Warum Rot?
Warum Rot?
(c) 2004 by shade
Wir sitzen wieder einmal abends zusammen, draußen ist es bereits bitterkalt und die Sonne hat sich frühzeitig verzogen. Lars lümmelt quer über dem Sofasessel, während Jessica fluchend vor dem Kamin sitzt und versucht ein Feuer anzubekommen. Ich beobachte sie gespannt und zähle die Streichhölzer, die sie bereits abgebrochen hat. Sechs! Ein neuer Rekord.
Eigentlich wollen wir einen Rollenspielabend machen, aber die anderen aus der Truppe sind noch nicht da. Die Stephan und Tanja, sind immer zu spät dran, daran haben wir und schon gewöhnt.
"Scheiße, verflixt!"
Jessica hat gerade ein Streichholz angezündet, doch jetzt ist es ihr durch das Gitter gefallen.
"Typisch Magierin," zieht Lars sie auf, "mit Feuerbällen rumschmeißen, aber kein Lagerfeuer anbekommen!"
"Blödmann! Meine Finger sind ganz kalt von dem Weg hierher. Mach's doch selber du Besserwisser!"
Damit knallt sie ihm die Schachtel mit den Streichhölzern an den Kopf und läßt sich auf die Couch fallen, direkt neben mich. Lars erhebt sich mürrisch und stapft zum Kamin. Jessica schmollt.
Zu ihrer Enttäuschung brennt bald darauf eine Feuer im Kamin. Lars war bei den Pfadfindern, hat also Heimvorteil.
Plötzlich fragt er in die Stille: "Wißt ihr, warum der Weihnachtsmann rote Sachen anhat?"
Ich schaue ihn verwundert an. "Ähhh, ist das nicht so ein bescheuerter Werbegag von Coca-Cola, der der ganzen Welt untergejubelt wurde!"
"Ne, gar nicht!", Lars gnickert, "Der verbrennt sich regelmäßig den Arsch, wenn er die Kamine runterklettert!"
"Müßte er dann nicht schwarz sein von all dem Ruß?", fragt Jessica dazwischen.
"Nicht ganz falsch die Argumentation!" werfe ich ein. "Aber warte mal Rot hat man doch auch das Lower Gun Deck auf der MHS-Victory gestrichen!"
Lars sieht mich verständnislos an: "Wir reden ihr von dem Seppel, der die Geschenke bringt und nicht von irgendeinem Schiff."
"Ja, aber das haben sie Rot gestrichen, damit man beim Kampf nicht das ganze Blut sieht!"
"Cool! So wie die Rotröcke der englischen Soldaten!"
"Kommt der Weihnachtsmann aus England?", Jessica schaltet heute wirklich langsam.
"Klar!", Lars grinst, "Aber eigentlich ist das ein Killer, dem man sein Gemetzel nicht ansieht, weil er rote Sachen trägt!"
"Und wen bringt er um bitteschön!"
"Na, die bösen Kinder!"
"Was?"
"Na, hast Du in der letzten Zeit böse Kinder gesehen. Vor Weihnachten sind die alle brav, weil sonst die Weihnachtsmann sie auschlitzt und in seinem Sach davonträgt." Lars fuchtelt dazu mit den Armen und tut dann so, als würde er jemanden zerhacken und in einen Sack stecken.
"Du bist ekelig! Ich glaube, Du schaust zu viele Horrorgeschichten!", Jessica schaudert.
"Außerdem würde das ganze Blut aus dem Sack laufen und überall wären Spuren. Überleg' Dir was besseres, Lars."
"Ich hab's, er trägt eigentlich einen Fliegeranzug. Die sind doch rot." - "Orange!", korrigiert mich Jessica.
"Orange, Rot, ist doch alles eine Signalfarbe!"
"Das ist es!", meint Lars triumphierend: "Das ist eine Signalfarbe, die auf ihn aufmerksam machen, weil, weil..."
"Und weiter?"
"...weil er sonst übersehen werden würde!"
"Toll, den echten Weihnachtsmann gibt es ja auch nicht. Zumindest hat ihn noch keiner gesehen!"
"Ist doch klar. Weil soviele den Weihnachtsmann nachmachen und in Rot rumlaufen, kann er sich ganz gefahrlos darunter bewegen, ohne daß jemand
den echten von den falschen unterscheiden kann! Tarnung durch Masse!"
"Lars geht's nicht gut!" Jessica rollt mit den Augen.
"Aber das klärt immer noch nicht, warum er rot trägt?"
Für eine Weile hocken wir alle stumm da und starren in das Kaminfeuer.
"War der heilige St. Nicolaus nicht ein Bischof? Habe die nicht rote Gewänder?", krame ich in meinen Geschichtswissen.
Jessica rümpft die Nase: "Die Kardinäle habe rote Gewänder, die Bischhöfe tragen eigentlich schwarz."
"Wegen des ganzen Rußes!", wirft Lars ein und fängt gleich darauf an zu lachen.
"Was ist noch rot?", versuche ich weiter.
"Feuerwehrautos, Rettungsbojen, Stopschilder, Rosen, ..."
"Rudolfs Nase!", meint Jessica.
"Das ist die von Jelzin auch gewesen und das war nicht von der eisigen Kälte am Nordpol!", höhnt Lars.
"Rot ist doch einen stimulierende Farbe, die Farbe der Liebe!"
Lars fängt an lauthalt zu lachen: "Santa, der geile Bock mit dem dicken Sack! Deswegen hat der auch immer ein paar scharfe Engel dabei!"
Jessica schaut mich entrüstet an. Ich zucke nur mit den Schultern. Das ist halt Lars live.
"Versuchen wir es mal anders! Was wäre denn, wenn der Weihnachtsmann blau wäre?"
Ein neuer Lachanfall ergreift Lars. Ich werfe ihm einen vernichtenden Blick zu, aber es kümmert ihn wenig.
"Äh, also wenn er blaue Sache trüge! Stellt ihn euch mal so vor!"
Jessica schließt die Augen und runzelt die Stirn. "Hellblau oder dunkelblau?"
"Wie? Äh, eher dunkel, warum?"
"Na, hellblau ist eingentlich die Farbe für kleine Jungen. Dunkelblau, das erinnert mich eher an einen Arbeiter im Blaumann oder an einen Matrosen. Wie wäre es mit Grün?"
"Förster!" - "Weiß?" - "Arzt, Bäcker, ..." - "Rosa?", Lars macht jetzt mit.
"Ne, das ist für kleine Mädchen!" - "Lila!" - "Emanzenfarbe! Verhütet schwanger zu werden!" - "Schwarz?" - "Schornsteinfeger!" - "Braun?" -
"1945 abgeschafft!" - "Gelb?" - Schweigen.
"Was ist mit Gelb?", bohre ich weiter. "Tja, trägt sonst keiner, außer die Schülerlotsen und die Signalmäntel der Polizisten, wenn sie den Verkehr regeln!"
"So kommen wir nicht weiter!" Jessica starrt gebannt in die Flammen. "Es hat eine höhere Bedeutung. Ein Ziel!"
"Du meinst sowas wie Glaube oder Ideologie?"
"Der Weihnachstmann ist ein Kommunist!"
Jessica und ich starren Lars an.
"Mensch überlegt doch mal. Voll der Soziale. Bringt den Kindern Geschenke, hat ein einheitliches Aussehen in Rot - die Farbe des Kommunismus -
und kümmert sich einen Feuchten Kehrricht um die Privatsshäre von Familien. Er klettert einfach ungefragt ins Wohnzimmer. Wie der KGB."
Ich stöhne auf. Wenn nicht ein wenig Action, Spionage oder Sex dabei war, interessierte es Lars einfach nicht.
Endlich klingelt es an der Haustür, Stephan und Tanja.
Als beide eintreten, bringen sie eine Menge Schnee mit.
"Wir haben festgesteckt auf dem Bundesstraße. Da hat irgend so ein Nachtblinder Typ mit Sommerreifen nicht mehr bremsen können und den
Plastikweihnachtsmann auf der Verkehrsinsel beim Supermarkt überfahren."
"Nieder mit den geilen Kommunisten!" brüllt Lars und springt auf seinen Platz.
Jetzt müssen Jessica und ich beide Lachen.
Eine plausible Antwort habe ich immer noch nicht.