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Was bin ich?
"Nein. Keine Mäuse", fauchte die Weisse Katze.
"Dann wenigstens Wollknäuel, denen ihr hinterherjagt?"
"Auch das nicht."
"Hunde, vor denen ihr davonrennt?"
"Nein."
"Das leckere Katzenfutter, das euch Frauchen zubereitet?"
Die Weisse Katze knurrte mißbilligend. Was dachte dieser Idiot, wen er vor sich hatte.
"Wir träumen von nichts derart trivialen", sagte sie und leckte sich mit der scharfen Zunge über
die Pfote.
"Es würde die Untersuchungen sehr beschleunigen, wenn Sie, anstatt alles zu verneinen, uns einfach von Ihren Traumeindrücken erzählen würden ."
Die Katze streckte sich und machte einen Katzenbuckel. Dann gähnte sie und schaute auf den Untersuchungsleiter.
"Euere Vorgehensweise, uns durch Traumanalyse besser zu verstehen, ist vielleicht nicht die richtige... Wir denken nicht in so einfachen Kategorien."
"Können sie es mir vielleicht grob beschreiben? Geben sie mir wenigstens einen kleinen Hinweis, bisher habe ich nicht die geringste Idee."
Die Katze überlegte. Wie konnte sie einem so einfachen Geschöpf wie dem Menschen ihre Gedanken beibringen? Sie wollte es versuchen. Schließlich hatte sich die menschliche Rasse im letzten Jahrhundert überraschend einfallsreich gezeigt und hat die Kommunikationsbrücke zu den Katzen überwinden können. Sie waren einfach gestrickt, die Menschen. Aber sie waren emsig und verbissen. Ihr seltsames streben nach banalem Wissen hat sie nun dahin gebracht wo sie heute standen- sie waren im Begriff zu lernen, wie die Welt wirklich funktioniert.
Die Katze versuchte vergeblich, ihre Gedanken in menschenverständliche Worte zu fassen.
"Ich fürchte es wird nichts nützen. Sie werden's doch nicht verstehen."
"Und wenn schon. Wenn ich nichts verstehe, dann ist es besser als daß Sie mir gar nichts sagen."
"Ich befürchte nur, Sie ziehen aus der Studie die falschen Schlüsse. Das kann noch schlimmer sein, als gar nichts zu wissen."
"Das müssen wir erst noch rausfinden, ob wir wirklich so dumm sind. Bitte versuchen Sie es."
"Also gut. Hören Sie mir zu. Ihr hattet bisher gedacht, ihr seid die am weitesten entwickelte Spezies in der Natur. Wir waren mehrere Tausend Jahre lang der Meinung, man sollte euch in dem Glauben lassen. Aber nun kommt der Zeitpunkt an dem es nicht mehr geht. Ich sage Ihnen nun etwas, das sie wahrscheinlich nicht verstehen werden oder es als Blödsinn betrachten. Aber ich tue Ihnen den Gefallen:
Sie sind eine der primitivsten Spezies, die es gibt. Sie sind für uns das, was für Sie Einzeller sind.
Der Wissenschaftler kratzte sich am Kopf und schaute auf seine Meßapparatur. Alle Geräte, an die das Tier angeschlossen war zeigten Normwerte. Es war kein Anzeichen von irgendeiner Störung zu sehen, trotz dessen was er gerade gehört hatte. Meinte die Katze das ernst? - dachte er. Das konnte natürlich nicht wahr sein. Entweder sie war krank oder sie erzählte willkürlich Unsinn. Aber wieso?
"Sie wissen, daß Sie mit solchen Aussagen die Untersuchung behindern", sagte der Professor nach unten schauend.
"Ich wusste, das wäre zu hoch für Sie", entgegnete die Weisse Katze, " wenn Sie mit einer Bakterie kommunizieren müssten, würden Sie ihr auch nicht klarmachen können, wie nichtig klein und unbedeutend sie ist. Sie würde sich in ihrer vertrauten Umgebung sicher fühlen und gar nicht auf Sie hören. Vielleicht würde sie sogar denken, sie sei Ihnen überlegen..."
Dem Wissenschaftler fuhr die Zornesröte ins Gesicht.
"Wie können Sie sich erdreisten sowas zu sagen. Wir sind zu den Sternen gereist. Wir haben den Tod auf Jahrhunderte hinausgezögert. Wir haben die halbe Galaxie bevölkert und Kontakt mit außerirdischen Lebensformen aufgenommen! Wir sind sogar in der Lage im gewissen Umfang Zeitreisen zu unternehmen. Und Sie vergleichen uns mit Bakterien?"
"Ja, das tue ich", meinte die Katze, "Sie sind für uns sogar ziemlich entbehrlich, aber wir lassen Sie in ihrer Welt spielen, wie kleine Kinder im Sandkasten. Nur haben Sie es bisher nicht gemerkt, weil Sie niemand darauf aufmerksam gemacht hat."
Der Professor drückte auf einen Knopf und ein Käfig fiel von oben herunter und sperrte das Tier ein.
"Offensichtlich hat man mir ein geistig gestörtes Exemplar für die Untersuchung geliefert. Ich möchte mich nicht weiter mit Ihnen unterhalten."
"Das kleine Kind, das die Wahrheit nicht hören will und um sich schlägt...", meinte die Katze.
"Blödsinn! Irgendein möchtegern-witziger Student hat sich einen Scherz erlaubt, und mir eine verrückte Katze gebracht. Das haben wir gleich."
Er zog eine Spritze auf und drückte die Flüssigkeit aus der Nadel.
"Eine leichte dosis Valium, dann schlafen Sie besser."
"Das Kind fuchtelt mit seiner Spielzeugpistole", sagte die Katze gemächlich.
"Wenn ich ein Einzeller für Sie bin, wieso kann ich Sie dann nach beliebem einsperren?"
"Sie sperren mich nicht wirklich ein."
"Nein? Wie würden Sie dann das hier bezeichnen?" Er klopfte auf die Gitterstäbe.
"Sie haben nur den Teil, den Sie wahrnehmen können eingesperrt. Das ist so als ob Sie einen Maulwurf mit einem Spielzeugeimer von oben einsperren wollten. Der gräbt sich einfach unten durch."
"Und was macht der Maulwurf bei Starkstrom?", er drehte an einem roten Knopf und die Katze machte einen Hüpfer nach oben als ihr die Pfoten brannten. Er drehte den Strom wieder ab und grinste.
"Na, geht's nun besser?", lachte er.
Die Katze stand da mit aufgerichteten Haaren und fauchte zu dem Menschen:
"Die übliche Verteidigungsreaktion von Einzellern. Was sie nicht verstehen, versuchen sie zu zerstören."
Der Professor schien seine gute Laune wiedergefunden zu haben:
"Ach, wenn Ihnen soviel daran liegt, können Sie mit Ihren Ausführungen fortfahren. Erzählen Sie mir alles, was Ihnen auf der Seele liegt."
"Den wichtigsten Teil wissen Sie schon. Sie sind eine recht enttäuschende Spezies. In der Zeit, als sich aus den Menschenaffen Homo Sapiens formte hätte man sich mehr von Ihnen erhofft. Alles andere hat sich schneller weiterentwickelt als Sie. Sie sind immer noch in Ihrer kleinen dreidimensionalen Welt gefangen, während fast alle anderen Arten weitere Dimensionen bevölkern."
"Wie meinen Sie das?" Der Wissenschaftler machte ein ungläubiges Gesicht.
"Das, was Sie hier von mir wahrnehmen, ist nur das, was Ihr dreidimensionales Gesichtssystem Ihnen übermittelt. Und das Bild wird von einem 3D-Gehirn verarbeitet. Katzen wie auch die meisten anderen Lebensformen auf der Erde haben weitere Dimensionen, in denen sie sich bewegen. Was Sie hier von mir sehen, ist nur die Spitze vom Eisberg..."
"Sie scherzen"
"Durchaus nicht. Stellen Sie sich vor, Sie schauen auf ein Strichmännchen auf einem Blatt Papier. Das kennt nur seine zwei Richtungen: Vorn und seitlich. Alles, was aus seiner Welt herausführt, bemerkt er nicht. So seid ihr Menschen auch. Putzige Strichmännchen..."
Wieder wurde der Professor wütend.
"Ich habe nicht zwanzig Jahre lang die erfolgreichste Forschungsgruppe der Welt geführt, um mir sowas anhören zu müssen. Ich, Prof. Dr. rer. nat. Auerbach, mehrfach ausgezeichneter Nobelpreisträger, kann eine neurotische Katze von wirklich brauchbaren Tieren unterscheiden. Er nahm die Spritze und stach der Weissen Katze ins Bein. Diese fiel um und die Geräte fingen an, Warnsignale auszustoßen. Ein Blinken und Tröten ging durch den Raum. Der Computerbildschirm zeigte an: "Lebensgefahr! Überdosis!"
Aber der Wissenschaftler lehnte sich zurück und ließ die Gerätschaften vor sich hinspinnen. Was juckte ihn das. Er schrieb in seinen Bericht: "Eine schwer gestörte Katze fügte sich selbst Schaden zu und verstarb an den Folgen." Dann schloss er den Ordner und schaute auf seine Auszeichnungen an den Wänden.