Hallo Marta Ben,
zuallererst, es freut mich, dass du hier ins Forum gefunden hast, denn du weckst Neugierde in mir.
Schon deine erste Geschichte fordert Aufmerksamkeit, nicht nur durch ihren derben Inhalt, sondern auch stilistisch.
Zu diesem Text:
Ja, was bleibt? Ich gebe da Bas schon recht, eigentlich nicht viel, zumindest inhaltlich nicht. Er zeichnet sich nicht durch seine Handlung aus, welche wohl auch nicht in deinem Fokus stand.
Was für mich erkennbar ist, so glaube ich wenigstens, ist die Suche nach dem richtigen Ton, einem außergewöhnlichen Klang; du legst den Schwerpunkt auf den Stil und das wiederum erinnert mich an ein Interview mit Philippe Dijan, der u. a. sagt: "Daher bietet sich ein einförmiger Tonfall an, weil gerade dadurch der Rhythmus der Sprache wieder hervortreten kann, durch den Rücktritt des Inhalts hinter die Sprache." Ferner: "Der Schriftsteller richtet sein Augenmerk nur auf den Stil, auf den Standpunkt des Erzählers und den Tonfall." Und Céline zitiert er mit folgendem Satz: "Wenn ihr Geschichten wollt, könnt ihr die Zeitung lesen."
An das Interview haben mich auch die konzentrischen Kreise erinnert; Dijan sagt: "Wenn man einen Stein ins Wasser wirft, erhält man diese konzentrischen Kreise. Die Wellen zeigen, dass ein Stein ins Wasser geworfen wurde."
Das ganze Interview kannst du hier nachlesen, wenn du möchtest.
Also, vielleicht entspricht das ja deiner Herangehensweise, hm?
Zum Text (ohne mich dem Inhalt zuzuwenden):
Gesichter schieben sich über ihr Spiegelbild in der Scheibe. Zahllose, namenlose Gestalten - erschienen um gleich wieder zu verschwinden. Unscharfe Ränder gleiten übereinander. Das menschliche Kaleidoskop wird immer wieder kräftig geschüttelt und neue Bilder brechen sich in den schmierigen Scheiben der Bahn. Leonora starrt mitten hinein, bis ihre Augen brennen und ihr Kopf wieder zu dröhnen beginnt.
Ihr Selbst ist nicht hier, es klebt noch immer an dem kurzen, letzten Blick in seine Augen. Sie hat es dort zurück gelassen. Der Verlust schmerzt dumpf. Eine Berührung, ein letzter Blick.
Das kann man machen, um etwas zu verstärken; sicher auch, um einen Ton, eine gewisse Melodie hineinzubringen. Ich sehe hier in den Wiederholungen allerdings keinen Mehrwert.
Vorschlag:
Gesichter schieben sich über ihr Spiegelbild. Zahllose, namenlose Gestalten [Halbgeviertstrich] erscheinen, um gleich wieder zu verschwinden. Unscharfe Ränder gleiten übereinander. Das menschliche Kaleidoskop wird kräftig geschüttelt und neue Bilder brechen sich in den schmierigen Scheiben der Deutschen Bahn. Leonora starrt mitten hinein, bis ihr Kopf zu dröhnen beginnt.
Ihr Selbst ist nicht mehr, es klebte noch in der Reflexion seiner Augen, in seinem letzten Blick. Sie hat es dort zurückgelassen. Der Verlust schmerzt. Die Berührungen, der letzte Atemzug.
Um das klarzustellen, Marta Ben, mir geht es nicht darum, dir aufzuzeigen, dass ich es derart besser geschrieben fände, sondern eher darum, dir aufzuzeigen, worauf ich hinauswill.
Deutsche Bahn, wegen der klaren Verortung - ich hab das mit "der Bahn" nämlich nicht auf Anhieb verstanden.
Was ist das für eine Stadt, deren nieselfeuchte Straßen glänzen und wo es immer nach Regen riecht?
Leonora geht eine Straße hinunter. Eine Plastiktüte treibt vor ihr her wie ein vielfarbiges Irrlicht. Sie schaut ihr nach. Lange. Winzige Regentröpfchen sammeln sich indes auf ihrer Haut und verschwimmen zu einem Kleid aus Wasser. Etwas in ihr schiebt sie immer weiter in den Regen hinein. Zu deutlich sind die Rufe, zu wichtig der Weg, um jetzt umzukehren. Erinnerungen und Bilder, schöne, auch schmerzhafte, erscheinen in ihren Gedanken und treiben sie voran.
Auch hier könntest du versuchen, Wiederholungen zu vermeiden, wenn du wolltest.
Vorschlag:
Was ist das für eine Stadt, in der es immer nach Regen riecht?
Eine Plastiktüte treibt vor ihr her wie ein vielfarbiges Irrlicht. Sie konzentriert sich darauf. Winzige Regentröpfchen sammeln sich indes auf ihrer Haut und verschwimmen zu einem Kleid aus Wasser. Etwas in ihr schiebt sie weiter die nieselfeuchten Straßen entlang. Zu deutlich sind die Rufe, zu wichtig der Weg, um jetzt umzukehren. Erinnerungen und Bilder, schöne, auch schmerzhafte, erscheinen in ihren Gedanken und treiben sie voran.
Leonoras Atemzüge sind flach und vorsichtig, als müsste sie Angst haben[Komma] jeden Moment entdeckt zu werden.
Vielleicht ein stärkeres Verb: gehen flach und vorsichtig, anstatt "sind"?
Sie blickt sich um, aber sie hört nur den Klang ihrer eigenen Schritte. Ein kleiner Rhythmus, der ihr sagt, dass sie noch am Leben ist.
Gefällt mir nicht. Vielleicht ohne Adjektiv - besser womöglich: In einem Rhythmus ...
Das Regengrau mischt sich mit ein paar Lichtstrahlen stummer Lampen und die Muster der seltsamen Stadt reihen sich vielfenstrig aneinander.
Würde ich streichen.
Eine unbequeme Feuchte durchzieht ihren Körper und die enge Flucht der Straße saugt sie auf. Ihr Körper sträubt sich gegen die Bewegung und ihre Zähne schlagen heftig aufeinander.
Für mich auch ohne Mehrwert. Wie wäre es damit:
Sie sträubt sich gegen die Bewegung ...
Ein paar unwichtige Sterne kleben an dem Fetzen des Himmels, den sie von hier unten sehen kann und eine leise Melodie beginnt plötzlich[Komma] in ihrem Kopf zu tanzen und holt vertraute Bilder hervor.
Das beißt sich für mich, dass sie Sterne sehen kann, wo es doch regnet.
Ich habe eine Aversion gegen das Wort: plötzlich
. Dass sie den Himmel von dort unten sehen kann, finde ich redundant.
Aber sie verschwimmen immer wieder,[kein Komma] wie die konzentrische(n) Wellen, die entstehen, wenn man einen Stein ins Wasser wirft. Immer größere, sich letztlich auflösende Kreise.
Hier würde ich den Rotstift ansetzen. Für mich verwässert das Drumherum das starke Bild.
Leonora wirft hastig immer mehr Steine in den trüben Tümpel der Erinnerung und will die Wellenbilder mit bloßen Händen fangen. Aber sie rinnen wieder und wieder durch ihre Finger. Alles was ihr letztlich bleibt, sind ein paar letzte Worte; hastig gesprochen und jetzt, fast schon undeutlich in der Erinnerung. Verschwommene Bilder von einem Menschen. Einem Menschen, dessen Liebe sie erhalten, dessen Angst sie gesehen hat und dessen Schmerz von nun an auch ihrer ist.
Ein Mensch, einfach fortgerissen. Fort von ihr, fort von der Freude, fort von der Welt. Ein Mensch, dessen Leben nun nur noch in den porösen Boden zu sickern scheint.
Okay, hier hast du sie auf jeden Fall bewusst gesetzt, die Wiederholungen, meine ich. Wirkt mir aber inflationär - will heißen: Du übertreibst es, finde ich.
Du überreizt mMn auch das Bild mit den Steinen und Wellen. Wirkt mir insgesamt auch zu geschwätzig alles, würde ich eindampfen.
Vorschlag:
Leonora will nach den Wellenbildern greifen, aber sie entrinnen ihr. Alles was bleibt, sind ein paar gesprochene Worte in ihrer Erinnerung. Von einem Menschen, dessen Liebe sie erhalten, dessen Angst sie gesehen hat und dessen Schmerz von nun an auch ihrer ist. Ein Mensch, dessen Leben in den porösen Boden gesickert ist.
Sie sucht Halt und findet ihn an einer nass glänzenden Wand. Leonoras Fingerspitzen gleiten über diese schorfige Hülle, der die Zeit ein Muster aus Schmutz und Tristesse auf den Rücken gemalt hat.
Meintest du das so, dass die Wand eine Hülle ist? Wenn nicht, würde ich den einfachen Artikel setzen (oder das Pp, oder "dessen"), dann hätte ich den Putz oder so vor Augen.
Das verdammte Warum hämmert unerbittlich in ihrem Kopf, drückt sich schwer auf ihre Brust und nimmt ihr den Atem.
Substantivierung.
Schief, auf einem Bein und wild mit den Armen fuchtelnd tänzelt ihr Leben derzeit dahin, immer gefährlich nah am Abgrund.
Diese Fuchtelnd-tänzelt-Konstruktion finde ich etwas ungelenk - vermutlich wegen dem harten Konsonanten. Wird vielleicht durch einen weicheren bekömmlicher: rudernd z.B.
So viel mal von mir. Versteht sich von selbst, dass ich nur einen subjektiven Eindruck vermitteln kann und will. Vielleicht kannst du ja trotzdem was damit anfangen.
Danke fürs Hochladen
hell
PS. Willkommen hier, Marta Ben.