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Warum sich Hähne nicht mehr kämmen
Bauer Grosse rannte an einem heißen Sommertag wie der Blitz zu seinem Hühnerstall. Ein lautes Getöse hatte ihn aus dem wohlverdienten Mittagsschlaf gerissen. Fast wäre er über eines seiner Schweinchen gestolpert. Völlig außer Atem kam er beim Hühnerstall an. Die Hühner waren vor der Hitze alle in den Stall geflüchtet. Grosse riss die Holztür auf und schrie wutentbrannt:
„Was ist das wieder für ein schreckliches Gegacker? Kann man euch Hühner denn keine Minute lang alleine lassen?“ Die meisten Hennen waren auf ihre Stangen geflüchtet und plusterten sich erschrocken auf.
„Warum geht ihr eigentlich nicht in euren Hühnerhof und sucht euch die saftigen Regenwürmer an der frischen Luft? Aber nein! Ihr müsst immer in eurem muffigen Stall sitzen und euch streiten. Ich halte das nicht länger aus!“
Bauer Grosse schaute ärgerlich in die aufgeschreckte Hühnerrunde. In der Mitte, direkt am Fressnapf, stand Kikeri.
Kikeri war der Hahn der Hühnerschar. Er war ein stolzer Gockel und ein alter Angeber. Die Hennen konnten ihn nicht leiden. Immer drängelte er sich vor. Selbst im Garten konnte er es nicht lassen, bei jedem gefundenen Wurm zu schreien:
„Kikeriki! Ich habe den dicksten Wurm! Den fettesten Wurm des Tages!“ Wenn dann die neugierigen Hennen angerannt kamen, um den einzigartigen Wurm zu bestaunen, hatte Kikeri ihn schon verschlungen. Er gackerte dann immer wichtigtuerisch:
„Tschja, die Damen! Ihr seid wieder einmal zu langsam gewesen! So einen fetten Wurm muss man frisch genießen.“ So konnten die Hennen nie überprüfen, ob Kikeri auch wirklich den Fang des Tages gemacht hatte.
Bauer Grosse scheuchte die ganze Hühnerschar nach draußen und sperrte den Stall ab.
„So! Nun streitet euch meinetwegen draußen! Ihr kommt erst abends wieder rein.“ Das Hühnervolk war unzufrieden und nur langsam verteilte es sich auf der Wiese.
Kikeri stöberte gerade nach Würmern in einem frisch angelegten Blumenbeet, als er auf etwas Hartes pickte. Das muss ein richtig fetter Wurm sein, dachte er. Er pickte und pickte, die Erde spritzte um seinen Hühnerkopf herum. Aber je mehr er das komische Etwas freischaufelte, desto deutlicher erkannte er, dass dies kein Wurm sein konnte. Es war lang und rot, es hatte Zacken auf einer Seite und an der anderen Seite war es glatt. Jetzt fiel es Kikeri wieder ein. Er hatte erst vorgestern Bauer Grosse mit so einem Ding gesehen. Bauer Grosse war aus der Haustür gekommen, hatte einen großen Blumenstrauß in der Hand und schaute angestrengt in den Spiegel am Auto. Dann fuhr er mit dem Ding mehrmals durch seine Haare, lächelte zufrieden, stieg ein und brauste davon. Kikeri freute sich. Nun hatte er auch so einen Kamm und er konnte sein Federkleid in der Früh schön glatt kämmen. Stolz dachte er: Noch schöner und noch gepflegter werde ich aussehen. Ich werde zum schönsten Hahn auf der ganzen Welt. Er schaute sich um. Hoffentlich hatte ihn keines der anderen Hühner gesehen? Nur die Oberhenne Vroni hielt sich in der Nähe auf. Sie trippelte langsam auf Kikeri zu. Er musste sie irgendwie ablenken. Sie durfte auf keinen Fall seinen roten Schatz entdecken. Er hüpfte elegant aus dem Beet und gackerte Vroni zu:
„He Vroni! Die besten Würmer gibt es beim Schuppen. Soll ich sie dir zeigen?“
„Was? Beim Schuppen? Da war ich doch gerade! Alle Würmer ausgewandert!“, meinte Vroni schnippisch. Sie kam gefährlich nahe an das Blumenbeet. Kikeri sträubten sich schon die Nackenfedern. Nervös scharrte er in der Erde. Also gut, dachte er sich. Nun musste er doch seinen absoluten Geheimtipp verraten.
„Na ja, du hast recht. Aber ich habe eine noch bessere Stelle. Du musst sie aber für dich behalten!“
„Klaro! Wo soll die Super-Wurm-Stelle denn sein?“
Kikeri führte sie zum Plumpsklohäuschen hinter der Gartenlaube. Nachdem Bauer Grosse regelmäßig das Stille Örtchen ausräumte und den Unrat einfach hinter ein paar Brombeersträucher warf, gab es hier die wohlgenährtesten Würmer des ganzen Hofes. Kikeri besuchte diesen Imbiss nur, wenn alle anderen Hühner in sicherer Entfernung auf Bauer Grosses Acker pickten.
Als Vroni die ersten Leckerbissen verschlang, schlich sich Kikeri schnell wieder davon. Im Blumenbeet schnappte er den roten Kamm und rannte damit zum Hühnerstall. Ab und zu blieb er wie angewurzelt stehen und schaute nervös um sich. Sah ihn auch keine der dummen Hennen? Beim Hühnerstall angekommen, versteckte er den Kamm hinter einem großen alten Ziegelstein.
Am nächsten Morgen schlich er schon vor den anderen aus dem Stall. Er nahm den Kamm in seine Kralle und frisierte sich genüsslich in den ersten Sonnenstrahlen. Hätte er wie eine Katze schnurren können, die anderen wären sicherlich aus ihren Träumen aufgeschreckt. Eine halbe Stunde hatte Kikeri schon seine Federn gekämmt, da wachten die ersten Hennen auf. Schnell versteckte er den Kamm wieder, sein Brustkorb schwoll an und ein durchdringendes Kikeriki drang inbrünstig aus seiner Kehle. Jetzt würden ihn alle noch mehr bewundern, denn seine Federn schmiegten sich stromlinienförmig an seinen eleganten Körper. Und tatsächlich, die Hennen unterhielten sich aufgeregt, als sie Kikeri betrachteten. Im Gegensatz zu ihnen, war er um diese frühe Uhrzeit schon fürstlich herausgeputzt.
„Tschja, da staunt ihr, was? Ich bin eben der schickste Hahn weit und breit. Schaut euch nur meine Federn an!“ Selbst Vroni staunte aus ihren kugelrunden Hennenaugen:
„Kikerii! Wie hast du das nur geschafft? Verrate uns dein Geheimnis!“
„Auf keinen Fall!“, gackste Kikeri. Aber Vroni war nicht dumm und meinte hinterlistig:
„Nun gut! Dann verrate ich den anderen das Wurmschlaraffenland!“
„Um Gottes Willen! Vroni!“ Kikeri schluckte schwer. Alle Hennen hatten inzwischen einen Kreis um ihn gebildet und trippelten aufgeregt von einem Fuß auf den anderen. Neugierig streckten sie ihre Schnäbel in die Runde und konnten es kaum erwarten, bis Kikeri seinen Geheimtipp zur Körperpflege verraten würde.
„Und? Sagst du es endlich?", fragte Vroni mit fordernder und bestimmter Hennenstimme. „Lange werde ich nicht mehr warten!“ , fügte sie noch schnell hinzu.
Kikeri wusste weder ein noch aus. Was sollte er tun? Sollte er von nun an auf die fetten Würmer verzichten? Oder sollte er ab jetzt seinen heiß geliebten Kamm mit all den dummen Hennen teilen? Nicht auszudenken, wenn sie in der Früh in Reih und Glied alle anstehen würden. Völlig verdreckt würde der Kamm bald sein. Niedergeschlagen gab Kikeri dann doch nach. Er holte den roten Kamm hinter dem Stein vor. Ein überraschtes Raunen ging durch die Hühnerschar. Kikeri hüpfte mit dem Kamm auf einen Holzstoß und rief mit krächzender Stimme:
„Das ist ein Federkamm! Dieser Kamm gehört nur mir! Nur ich darf ihn benutzen und ich zeige euch nun, wie er funktioniert!“
Alle Hennen flatterten erstaunt umeinander und drängten sich schließlich um den Holzstoß, um das Wunder zu bestaunen. Kikeri nahm den Kamm selbstsicher in seine Kralle. Dabei musste er auf dem anderen Bein das Gleichgewicht halten. Aber morgens hatte es ja auch geklappt. Mit Schwung fuhr er mit dem Kamm durch seine Federn auf dem Kopf. Aber was war das? Der Kamm blieb in den Federn stecken. So sehr Kikeri auch daran zerrte, er bewegte sich keinen Millimeter mehr. Plötzlich verlor er auch noch das Gleichgewicht und stürzte flatternd in die Tiefe. Der Kamm steckte jetzt noch fester auf seinem Kopf. Die Hennen fingen fürchterlich an zu kichern. Vroni piepste vor Vergnügen.
„He, Kikeri! Einen tollen Hahnenkamm hast du da auf dem Kopf!“ Die anderen schüttelten die Köpfe und machten sich wieder auf die Suche nach fetten Würmern. Seit diesem Tag haben Hähne einen Hahnenkamm und natürlich wissen alle Hennen auf Bauer Grosses Hof inzwischen, wo es die fettesten Würmer gibt.