von nebenan. Was wollte die denn schon wieder?
»Grüß Gott, entschuldigen's die Störung um die Zeit, der Postbot' war da und weil's nicht daheim g'wesen sind, hab ich es ang'nommen. Sie haben ja immer so viel um die Ohr'n, wo die doch auch grad mit dieser Anderen da ...«
Musste das denn im ganzen Treppenhaus zu hören sein?
»'s is schon ein Kreuz, aber wie geht’s Ihnen denn alleweil, man sieht sich ja kaum, ein bisserl blass sind s' mir um die Nase aber schon. Wird die Arbeit sein, gell?!«
»Stimmt schon, aber Frau Kramer, ich muss jetzt wieder rein, hab noch zu tun.« Unwirsch streckte Daniela die Hand nach dem Päckchen aus. Die betuliche Nachbarin ging unbeirrt darüber hinweg.
»Wollen's nicht zu mir rüber kommen, dann mach ich Ihnen eine heiße Milch mit Honig. Ihre ... also die andere da, die ist auch schon ein paar Tage nicht mehr zu Besuch g'wesen, hab ich mitkriegt, haben's sich 'trennt? D'rum schauen's auch gar so traurig. Aber nicht, dass S' jetzt meinen, ich hätt' Hintergedanken ...«
»Jetzt geben Sie mir schon das Scheißpaket, ist ja nicht auszuhalten!«, schnappte Daniela.
Mit großen Augen starrte Frau Kramer und hielt ihr das Päckchen hin. Sofort tat Daniela der bissige Tonfall leid, denn was konnte die arme Frau schon dafür. Außerdem war sie vielleicht ein guter Kandidat zur Überprüfung der Funktionstüchtigkeit ihrer Kamera.
»Entschuldigung Frau Kramer, es tut mir leid, ich wollte nicht undankbar sein. Hätten Sie einen kleinen Moment Zeit?«
»Ja freilich, was brauchen's denn?«, sagte sie gutmütig.
»Sekunde, dauert nur einen Augenblick.«
Daniela eilte durch den kurzen Flur zum Schlafsofa, schnappte den Grashalm und baute sich dann vor Frau Kramer auf.
»Ich habe hier einen Grashalm«, sagte Daniela.
Frau Kramer machte große Augen. »Wo denn?«
Konnte es sein, dass auch sie ihn nicht sah?
»Hier in meiner Hand.« Sie wedelte mit dem Grashalm vor der Frau umher.
»Na hören Sie mal, dafür ist mir meine Zeit a bisserl zu schad'! Vielleicht sollten's mal zum Dr. Engler gehen, der ist ja gleich da drüben, der könnt' ihnen ganz bestimmt helfen.«
Jetzt war Daniela bei der Alten wohl unten durch. »Das war's auch schon, danke für Ihre Zeit. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.«
Verdutzt schaute Frau Kramer zu, wie Daniela ihr die Tür vor der Nase verschloss.

Müde ging Daniela ins Bad. Alles kam ihr so langweilig vor, so gewöhnlich und uninteressant. An welchen Ort sie wohl beim nächsten Mal kommen würde? So gern würde sie eine weiter entwickelte Spezies kennen lernen, vielleicht sogar mit einem fremden Wesen sprechen, aber sie hatte es ja nicht in der Hand. Gedankenverloren knöpfte sie die Hose auf und setzte sich. Wie war das Ding eigentlich ins Fundbüro gekommen? Klar, irgend jemand wird sie wohl gestern hingebracht haben. Was war das eigentlich für eine bescheuerte Überlegung? Daniela stützte sich mit den Ellenbogen auf die Knie und wickelte Haare hinter ihren Schläfen um die Zeigefinger. Ob es möglich war, jemanden mitzunehmen? Umgekehrt wäre es auch interessant. Aber nicht auszudenken, wenn sie dann eine schreckliche Seuche einschleppte, oder ein lebensgefährliches Tier. Man stelle sich nur vor, ein Ungetüm mit Säure statt Blut ins Wohnzimmer einzuschleppen. Das gäbe ein lustiges Hallo, aber das einzige Opfer eines solchen Monsters wäre theoretisch sie selbst, denn niemand sonst konnte es sehen, legte sie ihre Erkenntnis zu Grunde, dass mitgebrachte Gegenstände für andere unsichtbar waren. Wenigstens war noch Klopapier da. Vielleicht sollte sie Sara nochmal anrufen und ihr von dem Kästchen erzählen. Daniela betätigte die Spülung und wollte gerade aufstehen, als ihr ein Gedanke durch den Kopf schoss. Vielleicht könnte sie die Kamera mitnehmen. Das versuche ich sofort! Hektisch zog sie beide Hosen gleichzeitig hoch und stolperte. Auf der Türschwelle zwischen Zimmer und Bad, kämpfte sie ihren in den letzten Monaten etwas breit gewordenen Hintern in die Jeans und rappelte sich wieder hoch.

Diesmal hatte Daniela vorgesorgt. In ihrer Jacke hatte sie eine Taschenlampe und ein leeres Gurkenglas für Proben verstaut. Die Kamera in der linken Hand, drückte sie mit der rechten den Knopf. Anstatt eines Blitzes gab es diesmal nur ein Flackern. Ansonsten nichts als das Wohnzimmer. War sie zu schwer? Kein Problem, auf die Taschenlampe konnte sie bestimmten verzichten. Wieder drückte sie den Knopf. Also auch kein Probenglas. Dann endlich blitzte es wieder.

Hier war es warm wie in einem Brutkasten und es herrschte seltsames Zwielicht. Daniela konnte es nicht glauben. Ausgerechnet wenn sie eine Jacke dabei hatte, musste sie in einer Wüste landen. Wenigstens hatte sie die Kamera in diese schmutzige Kreidelandschaft mitbringen können. Sie startete die Aufnahme und prüfte den kleinen Bildschirm mit Genugtuung. Mit einer Drehung um die eigenen Achse, erstellte sie ein unruhiges Dokument, ging unschlüssig hin und her, auf einem Boden aus Platten von Stein, die gut und gerne fünf mal fünf Meter groß waren. Weit in der Ferne, irgendwo hinter der flirrenden Luft, machte sie unklare Schemen aus. Fata Morgana vom Feinsten. Ihr Blick wanderte nach oben, folgte einer schwarzen Linie, die scheinbar unendlich in den Himmel ragte. Das musste ein Bauwerk sein, dachte sie, und wo ein Bauwerk sich befindet, sind Lebewesen nicht weit. Lebewesen! Vielleicht konnte man mit ihnen reden. Ein Fernglas wäre jetzt recht, was in dieser Form des Reisens ein Ding der Unmöglichkeit sein dürfte, zumindest angesichts der rigorosen Gewichtsbeschränkungen, was das Gepäck anbetraf. Immerhin hatte die Kamera optischen Zoom. Daniela richtete die Kamera auf die Linie und vergrößerte das Bild. Bis auf den in seiner Dicke zunehmenden Strich gab es dort nichts, was das Auge interessieren hätte können. Ein paar Meter darauf zuzugehen, war nicht die anstrengendste aller Übungen, beschloss Daniela dann und schaltete das Gerät ab.
Sie genoss die Stille. Abgesehen von dem dämlichen Klappern des Objektivdeckels am Gehäuse der Kamera und ihre eigenen, Staub aufwirbelnden Schritte, war es ruhig. Scheiße, dachte Daniela und schloss den Deckel über das Objektiv. Warum drückte sie nicht einfach den Knopf? Weil das höchstwahrscheinlich ein Bauwerk von intelligenten Wesen ist, argumentierte sie, hatte aber Mühe, sich selbst von der Stichhaltigkeit des Gedankens zu überzeugen. Ob das schon zehn Minuten waren? Wie viele Meter ging man in zehn Minuten?
Eine knappe Viertelstunde später blickte sie wieder nach oben. Sie war dem Gebilde jetzt merklich näher gekommen, erkennen konnte sie allerdings nichts. Der Turm war ebenfalls ein wenig nähergerückt. Mit laufender Kamera versuchte sie ein weiteres Mal ihr Glück, doch noch immer waren keine Details erkennbar. Egal. Die Aufnahmen würden zuhause eine Sensation sein, mit der sich Daniela womöglich bald einen Namen machen konnte. In regelmäßigen Abständen fanden sich an dem Turm schwarze Punkte, Fenster vermutlich und schließlich ließen sich auch die weißen Flocken mehr oder weniger identifizieren. Es waren entfernt an Möwen erinnernde ... Papierfetzen?
Danielas Hoffnung, auf eine fremde und womöglich intelligente Lebensform zu treffen, verdichtete sich. Vielleicht war das Gebäude eine Behörde und ein kleiner Beamter hatte vergessen, das Fenster seines Büros zu schließen, um den Wind nach draußen, wichtige Formulare aber nach drinnen zu sperren. Ich muss Strom sparen, dachte sie.
»Hallo?«, rief sie. »Hört mich jemand?«
Sie bekam keine Antwort. Wie immer, egal welchen Ort sie besuchte. Das nächste Mal würde sie ein Megaphon mitnehmen müssen, denn die ewige Sucherei begann ihr auf den Zeiger zu gehen und Lärm lockte gewiss Neugierige auf den Plan. Daniela wickelte ihre Haare. Lärm war vielleicht das rettende Stichwort, dachte sie. Als sie die Kamera vom Auge nahm, wurde es ihr erstmal schwindlig. Wie blöd musste man sein, während des Gehens durch die Linse zu glotzen. Und wie noch viel blöder musste man sein, sich in diesem schwülen Kochtopf, Backofen, Sauna, alles schien hier zu passen, länger als nötig aufzuhalten und das auch noch freiwillig? Auch egal, Lärm wollte sie machen, bloß wie? Jetzt den Pfiff halbstarker Jungs intonieren zu können wäre praktisch und vor zwanzig Jahren noch hätte ihre Mutter gesagt, dass das ordinär wäre, sich für eine Frau nicht gehörte und ähnlichen Unsinn. Daniela wunderte sich über das seltsame Zeug, das durch ihre Gedanken geisterte.
»Zeigt euch, ihr dämlichen Wesen!«
Schließlich hatte sie keine Geduld mehr. Sie griff in die Hosentasche, das Kästchen herauszuholen, doch es war nicht da. Auch in der anderen Tasche nicht, logisch. Vielleicht in der Jacke, die sie irgendwo dahinten liegen gelassen hatte? Genervt drehte sie sich um und starrte in die Richtung, aus der sie gekommen war.

»Großartig!«
Zuerst ging sie langsam und unwillig, folgte ihren deutlichen Spuren, doch nach einer Weile verloren sich die Abdrücke im Kalkstaub der Wüste. Wo hatte sie nur die Jacke abgelegt? Das nächste Mal würde sie das Kästchen mit Klebeband an sich befestigen. Nicht auszudenken, in irgendeiner dieser Welten gefangen zu sein.
»Toll! Das ist ja absolut toll! Und was mache ich jetzt in dieser öden Gegend?«
In einem Anflug von Panik stürmte sie weiter. Irgendwo musste diese verdammte Jacke doch liegen! Seitenstechen zwang sie stehen zu bleiben, gekrümmt wie ein altes Mütterchen, die Hand in die betreffende Seite gestützt.
»Na, wir könnten doch ein Feuerchen machen und ein paar Liedchen trällern, wäre doch einen Versuch wert«, murmelte sie.
Wieder drehte sie sich um ihre eigene Achse und endlich sah sie das vermaledeite Ding. Vorsichtig ging sie ein paar Schritte, das abklingen des Stechens nicht zu unterbinden, hob die Jacke auf und wunderte sich, dass sie in der kurzen Zeit von einer Schicht Staub bedeckt sein konnte, perfekt getarnt; die Fernbedienung viel dabei in den Sand.
Sie bückte sich und noch bevor sie das Ding fassen konnte, legte sich raschelnd ein papierner Fetzen darüber. Daniela sah sich misstrauisch um. Was zum ...? Mit dem Fuß schob sie das halb durchsichtige Blatt zur Seite, griff noch einmal nach ihrem Rückfahrschein und in einer völlig identischen Erscheinung legte sich noch ein unregelmäßiges Blatt zwischen Danielas Hand und das Kästchen. Ein reißen und rascheln, trockenes knistern wie von verbrennendem Gras, aus allen Richtungen flüsterte es. Direkt neben Danielas Schuhsohlen lösten sich jetzt hauchdünne Stückchen des Bodens wie Schuppen. An den Beinen entlang schwebten sie dann nach oben und mehr, immer mehr dieser transluzenten Flocken schlossen sich an, bis sie bald inmitten umherwirbelnder Blätter verharrte. Im Abstand von ein oder zwei Fingern sauste das Zeug wie Satelliten im Orbit um Danielas Konturen. Um die Fernbedienung schwebten die Teilchen, immer mehr wurden es und sie hoben das Kästchen hoch, bis es langsamer wurde, wie ein Kunstflieger seitwärts schwebte und in einer Parabel herabstürzte. Den Boden nur um einen Hauch verfehlend verschwand es in Richtung des Gebäudes. Auch in der Ferne lösten sich Schuppen vom Boden, größer als Bettlaken waren die Fetzen. Riesige Segel bildeten einen undurchdringlichen Vorhang in der Ferne, welcher die Sicht auf den Horizont versperrte. Dazwischen Flocken auf dem Weg zu Daniela. Die Arme, die Beine, alles wurde davon umschwebt. Immer schneller wirbelten die Stücke und sie ging rückwärts, um dieser fremdartigen Bedrängnis zu entgehen, doch wie sie sich auch bewegte, das Wirbeln verfolgte sie und sie konnte nicht anders, als an Hautfetzen zu denken
War das vielleicht das von ihr ersehnte Lebewesen? Sie wischte das Zeug mit den Händen zur Seite, schleuderte es von sich. Das nutzte nur wenig, kehrten die Stücke doch wie vom Magneten angezogen zurück. Sie musste hier weg, ruderte wild mit den Händen, versuchte sich der Fernbedienung zu nähern doch da war kein durchkommen. Vielleicht auf dem Boden? Sie ließ sich auf alle viere und rutschte auf der Suche nach dem Kästchen, doch fand sie es nicht.
Plötzlich verstummte das wirbeln um Daniela, die abstrakten Gebilde fielen in sich zusammen und schneiten lautlos zu Boden. Eine Armelänge entfernt sah sie das Kästchen.
»Daniela.«
Wie vom Donner gerührt fuhr Daniela zusammen. Sie hörte ein trockenes flattern und im selben Augenblick schossen die vorhin zu Boden gefallenen Flocken aus allen Richtungen zusammen, bildeten eine Gestalt die sie kannte.
»Daniela«, sagte das Gebilde nochmals.
Da stand jemand vor Daniela, eine abstrakte Installation schwebender Teilchen. Nicht als vollständige Imitation, als unförmiger Partikelhaufen vielmehr, der durch bloße Bewegung den Eindruck eines zusammengehörigen Ganzen erweckte. Die Gestalt glich Sara und den Klang ihrer Stimme imitierte das Wesen eher erbärmlich, nur die Betonung stimmte genau überein. Woher wusste das Wesen von ihr? War das die intelligente Spezies auf die sie so sehr gehofft hatte, so intelligent, von so überwältigender Raffinesse, dass allein die Anwesenheit eines Gegenübers dazu ausreichte, Bilder zu manifestieren? Womöglich beherrschte es die Kräfte des PSI, denn wie sonst sollte es dazu in der Lage sein, ihre Gedanken zu lesen?
»Du reist gefährlich«, sagte die Gestalt.
Daniela konnte nichts tun, als das Wesen untätig näher kommen zu sehen.
»Was willst Du?«, stieß Daniela hervor.
»Ich möchte Dir helfen.«
Wieso konnte sie die Sprache des Wesens verstehen?
»Wobei helfen?«
»Ich möchte Dir dabei helfen, nichts verkehrtes zu tun.« Das Wesen streckte seine Hand aus.
»Warum? Was mache ich denn falsch?«
»Diese Form des Reisens hat Nebenwirkungen.«
»Nebenwirkungen? Dass man meint, nicht mehr ganz dicht zu sein?«, zickte Daniela, ohne genau zu wissen, warum.
»Gefährliche Nebenwirkungen.«
Daniela wurde es mulmig. »Welche?«
»Dein Leben betreffend.«
Daniela stand auf. Gleichzeitig wuchs Saras Abbild fast auf das Doppelte an.
»Redest Du immer so um den heißen Brei herum?«
»Hast Du Hunger?«
»Nein. Erzähl mir lieber was von den Nebenwirkungen!« Ihr Finger war fast vollständig von einem Büschel Haaren umwickelt.

Das Wesen setzte sich und bedeutete ihr, dasselbe zu tun. Sie glaubte Sara vor sich zu sehen. Die Bewegungen, die Gestik, alles passte genau. Schließlich ließ sich Daniela auf dem blanken Boden nieder.
»Ist es gefährlich?«
»Eigentlich nicht, aber wenn man es zu häufig macht, kann es gefährlich werden.«
Das Wesen stellte ihre Geduld gehörig auf die Probe.
»Willst Du es jetzt endlich erzählen, oder sollen wir noch ein paar Stunden herum sitzen und Blödsinn reden?«
Saras Gestalt löste sich in chaotischem rascheln zu einer Wolke umherschwirrender Flocken, die sich nach einer Weile scheinbar ziellosen hin und hers um Daniela sammelten. Je näher sie kamen, desto mehr Wärme strahlten sie ab. Einer zweiten Haut gleich schossen sie über Danielas Körper hinweg, der Hauptteil aber wirbelte um ihren Kopf, bis sie meinte, einen Heiligenschein zu tragen. Schließlich erstarben sämtliche Bewegungen der Flocken.
»Dies ist das Sicherheitsrelais, die Zwischenwelt, die den Reisenden als Ermahnung dienen soll, als Ermahnung, die grenzenlosen Möglichkeiten der Fernbedienung nicht leichtfertig zu überschreiten.«
Ruckartig richteten sich die Partikel neu aus, dass sich die Gestalt vor Daniela von einer formlosen Wolke innerhalb eines Augenblicks zu einer ihr zugewandten Sara wandelte. In ihrer Hand hielt sie die Fernbedienung.
»Gib das mir!«, fauchte Daniela. Ihr Herz klopfte wild. Ohne die Fernbedienung war sie verloren in dieser Wüste, die nie Heimat für sie würde werden können. Flink grabschte sie nach der Fernbedienung und kicherte ob des erfolgreichen Manövers. Sogleich fühlte sie sich in Sicherheit, spürte die Oberfläche des Kästchens, doch dort wo einst die beiden Schalter saßen, klaffte eine leere Vertiefung.
»Zuhören«, sagte das Wesen in einem lang gezogenen Laut der wie ein Flüstern sich ausnahm.
»Du hast es kaputt gemacht.«, schrie sie, unfähig, ihre Stimme frei von ängstlichem Zittern zu halten.
Als fürchte er sich davor, eine Antwort zu geben, fiel Saras Avatar in sich zusammen. Wie ein zerplatzender Wassertropfen regnete er zu Boden und erhob sich sofort als Nebel unzähliger Flocken daraus.
»Nicht kaputtgemacht«, sagte die Wolke. »Es ist wichtig, hör mir zu, bevor Du Dich wieder Deiner Reise zuwendest, oder möchtest Du deine Heimat für immer verlassen?«
Die Wolke organisierte sich neu, drehte sich wie ein Strudel und wurde zu einer flachgedrückten Kugel. Das Gebilde zerzauste sich selbst, bis sich ein Bild geformt hatte, das Daniela erkannte. Ob das die Galaxie war, in der sich die Erde befand? Das zu entscheiden war sie außer Stande.
»Nein, die Deiner Heimat sieht so aus«, sagte das Abbild und stürzte zu einem neuen zusammen. Wieder entstand eine Galaxie, eine, die der vorherigen nur entfernt ähnlich sah. »Du bist weit fort von zuhause.«
»Wie weit?«, fragte Daniela.
»Es ist mir nicht möglich, das in Zahlen auszudrücken, die Dir etwas sagen. Schon für Licht liegt es Abertausende von Jahrhunderten entfernt.«
»Mit der Fernbedienung kann man also springen«, folgerte sie. »Wer hat den Apparat eigentlich gebaut?«
»Das habe ich noch nicht herausgefunden. So lange schon bin ich auf der Suche, war auf unzähligen Welten, bin den Spuren gefolgt, aber es war wie verhext. Fast möchte ich behaupten, dass sie wussten, ich folgte ihnen.«
»Den Erfindern der Fernbedienung?«
»Natürlich. Das Problem: Der Apparat ist längst nicht perfekt. Es scheint, die Unzulänglichkeiten seien ihnen peinlich, denn aus welchem Grund sonst würden sie einer Zusammenkunft so gekonnt aus dem Weg gehen?«
»Diese Unzulänglichkeiten sind gefährlich?«
»Das kann man nicht so pauschal sagen. Im Großen und Ganzen kommt es darauf an, wie lange ein Organismus zu existieren in der Lage ist. Beträgt die Lebensspanne nur ein paar Jahre, so wie bei Dir vielleicht einhundertfünfzehn Erdjahre maximal, ist es gefährlich, aber auch das ist nur relativ. Kyju leben gut 15 Zyklen und einer davon beträgt 800 Erdjahre. Für die stellt der Apparat kein übermäßiges Problem dar, Süchtige jedoch erwischt es auch unter ihnen dann und wann.«
Daniela wurde ungeduldig. Warum rückte er nicht endlich heraus mit der Sprache?
»Mit der Fernbedienung reist man per Knopfdruck Millionen von Lichtjahren durchs Universum. Stimmt's?«
»Stimmt.«
»Was ist daran gefährlich?«
»Für Dich scheint keine Zeit zu vergehen, ich bin mir sicher Du hast das längst schon erforscht. Leider ist das nur die halbe Wahrheit. Äußerlich hat es den Anschein, ganz recht, aber in Wahrheit beschleunigt sich während jeden Sprungs die Bewegung auf dem Lebenstrahl. Egal welches Lebewesen, ein jedes hat seinen eigenen Strahl, seine Zeit. Darauf ist nur Platz für ein einziges Leben. Zeitreisen, ein beliebtes Hirngespinst Eurer Spezies, sind deshalb nicht möglich. Es würde zwei Benutzer eines Strahls bedeuten und das geht nicht, ist einfach nicht vorgesehen.«
Hitze machte sich in Daniela breit. Sie war noch nicht oft gesprungen, dreizehn Mal, wenn sie richtig gezählt hatte, und trotzdem erfasste Angst ihr Gemüt.
»Der Sprung ist nur kurz, doch die Beschleunigung auf dem Lebenstrahl ist immens. Lass mich schnell rechnen.«
Die sprechende Imitation einer Galaxie blähte sich auf und entwand sich zu einer Kugel, die sich langsam um eine schräg im Raum hängende Achse drehte. Schließlich zerbarst sie zu Saras Abbild.
»Im Vergleich mit den am längsten und den am kürzesten lebenden reisefähigen Spezies schneidet ihr Menschen noch ganz annehmbar ab. Manche schaffen nicht einmal einen vollständigen Sprung. Die unaussprechlichen Fmuux, die am längsten lebende, mir bekannte – darüberhinaus intelligente - Lebensform bringt es auf neunzehn höchstens, dabei werden die mehr als zweihundertachtundachtzigtausend Erdjahre alt.«
»Mann, was für ein Alter! Was ist nun mit Menschen, was passiert uns bei einem Sprung?«
»Jeder Sprung bringt Euch dem Ende des Lebenstrahls um vier Jahre und 11 Tage näher.«
Sie schlug die Hände vor den Mund.
»Das sind ja zweiundfünfzig-ein-Drittel Jahre!«, ächzte sie.
Das Wesen zuckte Saras Achseln.
»Zweiundfünfzig plus achtundzwanzig macht achtzig.« Sie sackte zusammen. »Ich bin tot. Wenn ich zurückkehre, sterbe ich.« Das Badeschaumgebäude, das Flockenwesen, der unendlich hohe Turm setzten sich rasant in Bewegung, schwirrten um Daniela herum, schneller und schneller, bis ihr der kalkweisse Boden entgegen stürzte.
»Deine Lebenszeit überdauert noch ein zwei Sprünge, wenn Du Glück hast«, hörte sie noch. »Du könntest bleiben, denn hier steht sie still, vergeht nicht. Dieser Ort könnte Zuflucht Dir sein!«
Dann schlug sie auf. Weit weg, irgendwo dort hinten, schwebten wie von Kinderhand zurecht gezupfte Papierfetzen Vögeln gleich durchs Relais.

Daniela erwachte mit Kopfschmerzen. Kalt war ihr im Abendwind, der im Dämmerlicht Staubwolken vor sich her trieb. Sie setzte sich auf, klopfte ihre mit Kalkstaub verschmutzte Kleidung ab. Sie fühlte ein Kratzen in ihrer Kehle. Vor ihr lag die Fernbedienung die auf der windzugewandten Seite in einem Häufchen Staub steckte. Trotz der Dunkelheit konnte Daniela die beiden Tasten erkennen. Gott sei dank, sie konnte wieder von hier verschwinden.
In ihrem Geiste irrte Daniela durch ein schier unendliches System von Gängen, Türe hinter Tür, riesige Hallen, stolperte ziellos durch den Sumpf ihrer Erinnerungen. Das Fundbüro, der Arbeitsplatz den sie so lieb gewonnen hatte, die neue Wohnung, dann, warum ausgerechnet dieser Gedanke, die vielen missglückten Versuche etwas bedeutendes zu leisten, was exemplarisch an der bewegungsunlustigen Plastiktüte gescheitert war. Der Tag, als jemand im vorbeigehen ihre Tasche gestohlen hatte und Sara, damals wildfremd, sie zum Trost auf einen Kaffee eingeladen hatte. Wie schön jener Tag doch gewesen war, trotz der bösen Begegnung mit der Habgier städtischer Anonymität. Ein Lächeln zuckte über ihr Gesicht beim Gedanken an Frau Kramer, die immer nur redete und redete, ohne Punkt und Komma den oft banalen Inhalt ihrer Hirnwindungen ergoss über jeden der versehentlich die Freundlichkeit hatte, ihr ein Ohr zu leihen. Wenigstens hatte die gute Frau es niemals für nötig gehalten, Kritik an ihrem Lebensstil oder ihrer Partnerschaft mit Sara zu üben. Erstaunlich! Da waren andere, weitaus jüngere Leute, solche, die sich gern als Freunde bezeichneten, sich gerne tolerant gegenüber ihrer Lebenseinstellung wähnten und doch nichts anderes Taten, als ständig darüber sich zu verbreiten, wie aufgeschlossen und tolerant man doch sei. Sicher, Frau Kramer fand das bestimmt ungewöhnlich und es entsprach wahrscheinlich auch nicht ihrem sittlichen Empfinden, aber es war nie etwas herablassendes oder gönnerhaftes in ihren Worten gewesen. Daniela musste schmunzeln. Das dämliche Gesicht dieser überdrehten Schickimicki Schnepfe Martina war einfach zu herrlich, nachdem ihr Sara dazu geraten hatte, es doch mal mit einer Frau zu versuchen, wo sie doch mit Männern mehr stritt als Beziehung zu führen.
»Sara«, flüsterte Daniela. Die Sonne war fast hinter dem Horizont verschwunden.
Langsam wurde es Zeit. Auf allen Vieren bewegte sie sich die zwei Schritte zur Fernbedienung. Das Kästchen fühlte sich freundlich an. Wie ein alter Bekannter, dachte sie, bei dem man ungefragt auftauchen konnte und es egal war, ob man nur für ein paar Stunden oder für mehrere Tage Unterschlupf brauchte.
Dann fiel es ihr siedend heiss wieder ein. Es ging zu Ende. Warum auch war dieses verdammte Relais nicht der erste Ort, den man bereiste? Genau genommen war doch das Kästchen eine Fehlkonstruktion. Sie ungebremst weiterschalten zu lassen, nur weil die Taste nicht losgelassen wurde, war wirklich verantwortungslos. Möglicherweise war das Ding auch nur ein Plagiat eines eigentlich hoch entwickelten Apparates bei dem diese Kinderkrankheiten längst ausgemerzt worden waren. Warum in aller Welt machte sie sich Gedanken über Probleme, die sie sowieso nicht zu lösen im Stande war? Es war zu Ende und die wichtigste Frage war jetzt, bleiben oder gehen, leben oder sterben. Verdammt nochmal, leben natürlich, dachte sie. Sara noch ein letztes Mal zu Gesicht zu bekommen, was gäbe ich sehe auch darum. Allein, diese Hoffnung schien wie Kinderromantik, ein trotziges >ich will aber< im Angesicht deutlich gesteckter Grenzen, das zu nichts anderem als Enttäuschung führen konnte. Würde sie damit nicht ein wahrhaftiges Zeugnis ihrer Liebe abgeben, zeigen, zu welcher Selbstlosigkeit sie in der Lage war und, obwohl es sich um nicht erwiderte Liebe handelte, dazu bereit war, dem Tod ins Angesicht zu schauen? Wenn sie zurückkehrte, waren gute vierundachtzig Jahre ihres Lebenstrahls verwirkt. Womöglich hätte sie noch zwei oder drei Jahre, doch das schien ihr nicht realistisch. Vater war einundsiebzig geworden, grübelte sie. Seine Schwester gerade mal vierundsechzig. Genau genommen bestand ein Großteil der Verwandtschaft aus Leuten, die nicht hochbetagt starben. Denkbar ungünstige Vorzeichen also. Sie brauchte mehr Informationen. Wer soll sich entscheiden, ohne zu wissen was kommt? Nur – wo war dieser staubige Bruder wenn man ihn brauchte?

»Hallo, Du ... Ding?«
Nichts.
»Komm schon und bring mich in Deine Behausung, schweinekalt ist's hier draußen!«, rief sie. Zum Glück hatte sie ihre Jacke.
Endlich eine Reaktion: Ein reißen und rascheln, trockenes Knistern wie von verbrennendem Gras, aus allen Richtungen flüsterte es. Direkt neben Danielas Schuhsohlen lösten sich jetzt hauchdünne Stückchen des Bodens, schwebten an ihr entlang, wie eine Schale, sausten Elektronen gleich um sie, dem Atom in diesem seltsamen Wechselspiel, bis schließlich eine neue Gestalt vor ihr stand.
»Vater?«
»Entschuldigung, ich wollte Dir nur etwas Abwechslung bieten.« Er klang nur entfernt wie ihr Vater. »Ich ändere das.«
Noch ehe er zu Ende gesprochen hatte, war er wieder Sara. Obwohl Daniela den Vorgang schon kannte, stockte ihr der Atem von dem Stich in ihrem Herzen. Sie konnte doch nicht fort bleiben, ohne auf Wiedersehen zu sagen.
»Deine Optionen sind schnell erklärt«, sagte die Manifestation mit der passenden Stimme. »Du kannst zurückkehren und darauf hoffen, noch etwas Zeit übrig zu haben, kannst mit Glück Deine Karriere als Künstlerin in Schwung bringen, aber dazu müsstest Du produktiver werden als bisher. Du könntest auch Deine Beziehung mit Sara in Ordnung bringen – vielleicht - wenn Du sie etwas weniger bedrängtest. Aber was hilft diese andauernde Gefühlsduselei? Drei Jahre, vier oder fünf, dann ist es zu Ende. Womöglich ist schon direkt nach Deiner Rückkehr alles zu spät und Du hüpfst in die Kiste. Nebenbei bemerkt bergen deine Gedanken allerlei merkwürdiges, wie das >in die Kiste hüpfen< zum Beispiel. Das würde sich gut bei uns machen. Damit wären wir dann auch schon bei Option Nummer zwei. Bleib hier und verbinde Dein Anima mit unserem, lehre uns, lerne von uns, erkenne alles und erweitere es. Du wirst alles wissen, alles verstehen, alles beherrschen. Und mit jedem Weiteren der sich uns anschließt, erkennen wir mehr, dann bist Du wir und wir Du. Wie lang, wirst du fragen, mag all das dauern und unsere Antwort ist simpel und herrlich: Es ist in Sekunden vorüber und dauert doch ewig, denn hier ruht die Zeit. Wer weiß, vielleicht schließt sich einst Sara uns an, heute, morgen, in zehn Jahren; es ist nicht von Bedeutung, denn werden wir eins, ist's in diesem Moment. Wir warten hier für Deine Verhältnisse seit Jahrtausenden auf Zuwachs und doch kamst Du im selben Moment, da auch wir uns dem Relais angeschlossen haben.«
»Wenn Ihr so viele seid, warum sehe ich dann niemanden?« Was sollte sie nur tun? Das Angebot klang verlockend.
»Wir sind unzählige. Wäre aber jeder einzelne von uns in seiner wahren Gestalt hier, käme das Kollektiv nicht zu Stande. Das Unterpfand für die unendliche Erkenntnis, ist die Aufgabe jeglichen Protoplasmas. Du gibst Deinen Körper hin und wir transferieren Dein Anima in die Zitadelle.«
»Mein Geist lebt weiter?«
Saras Abbild deutete auf das Badeschaumgebäude. »Die Zitadelle wird zu Deinem neuen Zuhause, was den jetzigen Tempel deines Anima zum nutzlosen Beiwerk macht.«
»Mein Körper?«
»Wird Staub. Was glaubst Du, woraus wir Saras Abbild errichten? Es sind die sterblichen Hüllen aller ins Kollektiv eingegangenen. Sei unbesorgt, Du wirst deine Hülle in dem Augenblick vergessen haben, da Du in die Zitadelle einziehst. Dort wird es weder Tränen, noch Leid, noch Verlangen geben. Hast Du Dich niemals gefragt, was die Zukunft für die Spezies Mensch bereithält? Schließe Dich uns an und sieh. Das Kollektiv sieht alles und es ist alles. Zögere nicht!«
»Bist Du verrückt? So schnell kann ich mich nicht entscheiden!«
»Hier hast Du alle Zeit der Welt. Trotzdem staunen wir. Fast alle haben ohne zu zögern das Kollektiv gewählt.«
»Wenn es stimmt, dass hier die Zeit still steht, dann lass mich gefälligst auch so lange überlegen wie es mir passt«, fauchte sie.
»Uns ist es einerlei, wieviel Zeit Du für eine Entscheidung benötigst, ich habe das zur Genüge erklärt. Tu was Du willst und tue es um Deinetwillen bald. Nichts ist schlimmer als keine Entscheidung.«
Das Bildnis zersprang.

Sie konnte die Chance, Sara doch noch für sich zu gewinnen, nicht unversucht lassen. Mit etwas Glück blieben ihr noch zwei oder drei Jahre und was gab es besseres, denn die Liebe über alles zu stellen? Es konnte nicht darum gehen, sie zu einem Schauspiel für andere zu machen, nein, das wichtigste war, sich selbst treu zu bleiben, nicht nur von der Liebe zu reden, sondern sie bis in die letzte Konsequenz zu fühlen und damit lebendig werden zu lassen. Würde sie sich dadurch nicht selbst zu dem Kunstwerk machen, das sie in ihren paar Lebensjahren nicht zu Stande gebracht hatte? Würde sie damit nicht etwas wirklich essenzielles leisten? Demnach war sie zu dem Statement der absoluten Hingabe verpflichtet, aus keinem anderen Grund als der Loyalität zu sich selbst.
»Was für ein Scheiß!«, schnaubte sie unzufrieden. Das war doch keine selbstlose Liebe. Wenn sie aus dem bloßen Zweck zurückkehrte, sich die Fähigkeit zur grenzenlosen Liebe zu beweisen; Selbstlosigkeit am Arsch! Langsam wurde ihr klar, dass es sich schon Wochen vor dem Bruch nicht mehr um Sara gedreht hatte. Daniela hatte nur noch sich selbst im Blick gehabt, ihre eigenen Gefühle und Ansichten, aber selbst in Anbetracht der Vergänglichkeit schaffte sie es nicht, sich von ihrem Ego zu lösen.
Tränen rollten über Danielas Gesicht. Ihre Rückkehr würde niemals ein Akt der Liebe sein können, jedenfalls nicht dann, wenn daraus bloß selbstgefälliges Schulterklopfen werden sollte. Eine solche Zurschaustellung von vordergründiger Selbstlosigkeit wäre ein sinnloser Akt. Nicht minder sinnlos, als in den Abgrund zu springen, in der Hoffnung, kurz vor dem aufschlagen noch Abschied nehmen zu können.
Nicht mehr gänzlich ratlos wischte sie die Tränen beiseite. Sie fühlte sich schmutzig vom Staub, sogar schmutzig im Geist, verlogen und selbstsüchtig, unwürdig, an Saras Seite zu Leben. Deren Gesicht schwebte vor Danielas innerem Auge, ihr warmherziges Lächeln, das alle Unsicherheit vertrieb. Dann plötzlich, wie billige Super8-Filmaufnahmen, wandelte es sich hin zu einer verärgerten Miene. Daniela warf den Kopf hin und her, versuchte die Vision abzuschütteln, doch sie blieb. Sie rappelte sich auf und rannte los, stolperte vielmehr durch die Nacht, ohne Ziel, ohne Hoffnung, gepeinigt von dem Gedanken an die Pflicht, Sara endlich loszulassen und ihre Liebe darin zur äußern, sich und ihr die gescheiterte Beziehung einzugestehen, sie freizugeben und selbst im Kollektiv aufzugehen. Da verschwand endlich Saras Bild aus ihren Gedanken. Freiheit für Sara war Freiheit für sie selbst, das wusste sie jetzt. Und sie war erleichtert und lachte und drehte sich voller Freude im Kreise, stolperte schließlich zu Boden, wo sie glücklich Staubengel malte.
»Ich weiß was ich zu tun habe. Nimm mich auf!«


© 2008 by Georg Niedermeier, München.

 

Hallo Bär,

Warum dieses Ding auf total symmetrisch sein musste.
Auch statt auf? Und die Logik leuchtet mir nicht ganz ein, auch wenn sie symmetrisch ist, kann man doch erfühlen, ob die Taste nu links oder rechts ist, oder? Was anderes wäre es, wenn eine Taste auf der Vorder- und eine auf der Rückseite wäre.

den Grazern in ihren Händen.
Den Grazern? Also, uhm, entweder ich kenne das Wort nicht (nur als „Die Einwohner von Graz“) oder dein Sprachprogramm spielt dir einen Streich.

Auf dem Apparat finden sich zwei Knöpfe von denen einer mich zurück bringt.
, von denen mich einer (natürlichere Worstellung, jedenfalls nach meiner Meinung)

ob vielleicht eine irgendwie geartete Gefahr vom anderen ausgehen.
Ausgehen würde / besser: ausginge

aber nur eine von ihnen, Sara, bald zwei Tage hatten sie sich nicht gesehen, besaß selbst eine Kamera, die, das hatte ihr Sara kürzlich erzählt, gerade in Reparatur war.
Die beiden Einschübe sind zu dicht beisammen, einer von beiden wäre kein Problem, aber in der Summe sind sie störend.

Danielas Finger zitterten, als aus dem Hörer nur noch ein Tuten zu hören war. Ihr einziger Rückhalt in der großen Stadt wollte tatsächlich nichts von ihr wissen.
Bisschen komisch, Sandra wurde ja so als „nichts besonderes“ eingeführt, als eine in einer langen Liste von Kommilitonen und jetzt ist sie aber DIE Bezugsperson, an die hätte sie doch gleich denken müssen? Oder es hätte wenigstens angeführt gehört. Dass sie sich überwinden muss, sie anzurufen. Kommt mir ein wenig vor, als hättest du die Figur erstmal eingeführt und dich dann im Nachhinein entschieden, ihre Rolle auszubauen (das ist ja auch gut und richtig und löblich, aber dann musst auch den vorangehenden Text entsprechend ändern).

Deprimiert legte sie das Telefon weg und sich auf das Sofa. Deprimiert starrte sie an die Decke.
Das ist ein humoristisches Stilmittel: ich heiße Heinz Erhardt und sie willkommen, normalerweise hat das in Texten unbedacht verwendet, nichts zu suchen. Es wirft einen aus dem Lesefluss – aber ich bin auch der einzige, der das immer predigt, also whatever.
Das doppelte „deprimiert“ ist allerdings in jedem Fall unschön.

so hatte sie noch nie jemanden geliebt und irgendwie wusste sie, dass ihr das bei niemand anderem jemals wieder passieren könnte.
Guck mal, wenn du allein diese Wörter für sich betrachtest, da fallen zwei Sachen auf: 1. Kein einziges ist großgeschrieben (das heißt keine Konkreta) und 2. sehr viele kurze Wörter, also Partikel.
Und so liest es sich auch, wischiwaschi, der Satz rauscht völlig leer an einem vorbei. So doppelt gemoppelt jemals wieder, niemand anderes usw. Also wirklich, sehr schwacher Satz.

doch schnell waren Danielas Beine unwiederbringlich ihrer Willkür beraubt, bezwungen, geschlagen war sie, zum wehrlosen Opfer degradiert.
Sorry, du hast wirklich einige gute Sätze drin, aber der hier z.B. das ist mal echt einfach nur bla.
unwiederbringlich ihrer Willkür beraubt? HÄ? Was in Gottes Namen soll das denn heißen? Das ist doch ne Actionszene, da will ich keine Metaphern dechiffrieren.

In der Not höchster Verzweiflung wischte sie mit den Armen ein letztes Mal über den Boden, denn vielleicht gab es hier wenigstens einen guten Geist oder eine simple Fügung des Schicksals, dass sie das Kästchen unter ihren Händen spüren würde und tatsächlich hatte sie Glück. In letzter Sekunde gelang ihr die Flucht zurück ins heimische Wohnzimmer.
Die Geschichte hat von der Dramatik her dasselbe Problem wie die Enterprise. Der Teleporter wurde erfunden, weil man keine Lust hatte, das Ding landen zu lassen (hätte Schweine Geld gekostet), aber: Durch den Teleporter konnte jede noch so knifflige Situation durch simples Beamen entschärft werden, deshalb mussten tausend Ausnahmen geschaffen werden, um das Beamen zu verhindern. Das Problem hat die Geschichte hier auch ein bisschen. Egal in was für ne Scheiße Daniela sich reinreitet, sie muss nur Scotty beam me up flüstern und auf das Kästchen drücken und ist fein raus. Hat auch ein bisschen was vom Zauberer von Oz. There’s no place like home. Also dramaturgisch problematisch. Das ist jetzt die zweite Stelle mit demselben Trick und es wird keine rechte Spannung erzeugt.

hörte sie das immer hysterischer gewordenen Geschrei der Vögel,
Immer hysterischer werdende (aber auch dann einfach grammatikalisch unschön, aber zumindest korrekt)

»Wollen's nicht zu mir rüber kommen, dann mach ich Ihnen eine heiße Milch mit Honig. Ihre ... also die andere da, die ist auch schon ein paar Tage nicht mehr zu Besuch g'wesen, hab ich mitkriegt, haben's sich 'trennt? D'rum schauen's auch gar so traurig, oder ...«
Sehr amüsant, da fehlt noch so ein „Nicht, dass sie jetzt glauben ich hätte Hintergedanken“-Sätzlein, das würde das abrunden.

Hektisch zog sie beide Hosen gleichzeitig hoch und stolperte. Auf der Türschwelle zwischen Zimmer und Bad, kämpfte sie ihren in den letzten Monaten etwas breit gewordenen Hintern in die Jeans und rappelte sich wieder hoch.
Beide Hosenbeinen
Und allgemein: Ich bin ja auch nicht gerade ein glühender Verfechter des Feminismus, aber … wenn das Teil hier den falschen Damen in die Hände fällt, fürchte ich um deine Gesundheit. Du hast da eine Lesbe, deren Arsch zu dick ist und die sich alle 2Minuten in den Haaren rumfummelt, also … moah, ich sag nix mehr!

Entweder es funktionierte, oder eben nicht. Das hatte sie überzeugt.
Ich sag’s immer wieder. Wenn es keine rationale Möglichkeit gibt, so eine Motivation zu erklären, dann geht man besser einfach nicht drauf ein. Und es gibt hier keine wirklich rationale Motivation (emotionale, ja: Neugier, Adrenalin-Junkie, aber Todesangst sollte da eigentlich auch ne gewisse Rolle spielen). Sie ist zwei mal fast drauf gegangen. Und jetzt hier: ach, was passiert schon? Da komm ich mir als Leser für blöd verkauft vor.

Immerhin hatte die Kamera optischen Zoom, also ein nicht ganz unbrauchbares Provisorium für solche Fälle.…
Bitte, das ist echt Gelaber. Ein nicht ganz unbrauchbares Provisiorum für solche Fälle. Boah. Der ganze Nebensatz könnte man weglassen, der fügt sinngemäß überhaupt nichts hinzu. Immerhin hatte die Kamera optischen Zoom (klar, da ist alles gesagt), und wenn man den Nebensatz dann doch unbedingt bringen muss, dann doch nicht so geschwafelt. Ein nicht ganz unbrauchbares Provisorium … boah. Ich glaube, dem Text würde an einigen Stellen eine Zeichenbegrenzung durchaus gut tun.

Nichtsdestotrotz würden die Aufnahmen zuhause aber eine Sensation sein, mit der sich Daniela womöglich bald einen Namen machen konnte.
Nichtsdestotrotz – ich glaube, wenn man das Wort verwendet, leidet man unter aller schwerster Konjunktionitis. Noch schlimmer ist nur: Nichtsdestoweniger. Es muss nicht - wie wir das im Deutschunterricht beim Thema „Erörterung“ gelernt haben- jeder Satz mit einer Konjunktion angeschlossen werden. Und mit solchen Konjunktions-Monstern schon mal gar nicht.

Sie griff in die Hosentasche, das Kästchen herauszuholen, doch es war nicht da. Auch in der anderen Tasche nicht, logisch. Vielleicht in der Jacke, die sie irgendwo dahinten liegen gelassen hatte? Genervt drehte sie sich um und starrte in die Richtung, aus der sie gekommen war.
Das ist das sogenannte „Idiot auf dem Speicher“-Motiv. Teenie-Horrorfilme: Der Typ mit dem Messer kommt, die dickbusige Tussi springt nicht etwa aus dem Fenster, sondern rennt auf den Dachboden hoch, wo es auch wirklich gar keinen Ausweg mehr gibt.
Also wenn Figuren sich durch völlig idiotisches Verhalten (ich vergess mal das Ding, das mir schon zweimal den Arsch gerettet hat) unverschuldet ins Aus manövrieren – das ist immer ungünstig.

Ruckartig richteten sich die Partikel neu aus, dass sich die Gestalt vor Daniela von einer formlosen Wolke innerhalb eines Augenblicks zu einer ihr zugewandten Sara wandelte. In ihrer Hand hielt sie die Fernbedienung.
»Dies ist der Svitsh«, sagte das Wesen.
Svitsh= Switch= Zappen durch Fernsehsendungen?
Ist so ein Spaceballs-Gag irgendwie. Ziemlich gut, aber wirkt hier deplaziert.

Hm, schwierig. Ich finde Stärken hat die Geschichte in den Beschreibungen dieser Zwischenwelten. Da gelingen dir gute Bilder, aber sie hat auch Längen, furchtbar lange Längen. Und die „informationen“; die man am Ende bekommt, … das ist ja nichts erarbeitetes. Sie hat das ja nicht gesucht, oder so. Da taucht dann einfach das Viech auf und erklärt ihr alles und sagt ihr: so isses und zack. Und so wie die Geschichte gelaufen ist, könnte das Wesen ALLES sagen, das könnte alles gleichberechtigt an die Geschichte anknüpfen. Auch in was für Welten sie da gerät – da ist alles austauschbar und beliebig. Ohne Belang für die Geschichte.
Auch die Liebschaft ist doch eigentlich ohne Belang, die wird da ausgeführt und alles, aber na ja. Die Geschichte zerfasert, finde ich, in Einzelbilder – die stellenweise wirklich gelungen sind – aber die für mich nicht so richtig zusammenhängen, die einzelnen Details sind nicht zwingend für die Geschichte, ist wie ein Baukasten, man könnte die Hälfte der Steine austauschen oder weglassen und man hätte noch die Essenz, denn die kommt relativ beliebig von Außen. Deus ex machina, da schwebt einer ran und erklärt ihr alles.
Also mich überzeugt die Geschichte leider nicht.
Erneut mein Rat: Lieber erstmal versuchen, überschaubare 10k/15k-Zeichen-Geschichten souverän hinzukriegen, für die längeren Dinger gelten schon fast ganz eigene Gesetze.

Quinn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Quinn,

Erstmal herzlichen Dank für deine ausführliche Antwort, die du mir trotz deiner Grippe so schnell geschrieben hast.

Schade, dass dir die Geschichte nicht so recht gefallen konnte. Deine Ausführungen zeigen mir aber, wo ich noch mangelhaft arbeite und damit ist schonmal viel gewonnen.

den Grazern in ihren Händen.
Den Grazern? Also, uhm, entweder ich kenne das Wort nicht (nur als „Die Einwohner von Graz“) oder dein Sprachprogramm spielt dir einen Streich.
Das muss Grashalm heißen. Lag wirklich am Diktierprogramm.

ob vielleicht eine irgendwie geartete Gefahr vom
anderen ausgehen.
Ausgehen würde / besser: ausginge
ausginge. Wieder das Programm.

aber nur eine von ihnen, Sara, bald zwei Tage hatten sie sich nicht gesehen, besaß selbst eine Kamera, die, das hatte ihr Sara kürzlich erzählt, gerade in Reparatur war.
Die beiden Einschübe sind zu dicht beisammen, einer von beiden wäre kein Problem, aber in der Summe sind sie störend.
das habe ich jetzt folgendermaßen gelöst:
Vielleicht könnte sie Sara anrufen. Nein, das gäbe nur Ärger. Sie ging gedanklich eine ganze Reihe von Kommilitonen durch, aber von denen besaß keiner eine eigene Kamera.

Deprimiert legte sie das Telefon weg und sich auf das Sofa. Deprimiert starrte sie an die Decke.
habe ich geändert:
Sie legte das Telefon weg und ließ sich auf dem Sofa nach hinten fallen. Deprimiert starrte sie an die Decke.

so hatte sie noch nie jemanden geliebt und irgendwie wusste sie, dass ihr das bei niemand anderem jemals wieder passieren könnte.
Guck mal, wenn du allein diese Wörter für sich betrachtest, da fallen zwei Sachen auf: 1. Kein einziges ist großgeschrieben (das heißt keine Konkreta) und 2. sehr viele kurze Wörter, also Partikel.
Und so liest es sich auch, wischiwaschi, der Satz rauscht völlig leer an einem vorbei. So doppelt gemoppelt jemals wieder, niemand anderes usw. Also wirklich, sehr schwacher Satz.
ebenfalls geändert:
Sie liebte Sara. Manchmal schmerzte das schon und sie wusste, für niemand sonst würde sie solche Liebe verspüren können.

doch schnell waren Danielas Beine unwiederbringlich ihrer Willkür beraubt, bezwungen, geschlagen war sie, zum wehrlosen Opfer degradiert.
Sorry, du hast wirklich einige gute Sätze drin, aber der hier z.B. das ist mal echt einfach nur bla.
unwiederbringlich ihrer Willkür beraubt? HÄ? Was in Gottes Namen soll das denn heißen? Das ist doch ne Actionszene, da will ich keine Metaphern dechiffrieren.
Ich gebe dir Recht, es ist total hoch geschraubt und eigentlich unnütz. Habe ich gestrichen.

Die Geschichte hat von der Dramatik her dasselbe Problem wie die Enterprise. Der Teleporter wurde erfunden, weil man keine Lust hatte, das Ding landen zu lassen (hätte Schweine Geld gekostet), aber: Durch den Teleporter konnte jede noch so knifflige Situation durch simples Beamen entschärft werden, deshalb mussten tausend Ausnahmen geschaffen werden, um das Beamen zu verhindern. Das Problem hat die Geschichte hier auch ein bisschen. Egal in was für ne Scheiße Daniela sich reinreitet, sie muss nur Scotty beam me up flüstern und auf das Kästchen drücken und ist fein raus. Hat auch ein bisschen was vom Zauberer von Oz. There’s no place like home. Also dramaturgisch problematisch. Das ist jetzt die zweite Stelle mit demselben Trick und es wird keine rechte Spannung erzeugt.
Ich verstehe was du meinst.ich wollte mich in der Geschichte nicht mit Details über die technische Seite des Reisens auslassen, zumal ich nicht weiß, was ich dazu erzählen sollte. Dramaturgisch war ich wohl ungeschickt, den brenzlichen Situationen einfach per Knopfdruck zu entgehen. Darunter leidet natürlich Spannung. Diesbezüglich ist wohl eine umfangreichere Überarbeitung notwendig.

Sehr amüsant, da fehlt noch so ein „Nicht, dass sie jetzt glauben ich hätte Hintergedanken“-Sätzlein, das würde das abrunden.
mir war die humoristische Mode bei den vorhergehenden Sätzen gar nicht bewusst. Im Nachhinein finde ich sie selbst ganz witzig und habe deshalb deinen Vorschlag übernommen.

Und allgemein: Ich bin ja auch nicht gerade ein glühender Verfechter des Feminismus, aber … wenn das Teil hier den falschen Damen in die Hände fällt, fürchte ich um deine Gesundheit. Du hast da eine Lesbe, deren Arsch zu dick ist und die sich alle 2Minuten in den Haaren rumfummelt, also … moah, ich sag nix mehr!
Also das verstehe ich nicht. Ist es frauenfeindlich, wenn eine Frau, die eine Frau liebt einen dicken Hintern hat? Und warum sollte sie nicht in ihren Haaren herum spielen? mir hat dieser Charakterzug gut gefallen. Sie ist eben eine unsichere Persönlichkeit, die immer dann, wenn sie nicht weiß wie es weitergehen soll, ihre Haare zwirbelt.
Übersehe ich etwas? Bin ich ignorant? Etwas ausführlichere Erklärungen könnten mir weiterhelfen.

Ich sag’s immer wieder. Wenn es keine rationale Möglichkeit gibt, so eine Motivation zu erklären, dann geht man besser einfach nicht drauf ein. Und es gibt hier keine wirklich rationale Motivation (emotionale, ja: Neugier, Adrenalin-Junkie, aber Todesangst sollte da eigentlich auch ne gewisse Rolle spielen). Sie ist zwei mal fast drauf gegangen. Und jetzt hier: ach, was passiert schon? Da komm ich mir als Leser für blöd verkauft vor.
Das leuchtet ein. Habe ich entfernt.

Das ist das sogenannte „Idiot auf dem Speicher“-Motiv...
Also wenn Figuren sich durch völlig idiotisches Verhalten (ich vergess mal das Ding, das mir schon zweimal den Arsch gerettet hat) unverschuldet ins Aus manövrieren – das ist immer ungünstig.
das Problem hatte ich schon bei meiner Geschichte »Sternenfenster«. Meine Figuren handeln oft aus nicht näher erklärten Gründen wie die letzten Deppen. Was das wohl über mich aus sagt:schiel::Pfeif: Schon beim Schreiben ist mir das aufgefallen, ich wusste nur nicht, wie ich es umgehen könnte. Im Zweifel einfach länger drüber nachdenken?!

Svitsh= Switch= Zappen durch Fernsehsendungen?
Ist so ein Spaceballs-Gag irgendwie. Ziemlich gut, aber wirkt hier deplaziert.
fand ich während des Schreibens wahnsinnig toll, aber deine Anmerkung lässt mich diesen Begeisterung verwerfen.

Zu den abschließenden Bemerkungen:

Ursprünglich hatte die Geschichte ungefähr 15 Seiten mehr. Die völlig unnötigen Dinge habe ich gestrichen, darunter die zu lang geratene Beschreibung einer weiteren Welt, die das ganze in eine völlig andere Richtung gebracht hatte. ich werde deshalb die Geschichte noch einmal machen nutzlosem durchforsten.
Ich hatte mich immer wieder gefragt, wie ich die Erklärungen im Relais besser über die Geschichte verteilen könnte, aber letzten Endes lief es darauf hinaus, dass erstmal die Begegnung mit einem Wesen stattfinden musste. Ich wollte keine Geschichte schreiben, in der man sich auf jeder noch so fremden Welt in Deutsch unterhalten konnte und ich wollte mich auch nicht lang und breit mit Verständigungsproblemen befassen. vielleicht wären Hinweise anderer »Reisender« an einem der beiden Reiseziele eine gute Idee gewesen. da ich es aber anders geschrieben habe, musste natürlich irgend jemand das Problem erklären. Insgeheim hatte ich damit gerechnet, dass diese langen erklärenden Abschnitte gegen Ende negativ kritisiert werden. Ich fand es auch selbst problematisch, aber eine andere Herangehensweise fällt mir auch im Nachhinein nicht ein.

Meine nächste Geschichte wird mit Sicherheit kürzer, nicht nur diesen Rat werde ich beherzigen.

Vielen Dank für deine Mühe.
Georg

 

Hallo Bär,
der Titel ist mir beim Stöbern so ins Auge gesprungen, dass ich bei der Geschichte verweilt bin.
Du legst hier ja einen ganz schönen Wälzer hin und die Idee mit dem durch die Welten Zappen finde ich gut und ausbaufähig aber der Rest deiner Geschichte, lässt mich ein wenig ohne Licht im Dunkeln zurück.
Das diese Geschichte mir nur bedingt gefällt lässt sich glaube ich auf folgende Punkte reduzieren:

  1. Sie ist mp zu lang! (Ich hab' nichts gegen lange Kurzgeschichten aber du überschüttest mich mit Informationen, die für den Verlauf der Geschichte unwichtig sind)
  2. Die Geschichte fällt auseinander!(Da wäre zum einen eine traurige Liebesgeschichte, zum anderen die Schilderung einer neuen Technologie, die Schilderungen fremder Welten und oben drauf noch eine Gesellschaftskritik. Und alle sind nur lose durch den Umstand verknüpft das sie im Umfeld der Hauptperson geschehen.)
  3. Es entsteht keine emotionale Tiefe! (Durch den ständigen Szenenwechsel und die Schilderung der fremden Hintergründe lässt du dir keinen Spielraum, beschreibender auf die Emotionen von Daniela einzugehen; vlt. wäre eine Möglichkeit dem zu begegnen wenn du die Erzählperspektive wechselst? Wenn du die Geschichte aus Danielas Ichperspektive schreiben würdest wärst du gezwungen die ganzen kleinen Emotionen und Besonderheiten, die Daniela ausmachen auszuformulieren. Das Ergebnis wäre eine stärkere Bindung des Lesers an die Person Daniela und damit ein Spannungsanstieg.)
  4. Bisweilen nutzt du seltsame Formulierungen! (Du nutzt zum Teil Satzbauten die mich armen Leser vor den Kopf stoßen und mich geradezu herausfordern, zwei Absätze nach unten zu Springen weil sie langatmig werden.)

Ach ja:
Dieser Ort könnte Zuflucht Dir sein!
Was macht Yoda hier? ;)

les' dich
Nice

 
Zuletzt bearbeitet:

hallo Nice!

Danke für deine Kritik, mit der du eigentlich alle Mängel an dieser Geschichte deutlich gemacht hast. Ich kann mich inzwischen dem was du sagst gut anschließen. Es ist wieder mal so eine Geschichte, bei der ich wahrscheinlich zu viel auf einmal wollte. Manche Passagen in dem klingen tatsächlich ein wenig schwülstig, was aber eigentlich Absicht war. Komisch, das schleicht sich bei mir immer dann ein, wenn ich so richtig im Schreibfluss bin. Das war bei meiner Spiegel-Geschichte ähnlich.

vielleicht mache ich mich demnächst endlich mal daran, die Geschichte grundsätzlich zu überarbeiten, sie eventuell auch aus einer anderen Perspektive zu schreiben, aber das kann noch ein wenig dauern, denn irgendwie komme ich derzeit schreibtechnisch einfach nicht in Fahrt. Ich hatte vor einigen Wochen ein etwas traumatisches Erlebnis, das mir irgendwie meine Kreativität geraubt hat. Immerhin kommt sie in letzter Zeit mehr und mehr zurück, das ist schonmal ein Lichtblick.

Danke für die Zeit, die du investiert hast und dass du dich geäußert hast.
Georg

 

Hallo Schrei Bär,

eigentlich schon ziemlich lange her, dass ich deine Geschichte gelesen habe. Aber ich erinnere mich trotzdem dran. Rate mal, was mir im Gedächtnis geblieben ist ;) Vom Plot wusste ich noch, dass man da mit so einem Kästchen durch die Welten springt. Dann wusste ich noch, dass mir einige der Welten gut gefallen haben (heute hab ich den Text noch einmal überflogen, wieder ins Auge gesprungen ist mir die Karawane im Nebeltal - das find ich schon deswegen gut, weil Karawanen sonst immer in der Sandwüste auftreten, hier also mal was anderes). Und was sich bei mir richtig eingebrannt hat: "Diese dumme Pute verliert das Kästchen, vergisst es in ihrer Jacke." :D
Heute hab ich die Kommentare auch gelesen, und es wurde dir ja schon angekreidet. Komm, man kann dieses Kästchen nicht so einfach verlieren. Alle fünf Minuten tät man gucken, ob's noch da is ;)
Mein anderer Kritikpunkt kam ebenfalls schon auf: Es kann irgendwie alles passieren, sie könnte mit diesem Kästchen sonstwo landen. Für den Leser wird es aus dieser Willkür heraus merkwürdigerweise vorhersehbar. Ziemlich früh hab ich vermutet, dass sie irgendwo landen wird, wo sie entweder stirbt oder die Fernsteuerung kaputtgeht oder sonst irgendwas passiert, so dass sie nicht mehr nach Hause kann.

Ich hab ein bisschen überlegt, wie man das umgehen kann, falls du mit der Idee nochmal was Neues versuchen willst.
1) In den Welten könnte es Eingangs- und Ausgangsportale geben. Also nur, wenn sie diese Portale erreicht, kann sie ihre Fernsteuerung benutzen. Dadurch kann sie sich eben nicht beliebig aus der Gefahr zappen und du musst nicht auf diese fiesen Konstruktionen verfallen, warum gerade im Moment die Fernsteuerung nicht erreichbar ist.
2) Die Welten müssen miteinander verknüpft sein. Von mir aus auch immer dieselbe Welt. Oder derselbe Ort in unterschiedlichen Entwicklungsstadien oder Jahreszeiten oder was weiß ich. Es wäre günstig, wenn der Leser irgendwie eine Erwartungshaltung aufbauen kann, was es bei dem nächsten Sprung wohl zu sehen geben wird.

Aus ungeklärten Gründen mag ich diese Stelle:

Sie drückte die Eine. Nichts geschah.
Sie drückte die Andere.

Aufgefallen ist mir das hier:
Müde ging Daniela ins Bad. Alles kam ihr so langweilig vor, so gewöhnlich und uninteressant.
Das heimische Bad mag ihr im Vergleich momentan uninteressant erscheinen. Aber, hey, wäre ich kurz vorher in eine andere Welt gehüpft - in eine andere Welt gehüpft - ich wäre so aufgeregt, ich würde mein Badezimmer nicht mal richtig sehen. Das Bad hätte gar keine Gelegenheit, uninteressant zu erscheinen. Will sagen: Beschreib doch lieber ihre Aufregung, ihre Euphorie. Wie auf LSD ... sonst müsste ihr nämlich irgendwie auffallen, dass ihre Müdigkeit wesentlich ausgeprägter ist, als sie eigentlich sein sollte ... und vielleicht müsste sie nachdenken, und ... naja, müsste Vorahnungen entwickeln.

»Na hören Sie mal, dafür ist mir meine Zeit a bisserl zu schad'! Vielleicht sollten's mal zum Dr. Engler gehen, der ist ja gleich da drüben, der könnt' ihnen ganz bestimmt helfen.«
Frau Kramer scheint doch ein sehr gutmütiger Charakter. Warum gleich so fies und mit dem Psychiater und so ... ich fände, es täte Frau Kramer besser, wenn sie einfach sagen würde "Für ihre Scherze ist mir meine Zeit zu schade."
(Nimmt man denn wirklich sofort an, der Nachbar meint es ernst, wenn der mit imaginären Halmen kommt? Würde man nicht zuallererst an eine Verarsche denken als daran, dass der Nachbar tatsächlich "spinnt"?)

Ich wär gespannt auf eine Neuauflage des Themas :)

 

hallo möchtegern,

Ich muss mich bei dir entschuldigen, dass ich auf deine Rückmeldung nicht schon früher geantwortet habe. Tut mir leid.

Eigentlich würde ich gerne an der Geschichte weiter arbeiten, aber ich habe noch immer das Problem, mich nur mühsam für etwas motivieren zu können. Die von dir und einigen anderen Kritikern aufgeführten Punkte treffen den Kern der Sache ganz gut, nämlich dass alles zu willkürlich ist und dadurch leider vorhersehbar wird. Inzwischen bin ich auch selbst der Meinung, dass es viel interessanter wäre, wenn die Protagonistin eben nicht irgendwo hängen bliebe, sondern vielleicht etwas lieb gewonnenes hinter sich lassen muss um sich wieder ihrem Zuhause zu widmen. Mir ist die Geschichte mittlerweile auch viel zu lang. Da muss ich nochmal richtig gründlich drüber gehen. Vielleicht schaffe ich es ja irgendwann.

Liebe Grüße,
Georg

 

Hallo Georg!

ein erschöpftes Puuuh! zurück!

Ich fand besonders den ersten Teil spannend. Der ist voller Rätsel: Wozu das Kästchen, was sind für Welten, warum kann Frau Kramer den Grashalm nicht sehen, wieso diese Gewichtsbeschränkung auf der Reise, oder liegt es vielleicht an der Art der Gegenstände.
Dann macht die Geschichte einen sanften bogen, und bringt mich auf andere Gedanken.
Für mich lautet dann das Hauptthema Sucht. Ich sehe da mehrere Indizien, die ich damit verbinde.
An dieser Stelle zuerst:

Müde ging Daniela ins Bad. Alles kam ihr so langweilig vor, so gewöhnlich und uninteressant. An welchen Ort sie wohl beim nächsten Mal kommen würde?
Das erinnert mich daran, wie sich damals (ich war 13) der Fernseher in die Familie eingeschlichen hatte. Ein Knopfdruck, und man war in einer anderen Welt, ein weiteres Knopfdrücken, und man landete wieder im Wohnzimmer. Nach einer Weile immer seltener.
Auch folgendes passt zum Suchtverhalten:
Die Wüste, das Kollektiv und die falsche Sara. Am Ende rechtfertigt sich Daniela vor sich selbst, sich von ihrer Liebe zu Sahra befreien zu müssen, nur damit sie ins Kollektiv, der ultimativen Medienwelt, in der (angeblich) die Zeit nicht vergeht, und bis in alle Ewigkeit neue (pseudo-) Erfahrungen gemacht werden, mit beruhigtem Gewissen eintauchen kann.
Womit wir dann beim Titel wären: Was die Fernbedienung von der Liebe übrig ließ.
Für mich eine schöne runde Geschichte, aber ein verdammt schwieriger Stoff, irgendwie.

Nun noch ein paar Einzelheiten:
Dieses über den Text verteilte Haar zwirbeln. Ist das ein Symbol? Wenn ja, dann kann ich es nicht deuten.
+
Warum diese Gewichtsbeschränkung auf Reisen. Ich finde, das kannst du raus streichen.
+
Daniela verschusselt ihr Kästchen. Am Anfang dient das erkennbar nur zur Rechtfertigung dafür, das später die Fetzen-Sara das Kästchen in die Finger bekommt, um den Knopf zu klauen! Kannst du streichen.
Wenn du den Text kürzen willst, würd ich in erster Linie die Szenen auf dem Wüstenplanet durchforsten. Diese Papierfetzen dürfen sich ruhig schneller als Wächter des Relais vorstellen.


Gruß
Asterix

 

Hallo Asterix ,

freut mich, dass du die Geschichte komplett gelesen hast. Danke dafür. Deine Interpretation haut mich um! So habe ich das nie gesehen und leider auch nicht konzipiert, hätte ich doch nur.

Herzlichen Dank für deine Ausführungen, da muss ich wirklich nochmal gründlich drüber nachdenken und diese Geschichte dann ordentlich straffen, kürzen und inhaltlich richtigen Schwung hinein bringen. Eine echte Herausforderung, denn der Text hat durchaus seine Mängel. Vermutlich wird diese Überarbeitung noch einige Zeit auf sich warten lassen, denn eigentlich möchte ich mich zunächst mal auf dem Gebiet kurzer Geschichten fitter machen, bevor ich mich wieder wochenlang in einem solchen Riesenwerk verliere. Deine Interpretation hat mir aber gezeigt, dass in der Geschichte was wirklich brauchbares drin steckt, das nicht vergammeln sollte.

Herzlichen Dank
Georg

 

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